Unbekannte Autoren
Tausend und eine Nacht. Band XXIV
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Der rechtschaffene, ungerechterweise eingekerkerte Wesir.

Man erzählt, daß unter den Königen Indiens auch ein König lebte, der zum Wesir einen trefflichen Ratgeber des Reiches, voll Mitleid für die Unterthanen und Fakire, voll Erbarmen gegen die Elenden und gerecht in allem seinem Thun hatte. Trotz alledem jedoch haßten ihn die Großen des Reiches und beneideten ihn, und zu allen Zeiten und Stunden, wenn er den König verließ oder heimkehrte, trat einer der Emire vor und sprach zum König: »O unser Herr, siehe, der Wesir thut das und das.« Dies währte geraume Zeit, bis eines Tages, als der Sultan in seinem Palast saß, ein Eilbote mit Briefschaften aus einigen der Provinzen seines Reiches zu ihm kam und Hilfe wider die Gewaltthätigkeiten ihrer Feinde verlangte. Der Sultan fragte: »Was soll in dieser Sache geschehen?« Und seine Großen erwiderten ihm: »Schicke deinen Wesir zu ihnen.« Sie sprachen dies jedoch nur zu ihm in der Absicht ihn zu verderben und zu vernichten. Hierauf entbot ihn der König zu sich und befahl ihm zu jenen Ortschaften zu reisen, während ihm diejenigen, über welche Klage geführt worden war, Gefahren und Schwierigkeiten in den Weg legten. Der Wesir versetzte: »Ich höre und gehorche,« und machte sich, nachdem er seine Vorkehrungen getroffen hatte, auf den Weg. Die Großen hatten jedoch Briefe in die Provinz, nach der er reiste, gesandt, in denen sie den Leuten von seiner Ankunft Mitteilung machten und ihnen ansagten: »Bevollmächtigt ihn zu nichts, und, wenn ihr ihm einen Schaden zufügen könnt, so thut es.« Als nun der Wesir zu jenen Plätzen kam, empfingen ihn die Leute mit Willkommgrüßen und Deputationen und boten ihm Geschenke, Raritäten und Kostbarkeiten an, und alle Bewohner jener Ortschaften erwiesen ihm die höchsten Ehren. Dann ließ er ihre Widersacher vor sich bringen und stiftete Frieden zwischen beiden Parteien, so daß ihre Freude wuchs und ihr Leid wich; und er verweilte einen vollen Monat bei ihnen, 102 worauf er sich wieder zur Heimfahrt auf den Weg machte. Die Großen hatten jedoch alles dem König berichtet und waren betrübt und voll Kümmernis, da ihr Wunsch die Vernichtung des Wesirs gewesen war. Eines Tages nun, als der Wesir daheim saß, erschien eine Anzahl Kämmerlinge bei ihm und forderte ihn auf vor dem König zu erscheinen, indem sie zu ihm sprachen: »Steh' auf, der König verlangt nach dir.« Er erhob sich ohne Aufschub und Verzug und, sein Pferd besteigend, ritt er zum Palast und trat bei dem König ein, der ihn sofort ins Gefängnis zu werfen befahl, das sieben Thüren hatte. Da rief der Wesir: »Es giebt keine Macht und keine Kraft, außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Fürwahr, wir sind Gottes, und zu Ihm kehren wir zurück! Wüßte ich nur, warum und weshalb mich der König hat einsperren lassen! Jedoch Gott allein ist allmächtig.« Sobald der Wesir in seiner neuen Wohnung einquartiert war, verbot ihm der König jegliche Fleischnahrung und gestattete ihm allein Brot und Käse, Oliven und Öl, und so beließ er ihn in harter Haft. Hierauf wendete sich alles Volk mit Petitionen an den König und suchte sich für den Gefangenen ins Mittel zu legen; jedoch frommte dies nichts, vielmehr ward der Zorn des Königs nur um so heißer und kühlte sich nicht ab, denn der Wesir mußte sieben lange Jahre in der Haft schmachten. Schließlich zog der Sultan eines Tages als Derwisch verkleidet aus und durchstreifte die Stadt ohne Begleitung, bis er auch an dem Palast des Wesirs vorüberkam, wo er eine große Volksmenge antraf, von denen die einen fegten, die andern Wasser sprengten und wieder andre Teppiche und Matratzen ausbreiteten, während der Harem und der Haushalt in großer Freude und Fröhlichkeit war. Er stand deshalb mit den andern Zuschauern da und fragte, was los wäre, worauf man ihm erwiderte: »Der Wesir kehrt heute Nacht aus der Ferne zurück, und die Leute sind durch einen Boten benachrichtigt, daß der Sultan geruht hat, ihm wieder seine Gnade zuzuwenden, und sich 103 für zufriedengestellt erklärt hat; so werden wir ihn noch einmal zu Hause sehen.« Da sprach der König bei sich: »Preis sei Gott! Beim Allmächtigen, diese Sache hat keinen Grund; wie konnte sich nur das Gerücht verbreiten, daß ihn der König wieder zu Gnaden angenommen hat? Ich muß unbedingt den Wesir aufsuchen und sehen, wie die Sache steht, und was vorgefallen ist.« Von immer größerer Unruhe erfaßt, machte sich dann der Sultan auf und kaufte etwas Brot, worauf er sich, noch immer im Derwischgewand zum Kerker begab und den Beschließer anredete und zu ihm sagte: »Um Gott, mein Herr, öffne mir den Kerker, daß ich eintreten und diese Lebensmittel unter die Gefangenen verteilen kann, denn ich habe mich hierzu durch einen Eid verpflichtet, veranlaßt dazu durch eine Krankheit, in der ich, dem Tode nahe, ein Gelübde gelobte und einen Schwur that, daß, wenn mich Gott, der Erhabene, heilen würde, ich etwas Brot kaufen und unter die Gefangenen austeilen wollte. Ich bin nun zu diesem Zweck hierher gekommen.« Hierauf öffnete ihm der Mann die Thür, und er trat ein und verteilte alles Brot unter die Gefangenen. Da er jedoch den Wesir nicht sah, fragte er den Kerkermeister: »Ist noch irgend jemand übrig, daß ich ihm seinen Teil geben kann?« Der Kerkermeister versetzte: »O Derwisch, wonach fragst du?« Der Fakir erwiderte: »O mein Herr, ich habe einen Eid geschworen, und, um Gott, wenn es noch Gefangene außer denen, die ich gesehen habe, giebt, so sag' es mir.« Da entgegnete der Kerkermeister: »Es ist allein noch der Wesir übrig geblieben, der sich an einem andern Ort befindet, jedoch leidet er keine Not.« Hierauf sagte der Fakir: »O mein Herr, ich wünsche mich von der Verpflichtung meines Eides zu befreien.« Und so führte er ihn zum Wesir, und, als der Derwisch näher kam, stieß er einen Schrei aus und sank ohnmächtig auf den Boden, worauf ihn der Kerkermeister, als er ihn am Boden liegen sah, verließ und seines Weges ging. Der Wesir aber trat nun an ihn heran und sprach zu ihm, indem er ihm 104 etwas Wasser ins Gesicht sprengte: »O Derwisch, das hat nichts zu bedeuten.« Da erhob sich der Fakir und sagte: »O mein Herr, mein Herz ist seit sieben Jahren bei dir gewesen; so oft ich zu deinem Hause ging, sagte man mir, daß der Sultan auf den Wesir erzürnt sei; jedoch wartete ich auf dich bis auf den heutigen Tag, als ich wie gewöhnlich zu deiner Wohnung ging und in deinem Hause eine Menge Leute antraf, von denen die einen fegten, die andern sprengten und die dritten Teppiche und Matten ausbreiteten, und alle waren in fröhlicher Stimmung. Ich fragte deshalb einige der Dabeistehenden, und sie sagten mir, der König wäre dir wieder gewogen worden, und du würdest noch in dieser Nacht heimkehren, da diese Worte wahr wären.« Der Wesir versetzte: »O Derwisch, es ist wahr, daß ich zu meinem Haushalt schickte und ihnen dies mitteilen ließ, denn ich habe willkommene Nachricht von einem Ereignis, das mir widerfuhr; ich befahl deshalb, den Leuten in meinem Hause mitzuteilen, daß der Sultan mir wieder gewogen ward; und, o Derwisch, mir widerfuhr eine wundersame Sache und eine seltsame Mär; wäre sie mit Nadeln in die Augenwinkel geschrieben, sie wäre eine Lehre für alle, die sich belehren lassen.« Da fragte der Fakir: »Was ist's?« Und der Wesir erzählte: »Bei Gott, o Derwisch, als ich noch in Diensten Sr. Majestät des Königs stand, war ich ihm ein getreuer Ratgeber und mitleidsvoll gegen die Unterthanen und betrog ihn nie noch übte ich je gegen ihn Verrat; und, so oft er mich zu einem Ort sandte, wo Zwietracht, Unruhe, Unrecht und Tyrannei herrschte, ebnete ich die Sachen und stiftete Frieden unter dem Volk und richtete das Unrecht unter ihnen durch Gottes, des Erhabenen, Kraft. Eines Tages nun beschloß ich die Steppe, die die Stadt umgiebt, und die Gärten aufzusuchen, um mich zu vergnügen; ich bestieg deshalb einen kleinen Kaik, doch bekam ich, als wir uns mitten auf dem Strom befanden, Verlangen nach Kaffee, so daß ich zu dem Bootsmann sagte: »Halt an diesem Platz und wirf den Anker aus, während 105 wir Kaffee trinken.« Da erhob sich mein ganzes Gefolge und beschäftigte sich damit, den Kaffee zurecht zu machen, bis er fertig war; und ich besaß eine Tasse im Wert einer Chasne Gold, die sie füllten und mir reichten. Ich nahm sie, während ich auf dem Dollbord des Bootes saß; doch fiel sie dabei in den Strom, und ich bekümmerte mich schwer darüber, da die Tasse ein Andenken war. Als aber die Leute im Boot dies sahen, erhoben sich alle und ließen einen Taucher holen, der zu uns sagte: »An welcher Stelle ist die Tasse in den Strom gefallen, daß ich sie suchen kann? Gebt mir darüber Auskunft.« Da suchten wir nach einem Kieselstein im Boot, als wir jedoch keinen fanden, zog ich einen Siegelring, den ich an meinem Finger trug, und der zwei Chasnen wert war, ab und warf ihn ins Wasser, indem ich rief: »Der Becher entfiel mir an jener Stelle.« Als mich aber der Taucher meinen Ring ins Wasser werfen sah, fragte er mich: »Weshalb, o mein Herr, hast du deinen Siegelring fortgeworfen?« Ich versetzte: »Die That ist geschehen.« Hierauf sprang er ins Wasser und blieb eine Weile unten, worauf er mit der Tasse in der Hand wieder herauskam, mitten in der wir den Siegelring gewahrten. Als mir nun diese erstaunliche Begebenheit widerfuhr, sprach ich bei mir: »O du, größeres Glück als dieses kann dir nicht zu teil werden; vielleicht widerfährt dir etwas dem entgegengesetztes.«Vgl. hierzu die hellenische Idee vom Götterneid: »Mir grauet vor der Götter Neide,« &c. Meine Leute aber freuten sich über den Fund der beiden verlorenen Gegenstände, und keiner fürchtete deshalb für den Wechsel meiner Lage und meinen Sturz, sondern sie verwunderten sich und riefen: »Bei Gott, das ist ein seltener Zufall!« Dann zogen wir in dem Kaik weiter, bis wir unser Ziel erreicht hatten, wo wir uns den ganzen Tag verweilten, um dann wieder heimzukehren. Kaum aber war ich dort zur Ruhe gekommen und hatte mich daheim gesetzt, als plötzlich eine Anzahl Kämmerlinge vom Gefolge des Königs zu mir 106 hereintrat und sprach: »Der Sultan verlangt nach dir!« Infolgedessen erhob ich mich und ritt zum Palast; als ich jedoch vor dem König erschien und wie üblich meine Ergebenheit bezeugen wollte, rief er: »Führt ihn fort.« Da schleppten sie mich fort und sperrten mich hier ein, worauf der Sultan mir die geringste Fleischnahrung untersagen ließ; und so lebe ich hier, o Derwisch, seit sieben Jahren in derselben Lage. An diesem Morgen nun verlangte mein Magen nach Fleisch, und ich sagte zum Kerkermeister: »Du da, es sind nun sieben Jahre her, daß ich kein Fleisch mehr kostete; nimm daher diesen Aschrafī und hol uns eine Unze Fleisch.« Er nahm das Geld an und sagte: »Schön,« worauf er mich verließ und mir das Verlangte holte. Alsdann, o Derwisch, zerteilten wir beide, ich und der Kerkermeister, das Fleisch mit unsern Fingern, und wir wuschen es und setzten es auf den Herd, worauf wir ein Feuer darunter anmachten, bis es gar war. Dann nahmen wir es herunter und trugen es nach einer Weile auf, um es zu essen; da es aber gerade Mittagszeit war und die Stunde des Gebets, sprachen wir: »Wir wollen zuvor unser Geber verrichten.« Und so erhoben wir uns und vollzogen die Waschung und verrichteten die Mittagsandacht, worauf wir die Schüssel vor uns setzten; als ich aber nun den Deckel abnahm und die Hand ausstreckte, um mir ein Stück Fleisch zu nehmen, lief plötzlich eine Maus mit ihrem Schwanz und ihren Füßen über denselben Bissen. Da rief ich: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen! Ich habe dies Fleisch mit meiner eigenen Hand zerteilt und es selber gekocht, wie also konnte diese Sache geschehen? Indessen, Gott, der Erhabene, weiß vielleicht, daß der Stein des Anstoßes nunmehr aus meinem Weg entfernt ist.« Ich sprach dies aber, denn, als ich die Maus dies thun sah, fühlte ich, daß frohe Botschaft und gute Nachricht vom Herrn der Himmel und der Erde nahten. Ich schickte deshalb nach Hause und ließ ihnen ansagen, der Sultan wäre mir wieder gewogen worden, denn, 107 wenn die Dinge am schlimmsten stehen, schlagen sie um und enden in Freuden; und ich meine, o Derwisch, daß alle meine Kümmernisse nun aufgehört haben.« Da sprach der Fakir zu ihm: »Gelobt sei Gott, o mein Herr, der dir die Vorläufer des Glücks gesandt hat!« Alsdann erhob er sich und begab sich in seinen Palast, wo er seine Verkleidung auszog und den Königsornat wieder anlegte. Dann setzte er sich auf den Thron seines Königreiches und ließ den Wesir aus dem Kerker in aller Fröhlichkeit vor sich führen und machte ihm kostbare Geschenke. Alle Unzufriedenheit mit dem Wesir war aus dem Herzen des Sultans gewichen, und er vertraute ihm noch einmal die Führung aller seiner Geschäfte an.

 


 


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