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Tausend und eine Nacht. Band XXIV
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Die Geschichte des Prinzen von Sind und der Herrin Fâtime.

Man erzählt, daß einmal in Sind ein König lebte, der einen Sohn hatte, der nicht von seiner Gattin war. Dieser Sohn nun schalt und schmähte jedesmal, wenn er den Palast betrat, seine Stiefmutter, die außerordentlich schön war, und fluchte ihr und brauchte harte Worte gegen sie; und so kam es, daß ihre Reize verblichen und ihr Gesicht gelb ward, bis sie schließlich von alledem, was sie zu hören bekam, das Leben haßte und nach dem Tod verlangte. Bei alledem aber vermochte sie nichts gegen den Prinzen bei seinem Vater vorzubringen. Da traf es sich eines Tages, daß ihre alte Amme sie besuchte. Als diese sie in ihrer schweren Kümmernis und Ratlosigkeit sah, da sie nicht wußte, was sie mit ihrem Stiefsohn anfangen sollte, sprach die Alte zu ihr: »O meine Herrin, dir geschehe nichts zuleide! Jedoch hat sich dein Befinden geändert, und ich sehe, daß deine Farbe gelb geworden ist.« Hierauf erzählte ihr die Königin alles, was ihr von ihrem Stiefsohn an groben Worten und Schimpf und Schmähreden widerfahren war, und die Alte versetzte: »O meine Herrin, laß deine Brust nicht beklommen sein; wenn der Jüngling wieder zu dir kommt und dich schilt und schmäht, so sprich zu ihm: »Nimm deinen Verstand ein wenig zusammen, bis du die Herrin Fâtime, die Tochter Amir bin Noomâns, zurückgebracht hast.« Die Alte lehrte sie diese Worte auswendig und verließ sie hernach; als dann bald darauf der Prinz zur Thür hereintrat und wieder harte Worte gegen sie brauchte und sie schalt und schmähte, sagte sie zu ihm: »Senke deinen Ton und nimm deinen Verstand ein wenig zusammen, denn du bist ein winziges Ding, ehe du nicht die Tochter des Sultans, Fâtime, das Kind Amir bin Noomâns, zurückgebracht hast.« Sobald er diese Worte vernahm, rief er: »Bei Gott, ich muß ausziehen und mit der 45 Herrin Fâtime wieder heimkehren.« Hierauf begab er sich zu seinem Vater und sprach zu ihm: »Es ist mein Wunsch zu reisen; beschaffe mir daher allerlei Lebensmittel, mit denen ich in ein fernes Land ziehen will, denn ich will nicht eher heimkehren als ich mein Ziel erreicht habe.« Da ließ sein Vater allerlei Proviant, den er nötig hatte, zusammenbringen, bis alles beschafft war, und besorgte ihm auch Ballen, Kamele, Pagen, Mamluken, Eunuchen und Negersklaven. Dann luden sie auf, und der Jüngling zog aus, nachdem er sich von seinem Vater und seinen Freunden und Kameraden verabschiedet hatte, und suchte das Land Fâtimes. Er zog den ersten und zweiten Tag, bis er sich mitten in der Wildnis und den Wadis, den Bergen und steinigen Wüsten befand. Dies dauerte zwei Monate lang, bis er eine Gegend erreichte, in der sich Ghûle und wilde Tiere befanden; jedem Wesen aber, das ihm in den Weg trat, gab er etwas von den Lebensmitteln, und besänftigte sie und bat sie ihn auf seinem Wege zu führen. Nach einiger Zeit traf er einen hochbetagten Scheich an, den er begrüßte, worauf der Scheich ihm den Salâm erwiderte und ihn fragte: »Was hat dich in dieses Land und diese Gegend geführt, wo sich nichts befindet als Ghûle und reißendes Getier?« Der Prinz antwortete: »O Scheich, ich kam wegen der Herrin Fâtime, der Tochter Amir bin Noomâns hierher.« Da rief der Scheich: »Betrüg' dich nicht selbst, denn sicherlich bist du verloren, zugleich mit allen Leuten und allem Gut, das du bei dir hast; denn das Mädchen ist die Ursache des Untergangs vieler Könige und Sultane gewesen. Ihr Vater stellt jedem Bewerber drei Aufgaben, von denen kein einziger die Kraft besitzt, sie zu erfüllen, und er stellt ihnen die Bedingung, daß, wer die Aufgaben nicht zu erfüllen imstande ist, hingerichtet werden soll. Ich will dir die drei Aufgaben angeben, mein Sohn. Zuerst bringt der König einen Ardebb Sesam, einen Ardebb Kleesamen und einen Ardebb Linsen zusammen und vermischt sie, worauf er spricht: »Wer meine Tochter zur 46 Frau begehrt, der lese jede Sorte aus, und, wer dazu nicht imstande ist, dem haue ich den Kopf ab.« Da aber alle, die es versuchten, nicht dazu imstande waren, wurden ihre Köpfe am nächsten Morgen abgehauen und über dem Palastthor aufgepflanzt. Die zweite Aufgabe ist folgende: Der König hat eine Cisterne voll Wasser, und er stellt dem Bewerber die Bedingung sie unter der Strafe des Verlustes seines Lebens auszutrinken. Die dritte endlich ist folgende: Er besitzt ein Haus ohne Thüren und Fenster mit dreihundert Eingängen, tausend Fensteröffnungen und zweitausend Gemächern und stellt dem Bewerber die Aufgabe, für den Palast in einer einzigen Nacht alle Thüren, Gitter und Gemächer fertig zu machen. Das ist genug, mein Sohn, deinen ganzen Verstand in Beschlag zu nehmen, jedoch kehre du dich nicht daran, denn ich will deine Aufgabe für dich erfüllen.« Der Prinz versetzte: »O mein Oheim, die Kraft und Allmacht ist bei Gott;« worauf der Scheich entgegnete: »Geh', mein Sohn, und mag der Allmächtige dein Werk fördern.« Hierauf verabschiedete sich der Prinz von ihm und zog weiter, als ihm plötzlich nach zwei Tagen die wilden Tiere und Ghûle den Weg versperrten. Da gab er ihnen etwas Proviant, und nun wiesen sie ihn, nachdem sie es gefressen hatten, den rechten Weg. Alsdann gelangte er in ein Wadi, in welchem ihm Heuschreckenschwärme den Weg versperrten; da streute er ihnen etwas Feinmehl hin, das sie auslasen, bis sie sich daran gesättigt hatten. Von hier gelangte er in ein anderes Wadi mit eisernen Felsen, in dem sich zahllose Dschânn befanden, die ihm den Weg auf jener eisernen Straße kreuz und quer abschnitten. Da trat er vor und begrüßte sie, indem er ihnen etwas Brot, Fleisch und Wasser gab, worauf sie aßen und tranken, bis sie sich gesättigt hatten, und ihn dann weiter führten und auf den rechten Weg leiteten. Er zog weiter, bis er mitten ins Gebirge gelangt war, wo ihm weder Menschen noch Dschinn entgegentraten, und hielt nicht eher an, als bis er zur Stadt des Sultans, dessen Tochter er zur 47 Frau begehrte, gelangt war. Hier schlug er ein Zelt auf und ruhte sich darinnen drei Tage lang aus. Dann erhob er sich und schritt fürbaß, bis er die Stadt betrat, wo er sich nach rechts und links umsah, bis er den Palast des Königs erreicht hatte. Als er dort über dem Thor gegen hundert Köpfe hängen sah, sprach er bei sich: »Verhülle mich, o Verhüller! Alle diese Köpfe wurden der Herrin Fâtime wegen aufgehängt, jedoch sagt das Sprichwort: »Wer nicht durchs Schwert stirbt, stirbt an seinem Lebenstermin, und mannigfach sind des Todes Ursachen, während der Tod nur einer ist.« Hierauf trat er an das Thor heran und wollte in den Palast treten; die Leute wehrten es ihm jedoch, so daß er wieder zu seinen Zelten zurückkehrte und dort die Nacht zubrachte. Am nächsten Morgen begab er sich wieder zum Königspalast und versuchte einzutreten, doch hielten sie ihn wieder an, so daß er unfähig war, vor dem Sultan zu erscheinen. Er fragte deshalb einen, der dort an der Thür stand, wie er es anfangen sollte, vor den König zu treten, jedoch mißlang es ihm wieder, und, so oft er Zutritt suchte, wiesen sie ihn ab und trieben ihn fort, bis sie zu ihm sprachen: »O Jüngling, sag' uns, was dein Begehr ist.« Er versetzte: »Ich hab' ein Anliegen an den Sultan und möchte mit ihm ein Geschäft erledigen; es handelt sich sowohl um Privat- als Staatsangelegenheiten, so daß ich mein Anliegen allein dem Sultan nennen kann.« Da ging einer der Kämmerlinge zum Sultan und teilte ihm die Sache mit, worauf er ihnen gestattete, den Fremden vorzuführen. Als nun der Jüngling vor dem Thron stand und, die Erde küssend, dem Herrscher Ruhm und langes Leben erflehte und für Abwehr des Übels von ihm betete, verwunderte sich der König über die Gewandtheit seiner Zunge und die Süße seiner Rede und fragte ihn: »O Jüngling, was ist dein Begehr?« Der Prinz versetzte: »Gott verlängere die Herrschaft unsers Herrn Sultans! Ich kam hierher, um Verwandtschaft mit dir zu suchen durch deine Tochter, die wohlverwahrte Herrin und 48 die wohlbehütete Perle.« Da entgegnete der Sultan: »Bei Gott, dieser Jüngling will sich hoffnungslos in den Tod stürzen! Ach, schade um die Beredsamkeit seiner Sprache!« Hierauf fragte er ihn: »O Jüngling, sind dir auch die Bedingungen, die ich dir stelle, genehm?« Der Prinz erwiderte: »O mein Herr, die Allmacht ist Gottes, und, wenn der Allmächtige mir die Kraft verleiht, den Pakt zu erfüllen, so thue ich es.« Da fuhr der König fort: »Ich habe dir drei Aufgaben zu geben;« und der Prinz versetzte: »Ich bin mit allem, was du bestimmst, zufrieden.« Alsdann ließ der Sultan die Schreiber und Zeugen kommen, die den Pakt mit dem Jüngling aufsetzten und bezeugten, daß er damit zufrieden war; und, als der Jüngling seine Zustimmung und Verpflichtung kund gethan hatte, ließ der König einen Ardebb Sesam, einen Ardebb Kleesamen und einen Ardebb Linsen holen und alle drei Sorten durcheinander mischen, daß sie einen einzigen Haufen bildeten. Dann sagte er zum Prinzen: »Lies jede Sorte während der kommenden Nacht aus, und, wenn der Morgen anbricht und nicht jeder Samen besonders gelegt ist, so haue ich dir den Kopf ab.« Alsdann befahl der König den vermischten Haufen an einen besondern Platz zu schaffen und hieß den Bewerber sich zurückziehen, worauf sich der Prinz allein an jenen Ort begab und neben dem Haufen in tiefen Gedanken versunken dasaß, die Wange auf seine Hand stützend und seines Todes gewiß. Dann erhob er sich wieder und trat an den Haufen, die verschiedenen Sorten auseinanderzulesen, ohne daß er es vermochte; denn, wenn auch zweihunderttausend Menschen zu diesem Werk versammelt worden wären, sie hätten es in keiner Weise ausführen können. Da lehnte er wieder seine Wange auf die rechte Hand und begann zu weinen, bis er nach Verlauf des ersten Drittels der Nachtstunden bei sich sprach: »Jetzt bleibt dir von deinem Leben nur noch der Rest dieser Nacht übrig.« Während er aber seinen Gedanken nachhing, kam mit einem Male ein Heuschreckenheer von jenen, denen er das Mehl auf 49 den Weg gestreut hatte, wie eine Wolke eilends herangezogen, und es war, als wenn sie sprächen: »Fürchte dich nicht und bekümmere dich nicht, denn wir sind hierher zusammen gekommen, um dich zu trösten, und das Weh, in dem du dich befindest, von dir abzuwehren; bekümmere dich daher nicht weiter.« Alsdann machten sie sich daran, jede Sorte Korn auszulesen und für sich zu legen, und, ehe noch eine Stunde verstrichen war, waren alle Sorten an ihren Platz gelegt, während er dasaß und zuschaute. Nach diesem erhoben sich die Heuschrecken und zogen ihres Weges. Als nun der Morgen anbrach, erschien der Sultan und setzte sich in die Regierungshalle, indem er zu den Anwesenden sprach: »Macht euch auf und bringt den Jüngling her, damit wir ihm den Kopf abhauen.« Sie thaten nach seinem Geheiß, als sie jedoch bei dem Jüngling eintraten, fanden sie die verschiedenen Sorten Korn besonders aufgehäuft, so daß sie verwundert sprachen: »Das ist fürwahr ein gewaltig Ding von diesem Jüngling, und niemand von allen, die vor ihm kamen, konnte es thun, wie es auch niemand nach ihm vollbringen wird.« Hierauf führten sie ihn vor den Sultan und sprachen: »O König der Zeit, die Körner sind alle ausgelesen.« Da verwunderte sich der Sultan und befahl ihnen alles vor ihn zu bringen. Als sie das Korn brachten, sah er es erstaunt und erfreut an, jedoch kam er bald wieder zu sich und sprach: »O Jüngling, dir bleiben noch zwei Aufgaben für zwei Nächte übrig; so du sie ausführst, sollst du deinen Wunsch erreichen, gelingt es dir jedoch nicht, so haue ich dir den Kopf ab.« Der Prinz versetzte: »O König der Zeit, die Allmacht ist Gottes, des Einigen, des Allmächtigen.« Als nun die Nacht nahte, öffnete ihm der König eine Cisterne und sprach zu ihm: »Trink' alles Wasser, das sich in ihr befindet, aus und laß keinen Tropfen darin und verschütte auch nichts auf den Boden. Trinkst du alles aus, so sollst du in der That dein Ziel erreichen, vermagst du es jedoch nicht hinunterzuschlucken, so haue ich dir den Kopf ab.« Der Prinz versetzte: »Es giebt 50 keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Alsdann setzte er sich neben den Rand der Cisterne und versank in Gedanken, indem er bei sich sprach: »Weshalb setzest du dein Leben aufs Spiel und ziehst dir wegen deiner Widerspenstigkeit gegen die Gattin deines Vaters die Folgen davon von jenem grausamen König zu? Bei Gott, dies ist nichts als Wahnsinn von dir!« So stützte er seine Wange auf seine linke Hand und tappte mit einem Stock, den er in seiner rechten Hand hielt, wie geistesabwesend auf dem Boden umher und zeichnete Linien, indem er dabei weinte und klagte. Als in dieser Weise das Drittel der ersten nächtigen Stunden verstrichen war, sprach er bei sich: »Nun bleibt von deinem Leben nichts mehr übrig als der Rest dieser Nacht.« Wie er aber so in Gedanken dasaß, kam mit einem Male ein Heer von reißenden Tieren und Raubvögeln herbei, und es war, wie wenn sie sprächen: »Fürchte dich nicht und bekümmere dich nicht, o Jüngling, denn nur ein Dirnensohn übt Verrat an dem Brot; wie du uns zuerst Gutes erwiesest, so wollen wir dich jetzt verhüllen und beschützen; laß daher allen Gram in dieser Sache fahren.« Hierauf scharten sich Tiere und Vögel zusammen, daß sie einer sich senkenden Wolke glichen, und sie folgten einander in endloser Reihe, und jeder trank seinen Teil, bis kein Wasser mehr in der Cisterne übrig geblieben war. Hierauf begannen sie auch die Wände derselben mit ihren Zungen abzulecken, so daß jeder, der die Cisterne sah, sagen mußte, daß sich seit zehn Jahren kein Tropfen Flüssigkeit darin befunden haben könnte. Alsdann zogen alle wieder ihres Weges.

Als nun der Morgen anbrach, erhob sich der König und begab sich aus dem Harem in die Regierungshalle, wo er, nachdem er sich gesetzt hatte, zu einigen der Pagen und Kämmerlinge sagte: »Geht und bringt uns Nachricht in Betreff der Cisterne.« Da begaben sie sich zu ihr und sahen sie sich an, ohne eine Spur von Wasser in ihr zu finden, so daß sie stracks zum König zurückkehrten und es ihm 51 vermeldeten. Der Sultan erstaunte hierüber und seine Sinne verwirrten sich, und er war überzeugt, daß niemand als der Jüngling imstande war seine Tochter zur Frau zu gewinnen. Er befahl ihn zu holen, und, wie sie ihn nun vor ihn führten, begrüßte er den Sultan und betete für ihn wider den gesteinigten Satan und erflehte ihm Gottes Segen. Der Sultan erwiderte ihm den Salâm und sagte: »O Jüngling, nun bleibt dir nur noch eine Aufgabe bei mir übrig; wenn du sie erfüllst, bist du gerettet und hast meine Tochter gewonnen; ist sie dir jedoch zu schwer, so haue ich dir den Kopf ab.« Der Prinz versetzte: »Die Kraft ist Gottes!« Verwundert über diese Worte, sprach der Sultan bei sich: »Preis sei Gott, die Worte und Werke dieses Jünglings sind wunderbar. Was ich ihm auch befehle, er beginnt damit, daß er den Namen Gottes anruft, während die, die vor ihm kamen, mich nichts dergleichen hören ließen. Indessen, die Glücklichen sind die Lieblinge des Schicksals und nimmer betrifft sie ein Unglück.« Als nun die Nacht hereinbrach, sprach der Sultan: »O Jüngling, siehe, das Haus, das hier neben dem Palast steht ist nagelneu, und darinnen befindet sich ein Vorrat von Holz und Balken jeglicher Art, jedoch fehlen ihm Thore und Gitter und die Gemächer sind noch nicht fertiggestellt. Ich wünsche deshalb, daß du es mit Thüren und Fenstern versiehst und die Gemächer herstellst. Ich habe dich mit allem versehen, was du an Schreinersachen und Drechselbänken bedarfst. Du sollst alles in dieser Nacht fertigstellen, und, wenn auch nur das geringste fehlt, und der Morgen anbricht, ohne daß das Verlangte besorgt ist, so haue ich dir den Kopf ab. Dies ist die letzte deiner drei Aufgaben; bist du imstande sie auszuführen, so sollst du deinen Wunsch erreichen, gelingt es dir jedoch nicht, so geht es dir an den Kragen. Dies ist mein letztes Wort.« Hierauf erhob sich der Jüngling und begab sich zu dem unvollendeten Haus, das er größer und prächtiger als den Palast, in dem der König wohnte, fand. Da rief er: »O Schützer, entziehe mir nicht deinen Schutz!« 52 Dann sprach er bei sich, nachdem er sich in Gedanken versunken einsam hingesetzt hatte: »Bei Gott, wann ich zu dieser Stunde etwas fände, das ich essen könnte, um daran zu sterben und von dieser Mühsal und Plage Ruhe zu finden, ich thäte es! Der Morgen soll nicht anbrechen, ehe ich nicht Ruhe gefunden habe, und es soll niemand vom Stadtvolk sich vergnügen und sprechen: »Der Sultan ist jetzt im Begriff diesem Jüngling den Kopf abzuschlagen.« Jedoch sagt das Sprichwort: »Freude, die von Gott kommt, ist näher als die Augenbrauen dem Auge,« und, so der Allmächtige, – Preis ihm, dem Mächtigen und Herrlichen! – etwas über mich verhängt hat, so giebt es kein Entrinnen davon. Überdies hat einer der Weisen gesagt: »Er erlöste mich je und je, und der Allmächtige bringt nahes Glück.« Von jetzt bis zum Anbruch des Morgens kann noch viel vom Herrn geschehen, worin für mich Errettung oder Untergang liegt.« Alsdann versank er in Brüten über seine Lage und überdachte seine Ungezogenheit gegen die Gemahlin seines Vaters, worauf er bei sich sprach: »Der Sklave erwägt und der Herr befiehlt, doch stimmt die Erwägung des Sklaven mit dem Befehl des Herrn nicht überein.« Während er aber in dieser Weise in Sorgen versunken war, vernahm er plötzlich Trommeltamtam, den Lärm von Arbeit und das Hin und Her von Stimmen, während das Haus voll nebelhafter Gestalten war. Und nun rief ihm eine Stimme zu: »O Jüngling, sei frohen Herzens und guter Dinge; fürwahr, wir wollen dir die Güte belohnen, die du uns erwiesest, indem du uns mit deinem Proviant versahst; wir kommen dir in dieser Nacht zu Hilfe, denn die, die dich besuchen und dir helfen, sind Dschânn aus dem Eisenthal.« Hierauf machten sie sich daran die Balken aufzuheben und sie zu bearbeiten, und die einen drechselten, die andern hobelten, während wiederum andere die Thüren grün, rot und gelb anstrichen und malten; dann setzten sie dieselben ein, und ehe noch die Nacht verstrichen war, war alle Arbeit beendet und es 53 gab keinen Königspalast, der ihm an Pracht geglichen hätte.

Als nun der Morgen anbrach und sich der Sultan in seinen Diwan begab, schaute er aus und gewahrte an jenem Gebäude so große Pracht, wie sie an seinem Palast nicht erfunden ward, so daß er staunend sprach: »Bei Gott, die Thaten dieses Jünglings sind wunderbar; hätten die Tischler und Schreiner auch drei Jahre lang hieran gearbeitet, sie würden solch' eine Aufgabe niemals zustande gebracht haben; überdies wissen wir nicht, durch welche Mittel dieser Jüngling imstande gewesen ist die Arbeit auszuführen.« Hierauf ließ er den Prinzen vor sich kommen und kleidete ihn in ein kostbares Ehrenkleid und gab ihm obendrein eine gewaltige Menge Geld, indem er zu ihm sprach: »Fürwahr, o Jüngling, du verdienst es und bist einzig und allein würdig meiner Tochter Gatte zu werden.« Dann befahl der Sultan Amir bin En-Noomân das Eheband zu knüpfen und führte den Bräutigam in Prozession zur Braut, der in ihr einen Schatz fand, von dem der Zauber soeben gelöst war. Die Braut freute sich jedoch noch mehr über ihn, da ihr Vater mir seinen drei Aufgaben den Glauben in ihr erweckt hatte, daß sie niemals verheiratet werden würde, sondern als alte Jungfer sterben müßte, worüber sie sich lange gegrämt hatte. Das junge Paar verweilte bei ihrem Vater dem König noch einen Monat, während welcher Zeit das Lager des Prinzen vor der Stadt aufgeschlagen blieb; und täglich schickte er seinen Pagen und Eunuchen, was sie an Speise und Trank bedurften, hinaus. Als aber der Monat verstrichen war, erbat er sich vom Sultan die Erlaubnis zur Heimkehr in sein Land, und sein Schwiegervater antwortete ihm: »O Jüngling, thu', wie es dir beliebt.« Alsdann stattete er seine Tochter aus, bis alle Vorkehrungen getroffen waren und sie bereit war mir ihren Frauen und Eunuchen abzureisen. Nachdem sich dann der Prinz von seinem Schwiegervater verabschiedet hatte, ließ er seine Lasten aufladen und brach 54 auf nach seinem Heimatland und Königtum, und er reiste Tag und Nacht und zog durch Wadis und über Berge, bis er endlich nach seinem Land gelangte und zwischen ihm und der Residenz seines Vaters nur noch zwei oder drei Märsche lagen. Hier traf er plötzlich auf Leute, und, als er Nachrichten von ihnen einzog, erfuhr er, daß sein Vater in seiner Hauptstadt von einem benachbarten König belagert wurde, der ihn angegriffen hatte, um ihn zu entthronen und sich selber zum Herrscher und Sultan an seiner Statt zu machen. Als er dies vernahm, zog er in Eilmärschen weiter, bis er bei seines Vaters Stadt anlangte, die er so antraf, wie es ihm berichtet worden war. Der alte König war mit all seinen Streitkräften innerhalb der Mauern eingeschlossen und konnte nicht hervorbrechen und den Kampf wagen, da der Feind viel stärker als er selber war. Da schlug der Prinz sein Lager auf und rüstete sich zur Schlacht; und ein Trupp seiner Leute begleitete ihn, während die andern zur Bewachung bei den Zelten zurückblieben. Während nun die beiden Heere in hitzigem und grimmem Gefecht wider einander entbrannten, legte die Prinzessin ihre Wehr an und verhüllte ihr Gesicht mit einem Schleier, worauf sie in Mamlukentracht zu ihrem Gemahl dem Prinzen ins Feld sprengte, den sie von der Menge der Feinde bedrängt antraf. Da sie aber mit allen Waffen meisterlich umzugehen verstand, zog sie ihr Schwert aus der Scheide und attackierte nach rechts und links, bis sich die Sinne aller, die es sahen, verwirrten und ihr Gemahl sich ihr zuneigte und sprach: »Fürwahr, dieser Mamluk gehört nicht zu unsrer Schar.« Sie kämpfte rastlos, bis die Sonne hoch am Himmelsgewölbe stand, worauf sie sich entschloß, die Banner und Fahnen anzugreifen, die nach echt königlicher Art rings um den feindlichen Sultan flatterten. Zunächst schlug sie den alten Bannerträger zu Boden und dann wendete sie sich gegen den König und attackierte ihn, indem sie ihm einen so starken Streich mit der flachen Klinge versetzte, daß er vor Schreck vom Pferde fiel. Als aber sein Heer ihn vom 55 Pferd abgeworfen auf dem Boden liegen sah, suchte es sein Heil in der Flucht, da sie ihn für tot hielten, worauf sie abstieg und ihm die Ellbogen auf dem Rücken fesselte und seine Vorderarme an die Seiten band; dann band sie ihn an sein Pferd und legte ihn wie einen gemeinen Gefangenen in Stricke. So übergab sie ihn ihrem Gatten, der sie immer noch nicht erkannte und verließ das Feld. Im Lager angelangt, trat sie in ihr Zelt, wo sie ihren Anzug wechselte und wieder Frauenkleider anlegte. Alsdann setzte sie sich nieder und wartete auf den Prinzen, der den gefangenen König in die Stadt führte, deren Thore er offen stehen fand. Sein Vater zog ihm entgegen und begrüßte ihn, wiewohl er ihn nicht erkannte, sondern bei sich sprach: »Ich muß den Ritter aufsuchen, der uns zur Hilfe kam.« Da fragte der Prinz: »O mein Vater, erkennst du mich nicht?« Der König versetzte: »Junger Mann, ich kenne dich nicht.« Als dann der Prinz sagte: »Ich bin dein Sohn So und So,« warf sich ihm der König, kaum daß er seinen Namen vernommen hatte, auf ihn und schlang die Arme um seinen Nacken, wie einer, der nahe daran ist vor Freude seinen Verstand zu verlieren. Nach einer Weile kam er wieder zu sich und fragte den gefangenen König, ihn anschauend: »Was bewog dich hierher zu kommen, um mir das Reich entreißen zu wollen?« Der andere König antwortete ihm demütig und bat ihn um Gnade, indem er versprach sich nicht wieder gegen ihn zu vergehen, und so ließ er ihn los und befahl ihm seines Weges zu gehen. Nach diesem verließ ihn der junge Prinz und ließ seinen Harem, seine Pagen und sein ganzes Geleit in die Stadt ziehen; dann setzten sie sich in das Frauengemach, und der Prinz unterhielt sich mit seiner Gemahlin über ihre Reise und die Mühsale und Strapazen derselben. Schließlich fragte ihn die Prinzessin: »O mein Herr, was ist aus dem König geworden, der deinen Vater in seiner Residenz belagerte und ihm das Reich entreißen wollte?« Der Prinz versetzte: »Ich machte ihn zum Gefangenen und übergab ihn meinem Vater, 56 der seine Entschuldigung annahm und ihn seines Weges ziehen ließ.« Da fragte sie: »Warst du es selber, der ihn gefangen nahm?« Er entgegnete: »Ja gewiß, keiner als ich machte ihn zum Gefangenen.« Da sagte sie: »Es geziemt dir nicht nach deinem Vater Herrscher und Sultan zu werden.« Nun fragte er: »Wieso und weshalb nicht?« Sie erwiderte: »Weil eine Lüge den Sprecher schändet und entehrt, und du dich als Lügner erwiesen hast.« Da fragte der Prinz: »Was beweist dir, daß ich log?« Sie antwortete: »Du behauptest den König gefangen genommen zu haben, während es doch ein andrer war, der es that und ihn dir übergab.« Nun fragte er: »Und wer war es denn?« Sie versetzte: »Ich weiß es nicht, jedoch sah ich ihn.« Da fragte der Prinz so lange, bis sie schließlich gestand, sie hätte das Heldenstück selber verrichtet. Der Prinz freute sich deshalb mächtig über sie, und nun zogen die beiden im Triumph in die geschmückte Stadt ein, und die allgemeine Freude wuchs. Seine Stiefmutter aber, die Gattin seines Vaters, des Sultans von Sind, ward dadurch, daß er die Herrin Fâtime, die Tochter des Sultans Amir bin en-Noomân, geheiratet hatte, so mit ihm ausgesöhnt, daß beide ihren Streit vergaßen und hernach dauernd in Eintracht und Glück lebten.

 


 


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