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XXII.

Walperga trat in Otto's Gefängniß. Sie warf die Maske und den Mantel ab. Er erhob sich, wie von einem verklärenden Blitzstrahl getroffen; seine Fesseln klirrten durch die Bewegung. Fesseln an den Armen dieses edlen Menschen!

»Walperga!« rief er entzückt, und öffnete die geketteten Arme. »Das Leben schwindet, der Tag sinkt – die Nacht will kommen und dennoch geht die Sonne auf! O, welch' ein wonniger Anblick am Rande des Grabes!«

»Ihr sollt leben,« versetzte Walperga und reichte ihm den Mantel, das Baret und die Maske, »ich bringe Euch die Freiheit. Ihr flieht; statt meiner verlaßt Ihr diese Mauern. Die Sänfte trägt Euch vor das Spittelthor, dort hält Matusch mit den Pferden. Ihr eilt nach Sachsen, nach Pirna; daselbst erwartet Euch meine Schwester Jaroslava. Ihr dankt Ihr Leben und Freiheit.«

»Und Ihr, Walperga?« rief Otto – »am Rande der finsteren Gruft flammt meine Hoffnung auf – darf ich jetzt ein Wort der Liebe sprechen?«

»Beglückt meine Schwester!« versetzte ernst und mit dem Tone der Weihe die Jungfrau – »Ihr dankt Ihr dies alles: die Freiheit – ich habe und will nichts mehr auf dieser Erde; darum – edler Otto, verlangt auch nichts von mir, die ich wie eine Sterbende von Euch scheide!«

»Um Gotteswillen – Ihr opfert Euch für mich – Ihr wollt –«

»Man wird,« versetzte sie wehmüthig lächelnd, ein Mädchen doch nicht morden – statt eines gewaltigen Rebellen, und meines Oheims Macht schützt mich wohl vor der Strafe für meine List. Geht mit Gott! Hier nehmt den Abschiedskuß – den Kuß der Schwester. Ich sehe Euch wieder; doch nur als Jaroslava's Gatten. O, häuft alle Liebe Eurer Seele auf sie – sie verdient es!«

Sie lag in seinen Armen, ihre Lippen hafteten lange an seinem Munde.

»Fort – fort!« drängte sie jetzt und Thränen überströmten ihr Antlitz – »bevor es zu spät wird. Man hat mir nur eine halbe Stunde gegönnt. Doch,« unterbrach sie sich, »was soll die Maske hier und das schwarze Gewand?«

»Mein Sterbekleid,« versetzte Otto – »des Kaisers Gnade hat uns erlaubt, verkleidet und mit bedecktem Antlitz den Tod zu erleiden.«

Sie schwieg einen Augenblick, dann sagte sie heftig: »Hier mein Mantel, meine Maske, darin ist Leben und Freiheit! Fort – ich beschwöre Euch im Namen meiner Schwester!«

Er verhüllte sich – trat aus dem Gefängniß, bestieg die Sänfte und entkam glücklich durch das Spittelthor.

Am folgenden Morgen, den 21. Früh um fünf Uhr, wurden auf dem Hradschin einige Kanonen gelöst, alle Thore gesperrt, die kaiserlichen Richter und Commissarien setzten sich auf den Altan des Rathhauses und die Hinrichtung der Verurtheilten wurde unter stetem Trommelschlage vollzogen.

Der Erste, welcher auf der Blutbühne erschien, war Graf Andreas Schlik.

Nachdem er sich mit Hilfe seines Dieners entblößt hatte und niedergekniet war, wurde ihm die rechte Hand und darauf das Haupt vom Henker abgehauen. Sein Leichnam wurde von sechs schwarzverkappten Männern, ohne daß ihn der Scharfrichter berühren durfte, von der Bühne hinweggetragen. Auf diese Weise wurde mit allen denjenigen verfahren, welche mit dem Schwerte hingerichtet wurden. Ihm folgte Wenzel von Budova und diesem Christoph Harant, der Präsident der böhmischen Kammer.

Als jetzt der Name des Herrn Heinrich Otto von Los, böhmischen Unterkämmerers, aufgerufen wurde, trat Walperga in ihrer Verkleidung auf das Schaffot. Unter ihren Füßen bog sich ein Brett, sie wankte. Da rief ein Spötter außerhalb des Kreises: »Der edle Herr zittert!«

Walperga wandte ihr Haupt nach jener Seite und sagte mit tiefer Stimme: »Ich zittere nicht aus Todesfurcht, aber ich bebe vor Grimm, weil ich den Tag von Böhmens größter Schmach erleben mußte.«

Sie neigte ihr Haupt, der Henker trennte es von der Schulter. Als die schwarzen Träger die Leiche fortschaffen wollten, sagte einer derselben halblaut zum Scharfrichter: »Mein Gott, es ist ein Weib!«

Der Scharfrichter legte den Finger auf den Mund und schritt zur Hinrichtung der Uebrigen.

Denselben Abend war Prag still und ruhig wie eine Gruft. Slavata erstarrte einen Moment, als man Walperga's Leiche in sein Haus brachte. »Sie hat mich überlistet,« sagte er dumpf – »und in der That ihr Haupt zum Pfand gelassen. So steige ich denn dereinst, der letzte meines Stammes in die Gruft, denn Walperga sollte meinen Namen vererben. Doch ich sterbe als Sieger!« Er ließ Walperga neben ihrer Mutter Elisabeth in der Capelle der Domkirche beisetzen.

Walperga hatte im Gefängniß ein Blatt an Otto zurückgelassen. Mit festen Zügen hatte sie darauf geschrieben: »Mein Opfertod war Eigennutz; ich wollte doch einmal glücklich machen – für mich war die Erde nicht; aber für uns Alle und unsere Liebe ist das Jenseits. Lebet wohl! Ich werde leben in Eurer Liebe zu meiner Schwester!«

Jaroslava ward Otto's glückliche Gattin. Erst spät erfuhr sie von Walperga's Hingebung. Ihr Geschlecht blüht noch jetzt in den sächsischen Grafen von Los.

Eines Morgens fand der Sacristan in der Sanct Veitskirche an dem Altar über Elisabeth's und Walperga's Gruft eine Gestalt niedergekauert, einen Mann, der zu schlafen schien und die Nacht hindurch in der Capelle zugebracht hatte. Er war regungslos wie Marmor – er war todt. Der Kirchendiener erkannte ihn. Der alte Mann hatte seit mehreren Wochen allabendlich vor diesem Altar gebetet.

Es war Matusch; treu im Tode wie im Leben.

Finis Boëmiae! Herren, Ritter und Bürger mußten aus dem Lande fliehen; der protestantische Glaube wurde mit Stumpf und Stiel ausgerottet, der katholische mit Gewalt der Waffen eingeführt, der Majestätsbrief war für ewige Zeiten vernichtet. Ferdinand's Rache war fürchterlich. Zeuge davon ist das Edict von 1629.

Von der Schlacht am Weißen Berge datirt sich Albrecht Waldstein's Helden- und Siegeslaufbahn.

 

Ende.

 


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