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XIX.

Elisabeth von Rosenberg erhielt auf ihrem Krankenlager Anselm's Brief und den geraubten Schleier. Die darin ausgesprochene Entdeckung, welche sie bisher als Ahnung gefoltert und nun zur Gewißheit wurde, die angedeutete Drohung, die sie von neuem für ihre Kinder zittern ließ, beschleunigte ihr Ende. Ein grausames Geschick zwang die arme Dulderin, den herben Schmerzensbecher bis auf den letzten Tropfen zu leeren. Aber wie immer, so brachte auch in der letzten Lebensstunde Walperga der Sterbenden noch einen Trost: die Nachricht, daß Anselm in Venedig an Gift gestorben sei, das ihm wahrscheinlich Camilla gereicht. Letztere war spurlos verschwunden. Elisabeth segnete ihre Kinder und neigte ihr Haupt zum ewigen Schlafe. In der Erbgruft der Slavata, in der Capelle unter dem Thurm des Domes von Sanct Veit wurde sie beigesetzt. Die alte Marga, welche seit den letzten Auftritten an Stumpfheit der Sinne und Geistesverwirrung zunahm, folgte ihr bald ins Grab. So wurde der Kreis immer enger und die beiden Schwestern umarmten sich oft unter Thränen und schlossen sich fester aneinander, als drückten sie wechselseitig den Werth ihres ganzen Daseins und ihre Zukunft an die Brust.

Otto, einer der Directoren der böhmischen Stände, wurde in den Strudel der politischen Ereignisse hineingerissen, seine ganze Thätigkeit gehörte dem Vaterlande. Nur nach Elisabeth's Tode erschien er einmal tröstend und seine Dienste anbietend bei den Schwestern und folgte wehmüthig dem Sarge der edlen, von ihm heißverehrten Frau.

Waldstein lag mit seinen zweihundert Reitern, die er auf seine Kosten ausgerüstet und dem König Ferdinand zugeführt, vor Gradisca, welches die Venetianer belagerten. Er hielt diesseits des Isonzo, denn am folgenden Tage wollte Dampierre der hartbelagerten Feste Proviant zuführen und Waldstein sollte ihm durch einen Angriff im Rücken der Feinde einen Weg nach den Thoren vor Gradisca bahnen.

Waldstein war der Liebling nicht nur seiner Truppen, sondern des ganzen Heeres. Er lebte prächtig, alle Officiere des österreichischen Heeres hatten bei ihm offene Tafel; während die übrige Armee Mangel litt, hatten seine Reiter Ueberfluß; er war bisher in jedem Gefecht ebenso tapfer als glücklich gewesen, doch sprach er nie von sich, sondern nur von der Bravour seiner Soldaten, denen er die größte Vorsorge angedeihen ließ und die ihn fast vergötterten.

Es war eine finstere Herbstnacht, der Sturm peitschte die Wellen des Isonzo, den die Bergwässer der julischen Alpen zu einer ungeheueren Höhe angeschwellt, die Niederung um Gradisca war überschwemmt. Am folgenden Morgen sollte Dampierre mit seinen Truppen erscheinen.

Waldstein war allein in seinem Zelte. Eben hatte ihn Seni verlassen, nachdem er ihm aus den Sternen ein ihm nahe drohendes, doch vorübergehendes Unheil prophezeit. Albrecht entfernte seine Diener, befahl der Wache vor dem Zelt, niemand einzulassen, und beschloß die Nacht hindurch wach zu bleiben, um bei dem morgigen Sturme gerüstet zu sein. Er schritt nachdenkend und mit beklommener Brust in dem engen Raume, den die Lampe nur matt erleuchtete, auf und ab. Draußen brauste der Sturm und rauschte der Regen, kaum hörbar erklangen von Viertelstunde zu Viertelstunde die Rufe der Lagerwachen.

Ermüdet warf sich endlich Albrecht in einen Feldstuhl, den Rücken gegen den Eingang gewendet, und starrte in ein altes Buch. Da rauschte es plötzlich seltsam hinter ihm, er wandte das Haupt; eine Gestalt stand am Eingang, gehüllt in einen langen grauen Mantel, eine schwarze Maske vor dem Gesicht.

In der matten Beleuchtung schien die Erscheinung wie ein Schattenbild.

»Wer da?« rief Albrecht, er sprang auf und griff nach seinem Degen.

Keine Antwort; der Fremde machte einige seltsame Bewegungen, als mühe er sich, die Arme aus dem Mantel zu befreien und die Maske, welche über den Mund herabgefallen war und ihn zu sprechen hinderte, abzureißen; Albrecht dagegen glaubte, er suche nach einer Waffe und wiederholte seine Frage.

»Nur ein Geist kann ungesehen herein;« rief er wild, »wir wollen sehen, ob der Geist stichfest.« Er durchrannte mit seinem Degen die Gestalt; sie sank mit einem Wehschrei zu Boden und zugleich fiel die Maske von ihrem Gesicht.

Waldstein nahm die Lampe, beleuchtete sie – es war Camilla. Sie war zum Tode getroffen.

»Albrecht!« seufzte sie und wehrte mit der Hand dem hervorquellenden Blutstrom aus ihrer Brust – »ich kam nicht hierher als Eure Feindin – ich wollte Verzeihung erflehen. Den Trank, der Euch beinahe getödtet hätte – gab mir Mossoun – für mich. Sie wollte sich an mir rächen – ich wollte Eure Liebe gewinnen und – das allein ist meine Schuld. – Es ist so gut! – Dahin hat mich die Liebe gebracht – die Liebe zu Euch, sie ist mein Verbrechen. – Verzeih', Albrecht, ich konnte anders enden – warst Du weniger grausam – harter Mann!«

»Camilla!« sagte Albrecht überrascht und erschüttert und beugte sich nieder und seine Augen ruhten auf der noch im Tode so schönen Gestalt; »ich verzeihe Dir – vielleicht ist noch Rettung – ich rufe den Arzt.«

»Keine,« erwiderte sie matt und nahm seine Hand und drückte sie auf die Wunde in ihrer Brust – »das war die Liebe! – Es stirbt sich doch schwerer, als ich gedacht, zumal da ich kam mit neuer Hoffnung im Herzen.«

Die letzten Worte verbebten, sie schloß die schönen Augen und athmete zum letztenmale.

Waldstein bedeckte die Leiche mit dem Mantel, verhüllte mit der Maske ihr Angesicht und legte sie auf sein Feldbett. Er betrachtete die todte Camilla, deren verfehltes Dasein er doch zum Theil auch mit verschuldet, lange Zeit mit einem fast wehmüthigen Ausdruck, dann wandte er sich schaudernd weg und schritt in dem Zelte sinnend auf und ab. Als der Leichnam erkaltet war, berief er Peroni. Ihm erzählte er Seni's Vorhersagung und das stattgehabte Ereigniß. Peroni mußte mit Hilfe eines Dieners in heimlicher Stille die Todte aus dem Lager tragen; Albrecht folgte. Dicht am Ufer des Isonzo, an der Straße nach Görz, gruben sie ein Grab und versenkten darin die Hülle der schönen Gräfin Camilla van Meer und Nieuweport.

Dampierre's Ueberfall am folgenden Morgen gelang unter Waldstein's Mithilfe vollkommen. Die Gradiscaner erhielten Proviant und Verstärkung. Dieser kühne Handstreich bewog die Venetianer zum Frieden. Er erfolgte in wenig Wochen und das österreichische Heer kehrte in seine Heimat zurück, um gegen die böhmischen Rebellen zu dienen. – Waldstein erhielt von dem Kaiser die Stelle eines Obersten bei der mährischen Miliz, welche den Auftrag hatte, die Grenze zu bewachen; denn die Mährer weigerten sich, gegen ihre früheren Bundesgenossen, die Böhmen, die Waffen zu ergreifen. Dampierre wurde mit zehntausend Mann nach Böhmen geschickt; Wallenstein ging nach Wien. Hier lebte er glänzend und verschwenderisch, seine Equipagen, seine Livréen waren die prachtvollsten, seine Gastmähler strotzend von Ueberfluß. Er sah Isabella, die Tochter des Grafen Karl von Harrach, geheimen Rathes, Kämmerers und Günstlings des Kaisers, sowie des Erzherzogs Ferdinand. Er warb um ihre Hand und erhielt sie. Der Kaiser ernannte ihn zum Kammerherrn und erhob ihn in den Grafenstand. Albrecht ging bald darauf nach Mähren, um das Commando zu übernehmen.

Mathias Thurn belagerte Budweis, das dem Kaiser treu geblieben war; da erhielt er Nachricht, daß Dampierre Neuhaus, welches ständische Truppen besetzt hielten, gestürmt und die Vorstädte niedergebrannt habe, und daß er das Land plündernd und sengend durchziehe. Er verfolgte ihn bis Czaslau, schlug ihn, verfolgte ihn abermals und brachte ihm bei Lomnic eine zweite Niederlage bei. Dampierre flüchtete nach Oesterreich.

Kaiser Mathias mußte sich nach einem glücklicheren Feldherrn umsehen; er berief den Grafen Karl Longueval von Bouquoi aus den Niederlanden an die Spitze seines Heeres. Inzwischen hatten die Böhmen von den Schlesiern einige Hilfsvölker erhalten und den Grafen Ernst von Mansfeld mit vierzehntausend Mann in Sold genommen. Dieser eroberte sofort Pilsen, das dem Kaiser treu geblieben war, worüber der Kaiser so sehr ergrimmte, daß er Mansfeld in die Acht erklärte.

Thurn ging mit den Schlesiern dem neuen Oberfeldherrn Bouquoi bis Neuhaus entgegen und schlug ihn bei Lomnic. Bouquoi flüchtete nach Oesterreich in die Winterquartiere zurück – er schleppte zweiundvierzig mit Beute beladene Wagen aus Böhmen mit; Joachim Schlik verfolgte ihn mit einem Haufen Ständischer, schlug seine Truppen, entriß ihm die Beute und eroberte die Kriegscasse mit siebzigtausend Gulden. Er verfolgte ihn bis nach Oesterreich, erstürmte in der Nacht Zwettl und ließ in der ersten Hitze Alles niederhauen. Zu gleicher Zeit hatte Kinsky einen Haufen von fünfhundert Bouquoi'schen Truppen, die aus Budweis, um Proviant zu holen, ausgerückt waren, überfallen und vernichtet.

Während des Winters bemühten sich die benachbarten Fürsten auf jede Weise, die Böhmen mit dem Kaiser auszusöhnen. Sigmund von Polen drohte ihnen, seine Truppen mit dem Kaiser zu vereinigen, da ihn ein Vertrag dazu verpflichtete; der Herzog von Bayern erschöpfte sich in Vorstellungen; der Kurfürst von Sachsen drang endlich insofern durch, als er den 14. April 1619 zu einer Zusammenkunft in Eger feststellte, wohin die Böhmen ihre Abgeordneten schickten und unter seiner, sowie der übrigen Reichsfürsten Vermittelung mit dem Kaiser Frieden stiften sollten.

In der That waren viele der böhmischen Stände zum Frieden geneigt, darunter sogar Wilhelm von Lobkovic und Joachim Schlik; aber Thurn und Fels, die zwei mächtigsten Häupter, wollten den Krieg so lange, bis ihnen sichere Garantien für ihre Freiheiten geboten sein würden. Dessenungeachtet nahmen sie die Vermittelung der Reichsfürsten an und schickten vierzehn Abgeordnete nach Eger. Diese sollten jedoch nur auf Grund folgender Bedingungen die Unterwerfung versprechen: »Der Kaiser sollte ihnen den Majestätsbrief und alle die Religionsfreiheit betreffenden Privilegien bestätigen; der Befehl, die Zuschließung der Braunauer und anderer Kirchen betreffend, sollte zurückgenommen werden. Den protestantischen Ständen und namentlich ihren Defensoren sollte es auch ferner gestattet sein, ohne Wissen und Willen des Königs Versammlungen zu halten. Die vertriebenen Jesuiten sollten auf keinen Fall im Königreich Böhmen aufgenommen werden. – Die von den Ständen des Landes Verwiesenen, als: der Erzbischof Lohelius, der Strahover Prälat Kaspar von Questenberg und der Abt von Braunau, Wolfgang Selander, sollten für ewige Zeit verbannt bleiben. – Die Stände sollten Recht und Freiheit haben, nicht nur die alten Bündnisse mit ihren Nachbarn und den vereinigten Ländern zu erneuern, sondern auch neue mit den österreichischen Ständen und den Ungarn zu errichten. – Schließlich sollte es den böhmischen Ständen jederzeit unverwehrt sein, ein Heer zur Vertheidigung ihres Vaterlandes und ihrer Privilegien anzuwerben und zu unterhalten.

Noch bevor aber die Versammlung zu Eger zu Stande kam, starb Kaiser Mathias am 10. März, dreiundsechzig Jahre alt, in Wien. Es war dieser Todesfall ein namenloses Unglück für Böhmen; denn man hatte Grund zu glauben, daß sich der Kaiser mit seinen Unterthanen ausgesöhnt haben würde. Von seinem Nachfolger Ferdinand, dem Protestantenfeind, stand dies nicht zu erwarten. Zwar schrieb er sogleich nach des Kaisers Ableben an die böhmischen Stände, zeigte ihnen seine Thronbesteigung an, versprach ihnen, die allgemeinen Landesprivilegien und den bei seiner Krönung ertheilten Revers zu bestätigen und Ordnung und Frieden wieder herzustellen; aber er bestätigte zugleich die früheren Statthalter und setzte die Herren Slavata und Martinic – der Letztere befand sich jetzt in Wien – in ihre Aemter und Würden wieder ein.

Aber die Böhmen, nicht mehr geneigt einzulenken, sondern vorwärts zu gehen, erklärten Ferdinand der Krone Böhmens für verlustig, weil er seine Wahl durch Verheißungen, Bestechungen und Drohungen erschlichen und erzwungen, weil er dem Revers zuwider bei Lebzeiten des Kaisers Mathias sich in die Regierung gemischt und unter des Letzteren Namen Böhmen mit Krieg überzogen, und endlich weil er Erbverträge mit Spanien über das böhmische Land ohne ständische Zustimmung eingegangen sei.

Sie erklärten den böhmischen Thron für erledigt und eröffneten sofort die Feindseligkeiten wieder. Graf Thurn rückte mit sechzehntausend Mann in Mähren ein, nahm Brünn, vertrieb die österreichischen Beamten – die Protestanten fielen ihm zu. Waldstein's mährische Güter wurden confiscirt, weil er es mit Ferdinand hielt und sich bei diesem in Wien aufhielt. Alle Jesuiten wurden vertrieben, und Thurn setzte seinen siegreichen Zug bis vor die Mauern von Wien fort.

Hier war schwache Besatzung, denn Bouquoi stand mit dem Hauptheere bei Budweis, und Dampierre war eben beschäftigt, die protestantischen Unterösterreicher zu Paaren zu treiben; in der Stadt selbst, welche Thurn ängstigte und beschoß, herrschte Aufruhr. Sechzehn protestantische Ständemitglieder bestürmten Ferdinand in der Hofburg und verlangten von ihm ein Toleranzedict – er war bis aufs Aeußerste gebracht. Er umklammerte das Crucifix – er hätte beinahe unterschrieben; da erschallten aus dem Burghofe herauf die Trompeten eines Haufens Dampierre'scher Dragoner, welche dieser von Krems aus seinem Herrn zu Hilfe geschickt; der Schrecken übermannte die Abgeordneten, sie flohen, die katholischen Bürger und Studenten griffen zu den Waffen und – Ferdinand war gerettet.

Zu gleicher Zeit lief die Nachricht ein, daß Bouquoi den Mansfeld bei Zablot geschlagen habe und verwüstend gegen Prag vordringe. Thurn mußte schleunigst von Wien aufbrechen und nach Böhmen eilen. Sofort ging auch Ferdinand nach Frankfurt, wo er zum deutschen Kaiser erwählt wurde. Die Böhmen schrieben nun ihrerseits einen förmlichen Landtag aus und wählten in Gemeinschaft mit den Schlesiern, Mährern und Lausitzern, besonders auf Wilhelm von Ruppa's beredte Vorstellung, den protestantischen Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz zu ihrem König. Er war das Haupt der evangelischen Union und Gemahl der Elisabeth Stuart, der einzigen Tochter Jakob's von England, auf dessen mächtige Unterstützung man rechnete. Friedrich war anfangs unschlüssig, ob er die dargebotene Krone annehmen sollte; die Kurfürsten von Sachsen und Brandenburg, sowie sein eigener Schwiegervater riethen ihm davon ab.

Aber die böhmischen Abgesandten erschienen, an ihrer Spitze befand sich Otto von Los. Er wurde zuerst der Kurfürstin Elisabeth vorgestellt. Sie war ein engelschönes Weib. Ihre Erscheinung traf Otto wie ein Blitz – denn sie war das wunderbare Abbild Walperga's Zug für Zug – in Haltung und Miene, im Blick und selbst im Stimmenton. Eine innere Stimme rief ihm zu: »Nur diese ist würdig, Königin der Böhmen zu sein!« Und er schilderte ihr mit dichterischer Beredtsamkeit die Reize dieser Krone, Land und Volk, daß ihr Ehrgeiz leicht sich zu dieser schwindelnden, weil gefahrvollen, Höhe verstieg, und sie, geschmeichelt und bestochen von der Rede des schönen, ritterlich-zarten böhmischen Herrn, gleich darauf zu ihrem unternehmenden, aber leichtsinnigen Gemahl sagte: »Du hast eine Königstochter gefreit; zeige auch jetzt den Muth, eine Königskrone auf ihr Haupt zu setzen!«

Und Friedrich war König von Böhmen. Er brach auf von Heidelberg mit einem glänzenden Hofstaate und einer Anzahl Truppen. Die böhmischen Abgeordneten empfingen ihn an der Grenze bei Waldsassen.


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