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Alles war geblieben wie einst, nichts war geschwunden, nichts war geändert. Mit all ihren Putten und Kränzen standen die Straßenzüge in der hellichten Sonne, still, verschlafen und vornehm, und jede Minute konnte man glauben, daß der Alte Fritz mit dem Krückstock einen auf die Schulter tippen müsse: »Hör' Er.« Oder er war nur gerade fortgegangen, vielleicht nach Berlin gefahren, vierspännig, mit stehenden Lakaien hinter sich auf der Kalesche, oder noch einmal in irgendeinen Krieg; gezogen... Sicherlich, alles schien zu warten, daß er wiederkäme. Es war ein bißchen alt und ein bißchen grau dabei geworden und ein bißchen höher die Bäume an den Kanälen und um das Bassin und auf der Plantage; ein bißchen üppiger das Gras zwischen den Pflastersteinen, aber es wartete – ergeben und reglos. Nur alle Viertelstunden, wenn das Glockenspiel der Garnisonkirche hoch über die Straßen hin klimperte, schien es sich einen Augenblick zu besinnen; doch schon in der nächsten Sekunde träumte es wartend weiter – ganz ruhig. Des Mittags um zwölf hätte man mit Kanonen die Straßen herunterschießen können, ohne irgendeine Menschenseele in Gefahr zu bringen.

Alles – alles war geblieben wie einst, nichts war geändert. Draußen zog ebenso in weiten, stillen Bogen die Havel immer noch ihre wundervollen blauen Seidentücher um die Insel Potsdam, hier mit schmalen Kanälen und dort mit stillen und langsam gleitenden Seen inmitten breiter Schilfgürtel, über denen die Wasserjungfern zitterten wie Perlmuttstäbchen und die durchzogen und durchflochten waren von gelben Schwertlilien und von weißen Winden. Sie schmiegte sich an die dunklen Linien der Wälder, die Havel, um die Smaragdfassung der Wiesen, glitt unter Böschungen steiler Hügel hin hier eingeengt und hier sich breitend in weiten Rundungen.

Schlösser spiegelte sie, die Havel, und Obstgärten voll roten und gelben Früchten; Parks mit breiten Laubkronen und einsame, sandige Hügel. Fischerkähne trug sie leicht und spielend auf ihrem Rücken, und unter schweren Zillen schien sie zu stöhnen. Lange Flöße spannten sich vielgliedrig auf ihrer Oberfläche, und weiße Segel legten sich schief über die blauen Seidentücher und tanzten dahin. Die Reiher aber glitten mit breiten Schwingen und zurückgebogenem Halse lautlos von einem Ufer zum andern weit drüben; und die Schwalben schossen blau und blitzten auf und schnitten, wenn sie wendeten, ordentliche Furchen mit den Spitzen ihrer Flügel hinein in die blanken Spiegel, die tausendfach die Sonne brachen, jahraus und jahrein. Und wenn die Schwalben auch nicht, wie die Fischer glaubten, den Winter über sich tief unten im Schlamm vergruben und im Frühjahr einfach auftauchten – sie kamen doch immer wieder. Und immer wieder dann auch kam – der Herbst, gelb, braun, golden und purpurn, und stets schlossen sich bald darauf langsam und widerwillig die weiten Wasserbahnen zu weiten blanken und klirrenden Parketts, bis auf wenige Stellen, die – seltsam genug – offenblieben und an denen sich wilde Enten und Gänse und allerhand Wasservögel, die man sonst nie in der Gegend sah, in ungeahnten Schwärmen sammelten. Und Schnee fand sich dann auch dazu und puderte alles ein zu weiten, weißen, blitzenden Feldern. Aber gerade, wenn man schon glaubte, der Schnee wolle ewig liegenbleiben, bis an das Ende aller Tage, dann schmolz er in schwarzen, unregelmäßigen Flecken ab, und ehe man es sich versah, da lagen von neuem die blauen Seidentücher, weit und breit, inmitten von Schilfgürteln, hüben und drüben und allenthalben rings um die Insel Potsdam. Und die Sonne brach sich wieder darin in tausendfachen Silberfunken.

Nein, nichts hatte sich geändert! Und nur die Biber, die noch draußen irgendwo in der Nuthe und Bäke Dämme und Wälle gezogen und Hügel getürmt und Stauwehre errichtet hatten, waren zur Sage geworden kaum daß noch ein Name an sie erinnerte.

Nein, wirklich nichts hatte sich geändert, nichts von Bedeutung: Immer von neuem die frische Klarheit des Frühlings. Die Mauersegler abends schreiend um die Türme. Eine Blütenfülle tausendfach überall, doppelt gesegnet mit Obst und Flieder und Rotdorn und Linden. Dann die Schwere des Sommers ... mit Baumwällen und Schanzen von Buschwerk, mit Üppigkeit mannshoch und darüber an den Rändern der Seen, mit Gärten, berstend von Frucht. Weiter das Abblättern des Herbstes, die braunen Laubpolster auf den Wegen, die Kahlheit des Winters ... Stürme ... Eisgürtel ... Schneetreiben ... und – und – wiederum die blauen Seidentücher! Alles schön, reich, voll. Eine glückliche Insel... Ein üppiger Traum. Und doch schwer mit Blut gedüngt – durch die Kämpfe langer halbheidnischer Jahrhunderte in Sümpfen, Luchen und Brüchen, auf Hügeln und Wiesen. Denn es wohnten hier ehedem Räuber, Schinder und Beschädiger, wie es heißt.

Nein, nein, nichts hatte sich geändert seit den großen Tagen, da hier Glanz und Reichtum und Klugheit und Ruhm und preußische Härte und gallischer Witz aller Augen in Europa auf sich gezogen, als Friedrichs Tatenruhm über den Erdball scholl... Nichts von Belang. Nur die Gäste waren gegangen, gekommen, gegangen und wieder gekommen.

Und doch manches war so ein ganz klein wenig anders geworden – seitdem. Aber wenn auch jetzt – zu der Zeit, da unsere Geschichte spielt – den Tag fünf-, sechsmal solch ein schwarzbraunes Ding herangeschossen kam, das qualmte, rußte und böswillig Funken warf aus dem breiten Trichter seines Schornsteins und das – als ob es an seinem eigenen eisernen Leib nicht genug zu schleppen hatte – noch eine ganze Kette, eine erstaunliche Menge von großmächtigen Postkutschen nach sich schleifte, die lustig und hurtig mit ganz breiten Rädern auf blanken Schienen dahinrollten..., ja, und wenn auch da allerhand neuartige Leute herauskletterten aus den Wagen: Berliner, Provinzialen, Engländer, Franzosen, Fremde, die von weit her kamen, wagemutige Offiziere und Beamte, alle noch ganz wirr und taumlig von der rasenden Fahrt, vom Vorübertanzen der Kiefern und Seen, vom Vorbeifliegen der Bauernhäuschen und Weberkaten, und noch ganz erfüllt von dem neuen, seltsamen Erlebnis der Schnelligkeit – das bedeutete nicht viel. Da drüben, jenseits der langen Brücke, auf dem andern Ufer der Havel, merkte man davon rein gar nichts. Da war das alles verwischt, getilgt, und nur an ruhigen Abenden schrie dieses neumodische Tier manchmal – scheinbar grund- und sinnlos – laut und hungrig auf. Und dann gellte solch ein Lokomotivpfiff über die Stadt hin wie der Schrei einer hungrigen Bestie..., gellte vom Brauhausberg bis zum Judenberg, bis zum Ruinenberg, ja selbst bis zum Belvedere. Verklingend zog er über die gewaltigen Wasserflächen der Havel fort, zum Kiewitt und zum Tornow, weit lauter noch als die Trompetenstöße der Dommeln drüben in den Rohrwäldern, die seit Urgedenken an linden Abenden hier am Ufer ihre unheimlichen Rufe erschallen ließen. Aber das tat er doch immer nur für eine einzige, bange Minute. Dann sank es zurück, und alles war wieder wie einst.


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