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III.

In vergeblichen Plänen und Versuchen, seine Reiche wieder zu erringen, verzehrte sich Rudolf's Seele, und es schwand seine Lebenskraft. Er sank aufs Krankenlager. Nichts mehr hoffend, wies er die Hilfe seiner Aerzte zurück, und als er sein Ende herannahen fühlte, entfernte er seine Diener und behielt nur Julius bei sich, der weinend am Bette kniete. »Mein Sohn,« sagte er, »ich begebe mich auf eine weite Reise, in jene Höhle des Löwen, zu welcher nur Fußstapfen hinein, keine aber wieder heraus führen. Die Zeit ist dieser gefräßige Löwe – Andere nennen ihn die Vernichtung. Allein die Sterne, wenn sie mich alles Irdische gering schätzen lehrten, so gaben sie mir hinwieder den Glauben an eine Fortdauer des Erschaffenen. Wir sehen uns wieder, ob auf dieser Erde oder auf einem anderen Stern, ob wieder als Vater und Sohn oder als Freunde, als Geliebte, das weiß nur Gott! Trotz allem Zweifel des Lebens wird dieser Glaube uns in der Todesstunde zur festesten Ueberzeugung; ich theile sie nun aus voller Seele. – Es betrübt mich, daß ich so früh von Dir scheiden muß, Julius! Ich hätte Deine zarte Jugend gern noch länger geleitet auf dem rauhen Lebenswege; allein es kann nicht sein. – Ich gebe Dir keine Lehren, wie es Väter gewöhnlich thun auf dem Sterbelager. In Deinem guten Herzen wohnt die Liebe, und Liebe schließt alle Sittenlehren in sich. Liebe die Menschen, auch die, so Dich hassen; dulde lieber Unrecht, als daß Du welches thust. Lass' Dir darin Deinen Vater zum Vorbild sein. Meide den Ruhm und die Größe, und wenn das Geschick in seiner Wechsellaune Dich je zu einem Thron berufen sollte – leicht könnte ja ein Umsturz der Dinge erfolgen und man Dir als meinem Sprößling eine Krone bieten – dann lass' Dich nicht verlocken. – Sieh' diese kahle Stirn, Julius! Darauf hat der Reif der Krone eine tiefe, schmerzhafte Furche gedrückt, die bis ins Gehirn dringt.«

»Du wirst nicht sterben, gnädiger Vater!« schluchzte Julius, der am Bette kniete und des Kaisers Hand mit seinen Thränen benetzte, »Du darfst nicht sterben!«

»Ich werde und ich muß,« versetzte Rudolf mit Resignation; »getröste Dich, mein Sohn, und bedenke, daß Du nahe daran bist, ein Mann zu werden. Ein Mann aber muß das Unvermeidliche tragen – Du hast es an mir gesehen. Ja, mein Kind, meine Stunden sind gemessen; fühlte ich's nicht an dem langsamen Schlage der Lebensuhr in mir, die Sterne hätten mir's gesagt. Der Mond läuft seit zwei Tagen im Zeichen der Jungfrau, diese war stets mein böses Sternbild – noch heute vollende ich und trete nicht mit ihm ein in das Zeichen des Krebses, wohin er morgen schon wandelt. – Dein künftig Los ist sicher gestellt, Julius! Du bist reich genug, um Deines Ranges würdig zu leben, wenn auch nicht wie der Sohn eines Kaisers. Doch, Du wirst nicht streben nach irdischer Hoheit. – Wenn Du meinen müden Leib in die Gruft von Sanct Veit gebracht, so stille Deine Thränen. Ich verlange keine Dein Leben verdüsternde Trauer, denn ich weiß, Dein frommes Gemüth wird meiner in stiller Liebe gedenken. Brich mit den wenigen treuen Dienern, denen ich bereits die nöthigen Befehle gegeben, sofort auf nach Krumau und trete in Dein Erbe. Dort wirst Du einen langbewährten, greisen Freund von mir finden, den Ritter Michael Castalovic, er wird Dir Vater und Führer sein, bis zu der Zeit, wo Du Deiner selbstständigen Kraft bewußt wirst. Er weiß alles; ihm vertrau', ihn liebe, wie mich. Er wird Dir Deine Güter und Gelder bis zu Deiner Großjährigkeit verwalten und Dir, wenn es an der Zeit ist, ein Weib zuführen. Dies ist mein heißester Wunsch; denn ich fühle es noch jetzt in der Todesstunde, daß es nicht gut sei, ehelos durch das Leben zu gehen. – Und jetzt noch zwei Bitten, Julius, des sterbenden Vaters, zwei Versprechen, die Du ihm in der Todesstunde geben und Dein Leben lang getreulich halten mußt. Erstlich: meide jede Gemeinschaft mit meinen Brüdern und Vettern des Hauses Oesterreich; sie werden Dich nie als Ihresgleichen anerkennen und könnten Dich nur lieben wegen Deines reichen Erbes. Und zweitens: versprich mir, Julius, daß Du nie die Waffen führen, nie den Kriegerstand wählen wirst. Den Grund, weshalb ich das Letztere verlange, sollst Du später erfahren. – Schwöre mir, Julius – reich' mir Deine Hand!«

Der Jüngling, in Thränen zerflossen, reichte ihm die Rechte dar, die der Greis zwischen seine kalten Hände preßte.

»Es ist gut so,« fuhr er fort, »ich habe Dein Gelöbniß, Du wirst es halten. – Lass' mich nun fortfahren. Du hast noch zwei Schwestern, Julius, älter als Du an Jahren, sie sind fern von hier, im fremden Lande, glücklich verheiratet. Ihre Namen nenn' ich Dir nicht; führt Dich der Zufall mit ihnen zusammen, kann ich es nicht hindern. Sie haben mich nie geliebt, der Astrologen Ausspruch drang auf ihre Entfernung; es war auch gut so, denn nachdem ich ihnen Reichthum und Gatten gegeben, haben sie meiner vergessen, wie ich ihrer. Suche sie selbst nicht, Julius; denn Du sollst nie durch Verwandtschaft Leid erfahren wie ich; dies schmerzt zehnfach bitterer, als das von fremder Hand. Du hast's an mir erlebt. – Ich hatte noch einen Sohn, Julius, habe ihn vielleicht noch, viel älter als Du – er dürfte achtunddreißig bis vierzig Jahre zählen, wenn er noch lebt. Höre ein Geheimniß aus meiner Jugendzeit. Ich war etwa vierundzwanzig Jahre alt und befand mich hier in Prag, wo Kaiser Max, seliger, Hof hielt. Mein Temperament war heiter, aufgeweckt, sinnlich; da konnte bald die Liebe nicht fehlen. Ich gewann die Zuneigung eines böhmischen Fräuleins – der Name mag Dir verschwiegen bleiben – war es meine Person, oder mein Rang und dessen Aussichten, ich weiß es nicht; sie ergab sich mir und gebar, verborgen vor der Welt und meinem strengen Vater, einen Knaben. Des Kindes Geburt war zugleich ihr Tod. Der Herr sei gepriesen für diesen frühen Tod; denn sicher war sie dadurch vielem Drangsal und Schmerz des Lebens entrückt. Ich zog den Hofastrologen meines Vaters, einen spanischen Priester, Torquemada, ins Geheimniß. Er hatte schon früher mich vor der Verbindung mit dem Fräulein gewarnt, hatte mir aus den Sternen Unheil prophezeit; er hatte sich nicht getäuscht, denn als wir den neugeborenen Knaben betrachteten, befand sich auf der Brust, an der Stelle des Herzens, ein blutiges Mal in der Form eines Dreieckes, und das Sternbild des nördlichen Dreieckes, so wie jenes der Andromeda, waren stets meine feindseligen Gestirne. Meine Geliebte ward heimlich beigesetzt, das Kind insgeheim einer Amme übergeben, und Torquemada stellte demselben die Nativität. Schon am folgenden Tage kam er bleich und sichtbar erschüttert zu mir und beschwor mich, den Knaben, sobald er von der Ammenbrust entwöhnt sei, weit von mir schaffen und in dem niedrigsten Stande und ohne Kenntniß seiner Herkunft bis zu seinem zwanzigsten Jahre mit eiserner Strenge erziehen zu lassen; sonst drohe mir von dieser Frucht meiner verbotenen Liebe der Tod und unauslöschliche Schmach. Ich glaubte um so fester der zweiten Prophezeihung des Astrologen, als ich zu meiner Reue die erste leichtsinnig außer Acht gelassen. Castalovic, schon damals mein treuer Freund, mußte in diesem Falle Rath schaffen. – Mein kaiserlicher Vater entließ zu derselben Zeit wegen geringen Vergehens einen Hundewärter aus seinem Jagdzwinger. Der Mann war rauh und heftig von Gemüth, aber, so viel mir bekannt, redlich; auch ihm war kurz zuvor das Weib gestorben und hatte ihm einen einjährigen Knaben zurückgelassen. Er kam in seiner Noth, Gnade und Fürsprache flehend, zu mir. Ich beschenkte den Mann und versprach ihm vorkommenden Falles einen Platz in meinen Diensten, bis dahin sollte er nach Hause gehen und des Weiteren gewärtig sein. Auf diesen Mann hatte Castalovic sein Augenmerk geworfen; er war aus der Gegend von Karlstein, dort besaß er zwischen rauhen Bergen eine Hütte und ein kleines Stück Feld. Die Gegend war versteckt und wieder nahe genug, um mein Kind, von dem ich mich ungern trennte und das ich fast mit blutendem Herzen einem so niedrigen Geschicke preisgab, stets in Obacht zu halten. Diesem Manne beschloß Castalovic den Knaben zur Pflege und Erziehung zu übergeben. Ich war damit einverstanden, und in einer Nacht nahm Castalovic das Kind unter seinen Mantel und ritt, von einem einzigen Knecht begleitet, in die Berge bei Karlstein. Sliva, so hieß der Hundewärter, erhielt meinen Knaben – dem wir vorher in der Taufe den Namen Max beigelegt, ich hoffte nämlich durch meines edlen Vaters Namen einen wohlthätigen Schutz über ihn zu breiten – zur Verpflegung und eine reichliche Summe ausgezahlt, die ihm alljährlich und lebenslänglich verheißen wurde, wenn es sich ergab, daß er seiner Verpflichtung, den Knaben streng und einfach als seinen Sohn und seines Kindes Zwillingsbruder zu erziehen, nachkommen würde. Er mußte darauf und auf unverbrüchliche Verschwiegenheit, namentlich dem Knaben gegenüber, einen schweren Eid ablegen und übernahm dankbar eine Verpflichtung, die ihm ein müheloses Leben und eine sorgenfreie Zukunft versprach. – Von Zeit zu Zeit erkundigte sich Castalovic nach dem Schicksal und Befinden des kleinen Pfleglings und überantwortete seinem Ziehvater die versprochene Geldsumme. – Wie sich der Knabe nach und nach entwickelte, klagte der alte Sliva meinem Vertrauten häufig über die vorwaltende Tücke und Störrigkeit seines Charakters, über Züge von Bosheit und Schadenfreude, namentlich seinem vermeintlichen Bruder gegenüber, mit dem er gleichmäßig in seinen Beschäftigungen und Genüssen gehalten wurde. Castalovic, der die Prophezeihung des Sterndeuters kannte, befahl dem Pflegevater, durch eiserne Strenge den wilden Sinn des Knaben zu brechen; denn, wenn wir im zwanzigsten Jahre Max in die Welt einführten, sollte er wenigstens Gehorsam und Demuth aus seiner Einsamkeit mitbringen.

Der Alte, däucht mir, waltete in Folge dieses Befehles nur gar zu streng seines Amtes; denn – als gerade neun Jahre verflossen und Castalovic wieder insgeheim in die Karlsteiner Berge ritt nach meinem Kind, stürzten ihm, als er die einsame Hütte betrat, Vater und Sohn wehklagend entgegen und gestanden, Gnade flehend auf den Knieen, daß Max vor drei Tagen entflohen und spurlos verschwunden sei. Der bösartige Knabe hatte schon öfter vorher, wenn er eines Vergehens wegen gezüchtigt worden, gedroht, in die weite Welt zu gehen. Er sagte, die Vögel gingen auch, wohin sie wollten, und hätten's gut; er brauche weder Vater noch Bruder, er wolle den fremden Herrn aufsuchen, der ihm immer die neuen Kleider bringe; denn von diesem rührten sie doch her, der wolle ihm wohl, der werde ihn schon freundlich aufnehmen. – Nach solchen Aeußerungen verdoppelte Sliva seine Strafen und war auf seiner Hut. Dennoch aber wußte in einer Nacht der Knabe seine Wachsamkeit zu täuschen, öffnete fast geräuschlos die fest verschlossene Thür, deren Schlüssel der Alte unter seinem Kissen verbarg, überstieg den hohen Zaun des Gartens und war, als die Hüttenbewohner erwachten, verschwunden. – Castalovic eilte im Fluge nach Prag und hinterbrachte, selbst bis zum Tode erschüttert, mir die Schreckensbotschaft. Ich, damals schon König, ließ mich durch keine Rücksicht, selbst durch Torquemada's Warnung nicht halten und eilte mit Castalovic auf den Karlstein; denn ich liebte den Knaben, liebte ihn um seiner Mutter willen, der meine Neigung den Tod gebracht. Ich wollte den Wächter des Knaben und seinen Sohn selbst sprechen; Castalovic ging, diese zu rufen, in die Berge und fand – die Hütte leer, ihrer besten Habseligkeiten beraubt. Sliva und sein Bube hatten, wahrscheinlich aus Furcht vor einer harten Strafe, sich geflüchtet. Alle Nachforschungen nach ihnen sowohl wie nach meinem Kinde waren erfolglos und blieben es bis auf den heutigen Tag.«

Der Kaiser hielt nun, nachdem er mühsam in verschiedenen Absätzen seine Erzählung vollendet, erschöpft inne und verweilte, während er Kraft zu dem Nachfolgenden sammelte, mit einem liebevollen Blick auf dem blassen Antlitz seines guten Sohnes, in dessen Zügen sich eine rührende Theilnahme malte.

Dann fuhr er langsamer und in kürzeren Sätzen fort:

»Max blieb verschwunden; sein Verschwinden aber ward die Quelle zu tausend Besorgnissen, zu meiner nachfolgenden Lebenspein. – Ich ward von dem Augenblicke ein Anderer, denn der Frieden und der Frohsinn flohen mich. So lange der Knabe in meiner Gewalt war, konnte ich ja die Tücke des Geschickes, welches mir die Sterne prophezeiten, bewältigen im offenen Kampfe, die Gefahr beherrschen; jetzt aber, wo ich in jedem Fremden von gleichem Alter ihn vermuthen konnte, mußte ich auch vor Jedem zittern, als vor meinem Mörder und Verderber. Meine Heiterkeit und Lebenslust wich; unablässig sah ich empor zu den Sternen und befragte sie über die mir offen oder insgeheim dräuenden Gefahren. Ich gedachte mich zu vermählen, doch war mir theils die Constellation entgegen, theils hintertrieben meine Verwandten jede mir zusagende Verbindung. – Mein Frieden war für immer gewichen, ich ward menschenscheu, finster, zitterte vor Meuchelmord und Verrath, in jedem unheimlichen Antlitz glaubte ich das meines verlorenen, ungekannten Sohnes zu sehen, unter jedem Rocke suchte ich das verhängnißvolle Dreieck. Mein Leben war eine unablässige Pein, zumal ich niemanden den Quell derselben vertrauen konnte. Ich warf mich den geistanstrengendsten Wissenschaften in die Arme; in ihnen hoffte ich, wenn nicht Beruhigung, doch eine heilsame Ablenkung von dem Gegenstande meiner Angst und meines Trübsinnes zu finden. – Ach! es war alles umsonst, und als zudem Torquemada noch auf dem Todtenbette mir betheuerte, er habe sich in seiner mathematischen Berechnung nicht geirrt, da schwand mir jede Hoffnung; denn waren auch jene verhängnißvollen zwanzig Jahre verflossen, so war doch darum, weil ich nicht bis dahin den Knaben in meiner Obhut verwahrt, der Zauber nicht gebannt. Leicht konnte ja der verlorene Max sich einem verworfenen Leben ergeben haben und als von meinen Feinden gedungener Meuchelmörder vor mich treten, den Stahl in meine Brust bohren, dem Vater der Sohn! – Wehe! Wehe! – Darum auch erschütterte mich die Nachricht von dem gewaltsamen Tode meines Vetters Heinrich von Frankreich so entsetzlich. Einige Zeit nahm mich der Wahn gefangen, Ravaillac, eben der Mörder Heinrich's, den ein augenblickliches, doch später falsch erwiesenes Gerücht einen geborenen Böhmen nannte, könne mein Sohn Max sein – ein Königsmörder, zumal er hier in den Tagen der schrecklichen Bartholomäusnacht geboren war und auch ein Böhme, Djanovic, den edlen Coligny ermordet hatte. – In jedem plötzlichen Ereigniß sah ich Warnungen und drohende Anzeichen. – O, ich habe unsäglich gelitten, mein Sohn, und hatte nur den treuen Castalovic, vor dem ich manchmal mein bekümmertes Herz ausschütten konnte. Aber auch dieser wurde mir vor mehreren Jahren entrissen; denn die Stände sowohl, wie meine Räthe, die da meinten, er mengte sich in Regierungsangelegenheiten und sei die Ursache meines Trübsinnes und meiner Menschenfeindlichkeit, bestanden auf seiner Entfernung, und ich mußte nachgeben, wollte ich ihre Dolche nicht gegen ihn bewaffnen. Der Edle, ein Feind des Landes!? – Ach, er war ja nur der Arzt meines Herzens, und dessen Krankheit konnte ich doch niemandem nennen!

Rechne noch dazu, mein Julius, den Zwiespalt mit meinen Brüdern, den Kampf gegen ihre Habgier, und sage, war ich nicht ein armer, unglücklicher und bedauernswürdiger König und Kaiser?! – Jetzt, da alle Gefahr in Gegenwart des Todes, des mächtigen Ritters, der alle Gefahr überwindet, geschwunden, jetzt erst finde ich Beruhigung und mein letzter Athemzug wird auch mein leichtester sein! – Nennst Du das ein Leben, Julius? Die ärmsten Bettler da unten in Prags elendesten Gassen hätten ihren König und Kaiser bedauert, beweint, konnten sie in sein Herz sehen, und hätten gezaudert, um solchen Preis ihre Betteltasche gegen seine Krone auszutauschen! – Des Bruders Mathias Treulosigkeit und der Böhmen, die ich so heiß geliebt, schmachvolles Verlassen brachen vollends meine Lebenskraft. – Ich scheide, nicht wie ein Stern, schön im Untergehen, nein, wie ein ausgebranntes Meteor. Mein Herz ist sonder Rache; aber sie ist des Himmels. Prophetisch sagt mir der Geist, auch Mathias wird tief gebeugt und gedemüthigt in die Grube steigen und nicht zehn Jahre werden vergehen, so hat ein blutiges Gericht die Böhmen ereilt und sie werden weinend und reuig nach meinem Sarkophage blicken. Ja, Julius, im König Rudolf schlug noch ein Herz! Sag's ihnen, wenn's an der Zeit ist; doch – sag's ihnen lieber nicht. Bleib' fern davon!

Aber ich muß mich kurz fassen – meine Kraft schwindet; und ich möchte Dir so gern alles sagen. Die Gefahr, die mich zwanzig Jahre geängstigt, ist an der Schwelle des Todes gewichen. Ob Torquemada, ob die Sterne gelogen, ich weiß es nicht; aber gelogen haben die Letzteren nicht in Betreff Deiner, mein geliebtes Kind, Deiner Treue, Deiner Liebe! Du warst das letzte und beste Vermächtniß, das mir noch das Leben gab, zum Zeichen, daß es mich nicht ganz verstoßen. – Habe Dank dafür, Julius! – Und nun mein Auftrag! – Möglich, daß Dein unglückseliger Bruder noch lebt, daß Du ihn wiederfindest, an dem verhängnißvollen Merkmal erkennst. Forsche unablässig nach ihm, wie ich gethan; denn ich habe an dem vielleicht schuldlos Verstoßenen mehr als eine ganze schöne Lebenshälfte gut zu machen. – In Castalovic's Gewahrsam befinden sich fünfzigtausend Ducaten, die sollen Maxen's Erbtheil sein. Lebt er und findest Du ihn wieder, dann schildere ihm auch seines unglückseligen Vaters Leiden und Bekümmernisse und sag' ihm, daß ich auf dem Sterbelager reuig um seine Verzeihung gefleht. – Möge Deine weiche Bruderhand die Wunden heilen, die ihm nicht mein Wille, sondern ein unerbittliches Geschick geschlagen. Dieselbe Hand traf ja auch mich. Sag' ihm das alles!

Und dann, mein Sohn, beschwör' ich Dich auch, den Krieg und jeden Kampf und Streit zu meiden. Denn wie leicht könnte ein grausames Schicksal es fügen, daß Du unbekannt dem Bruder gegenüber ständest, daß sich sein Schwert mit Deinem, das Deinige mit seinem Blute röthete.

Ich habe vollendet. Du weißt nun alles, Julius! – Lass' mich jetzt allein; ich bin erschöpft, matt und müde; mir ist, als beschliche mich der Schlummer – ich möchte rasten.«

»O nein!« flehte Julius laut weinend, »nicht sterben, Du darfst nicht sterben, gnädigster Vater – ich habe heute zum Himmel gebetet und die Hände gerungen und er hat mich erhört; denn eine innere Stimme sagte mir, Du würdest nicht sterben.«

»Nein, Julius, mein guter Sohn,« sagte der Kaiser und zwang sich zu lächeln und streichelte des Jünglings Locken und suchte ihn zu ermuthigen, »ich sterbe auch noch nicht, ich fühl' es. Ich will nur eine kleine Frist schlafen, die lange Rede hat mich erschöpft; eine kurze Ruhe vor der langen – die will mich noch kräftigen zum letzten Gange. – Ich nehme,« fuhr er mit Anstrengung fort, »noch nicht Abschied von Dir! – D'rum lass' mich allein, mein Kind – denn bist Du da – so muß ich an Dich denken. – Nach einer Stunde schick' meine Leute herein. – Befiehl, daß während dessen draußen alles ruhig sei.«

Mißtrauisch, doch gehorsam, erhob sich der Jüngling und schritt auf den Zehen sachte zur Thür; da wandte er noch einmal das Haupt und traf den seltsam leuchtenden Blick des Kaisers – er wollte zurückkehren – ein Wink hieß ihn gehen. Er trat in das Vorgemach, das mit lautlos harrenden Menschengruppen angefüllt war.

Julius wischte sich die Thränen aus den Augen, dann sagte er: »Der Kaiser schläft – man soll ihn erst in einer Stunde wecken.«

Die Stunde verrann – man öffnete leise die Thür vom Sterbezimmer des Kaisers – Dunkelheit herrschte im Gemache, es war halb vier Uhr Nachmittags, der Winterhimmel draußen mit düsteren Wolken beschattet – der Kaiser regte sich nicht; man brachte geräuschlos Licht – Rudolf war todt.

Alles sank auf die Knie – Julius stürzte zum Bette des Kaisers, riß die kalte Hand an seine Lippen und rief mit dem Tone eines schmerzhaften Vorwurfes: »Aber Du bist doch gestorben, mein gütiger Vater, und Du wolltest nur schlafen und wolltest noch Abschied nehmen!« mehr sprach er nicht – Schluchzen erstickte seine Stimme, er glitt auf den Boden hinab und ward ohnmächtig. – Die Versammlung brach in Thränen aus.

Vom Thurm des Sanct Veitsdomes wehte eine riesige Trauerfahne und der eherne Mund der gewaltigen Sigmundsglocke sang dem Kaiser das Grabgeläute, und die Glocken aller Thürme Prags stimmten ein in das erhabene Requiem. Herolde mit Trauerfloren verkündeten in den Straßen und auf den Plätzen den Hintritt des großmächtigsten und durchlauchtigsten Kaisers und Königs Rudolfs II., der sein Leben auf zweiundsechzig Jahre gebracht und sechsunddreißig Jahre glorreich über Böhmen regiert hatte. Im Schiff der Metropolitankirche, deren Wände und Altäre rings mit schwarzen Tüchern behangen waren, erhob sich ein mächtiger Katafalk, bedeckt mit den zahlreichen Wappenschildern und beschwert von den Kron- und Reichsinsignien des Monarchen. Tausende von Wachskerzen umglänzten die thurmartige Estrade, auf deren oberster Fläche in einem Eichensarge die Leiche des Kaisers lag.

Der Suffraganbischof las das Requiem und vom Chore schallte in feierlichen, erschütternden Tönen das Miserere. Die obersten Hof- und Kronbeamten, die Stände, der hohe Adel, die Klerisei, die Anführer der Truppen, die Professoren und Doctoren des Karolins, sowie die Magistrate der vier Städte und andere Würdenträger füllten in Trauergewändern das Schiff der Kirche. Die königlichen Trabanten bildeten zwischen den Säulen und von diesen nach dem Hochaltare zu Spalier. Vor diesem selbst kniete in eigenen mit schwarzem Sammt bedeckten Betstühlen die oberste Dienerschaft des Königs, rechts von dieser und mehr nach vorn zu auf einem besonderen Schemel des Königs Sohn, Julius von Oesterreich. – Der übrige Raum der Seitenschiffe und Kapellen war mit einer dichtgedrängten Volksmasse angefüllt.

So lange der Trauergottesdienst währte, pulsirte von Minute zu Minute die Sigmundsglocke einen dumpfen Schlag, und vom Schlosse, wie vom Laurenzberg und Wyschehrad wurde jede Viertelstunde ein schweres Geschütz gelöst, was bis zum Abend dauerte.

Hinter einer der Säulen im rechten Seitenschiffe, das Antlitz halb verborgen, lehnte Pater Anselm, der sich nicht unter seine Ordensbrüder gereiht. An ihm ging, das zeigten seine unsteten Blicke, seine ruhelose Haltung, der dumpfe Ernst der Trauerhandlung theilnahmslos vorüber; sein Auge spähte nach den Oratorien, um dort eine Gestalt, ein Angesicht zu suchen, das für ihn mehr Bedeutung haben mochte, als ein gestorbener Kaiser. Und als zum Schlusse der Priester sang: » a porta inferi libera nos Domine!« und der Chor vollständig respondirte: » et lux perpetua luceat ei. Amen!« da schlug er nicht gläubig und zerknirscht an seine Brust, wie rings um ihn die erschütterte Gemeinde; denn seine Gedanken flogen anderswohin, und da seine Augen nicht fanden, was er suchte, so wogte der Geist der Unruhe und Rastlosigkeit in seiner Seele, und um seinen Mund spielte ein geringschätzendes spöttisches Lächeln über das leere Schaugepränge umher.

Nachdem das Requiem geendigt, schlossen die Trabanten einen Kreis um das Castrum doloris; vor demselben war eine ungeheuere Marmorplatte aus dem Boden gehoben, eine dunkle Oeffnung gähnte herauf, der Eingang zur Kaisergruft. Priester umgaben denselben; des Kaisers Diener hoben den Sarg vom Katafalk und trugen ihn langsam, während vom Chor unter Posaunenklang das Miserere erschallte, in die Gruft hinab; nur Priester und die obersten Landesofficiere, welche den Sarg zu verschließen und zu versiegeln hatten, folgten ihm in die dunkle Tiefe der Königsgräber. Der erste hinter dem Sarge, als nächster Leidtragender, war Julius, ein weiches Schmerzensbild, bleich, in Wehmuth aufgelöst, eine rührende Gestalt in den schwarzen Gewändern. Er geleitete mit seinem Abschiedsgruß den geliebten Vater bis zur letzten irdischen Stätte. Unten erscholl noch ein dumpfer Gesang, der Sarg wurde eingesegnet, der Stein über die Gruft gewälzt – dann war alles vorüber.

Die Böhmen aber trauerten von ganzer Seele um ihren abgeschiedenen König, als ahnten sie, welche schöne Zeit der Freiheit mit ihm zu Grabe ging, als sähen sie, wie über seiner Gruft die Zeit eines gewaltigen, unabsehbaren Wehes aufstieg.

Kehren wir von dieser historischen Abschweifung wieder um einige Monate und zu den Hauptpersonen unserer Handlung zurück.


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