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XV.

Matusch kam gegen Mittag aus der Schenke von Sojka's Freitrunk nach Hause. Er ging zu seiner Schwester; sie war allein. »Man weiß noch nichts hier?« sagte er, »nun, ich hab' ihn hängen sehen, den Schurken; er blieb es bis zum letzten Athemzuge, schalt und fluchte und fuhr zur Hölle. Noch eine andere Neuigkeit bring ich: Der Janko Scherbic liegt auf den Tod. Der Knecht des Sadsky, der mich draußen beim Zweikampf sah, wo eben Herr Otto dem Scherbicer die Kugel in den Leib gejagt, und der mich wieder erkannte, hat mir's erzählt. Ich that, als säh' ich ihn nicht, denn alles, was von der Seite ist, meid' ich; aber er redete mich von freien Stücken an und sagte, daß es eben mit dem Raufbold zur Neige geht. Die Aerzte hätten ihm wohl noch zwei Jahre lang das Leben fristen können; er mochte aber das Saufen nicht lassen. Den Ritter Sadsky, der ihn sorgsam pflegt, hat er zum Erben eingesetzt und gestern sogar nach den Sacramenten verlangt. Wenn das die Schurken brauchbar für den Himmel macht, dann wird's hübsch oben. Die Pfaffen bringen den Teufel um seinen redlichen Verdienst.«

»Ei, ei, Matusch,« grinste Marga, »das ist ja herrlich, da treten die beiden Ehrenmänner ja gleichzeitig in ihr neues Himmelreich ein, wo sie des Teufels Großmutter als ihre liebsten Enkelkinder begrüßen wird, natürlich, der Diener muß bei seinem Herrn sein, auch dort; denn nur die passen gut zu einander. Ich hätte Lust, dem Janko einen Besuch zu machen und ihm zur leichteren Reise die Ofengabel zu leihen, von der er sagte, daß ich Nachts darauf nach dem Bösigberg reite. Und ein lustiges Lied möcht' ich ihm dazu singen. Dein Freund, der Fleischer, hatte Recht, Matuschku, daß er den Buben Vojta noch in der Todesstunde zu ärgern trachtete. Noch auf Erden muß Strafe sein für die Niederträchtigkeit; mit der Vergeltung drüben ist's ungewiß. Ich will sehen, wie einer den Lohn noch hier bekommt, und der Janko – wie hat der mich gepeinigt und mein armes Kind. Es gab kein Schimpfwort, schlecht und niedrig, das er mir nicht beigelegt hätte, und bloß darum, weil ich dem Affen, dem Wolf, dem Bock, meinen reinen Engel nicht lassen wollte.«

In diesem Augenblicke wurde die Thür heftig aufgerissen, Walperga stürzte herein, das Antlitz schmerzentstellt, todtenbleich.

Sie faßte Marga's Hand und rief mit bebender Stimme: »Weißt Du es schon, das Schreckliche, Waldstein ist vergiftet, ringt mit dem Tode. Eine fremde Gräfin, sagt man, Camilla, gab seiner Gemahlin Gift statt eines Liebestrankes. Meine Magd war unten in der Kleinseite, die ganze Stadt ist voll von dieser Botschaft!«

»O, Du barmherziger Heiland,« kreischte Marga auf und zitterte am ganzen Körper und sank in einen Stuhl, »was hab' ich angerichtet! Die verdammte Schlange, die giftige Schlange!«

»Also Du, Du?« schluchzte Walperga.

»Sie wollte einen Liebestrank für sich, der sie verliebt machen sollte, und da das eine gute Gelegenheit war, das wett zu machen, was sie an uns Schändliches verübt, so gab ich ihr ein Tränklein, das sie häßlich, grün und gelb und runzlich machen sollte, damit die Lieb' zu ihr den Männern verginge. Die Satanstochter – das hat sie nun dem Albrecht gegeben, um sich seine Liebe zuzuwenden – ich errath' es schon alles – und hat ihm alles gegeben, statt eines Viertheils; das kann freilich schädlich, gar tödtlich sein. Die Hexe kann mich ins Elend stürzen, als Giftmischerin.«

»Ich hab' es Dir gesagt,« erhob Matusch vorwurfsvoll seine Stimme gegen die Schwester, »daß es nicht geschehen sollte, als ob ich das Unheil geahnt hätte. Wenn man sie nun den Gerichten übergiebt und sie nennt Dich als Anstifterin. Den Gemeinen trifft in solchen Fällen immer eine härtere Strafe als den Vornehmen.«

»Dann rette ihn, Marga!« flehte Walperga die Hände ringend, »ich beschwöre Dich bei allem, was Dir heilig ist, bei der Mutterliebe, die Du für mich gehegt; ich weiß, Du vermagst es. Du bereitest Wundertränke, die Kranke von den Pforten des Todes zurückrufen können. – Hilf – ehe es zu spät ist.«

»Ei – ich will schon helfen – ich kann schon helfen,« versetzte Marga, halb unschlüssig, »kenn' ich ein Gift, so hab' ich auch ein Gegengift. Und im Grunde wäre auch das Unheil nicht so groß, das die Gräfin angestiftet. Hat's denn der Waldstein um uns verdient, um Dich, der er das Herz gebrochen? Wenn das der Finger Gottes wäre und die schlechte Gräfin nur sein Werkzeug. Wer kann es wissen! Wir sollen immer Gutes thun.«

»Um Gotteswillen – Mutter, frevle nicht und hilf rasch – eh' es zu spät wird! Wer sagt Dir, daß ich Albrecht dessenungeachtet nicht noch liebe! An der Todespforte schweigt jeder Haß – schwindet alle Rücksicht. Du bist vor Gott und uns verpflichtet, das Unheil wieder gut zu machen.«

»Ich will – ich will schon, und bis zum Abend schaff' ich den Trank, er soll Euch nicht sterben, meine Tochter. Ich hab's ja doch nur auch um Euretwillen gethan und wollte diese Camilla für immer von uns entfernen, denn sie hatte noch immer nichts Gutes mit Euch im Schilde. Aber – geben wir ihm den Trank? Er wird umringt sein von Aerzten, die lassen so ein zweites verdächtiges Mittel gewiß nicht zu – die meinen, sie hätten allein alle Weisheit in der Heilkunst. Und hat vollends die Gräfin geschwatzt –«

»Ich selbst,« drängte Walperga, »reiche ihm den Trank, ich selbst. Du, guter Matusch, treuer, hilfreicher Freund, Du geleitest mich zu ihm, an sein Schmerzenslager; ich muß ihn retten. Du hast doch zu jeder Stunde bei ihm Zutritt, allein und, wenn Du willst, mit mir. Sag' nur, Du brächtest eine Beguine, eine barmherzige Schwester mit, um bei ihm zu beten, ihn zu pflegen. Statt der Arznei flöß' ich ihm unseren Heiltrank ein, meine Kleidung soll mich schon unkenntlich machen; nicht wahr, Du willst? Nein – Du mußt! Hab' ich denn in Euren Herzen alle Lieb' verloren, weil das Elend nicht mich allein, weil es mich mit einem Anderen trifft!?«

»Nicht so, nicht so,« sagte Matusch demüthig und küßte die Hand der Jungfrau, »da sei Gott für, daß ich Euch untreu werden könnte! Ich mein' nur auch, er hat's so eigentlich nicht um Euch verdient.«

»Fragt Liebe nach Verdienst?« warf rasch Walperga ein.

»Ihr seid zu gut, mein Fräulein!«

»Bin ich's, dann gleicht sich aus, was andere Böses thun auf dieser Welt. Fort – fort, ehe es zu spät wird! Denkt – es gilt ein Menschenleben, und ein verlorenes Menschenleben läßt sich nicht wieder zurückrufen. Fort, fort!«

»Ich sage Euch, Marinka!« nahm die Alte das Wort, »er wird nicht so schnell sterben, meine Hilfe kommt schon noch zu rechter Zeit. Sie hat ihm vielleicht den ganzen Trank gegeben, und das könnte ihn freilich tödten in einigen Tagen. Ich gehe und koche die Arznei.«

»Es ist freilich wahr,« äußerte Matusch, »die Marga muß das wieder gut machen, was sie verschuldet hat – wenn auch wider Willen. Ich sagte es immer, solche Dinge, die dem Schicksal ins Handwerk pfuschen, sind vom Uebel und schlagen häufig greulich aus. Doch ich eile, Fräulein, um Euch bestimmtere Nachricht zu bringen und unsere nächtliche Ankunft dort vorzubereiten.«

Er ging, kehrte jedoch bald zurück, um Walperga ausführlich zu berichten, was sich im Laufe der verflossenen Nacht im Waldstein'schen Hause begeben hatte.

Während eines traulichen Mahles, bei welchem Lucretia sich in Zärtlichkeit und Hingebung gegen ihren Gatten erschöpfte, goß sie ihm unbemerkt den Liebestrank in seinen Nachttrunk. Waldstein begab sich bald darnach zur Ruhe; nach zwei Stunden festen Schlafes erwachte er aber unter gräßlichen Schmerzen. Er rief seine Gemahlin, mit der Nachtlampe trat sie an sein Bett. Wie war er gräßlich entstellt: das Antlitz fahl und blau gefärbt, die Augen geröthet, die Lippen bleich und verzerrt – ein Fieberfrost schüttelte ihn, kalter Schweiß netzte seine Glieder, aber auf den Frost folgte alsbald brennende Hitze, die in seinem Innern loderte wie ein Vulcan, während seine Eingeweide wie von tausend Dolchen und Messern zerfleischt wurden. Er schrie im unerträglichen Schmerze laut nach Hilfe und wiederholte mehrmals, er habe Gift genossen. Lucretia, bis zur Verzweiflung erschöpft, rannte händeringend hin und her, weckte sämmtliche Dienerschaft aus dem Schlafe – flößte dem Kranken dies und jenes Hausmittel ein, wiewohl ohne Erfolg, denn die Krankheitssymptome steigerten sich von Minute zu Minute und Albrecht's kräftige Körperbeschaffenheit kämpfte einen riesenhaften Kampf gegen das Uebel, welches seinen Organismus verheerte. Man hatte nach dem Arzte gesandt; der berühmte Johann Jessenius, Professor am Carolin, war auch in kurzer Frist zur Stelle.

Er prüfte eine Weile am Kranken die Erscheinungen, dann sagte er entschieden, fast schonungslos: »Ihr seid vergiftet, gnädiger Herr; macht Euch auf das Aeußerste gefaßt.«

Bei diesem Ausspruch hielt sich Lucretia nicht länger, laut aufschreiend stürzte sie neben dem Bette zu Boden und das Geständniß kam über ihre Lippen.

»Du Unglückselige,« sagte Albrecht und versuchte es, der Gattin die bleiche bebende Hand versöhnend zu reichen – »also von ihr! Da konnte nichts anderes kommen. Doch beruhige Dich, meine Geliebte – wie der Herr immer über mich verfügen möge – einen Theil der Schuld trag' ich selbst. Ich mußte aufrichtiger gegen Dich sein und aus falscher Scham nichts verschweigen; wir hätten dann die tückische Schlange entfernt. – Doch, wenn auch zu spät, sollst Du alles wissen.«

Lucretia geberdete sich in ihrem Schmerz wie eine Rasende, sie nannte sich hundertmal eine Mörderin, zerschlug sich Stirn und Brust mit den Fäusten, wälzte sich auf dem Boden und war noch mehr ein Bild des Entsetzens, als der gefolterte Gatte.

Der Arzt fragte nach dem Fläschchen, worin sich der verhängnißvolle Liqueur befunden. »Wenn wir die Zusammensetzung kennen und ihre Stoffe, so läßt sich ein Gegenmittel finden,« sagte er. Es war auch nicht mehr ein Tropfen in der Phiole, so sorgfältig und gewissenhaft hatte Lucretia ihren Inhalt geleert. Die Flüssigkeit schien geruchlos und von keinem scharfen Geschmack gewesen zu sein.

»Was die Kunst vermag,« sprach der Arzt, indem er seine Verordnung niederschrieb, »das, gnädiger Herr, soll angewendet werden. Eine kräftigere Hilfe habt Ihr von Gott zu erwarten.«

Er wandte sich nach diesen Worten zu Lucretia, die er aufhob und in einen Ruhesitz legte. »Gnädigste Frau! Ihr müßt jetzt stark sein, müßt des eigenen Schmerzes vergessen und Euren Herrn sorgsam und liebevoll pflegen. Das seid Ihr ihm schuldig vor Gott und der Welt. So nur vermögt Ihr gut zu machen, was Ihr nicht aus böser Absicht, sondern, durch Verblendung getrieben, verschuldet habt.« Er traf noch mehrere Anordnungen und entfernte sich – nachdem er versprochen, am frühen Morgen wieder zu kommen.

Des Arztes Zuspruch hatte die unglückliche Frau wundersam gekräftigt und erhoben; sie saß an der Seite des Kranken, sie küßte seine bleichen Hände, benetzte sie mit ihren Thränen, sie bediente ihn mit ängstlicher Sorgfalt und Pünktlichkeit.

Als der Arzt sich entfernte, sagte er heimlich zum Haushofmeister: »Euer Gebieter ist gefährlich krank, sollte er im Verlaufe der Nacht noch einen Priester verlangen, so zögert nicht, diesen herbeizurufen.«

Albrecht verlangte nach einer Weile, in der die Wuth der Schmerzen sich zu legen schien, um sich zu einem neuen Angriff zu kräftigen, mit seiner Gattin allein zu sein. Er ließ alle Diener und Hausofficiere aus dem Krankenzimmer entfernen.

»Lucretia!« sagte er mit matter Stimme, »ob ich gerettet werde, ob ich so früh eingehe in das Schattenreich – wäre Keppler hier, er könnte mir Gewißheit geben aus den Sternen – so bin ich Dir jetzt – in dieser grauenhaften Stunde – Wahrheit schuldig. Höre mich: Mein Irrthum soll den Deinigen entschuldigen, die schwere Last auf Deiner Brust erleichtern. Ich kannte jene Gräfin van Meer schon in Brüssel; ich hatte dort ein flüchtig Verhältniß mit ihr. Geliebt habe ich sie nie. Nach dem Tode ihres Gatten folgte sie mir hierher nach Prag und begehrte meine Hand. Ich gab ihr unzweideutige Beweise, daß ich sie nicht liebe, daß ich sie zur Gattin nicht wählen wolle und könne. Sie schwur mir Rache – und übte sie, nicht Stirn gegen Stirn, sondern rücklings. Sie konnte unsere Verbindung nicht hindern, darum beförderte sie dieselbe scheinbar; denn sie hoffte Gewinn daraus. Sie verlangte von mir, ein sträflich Verhältniß mit ihr nach unserer Vermählung zu führen; darum stahl sie sich in Dein Vertrauen. Mit Haß und Abscheu wies ich einen solchen Antrag zurück und glaubte sie endlich ermüdet, beseitigt. Ihre Rache aber schlief nicht; statt des Liebestrankes gab sie Dir Gift für mich. Jenes Mädchen, das nun die Tochter der Frau von Rosenberg ist und mich liebte und für welches – ich will's gestehen – ich eine Neigung fühlte, jedoch früher als ich Dich kannte, Lucretia – sandte sie nur darum in die Kirche, damit sie Zeuge unserer heimlichen Trauung sei. Sie wollte ihr das Herz brechen. Die Furie trachtete alles zu vernichten, was mir werth und theuer war; mein Irrthum, meine und Deine Verblendung waren ihr nur die Mittel dazu. Ich hoffte auf ihre endliche Entfernung, ich wollte durch ein Geständniß den Frieden unseres Hauses nicht stören; ich schwieg – und muß es nun bitter bereuen. Das war's, Lucretia, was mir den Sinn so oft verdüstert hat, was Du an mir tadeltest, was Du oft hinwegzuscherzen und hinwegzukosen trachtetest; sie war der böse Alp, der auf meiner Brust lag. Verzeihe mir, Lucretia, ich büße hart, und eine Erkenntniß kommt mir in dieser schrecklichen Stunde: Wehe dem, der lügt! Das drückt mich centnerschwer. Vielleicht war's auch in den Sternen geschrieben, daß unser Bund nur von kurzer Dauer sein sollte; Argoli hat geirrt – und gegen Sternenmacht kämpfen wir vergebens an. Ich habe kurze Zeit an Deiner Seite Glanz und Macht getheilt und so wäre doch ein Theil der Verkündigung in Erfüllung gegangen. Beruhige Dich, mein theures Weib! Noch glaube ich nicht an meinen Tod – denn meine Sterne sagten mir nichts von einem so frühen Untergange – mein Ziel war weiter hinausgesteckt; und die Sterne, dies große Schöpfungsbuch – sie lügen nicht!«

Lucretia antwortete nicht. Sie hatte nur Thränen und Seufzer und heiße Küsse für die bleichen Lippen ihres leidenden Gatten. Wohl wichen, nach dem Genusse der Arznei, die gräßlichen Schmerzen von dem Leidenden, aber es erfolgte eine Abspannung und Schwäche, die eine allmähliche Auflösung vorher zu verkündigen schien.

Der Arzt erschien mehrmals während des Tages, verordnete neue Mittel; doch gab er durch kein Wort und keine Miene mehr Hoffnung, als sein erster Ausspruch gethan.

Die Nachricht von Albrecht's Vergiftung durchflog ganz Prag, und allgemein war die Theilnahme für ihn, sowie die Erbitterung gegen die niederländische Gräfin.

»Eine Bitte, Lucretia!« sagte Waldstein später; »ich hoffe, die van Meer wird fliehen, wenn sie erfahren, daß ihr Rachewerk gelungen. Verhindere ihre Flucht nicht – ich will nicht aus dem Leben gehen mit einem Act der Rache – sollte sie aber frech genug sein, zu bleiben, auf Deine und meine Nachsicht bauend, durch eine Lüge die Straffälligkeit auf Dich wälzen wollen: dann verfolge sie durch die Gerichte, lass' sie unschädlich machen. Denn sie lauert sonst auch noch auf Deinen und der armen Rosenberg Untergang – sie wird nicht ruhen, bis sie auch Euch verdorben, nur weil ich Euch, weil Ihr mich geliebt. Ihre Liebe entstammt der Hölle – sie ist ausschließlich wie die Sünde, und ihr Haß unsterblich. Versprich mir dies.«

Als man am Nachmittag dem Kranken meldete, Matusch sei gekommen und bäte um die Gnade, bei seinem edlen Gönner in nächtlicher Stunde wachen zu dürfen, antwortete Albrecht: »Er mag kommen, die treue Seele, die mich schon einmal vom Tode gerettet, sähe ich gerne. Doch lasse man mich dann allein mit ihm.«

»Er bringt mir ihren letzten Liebeskuß,« setzte er leise für sich hinzu; »wie hätte ich im tollen Jugendmuth zu Brüssel ahnen können – daß mir dies Weib dereinst meine schönste Liebe, mein junges Leben, alles, alles rauben würde.«

Es überschattete ihn wie der Tod; er legte sein Haupt auf die rechte Seite und starrte entsagend und unerschütterlich der nahenden Vernichtung entgegen.

Auch Camilla hatte eine unruhige Nacht gehabt. Schon am frühen Morgen wollte sie Kenntniß von der Wirkung des Zaubertrankes haben; Albrecht müßte unter irgend einem Vorwand nach ihr verlangen. Sie schrieb daher an Lucretia nur die Worte: »Ist es gelungen?« siegelte das Blatt und gab einem Diener den Auftrag, dasselbe der Frau von Waldstein heimlich in die Hände zu spielen.

Camilla's Diener trat eben unter das Portal des Hauses in der Brückengasse, welches Albrecht seit seiner Vermählung mit Lucretia bewohnte, als der Schrecken sich der ganzen Einwohnerschaft bemächtigt hatte. Man beachtete ihn nicht – die Diener liefen geschäftig an ihm vorüber, er hörte die Ausrufe: »Der Arzt selbst sagt – daß der gnädige Herr vergiftet sei.« Eine wehklagende Zofe, die aus dem Krankenzimmer kam, rief einer zweiten, die in die Küche eilte, zu: »Die fremde Gräfin, die schöne van Meer, hat unserer gnädigen Frau das Gift gegeben – sie sagte, es sei ein Liebestrank – ein schöner Liebestrank; aber die wird enthauptet – stirbt von Henkershand!«

Camilla's Bedienter ahnte bald, was hier geschehen; er war mit einem Sprung aus dem Hause und rannte in die Altstadt. Hier erzählte er seiner Gebieterin, was er erfahren.

Camilla, die sich in Erwartung einer freudigen Botschaft auf das Ruhebett geworfen und in angenehmen Träumereien verloren hatte, sprang entsetzt und todtenbleich auf: »Gift – Gift! sagst Du,« rief sie – »barmherziger Himmel – was ist geschehen!? Fort – einen Wagen, hörst Du; ich muß aus Prag, Du packst alles ein zur weiten Reise; ich erwarte Dich vor dem Wyschehrader Thor, bei Sanct Pankrac an der Budweiser Straße – in einer halben Stunde folgst Du. Niemand darf wissen, wohin.«

Sie rief nach ihrer Kammerfrau und ließ sich ankleiden. Während dessen brach sie in Thränen der Wuth und des Schmerzes aus.

»Also die alte Hexe,« schluchzte sie in Absätzen, »hat mir Gift gegeben, ich sollte es leeren; sie wollte sich rächen und ihr Kind. Wie konnte ich auch so verblendet, so leichtsinnig sein, und mich ihr anvertrauen. Ich konnte ja ihre Tücke ahnen! Ich habe wie eine Rasende gehandelt; mein Leben gerettet und ihm, ihm den Tod gegeben. So ist hier alles für mich verloren; nur der Tod oder schimpfliches Gefängniß wäre mein Los. Wie gut, daß ich bei Max eine Zuflucht habe, er soll – er wird mir helfen! Aber Todte kann er freilich nicht erwecken. Und ich habe Albrecht geliebt und liebe ihn noch. Nein, barmherziger Gott, der Du das Herz der Sünderin kennst – morden wollte ich ihn nicht, nur mich rächen, aus Liebe. Und jetzt ist alles zu Ende; ich bin elender als zuvor! Und das Schicksal hat es wunderbar gefügt – es war sein Wille so: ich sollte gerettet werden. Und die alte Hexe, die meinen Tod wollte, reicht ihm denselben, dem Geliebten ihrer Tochter – das bricht dieser bestimmt das Herz. Was will ich mehr – das Geschick hat mein Racheamt übernommen; ich war nur das blinde Werkzeug. So gehe ich, wenn auch belastet mit einer Mordschuld – doch gerächt fort von hier – aber betrogen um alle Liebe – um alle Hoffnung. Ein elendes Dasein – und wem verdanke ich's? Ihm – ihm, den ich so rasend geliebt und den zu erretten ich jetzt noch mein halbes Dasein gern opfern wollte.«

Sie verließ in aller Eile, zitternd vor den Häscherarmen der Gerechtigkeit, Prag und beschloß zuerst nach Krumau zu gehen, in der Hoffnung, Max noch dort zu treffen. War dies nicht der Fall, so beschloß sie, ihm nach Venedig zu folgen.

Gleiches Geschick und gleiche Schuld schloß sie von nun an enger an ihn. Er allein – der Ihr Inneres kannte, vermochte sie jetzt zu trösten. Ihm mußte sie ganz gehören – ihn ganz an sich fesseln. Er war jetzt ihr einziger Bundesgenosse, ihr Beschützer und ihr Stab. Das Verbrechen kettet oft fester aneinander als die Tugend! –

Der kranke Albrecht blieb während des ganzen Tages in einem Zustande, der zwischen Tod und Leben schwankte. Jener schien nach jeglicher Berechnung sicherer. Als der Abend kam, verfiel er in einen leichten Schlaf, den häufig Fieberphantasien unterbrachen.

Man meldete Matusch, und Lucretia verließ den Leidenden, eingedenk seines ausgesprochenen Wunsches, ihn mit dem treuen Diener allein zu lassen. Vielleicht hatte er, meinte sie, noch manches auf dem Herzen, das er in solch bitterer Stunde nur ihm anvertrauen mochte, das er ihr vielleicht aus zarter Schonung verschweigen wollte. Sie begab sich daher, körperlich und geistig tief erschüttert, in ihre Gemächer, um zu ruhen oder vielmehr inbrünstig zum Himmel zu flehen um die Errettung des Geliebten.

Nachdem sie sich entfernt, trat leise Matusch ein, gefolgt von einer Nonne, die Gestalt und Antlitz dicht verhüllt hatte.

Der Haushofmeister, welcher Matusch und die fromme Schwester bis ans Krankenzimmer geleitet hatte, sagte, als er in den Vorsaal zu der Dienerschaft zurückkehrte: »Ein ehrenwerther Mann – der Krieger! Obgleich Protestant, weiß er doch, was einem unseres Glaubens in den letzten Augenblicken noththut. Er bringt die fromme Schwester mit, als Pflegerin und Trösterin im Todeskampfe vielleicht. Möglich auch, daß der gnädige Herr nach solchem Zuspruch verlangt hat – denn einen Priester ließ er nicht rufen. Auf jeden Fall ist der Matusch ein braver Mann und verdient des Herrn Vertrauen – dem er uneigennützig dient.«

Matusch und Walperga traten leise, wie Nebelgestalten, in das Krankenzimmer. Das Mädchen setzte sich zu Häupten des Kranken – der Alte nahm am Fuße desselben Platz.

Waldstein schlief. Nur manchmal athmete seine Brust tief und krampfhaft auf, man merkte es dem rastlosen Schlafe, den bleichen, zuckenden Mienen an, daß wirre Phantasien durch seine Seele eilten und tobten.

Walperga schlug den Schleier zurück und neigte sich über den Kranken. Große Thränen füllten ihre Augen, ein tiefer Seufzer stieg aus ihrer Brust. Sie goß von dem Heiltrank, welchen sie mitgebracht, in eine Schale und hielt diese an Albrecht's Appen. Er trank, wie von brennendem Durste gequält, in hastigen Zügen – er athmete leichter – es schien ihn wie eine süße Labung zu durchwallen – er öffnete die Augen; sie trafen Walperga's Angesicht – sie wollte sich zurückziehen und verschleiern; er aber sprach mit matter Stimme zwischen Traum und Wachen: »Ein schöner Traum – bleibe, bleibe, Du Wunderbild – Du holder, milder Todesengel. Wie Du mir damals erschienst – so blaß und mild – die Lilie in der Hand – so heute – in der letzten Stunde; es war damals die sanfte Todesbotschaft – und ich erkannte sie nicht; ich griff nach der funkelnden Krone – ein Wahn des Stolzes. Ja – ein neues Dasein – noch einmal die Erde und – ein neues Leben mit Dir beginnen. Ach, das ist zu spät! Nicht mehr von dieser Welt.«

Walperga's Thränen fielen auf seine heiße Stirn herab; er fühlte sie und fuhr noch leiser, wie betend und als fürchte er das schöne Traumbild zu verscheuchen, fort: »Auch Thränen – o wie gut, wie gut, wie keines auf der Erde! So wäre es vollbracht – der milde Frieden kann nur im Himmel sein und Gott sendet mir seinen Engel. Der Tod ist so leicht – war so leicht – so schön – denn Dich werde ich nun immer schauen. Das also wäre das Friedensland, wie herrlich, und so ewig – ewig ihr Antlitz vor mir! Der Tod ist süß.«

Er schloß die Augen. Sie reichte ihm rasch zum zweitenmale von ihrem Tranke; er entschlummerte – leicht ging sein Athem – warmer Schweiß perlte von seiner Stirn.

Walperga glitt auf den Boden hinab, faltete die Hände und betete. Der alte Knecht betrachtete mit wehmüthiger Rührung die Gruppe. Waldstein schlief gleichmäßig fort.

Walperga erhob sich wieder – sie, wie Matusch belauschten von nun an ängstlich und gespannt jeden Athemzug, jede Miene des Kranken. Sein Schlaf währte drei Stunden, dann regte er die Lippen, und es war, als suchte er die Augen zu öffnen; aber auf diesen lag es bleischwer. Rasch reichte ihm das Mädchen zum drittenmale den Trank – er wurde noch beruhigter und verfiel in einen regungslosen Schlummer, der Genesung zu verkündigen schien. Erst rötheten sich allmählich die Lippen, dann die Wangen. Die Leichenblässe wich von Stirn und Händen.

»Gott sei gepriesen!« sagte Walperga und reichte Matusch die Hand und ein himmlischer Freudenstrahl zuckte aus ihren emporgehobenen Augen. »Er ist gerettet!«

Sie kniete nieder und senkte das Haupt über den gefalteten Händen, die ihre Thränen überströmten. Matusch folgte ihrem Beispiel.

Das Frühroth brach mild glänzend zum Fenster herein und verwob sich mit dem Lampenlichte des Gemaches zu magischem Dämmerschein – lautlos, wie versteinert, verharrte die Gruppe; es ging ein gelindes Wehen durch den Raum, als schritten Rettungsengel durch denselben.

Walperga erhob sich und drückte einen Kuß auf Albrecht's Lippen; ihr Bild schien ihn noch immer im Traume zu umgeben; denn er sagte leise, ohne zu erwachen: »Habe Dank, Du Götterwesen – ich fühl's – das war der Kuß des Paradieses.«

Sie winkte Matusch – warf noch einen Blick auf den Kranken, verhüllte ihr Antlitz – beide verließen auf den Zehen die Krankenstube. Das Morgenroth brach heller zwischen den Gardinen herein.

Im Vorgemache sagte Matusch, der die Nonne an der Hand geleitete, zu der harrenden Dienerschaft: »Preiset den Allmächtigen! Euer Herr ist genesen – der frommen Schwester Gebet hat ihn errettet. Doch stört jetzt seinen Schlummer noch nicht – und bringt der gnädigen Frau erst später die Botschaft. Ihre plötzliche Freude könnte den Kranken zu sehr erschüttern.«

Die Diener drängten sich herbei, küßten Walperga's Hände und blickten zu ihr empor, wie zu einer himmlischen Erscheinung.

Und Albrecht war gerettet; er war dem Leben wiedergegeben.


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