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Tausend und eine Nacht. Band VI
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Níame und Noam.

Man erzählt – doch Gott ist allwissend – daß einmal in der Stadt Kûfa ein Mann lebte, der zu den angesehensten Leuten der Stadt gehörte und Er-Rabîa, der Sohn des Hâtim, hieß. Derselbe war reich an Geld und in guter Lage, und außerdem war ihm ein Knabe geschenkt, den er Níamet AllāhHuld Gottes. Man läßt häufig den zweiten Teil des Namens fort, wodurch die Aussprache des Schluß-t fortfällt. genannt hatte. Während er nun eines Tages auf dem Sklavenmarkt saß, sah er mit einem Male, wie eine Sklavin zum Verkauf ausgeboten wurde, welche auf dem Arm ein kleines Mädchen von wunderbarer Schönheit und 48 Anmut hielt. Da gab er dem Sklavenhändler einen Wink und fragte ihn: »Wie teuer ist diese Sklavin und ihre Tochter?« Der Sklavenhändler antwortete: »Fünfzig Dinare.« Da sagte Er-Rabîa: »Schreib den Kontrakt, nimm das Geld und gieb es ihrem Herrn.« Nachdem er dann dem Makler den Kaufpreis der Sklavin eingehändigt und ihm seine Maklergebühren gegeben hatte, nahm er die Sklavin und ihr Töchterchen und ging mit ihnen nach Hause. Als nun seine Base die Sklavin sah, fragte sie ihn: »Vetter, was soll diese Sklavin?« Er antwortete: »Ich habe sie aus Gefallen an dieser Kleinen da auf ihrem Arm gekauft. Wisse, wenn sie erwachsen ist, so giebt's in ganz Arabien und Persien kein Mädchen ihr gleich oder gar holdseliger.« Da fragte sie die Sklavin: »Wie ist dein Name, Sklavin?« Und diese antwortete: »Meine Herrin, ich heiße Taufîk.« Nun fragte sie weiter: »Und wie heißt dein Töchterchen?« Sie antwortete: »Saad.« Da sagte sie: »Du hast wahr gesprochen, denn beglückt bist du, und beglückt ist, wer dich gekauft hat.« Dann wendete sie sich zu ihrem Manne und fragte ihn: »Mein Vetter, wie wirst du sie heißen?« Er erwiderte: »So wie du es willst.« Da sagte sie: »So wollen wir sie NoamEine Umschreibung für Saad, damit der Name mit dem ihres Söhnchens übereinstimmte. heißen.« Und Er-Rabîa versetzte: »Das kann nichts schaden.«

Hierauf wurde die kleine Noam mit Níame, dem Sohn des Er-Rabîa, in einer Wiege aufgezogen, bis sie ihr zehntes Jahr erreicht hatten, und einer schöner als der andere geworden war; und der Knabe pflegte sie »meine Schwester«, und sie ihn »mein Bruder« zu rufen, bis Er-Rabîa einmal zu seinem Sohne Níame, als er dieses Alter erlangt hatte, sagte: »Mein Sohn, Noam ist nicht deine Schwester, sondern deine Sklavin, die ich in deinem Namen kaufte, als du noch in der Wiege lagst; sag' daher zu ihr vom heutigen Tage an nicht mehr ›meine Schwester‹.« Da sagte Níame zu seinem Vater: »Wenn es sich so verhält, so will ich sie heiraten.« 49 Dann ging er zu seiner Mutter und sagte ihr dieses, und seine Mutter sagte: »Mein Sohn, sie ist deine Sklavin.« So heiratete er sie denn und liebte sie, und es vergingen vier Jahre darüber. In ganz Kûfa fand sich kein schöneres, süßeres und feineres Mädchen, und als sie heranwuchs, studierte sie den Koran und die Wissenschaften, verstand mancherlei Musikinstrumente zu spielen und sang außerdem herrlich, so daß sie alle Leute ihrer Zeit übertraf.

Wie sie nun eines Tages mit ihrem Gatten Níame, dem Sohn des Rabîa, im Weinzimmer saß, griff sie zur Laute, spannte ihre Saiten und sang die beiden Verse:

So lange du mein Gebieter bist, durch dessen Huld ich lebe,
Und mein Schwert, mit dem ich des Unheils Nacken zerhaue,
Brauch' ich weder zu Seid noch AmrD. h. zu einem beliebigen. noch sonst wen meine Zuflucht zu nehmen,
Wenn meine Wege mir eng sind.

Níame geriet durch diese Verse in das höchste Entzücken und sagte: »Bei meinem Leben, o Noam, sing' uns noch ein Lied zum Tamburin oder sonst welchem Instrument.« Da sang sie in entzückender Melodie noch folgende Verse:

»Bei deinem Leben, des Hände meinen Zügel halten,
Ich werde meinen Neidern in der Liebe nicht gehorchen.
Meine Tadler will ich erzürnen und allein dir folgen,
Will fliehen meine Lust und meinen Schlummer
Und will dir graben ein Grab in meines Innern Gehege,
Ohne daß mein Herz es gewahrt.«

Da sagte der Jüngling: »Wie bist du von Gott gesegnet, o Noam!« Während sie in dieser Weise das schönste Leben führten, sprach aber El-Hadschâdsch im viceköniglichen Palast: »Ich muß unbedingt eine List ersinnen, wie ich diese Sklavin Noam in die Hand bekommen und dem Fürsten der Gläubigen Abd el-Melik, dem Sohn des Merwân, schicken kann, da kein Mädchen in seinem Schlosse gefunden wird, das so hübsch wie sie ist und ebensogut singt.« Darauf ließ er eine 50 alte Beschließerin rufen und befahl ihr: »Begieb dich zur Wohnung des Er-Rabîa, besuche dort die Sklavin Noam und suche Mittel und Wege sie in die Hand zu bekommen, da ihresgleichen auf der ganzen Erde nicht mehr gefunden wird.« Die Alte willigte in El-Hadschâdsch' Worte ein und kleidete sich am nächsten Morgen in Wolle, legte um ihren Nacken einen Rosenkranz mit tausenden von Kugeln, –

Zweihundertundachtunddreißigste Nacht.

nahm einen Stab und einen kleinen jemenischen Wasserschlauch in die Hand und machte sich auf den Weg, indem sie fortwährend rief: »Preis sei Gott! Lob sei Gott! Es giebt keinen Gott außer Gott! Gott ist groß! Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« So pries und lobte sie Gott ununterbrochen aus einem Herzen voll Arglist und Tücke, bis sie zur Wohnung Níames, des Sohnes des Er-Rabîa, zur Zeit des Mittagsgebets kam und an die Thür pochte, worauf der Pförtner die Thür öffnete und sie fragte: »Was willst du?« Sie entgegnete: »Ich bin eine Arme und gehöre zu den Frommen; ich bin von der Zeit des Mittagsgebetes überrascht und möchte deshalb an diesem gesegneten Ort beten.« Da sagte der Pförtner zu ihr: »Alte, dies ist das Haus Níames, des Sohnes des Er-Rabîa, und ist weder ein Gotteshaus noch ein Betplatz.« Die Alte erwiderte: »Ich weiß, daß weder ein Gotteshaus noch ein Betplatz dem Hause Níames, des Sohnes des Er-Rabîa, gleicht. Ich bin eine Beschließerin aus dem Palaste des Fürsten der Gläubigen und bin ausgezogen, um Gott zu dienen und eine Wallfahrt zu unternehmen.« Der Pförtner antwortete ihr jedoch von neuem: »Du darfst nicht hinein,« und es fielen der Worte viel zwischen ihnen, bis sich die Alte an ihn hängte und sagte: »Soll eine Frau wie ich, die zu den Häusern der Emire und Großen Zutritt hat, nicht das Haus Níames, des Sohnes des Er-Rabîa, betreten dürfen?« Da kam Níame heraus, und, da er ihre 51 Worte hörte, lachte er und befahl ihr, ihm zu folgen. Dann ging er wieder ins Haus, und die Alte folgte ihm, bis er mit ihr bei Noam eintrat. Nachdem die Alte sie mit ihrem schönsten Gruß begrüßt hatte, sprach sie zu ihr, ihre Schönheit bewundernd: »Meine Herrin, ich empfehle dich in Gottes Schutz, der dir einen gleich schönen und anmutigen Gatten gegeben hat.« Darauf stellte sich die Alte in die Gebetsnische, verbeugte sich in einem fort und warf sich nieder und betete, bis der Tag vergangen war und die Nacht mit ihrem Dunkel hereinbrach. Da sagte Noam: »Ach, Mutter, ruhe doch deine Füße eine Weile aus.« Die Alte entgegnete jedoch: »Meine Herrin, wer das Jenseits erstrebt, der ermüdet sich hienieden, wer sich aber hienieden nicht ermüdet, erlangt auch nicht die Wohnungen der Reinen im Jenseits.« Alsdann setzte Noam der Alten eine Mahlzeit vor und sagte zu ihr: »Iß von meinem Mahl und bete für mich um Gottes Gnade und Barmherzigkeit.« Doch die Alte entgegnete: »Meine Herrin, ich faste. Du aber bist ein junges Mädchen, Essen, Trinken und Lustigsein steht dir gut an, und Gott wird dich in Gnaden annehmen. Hat doch Gott, der Erhabene, gesagt: »Ausgenommen, wer bereut und glaubt und ein gutes Werk thut.«Koran 25, 70. Ergänze: sollen bestraft werden. So saß das Mädchen mit der Alten plaudernd da, bis es nach einer Weile zu ihrem Herrn sagte: »Mein Herr, beschwöre doch diese Alte, daß sie längere Zeit bei uns bleibt, denn die Frömmigkeit strahlt von ihrer Stirn.« Und Níame entgegnete ihr: »Mach' für sie ein Zimmer zum Gottesdienst zurecht und laß niemand zu ihr herein, vielleicht gewährt uns Gott, – Preis Ihm, dem Erhabenen! – aus dem Segen ihrer Gegenwart Nutzen und trennt uns niemals.«

Hierauf verbrachte die Alte die Nacht über in Gebet und Recitation bis zum Morgen; als aber der Tag anbrach, trat sie bei Níame und Noam ein, wünschte ihnen guten Morgen 52 und sagte zu ihnen: »Ich empfehle euch in Gottes Schutz.« Da fragte sie Noam: »Wohin willst du, meine Mutter? Mein Herr hat mir befohlen dir ein Zimmer zurechtzumachen, in welchem du dich ganz dem Gottesdienst hingeben kannst.« Die Alte erwiderte darauf: »Gott schenke ihm langes Leben und lasse seine Huld dauern gegen euch! doch wünschte ich von euch, ihr gäbet dem Pförtner den Auftrag, mich nicht abzuweisen, wenn ich euch zu besuchen komme. So Gott will, der Erhabene, mache ich die Runde an den heiligen Orten und bete für euch Tag und Nacht am Schluß meiner Gebete und meiner Andacht.« Nach diesen Worten verließ die Alte das Haus, während Noam über die Trennung von ihr weinte, ohne den Grund zu ahnen, um dessentwillen die Alte zu ihr gekommen war. Die Alte aber begab sich nun wieder zu El-Hadschâdsch, welcher sie fragte: »Was bringst du?« Sie antwortete ihm: »Ich besah mir das Mädchen und fand, daß die Weiber kein schöneres in ihrer Zeit geboren haben.« Da sagte El-Hadschâdsch zu ihr: »Wenn du meinen Befehl ausrichtest, so sollst du dafür von mir aufs reichlichste belohnt werden.« Darauf bat ihn die Alte um die Frist eines vollen Monats. und El-Hadschâdsch entgegnete: »Ich bewillige dir einen Monat.« Und von nun an begann die Alte das Haus Níames und seines Mädchens Noam fort und fort zu besuchen, –

Zweihundertundneununddreißigste Nacht.

während beide ihr immer größere Aufmerksamkeiten erwiesen, und stellte sich, allen im Hause willkommen, morgens und abends ein, bis sie eines Tages mit Noam allein war und nun zu ihr sagte: »Meine Herrin, bei Gott, wenn ich bei den heiligen Stätten bin, will ich für dich beten; doch wünschte ich wohl, du begleitetest mich und sähest die dorthin kommenden Scheiche. welche dir, was du nur begehrst, erbitten würden.« Da sagte Noam zu ihr: »Um Gott, meine Mutter, nimm mich mit dir mit.« Die Alte entgegnete ihr darauf: »Bitte deine Schwiegermutter um Erlaubnis, ich 53 will dich dann mitnehmen.« Da bat Noam ihre Schwiegermutter, Níames Mutter: »Meine Herrin, bitte meinen Herrn, daß er mich und dich einmal mit meiner Mutter, der Alten hier, ausgehen läßt, um mit den Fakiren an den heiligen Stätten zu beten und Gott anzurufen.« Als dann Níame nach Hause kam und sich setzte, trat die Alte an ihn heran und wollte ihm die Hände küssen, während er es ihr wehrte. Da segnete sie ihn und verließ sein Haus. Am andern Tage aber kam sie wieder, als Níame nicht zu Hause war, und sagte zu Noam: »Wir haben gestern für euch gebetet, doch komm jetzt, dich zu vergnügen, damit du, bevor dein Herr kommt, wieder zu Hause bist.« Da sagte das Mädchen zu ihrer Schwiegermutter: »Ich beschwöre dich bei Gott, gieb mir Erlaubnis mit dieser rechtschaffenen Frau auszugehen und dem Gebet der Heiligen Gottes an den hehren Stätten beizuwohnen. Ich werde schnell wieder heimkehren, bevor mein Herr kommt.« Níames Mutter entgegnete ihr: »Ich fürchte, dein Herr könnte es erfahren,« doch nun sagte die Alte: »Ich lasse sie sich nicht auf die Erde setzen, sie soll auf ihren Füßen stehend zuschauen und sich nicht versäumen.« So nahm sie das Mädchen mit List mit sich und begab sich mit ihr zu El-Hadschâdsch' Schloß, wo sie Noam in ein Gemach sperrte und ihm dann davon Mitteilung machte. Da begab sich El-Hadschâdsch zu ihr und besah sie sich und fand in ihr das schönste Mädchen seiner Zeit, das seinesgleichen nicht hatte. Als aber Noam ihn erblickte, verhüllte sie ihr Gesicht, während er so lange bei ihr blieb, bis auf seinen Ruf sein Kämmerling erschien, dem er Befehl gab mit fünfzig Mann aufzusitzen, das Mädchen auf ein schnellfüßiges und edles Dromedar zu setzen, mit ihr nach Damaskus zu reiten und sie dem Fürsten der Gläubigen Abd el-Melik, dem Sohn des Merwân, zu übergeben. Außerdem schrieb er noch einen Brief an ihn und sagte, ihm denselben überreichend: »Übergieb ihm dieses Schreiben, nimm die Antwort darauf in Empfang und kehre dann schnell wieder zu mir zurück.« Infolgedessen 54 nahm der Kämmerling das Mädchen, setzte es auf ein Dromedar und zog mit ihr nach Damaskus, während sie über die Trennung von ihrem Herrn Thränen vergoß. In Damaskus angelangt, erbat sich der Kämmerling vom Fürsten der Gläubigen die Erlaubnis zu einer Audienz und trat, nachdem sie ihm gewährt war, bei ihm ein und teilte ihm das auf die Sklavin bezügliche mit, worauf der Chalife ihr ein eigenes Gemach anwies. Hernach begab er sich in seinen Harem, wo er zu seiner Gattin sagte: »El-Hadschâdsch hat mir eine Sklavin von den Prinzessinnen Kûfas für zehntausend Dinare gekauft und mir dieselbe mit diesem Schreiben geschickt.« Seine Gattin erwiderte ihm darauf:

Zweihundertundvierzigste Nacht.

»Gott vermehre seine Huld gegen dich!« Darauf begab sich die Schwester des Chalifen zu dem Mädchen und sagte zu ihr, als sie sie erblickte: »Bei Gott, der, in dessen Haus du bist, wird nicht enttäuscht, wäre dein Preis auch hunderttausend Dinare gewesen.« Da fragte Noam: »O du mit dem freundlichen Gesicht, welchem König gehört dieses Schloß, und was ist dies für eine Stadt?« Sie antwortete ihr: »Diese Stadt ist Damaskus und dieses Schloß gehört meinem Bruder, dem Fürsten der Gläubigen Abd el-Melik, dem Sohn des Merwân. Weißt du dies denn nicht?« Noam erwiderte: »Bei Gott, meine Herrin, ich wußte es nicht.« Da fragte die Schwester des Chalifen: »Hat denn der, welcher dich verkauft und das Geld für dich genommen hat, dir nicht gesagt, daß dich der Chalife gekauft hat?« Als Noam dies hörte, liefen ihr die Thränen aus den Augen, und weinend sprach sie bei sich: »Man hat mich überlistet, sage ich's aber, so wird es mir niemand glauben; ich will mich darum in Geduld ergeben, denn ich weiß, daß Gottes Trost nahe ist.« Darauf senkte sie verlegen, im Gesicht von der Reise und der Sonne gerötet, das Haupt zu Boden, und die Schwester des Chalifen ließ sie für diesen Tag allein. Am 55 andern Tage aber brachte sie ihr einen Anzug und Edelsteinhalsbänder und kleidete sie, worauf der Chalife sie besuchte und sich an ihre Seite setzte, während seine Schwester zu ihm sagte: »Schau dir dieses Mädchen an, das Gott mit vollkommener Schönheit und Anmut geschmückt hat.« Da sagte der Chalife zu Noam: »Nimm den Schleier vom Gesicht;« sie aber hob ihn nicht auf, und er sah nur ihre Handgelenke. Doch verliebte er sich schon durch den Anblick derselben in sie und sagte zu seiner Schwester: »Ich will sie erst wieder nach drei Tagen besuchen, bis sie mit dir vertraut geworden ist.« Darauf stand er auf und verließ sie, während Noam in Gedanken versunken über ihr Schicksal und seufzend über die Trennung von ihrem Herrn Níame zurückblieb. Zur Nacht verfiel sie in ein hitziges Fieber und aß und trank nicht, so daß ihr Gesicht fahl wurde und ihre Schönheit schwand. Als man dies dem Chalifen mitteilte, bekümmerte er sich schwer und besuchte sie mit den Ärzten und Sachkundigen, doch vermochte sie keiner gesund zu machen.

Soviel, was Noam anlangt. Als nun ihr Herr Níame wieder heimgekehrt war und sich auf sein Bett gesetzt hatte, rief er nach Noam, doch erhielt er von ihr keine Antwort. Da sprang er auf und rief laut, doch kam niemand zu ihm herein, da sich alle Sklavinnen im Hause aus Furcht vor ihm versteckt hatten. Infolgedessen ging Níame zu seiner Mutter heraus, welche er, die Wange in ihre Hand gestützt, antraf. Auf seine Frage: »Mutter, wo ist Noam?« antwortete sie ihm: »Mein Sohn, sie ist bei einer zuverlässigeren Frau als ich es bin, bei der frommen alten Frau. Sie ging mit ihr aus, um die Fakire zu besuchen und dann wieder heimzukehren.« Da sagte Níame: »Seit wann ist denn das ihre Gewohnheit? Wann ist sie ausgegangen?« Seine Mutter antwortete: »Sie ging heute früh fort.« »Und wie,« erwiderte er, »konntest du ihr das erlauben?« Seine Mutter entgegnete: »Ach, mein Sohn, sie hat mich selber dazu 56 überredet.« Da rief Níame: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen!« Dann ging er verstört hinaus und begab sich zum Polizeiobersten, zu dem er sagte: »Willst du mir Fallen legen und mir meine Sklavin aus dem Hause entführen? Ich muß zum Fürsten der Gläubigen und bei ihm darüber Klage führen.« Da fragte der Polizeioberst: »Wer hat sie denn entführt?« Níame antwortete: »Ein altes Weib, das so und so aussieht; sie trägt wollene Kleidung und hat in der Hand einen Rosenkranz mit tausenden von Kugeln.« Da sagte der Polizeioberst: »Verschaffe mir die Alte, so will ich dir dein Mädchen wieder befreien.« Níame entgegnete: »Wer soll denn die Alte kennen?« worauf der Polizeioberst versetzte: »Und wer außer Gott – Preis Ihm, dem Erhabenen! – soll das Verborgene kennen?« Doch wußte der Polizeioberst ganz genau, daß El-Hadschâdsch die Hexe ausgeschickt hatte. Nun sagte Níame zu ihm: »Nur von dir verlange ich mein Mädchen, und El-Hadschâdsch soll zwischen mir und dir richten,« und der Polizeioberst versetzte: »Geh, zu wem du willst.« Darauf begab sich Níame zu El-Hadschâdsch ins Schloß. Da aber Níames Vater zu den Großen Kûfas gehörte, begab sich der Kämmerling nach Níames Erscheinen zu El-Hadschâdsch und teilte ihm sein Anliegen mit, worauf El-Hadschâdsch zu ihm sagte: »Her mit ihm!« Wie er nun vor ihm stand, fragte ihn El-Hadschâdsch: »Was giebt's?« Und Níame antwortete: »So und so ist mir's ergangen;« da befahl El-Hadschâdsch: »Bringt mir den Polizeiobersten her; wir wollen ihm befehlen nach der Alten Nachforschungen anzustellen.« Als dann der Polizeioberst erschien, sagte er zu ihm: »Ich wünsche, daß du nach der Sklavin Níames, des Sohnes des Er-Rabîa, Nachforschungen anstellst.« Der Polizeioberst erwiderte: »Nur Gott, der Erhabene, weiß das Verborgene.« Da sagte El-Hadschâdsch: »Du mußt mit Berittenen ausziehen und nach dem Mädchen auf den Straßen und in den Städten suchen und Nachforschungen anstellen.« 57

Zweihundertundeinundvierzigste Nacht.

Alsdann wendete er sich zu Níame und sagte zu ihm: »Wenn dein Mädchen nicht wiederkommt, so gebe ich dir zehn Sklavinnen aus meinem Haus und noch zehn aus dem Hause des Polizeiobersten dazu.« Hierauf sagte er zum Polizeiobersten: »Geh' fort und such' nach dem Mädchen,« worauf der Polizeioberst hinausging. Níame aber verzweifelte in seinem Kummer fast am Leben, wiewohl er erst vierzehn Jahre alt war und ihm der Flaum noch nicht auf den Wangen sproßte. Er weinte und wehklagte, mied das Haus und weinte die ganze Nacht über bis zum Morgen, als sein Vater zu ihm kam und sagte: »Mein Sohn, El-Hadschâdsch hat dem Mädchen eine Falle gestellt und sie dir genommen, doch von Stunde zu Stunde bringt Gott Trost.« Da grämte sich Níame noch mehr, so daß er nicht mehr wußte, was er sprach und keinen, der ihn besuchte, erkannte. Drei Monate lang lag er krank, bis er ganz zusammengefallen war und sein Vater an seinem Leben verzweifelte. Die Ärzte aber, die zu ihm kamen, sagten: »Sein einziges Heilmittel ist das Mädchen.«

Eines Tages nun, als sein Vater dasaß, hörte er von einem geschickten persischen Arzt, den ihm die Leute als gründlichen Kenner der Medizin, Astrologie und Geomantie beschrieben. Infolgedessen ließ ihn Er-Rabîa rufen; als er erschien, lud er ihn ein an seiner Seite Platz zu nehmen, erwies ihm Höflichkeiten und sagte zu ihm: »Schau dir meines Sohnes Zustand an.« Da sagte der Perser zu Níame: »Gieb deine Hand her.« Als dieser ihm die Hand hinhielt, fühlte er ihm den Puls und sah ihm ins Gesicht. Dann wendete er sich lachend zu seinem Vater und sagte: »Deines Sohnes Krankheit sitzt nirgends anders als in seinem Herzen.« Er-Rabîa entgegnete: »Du sprichst die Wahrheit, Hakîm, doch nun erwäge meines Sohnes Fall mit deinen Kenntnissen genau und teile mir alles über seinen Zustand mit, ohne das Geringste zu verheimlichen.« Da sagte der Perser: »Dein 58 Sohn ist in ein Mädchen verliebt, das jetzt in Basra oder Damaskus weilt, und das einzige Heilmittel für ihn besteht in der Vereinigung mit ihr.« Nun sagte Er-Rabîn: »Kannst du die beiden zusammenbringen, so will ich dich so reich lohnen, daß du dich freuen sollst, und sollst du dein ganzes Leben lang in Reichtum und Hülle und Fülle leben.« Der Perser entgegnete darauf: »Die Sache ist bald geschehen und ist leicht.« Dann wendete er sich zu Níame und sagte zu ihm: »Befürchte nichts, sei guten Mutes und kühlen Auges.« Darauf sagte er zu Er-Rabîn: »Hole viertausend Dinare von deinem Geld hervor.« Da holte er sie hervor und händigte sie dem Perser ein, der nun zu ihm sagte: »Ich will mit deinem Sohne nach Damaskus reisen; so Gott, der Erhabene, will, komme ich nur mit dem Mädchen wieder zurück.« Alsdann wendete er sich wieder zu dem Jüngling und fragte ihn: »Wie heißest du?« Er antwortete: »Níame.« Da sagte er zu ihm: »Níame, setz' dich aufrecht und vertrau auf Gott; Gott wird dich gewißlich mit deinem Mädchen wieder vereinigen.« Wie er sich nun aufrecht hingesetzt hatte, sagte er zu ihm: »Festige dein Herz, denn noch heute werden wir abreisen; iß, trink' und sei froh, daß du dich zur Reise stärkst.« Hierauf fing der Perser an alle seine Bedürfnisse zu besorgen, ließ sich von seinem Vater noch sechstausend Dinare auszahlen und von ihm Pferde, Kamele und, was sonst zum Fortschaffen der Lasten erforderlich war, stellen. Alsdann nahm Níame von seinem Vater und seiner Mutter Abschied und reiste mit dem Hakîm nach Aleppo, ohne daselbst irgend etwas von dem Mädchen zu hören. Von Aleppo gelangten sie dann nach Damaskus, wo sie sich drei Tage verweilten. Am vierten aber mietete sich der Perser einen Laden, und stellte auf dessen Simse kostbares Porzellangeschirr und Deckel; dann verzierte er die Regale mit Gold und wertvollen Stoffen, stellte vor sich Phiolen mit allerlei Salben und Tränken, setzte rings um die Phiolen krystallene Becher und stellte das Astrolabium vor sich. Hierauf kleidete er sich in die Tracht der 59 Ärzte und stellte Níame als seinen Gehilfen an, nachdem er ihn in ein Hemd und einen seidenen Überwurf mit einem seidenen golddurchwirkten Schurz gekleidet hatte, wobei er zu ihm sagte: »Níame, von heute ab bist du mein Sohn; rufe mich daher nicht anders als ›Vater‹, und ich will dich nur noch ›Sohn‹ rufen.« Níame antwortete darauf: »Ich höre und gehorche.«

Bald darauf lief das Volk von Damaskus vor dem Laden des Persers zusammen, um Níames Schönheit zu schauen und den prächtigen Laden mit all seinen Sachen zu bewundern, während der Perser sich mit Níame nur noch auf Persisch unterhielt, da Níame dasselbe, wie es der Brauch bei vornehmer Leute Kindern war, gelernt hatte.Noch heute wird die wohllautende persische Sprache bis Hindustan als das Französisch des Orients gesprochen. Nicht lange, so war der Perser in Damaskus in aller Leute Mund, und die Leute kamen zu ihm und beschrieben ihm ihre Schmerzen, während er ihnen die Medizinen gab; außerdem brachte man ihm auch Flaschen mit dem Urin der Kranken, und er beschaute ihn und gab dann die Krankheit an, worauf die Kranken sagten: »Fürwahr, dieser Arzt spricht die Wahrheit.« Wie er nun in dieser Weise die Anliegen der Leute erledigte und das Volk von Damaskus bei ihm zusammenlief und sein Ruf sich in der ganzen Stadt und in den Häusern der Großen verbreitete, kam eines Tages, als er im Laden dasaß, auch eine Alte auf einem Esel mit einem edelsteinbesetzten Sattel aus Goldbrokat herangeritten. Bei dem Laden des Persers hielt sie an, indem sie die Zügel des Esels anzog und sagte zu dem Perser, ihm zuwinkend: »Gieb mir deine Hand.« Da reichte er ihr die Hand, und nun stieg sie vom Esel herunter und fragte ihn: »Bist du der persische Arzt aus dem Irâk?« Als der Perser es bejahte, sagte sie: »Wisse, ich habe eine kranke Tochter;« darauf holte sie eine Flasche hervor und überreichte sie ihm. Wie nun der Perser den Inhalt der Flasche sah, fragte er sie: »Meine Herrin, wie heißt das 60 Mädchen, daß ich ihren Stern berechnen kann und weiß, welche Stunde für sie zum Einnehmen der Medizin am besten paßt?«Bei dieser Berechnung wurden für die Buchstaben des Namens die entsprechenden Zahlenwerte eingesetzt. Da sagte die Alte: »Bruder Perser, ihr Name ist Noam.«

Zweihundertundzweiundvierzigste Nacht.

Nun fing der Perser an zu rechnen und auf seiner Hand zu schreiben, bis er zu ihr sagte: »Meine Herrin, ich verordne ihr nicht eher eine Medizin, als ich weiß, aus welchem Lande sie stammt um des veränderten Klimas willen. Gieb mir also an, in welchem Lande sie aufwuchs und wie alt sie ist.« Da sagte die Alte: »Sie ist vierzehn Jahre alt, und Kûfa im Irâk ist das Land, in welchem sie erzogen wurde.« Nun fragte er weiter: »Und wie viele Monate hat sie hier zugebracht?« Und die Alte erwiderte: »Sie weilt erst seit wenig Monden hier.« Als aber Níame die Worte der Alten vernahm und den Namen des Mädchens hörte, klopfte ihm das Herz, während der Perser zur Alten sagte: »Die und die Medizin muß sie trinken.« Da sagte die Alte: »So gieb mir, was du unter Gottes, des Erhabenen, Segen verordnest,« und warf ihm zehn Dinare auf den Ladentisch.« Während nun der Perser Níame anschaute und ihm befahl die Drogen für ihre Medizin zurecht zu machen, betrachtete die Alte Níame und sagte: »Ich empfehle dich in Gottes Schutz, mein Sohn, siehe, du gleichst ihr ganz in deinem Äußern.« Dann fragte sie den Perser: »Bruder Perser, ist dies dein Mamluk oder dein Sohn?« Und der Perser antwortete ihr: »Es ist mein Sohn.« Nachdem aber Níame ihre Medizin in eine Schachtel gepackt hatte, nahm er ein Blatt und schrieb folgende beiden Verse darauf:

Schenkt Noam nur einen ihrer Blicke mir,
So kehr' ich mich weder an Soadās noch Dschumls Huld.
Sie sprachen zu mir: Laß Noam und nimm zwanzig andre für sie;
Doch giebt es keine, die Noam gliche, und nimmer vergeß' ich sie. 61

Darauf versteckte er das Papier in der Schachtel, versiegelte dieselbe und schrieb auf ihren Deckel in kufischer Schrift: Ich bin Níame, der Sohn des Er-Rabîa, aus Kufa. Alsdann stellte er die Schachtel vor die Alte, und die Alte nahm sie und machte sich, nachdem sie sich von beiden verabschiedet hatte, zum Schlosse des Fürsten der Gläubigen auf. Als sie mit der Medizin zu dem Mädchen gekommen war, stellte sie die Schachtel vor sie und sagte zu ihr: »Meine Herrin, wisse, in unsere Stadt ist ein persischer Arzt gekommen, wie ich noch keinen in allen Krankheitssachen geschickteren sah. Nachdem er die Flasche gesehen hatte, sagte ich ihm nur deinen Namen, und da wußte er auch schon deine Krankheit und verschrieb dir eine Medizin. Dann befahl er seinem Sohn dieselbe zu verpacken, und er verpackte sie dir, und es giebt in ganz Damaskus keinen schöneren, feineren und hübscher gekleideten jungen Mann als ihn und auch keinen Laden, der so schön wie der seinige ist.« Da nahm Noam die Schachtel und sah den Namen ihres Herrn und den seines Vaters auf ihrem Deckel geschrieben. Und als sie dies sah, verfärbte sie sich und sprach: »Es ist kein Zweifel, der Inhaber des Ladens ist um meinetwillen gekommen.« Alsdann sagte sie zur Alten: »Beschreibe mir doch den Knaben,« und die Alte entgegnete: »Sein Name ist Níame; er hat auf der rechten Braue eine Narbe, trägt kostbare Kleider und ist von vollkommener Schönheit.« Da sagte das Mädchen: »Reiche mir die Medizin mit Gottes, des Erhabenen, Segen und Hilfe.« Dann nahm sie die Medizin, trank sie und sagte lachend zur Alten: »Das ist eine gesegnete Medizin.« Alsdann durchsuchte sie die Schachtel, bis sie das Papier sah, worauf sie es öffnete und las, und wie sie nun den Inhalt begriff, wußte sie, daß ihr Herr es geschrieben hatte, und ward guten Mutes und vergnügt. Als aber die Alte sie lachen sah, sagte sie zu ihr: »Schau, dies ist ein gesegneter Tag,« worauf Noam zu ihr sagte: »Beschließerin, ich möchte essen und trinken.« Da befahl die Alte den 62 Sklavinnen: »Bringt die Speisetische mit auserlesenen Gerichten für eure Herrin.« Als nun die Sklavinnen ihr die Speisen gebracht hatten, und sie sich setzte, trat mit einem Male Abd el-Melik, der Sohn des Merwân, ein. Wie er das Mädchen sitzen und essen sah, freute er sich, die Alte aber sagte zu ihm: »O Fürst der Gläubigen, ich wünsche dir Glück zur Genesung deiner Sklavin Noam. Es ist nämlich in unsre Stadt ein Arzt gekommen, wie ich noch keinen in den Krankheiten und ihren Heilmitteln erfahrenern sah. Ich holte ihr von ihm eine Medizin, und nachdem sie nur einmal von derselben eingenommen hat, ist sie gesund geworden, o Fürst der Gläubigen.« Da sagte der Fürst der Gläubigen zu ihr: »Hier hast du tausend Dinare, nimm sie und mach' sie damit ganz gesund.« Darauf ging er erfreut über die Genesung der Sklavin wieder fort, während die Alte sich mit den tausend Dinaren zum Laden des Persers begab, ihm das Geld überreichte und ihm sagte, daß sie die Sklavin des Chalifen sei. Daneben überreichte sie ihm einen Brief, welchen Noam geschrieben hatte, und der Perser nahm ihn und reichte ihn Níame hin. Als dieser den Brief sah, erkannte er Noams Handschrift und sank in Ohnmacht. Nachdem er sich dann wieder erholt hatte, öffnete er das Blatt und fand folgendes darauf geschrieben: Von der Sklavin, die ihres Glückes beraubt, in ihrem Verstande verstört und von dem Geliebten ihres Herzens getrennt ward. Des Ferneren, so ist euer Schreiben in meine Hand gelangt und hat die Brust ausgedehnt und das Gemüt erfreut, und es ist geschehen, wie der Dichter sagt:

Der Brief ist eingetroffen, und mögen die Finger erhalten bleiben, die ihn geschrieben,
Bis sie ganz von Wohlgerüchen triefen.
Es war, wie wenn Moses seiner Mutter wiedergegeben wäre,
Oder wie wenn Jakob Josephs Gewand empfangen hätte.Nach dem Koran erlangte Jakob durch Auflegen von Josephs Hemd wieder das Augenlicht. 63

Als Níame die Verse gelesen hatte, liefen ihm die Augen von Thränen über, so daß ihn die Beschließerin fragte: »Warum weinst du, mein Sohn? Gott schütze dein Auge vor Thränen!« Da sagte der Perser zu ihr: »Ach, meine Herrin, wie sollte mein Sohn nicht weinen, da sie seine Sklavin, und er ihr Herr ist, Níame, der Sohn des Rabîa, aus Kûfa? Allein dadurch, daß sie ihn schaut, kann sie wieder ganz gesund werden, da sie nur liebeskrank ist.

Zweihundertunddreiundvierzigste Nacht.

Nimm du daher, meine Herrin, diese tausend Dinare für dich und empfange noch weit mehr von uns, wenn du uns mit dem Auge der Barmherzigkeit anschaust, da nur du diese Sache wieder in Ordnung bringen kannst.« Da fragte die Alte Níame: »Bist du ihr Herr?« Er antwortete: »Ja,« und sie entgegnete darauf: »Du hast die Wahrheit gesprochen, denn sie sprach immerfort von dir.« Hierauf erzählte Níame der Alten alles, was ihm widerfahren war, von Anfang bis zu Ende, und die Alte sagte zu ihm: »Jüngling, nur durch mich kannst du mit ihr zusammenkommen.« Nach diesen Worten setzte sie sich wieder auf und ritt unverzüglich zu Noam zurück. Als sie bei ihr eingetreten war, schaute sie ihr ins Gesicht und sagte lachend zu ihr: »Meine Tochter, du solltest lieber über die Trennung von deinem Herrn Níame, dem Sohn des Rabîa, aus Kûfa, weinen und krank liegen.« Da sagte Noam: »Dir ist der Schleier aufgedeckt und die Wahrheit offenbar geworden.« Die Alte aber entgegnete ihr: »Sei guten Mutes und dehne deine Brust aus, denn, bei Gott, ich will euch beide wieder zusammenbringen, sollte ich dafür auch mein Leben lassen müssen.« Darauf kehrte sie wieder zu Níame zurück und sagte zu ihm: »Ich kehrte zu deinem Mädchen zurück und besuchte sie, und da fand ich, daß ihre Sehnsucht nach dir größer ist als die deinige. Der Fürst der Gläubigen will nämlich zu ihr, und sie schlägt es ihm ab. Hast du nun ein festes Herz und starken Mut, so 64 will ich euch beide zusammenbringen; sollte ich auch mein Leben aufs Spiel setzen, so will ich doch einen Plan ersinnen und eine List aushecken, wie ich dich ins Schloß des Fürsten der Gläubigen schaffen kann, daß du mit deinem Mädchen zusammenkommst denn sie darf nicht ausgehen.« Níame erwiderte ihr darauf: »Gott lohne es dir mit Gutem!« und nun verabschiedete sie sich von ihm und ging wieder zu dem Mädchen fort, zu dem sie sagte: »Die Liebe hat deinen Herrn bald umgebracht; er will mit dir zusammenkommen, was sagst du dazu?« Da sagte Noam: »Ich bin ebenfalls halb tot und will mit ihm zusammenkommen.« Infolgedessen nahm die Alte ein Paket mit Schmucksachen, Kleinodien und einem Frauenanzug und begab sich wieder zu Níame und sagte zu ihm: »Komm an einen Ort, wo wir allein sind.« Da trat er mit ihr in einen Raum hinter dem Laden, wo sie ihn schminkte, ihm die Handgelenke mit den Schmucksachen behing und das Haar putzte. Nachdem sie ihm dann noch einen Mädchenanzug angelegt und ihn aufs schönste geschmückt hatte, wie sich Sklavinnen zu schmücken pflegen, sah er aus wie eine schwarzäugige Huri aus Eden, und die Alte rief, als sie ihn in diesem Aufzug betrachtete: »Gesegnet sei Gott, der beste Schöpfer! Bei Gott, du bist noch schöner als das Mädchen; aber nun geh, die linke Seite vorschiebend und die rechte zurückhaltend, und wiege deine Hüften hin und her.« Da schritt er vor ihr auf und ab, wie sie es ihm geheißen hatte, und als sie sah, daß er den Gang der Frauen gelernt hatte, sagte sie zu ihm: »Bleib, bis ich morgen Nacht, so Gott will, der Erhabene, komme und dich mitnehme und ins Schloß führe. Wenn du den Kämmerling und die Diener siehst, so nimm deine Kraft zusammen, senke deinen Kopf nieder und sprich mit niemand, ich werde für dich schon ihnen Rede und Antwort stehen, und Gott wird es uns gelingen lassen.«

Am Morgen des nächsten Tages kam dann die Beschließerin, holte ihn ab und stieg mit ihm zum Schloß hinauf, 65 in welches sie, ihm voranschreitend, eintrat. Als nun der Kämmerling ihm den Eintritt verwehren wollte, sagte sie zu ihm: »Unseligster Sklave, sie ist die Sklavin Noams, der Beischläferin des Fürsten der Gläubigen, wie darfst du ihr den Eintritt verwehren?« Dann rief sie: »Sklavin, komm herein,« worauf er ihr folgte und immer nachschritt, bis sie zur Thür kamen, welche auf den Schloßhof hinausführte. Hier sagte die Alte zu ihm: »Níame, stärke deine Seele, festige dein Herz und tritt ein ins Schloß, indem du dich nach links hältst und fünf Thüren zählst. Durch die sechste tritt dann ein, denn sie ist die Thüre des Gemachs, welches für dich zurecht gemacht ist. Sei ohne Furcht, und wenn dich jemand anredet, so antworte ihm nicht.« Hierauf ging sie mit ihm weiter, bis sie zu den Thüren gelangte; da aber kam ihnen der über jene Thüren gesetzte Kämmerling entgegen und fragte die Alte: »Wer ist dieses Mädchen?«

Zweihundertundvierundvierzigste Nacht.

Da sagte die Alte zu ihm: »Unsere Herrin wünscht sie zu kaufen.« Der Eunuch entgegnete jedoch: »Ohne die Erlaubnis des Fürsten der Gläubigen darf niemand herein; kehre wieder mit ihr um, denn ich lasse sie nicht herein, weil mir dies befohlen ist.« Da sagte die Beschließerin zu ihm: »Großkämmerling, wo ist dein Verstand? Siehe, Noam, die Sklavin des Chalifen, an der sein Herz hängt, ist gerade genesen, was der Chalife noch gar nicht glauben mag. Sie begehrt diese Sklavin zu kaufen, verbiete ihr daher nicht den Eintritt, da es ihr leicht zu Ohren kommen und sie sich über dich erzürnen könnte. Erzürnt sie sich aber über dich, so läßt sie dir den Kopf abschlagen.« Dann rief sie: »Komm herein, Sklavin, hör nicht auf seine Worte und sage deiner Herrin nichts davon, daß der Kämmerling dir den Eintritt verwehren wollte.« Da senkte Níame den Kopf zu Boden und trat ins Schloß ein. Wie er nun aber zur linken Seite gehen wollte, versah er sich und ging nach der rechten Seite, und, anstatt 66 siebente ein. Da sah er einen mit Brokaten ausgestatteten Raum, dessen Wände mit goldgestickten seidenen Vorhängen verkleidet waren, und in welchem Räuchergefäße mit Aloe, Ambra und starkriechendem Moschus standen. Außerdem befand sich ihm gegenüber ein mit Brokat bedecktes Sofa, auf welches er sich setzte, ohne zu ahnen, was für ihn im Verborgenen geschrieben stand. Wie er nun hier in Gedanken über seine Lage versunken dasaß, trat mit einem Male die Schwester des Fürsten der Gläubigen von ihrer Sklavin begleitet ein. Als sie den Jüngling dort sitzen sah, trat sie im Glauben, daß es ein Mädchen wäre, näher und fragte ihn: »Wer bist du, Sklavin? Was giebt's, und weshalb bist du an diesen Ort gekommen?« Níame schwieg jedoch und erteilte ihr keine Antwort. Da sagte sie: »Sklavin, wenn du eine der Beischläferinnen meines Bruders bist, und er sich wider dich erzürnt hat, so will ich ihn wieder besänftigen;« doch gab ihr Níame wieder keine Antwort. Infolgedessen sagte sie zu ihrer Sklavin: »Tritt an die Zimmerthür und laß niemand herein.« Dann trat sie an ihn heran und sagte zu ihm, ihn in seiner Lieblichkeit betrachtend: »Mädchen, sag mir, wer du bist, wie du heißest, und weshalb du hier herein gekommen bist, denn ich habe dich bisher noch nicht im Schlosse gesehen.« Als aber Níame ihr auch jetzt noch keine Antwort gab, wurde die Schwester des Königs böse und legte ihre Hand auf Níames Brust. Da merkte sie, daß er keinen Mädchenbusen hatte, und wollte ihm nun seine Sachen abnehmen, um zu wissen, was es mit ihm auf sich hätte, als Níame zu ihr sagte: »Meine Herrin, ich bin ein Mamluk; kaufe mich, ich komme schutzflehend zu dir, und du schütze mich.« Da sagte sie zu ihm: »Sei ohne Furcht; wer bist du, und wer hat dich in dieses mein Zimmer gebracht?« Níame erwiderte: »O Königin, ich bin bekannt unter dem Namen Níame, der Sohn des Er-Rabîa, aus Kûfa: um meiner Sklavin Noam willen, die El-Hadschâdsch mir mit 67 List entrissen und hierher geschickt hat, habe ich mein Leben in Gefahr gestürzt.« Da sagte sie zu ihm: »Sei ohne Furcht.« Darauf rief sie ihre Sklavin und sagte zu ihr: »Geh in Noams Zimmer.«

Was nun aber die Beschließerin anlangt, so war dieselbe zu Noam ins Zimmer getreten und hatte sie gefragt: »Ist dein Herr zu dir gekommen?« Und als sie erwidert hatte: »Nein, bei Gott!« hatte sie gesagt: »Vielleicht hat er sich geirrt und dein Zimmer verfehlt.« Hierauf hatte Noam eben gerufen: »Es giebt keine Macht und keine Kraft außer bei Gott, dem Hohen und Erhabenen, unser Termin ist abgelaufen und unser Ende gekommen!« und beide saßen nachdenklich da, als die Sklavin der Schwester des Fürsten der Gläubigen bei ihnen eintrat, und, Noam begrüßend, zu ihr sagte: »Meine Gebieterin ladet dich zu Gast.« Noam erwiderte: »Ich höre und gehorche,« während die Beschließerin meinte: »Vielleicht ist dein Herr bei der Schwester des Fürsten der Gläubigen, und ist der Schleier aufgedeckt.« Noam erhob sich nun sofort und begab sich zur Schwester des Chalifen, die zu ihr sagte: »Hier sitzt dein Herr bei mir, und es scheint, als wenn er sich im Zimmer geirrt hätte, aber, so Gott will, der Erhabene, braucht ihr beide keine Furcht zu haben.« Als Noam diese Worte von der Schwester des Fürsten der Gläubigen vernahm, beruhigte sich wieder ihre Seele, und sie näherte sich ihrem Herrn Níame, der sich bei ihrem Anblick erhob und ebenfalls auf sie zuging.

Zweihundertundfünfundvierzigste Nacht.

Darauf preßten sich beide an die Brust und sanken ohnmächtig zu Boden. Als sie sich dann wieder erholt hatten, sagte die Schwester des Chalifen zu ihnen: »Setzet euch und laßt uns nachdenken, wie wir aus dieser Klemme, in die wir geraten sind, herauskommen,« worauf sie ihr antworteten: »Wir hören und gehorchen, doch du hast zu befehlen.« Da sagte sie: »Bei Gott, euch soll nimmermehr etwas Böses von 68 uns widerfahren.« Darauf befahl sie ihrer Sklavin: »Bring' Speise und Trank.« Als sie beides gebracht hatte, aßen sie sich satt und setzten sich dann zum Wein, und nun kreisten die Becher unter ihnen, ihre Kümmernisse wichen und Níame sagte: »Wüßte ich nur, was hernach geschehen wird!« Da fragte ihn die Schwester des Chalifen: »Níame, liebst du dein Mädchen Noam?« Er antwortete: »Meine Herrin, die Liebe zu ihr hat mich in diese lebensgefährliche Lage hier gebracht.« Dann fragte sie Noam: »Noam, liebst du deinen Herrn Níame?« Sie antwortete: »Meine Herrin, die Liebe zu ihm war's, die meinen Leib hinschmelzen ließ und mich elend machte.« Da sagte sie: »Bei Gott, ihr liebt einander und der, welcher euch trennen wollte, sei nicht am Leben! Seid nur kühlen Auges und guten Mutes.« Beide freuten sich über ihre Worte, und nun verlangte Noam eine Laute; als man sie ihr gebracht hatte, nahm sie sie, stimmte ihre Saiten und sang in entzückender Melodie die Verse:

Als die Verleumder nach unserer Trennung trachteten,
Wiewohl wir beide frei von jeglicher Blutschuld waren,
Und als sie alles Getöse des Kriegs auf unsere Ohren stürmen ließen,
Und alle Schützer und Helfer mir fehlten,
Da stritt ich wider sie mit deinen Augen, meinen Thränen und meinem Odem,
Wie mit Schwert und Sturzbach und flammender Lohe.

Hierauf reichte Noam die Laute ihrem Herrn Níame und sagte zu ihm: »Sing' uns ein Lied.« Da nahm er sie, stimmte ihre Saiten und sang in entzückender Melodie die Verse:

Der Vollmond gliche dir, hätt' er nicht Sommersprossen,
Und die Sonne wäre dir gleich, wenn die Sonne sich nicht verfinsterte.
Siehe, ich wundere mich – doch ist die Liebe nicht reich an Wundern
Mit ihrem Sorgen und Sehnen und Hangen und Bangen? –
Daß der Weg zur Geliebten mir kurz deucht, wenn ich ihn gehe,
Doch endlos lang, wenn ich von der Geliebten scheide.

Als er sein Lied beendet hatte, füllte sie ihm einen Becher und reichte ihm denselben; und er nahm ihn und trank ihn, worauf sie einen andern Becher füllte und ihn der Schwester 69 des Chalifen überreichte. Als die Prinzessin ihn getrunken hatte, nahm sie die Laute, stimmte und spannte ihre Saiten und sang die beiden Verse:

Gram und Trauer wohnen in meinem Herzen,
Und heiße Liebe tobt in meinem Innern.
Jeder kann schauen, wie mager ich worden bin,
Denn Sehnsucht hat meinen Leib krank gemacht.

Dann reichte sie die Laute wieder Níame, dem Sohn des Er-Rabîa, und Níame nahm sie, stimmte ihre Saiten und sang die beiden Verse:

O du, der ich meine Seele schenkte, wiewohl du sie quältest,
Und von der ich sie zu befreien trachtete, doch es nicht vermochte,
Schenk' einem Liebenden ein Mittel zur Rettung vom Verderben,
Bevor er stirbt, denn dies ist sein letzter Atemzug.

In dieser Weise sangen sie und tranken zu den Klängen der Saiten und waren lustig und selig und vergnügt und fröhlich, als mit einem Male der Fürst der Gläubigen eintrat. Bei seinem Anblick erhoben sie sich vor ihm und küßten die Erde vor ihm. Er aber schaute Noam an, welche gerade die Laute in der Hand hielt, und sagte: »Noam, gelobt sei Gott, welcher deine Plage und deine Schmerzen gehoben hat!« Dann wendete er sich zu Níame, der noch seine Mädchenkleider anhatte, und fragte: »Meine Schwester, wer ist dieses Mädchen an Noams Seite?« Und seine Schwester antwortete ihm: »O Fürst der Gläubigen, du hast unter deinen Beischläferinnen eine Sklavin, ohne deren Gesellschaft Noam weder ißt noch trinkt.« Dann citierte sie das Dichterwort:

»Zwei Gegensätze sind sie, doch sind sie beide schön,
Der einen Schönheit erstrahlt durch die andre hell.«

Da sagte der Chalife: »Beim erhabenen Gott, sie ist so schön wie Noam, und morgen will ich ihr ein Zimmer neben dem Zimmer Noams anweisen lassen und ihr Möbel, Zeug und alles, was ihr ansteht, noch reichlicher als ich es für Noam that, herüberschaffen lassen.« Hierauf rief sie nach Speisen und setzte sie ihrem Bruder vor, und er aß und 70 blieb bei ihnen im Zimmer. Darauf füllte er einen Becher und winkte Noam zu ihm etwas vorzusingen. Da nahm sie die Laute, nachdem sie zwei Becher getrunken hatte, und trug die beiden Verse vor:

Wenn mein Bechergenoß mich trinken und trinken läßt,
Drei Becher voll prickelnder feuriger Glut,
Will ich stolz mit der Schleppe die Nacht über rauschen,
Als wär ich, o Fürst der Gläubigen, dein Fürst.

Entzückt über den Gesang, füllte der Fürst der Gläubigen einen neuen Becher, überreichte ihn Noam und befahl ihr, noch etwas zu singen. Da trank sie den Becher, tastete an die Saiten und sang die Verse:

Des Volkes Edelster du in dieser Zeit,
Dem keiner gleich zu sein sich zu rühmen vermag,
Du Einzigster an Hoheit und Güte und Huld,
Du Herrscher und König über alles, was hochberühmt,
Du König der Könige der Erde zumal,
Mit offenster Hand, die den Dank nicht begehrt und nicht schmerzt:
Möge mein Herr dich erhalten den Feinden zum Trotz,
Und mög dein Stern geschmückt sein mit Glück und Sieg!

Als der Chalife diese Verse von Noam vernommen hatte, rief er: »Wie herrlich singst du, Noam, wie gewandt ist deine Zunge und wie deutlich deiner Worte Sinn!« In dieser Weise vergnügten sie sich bis Mitternacht, als die Schwester des Chalifen sagte: »Merk auf, o Fürst der Gläubigen, ich fand in den Büchern eine Geschichte von einem Manne von hohem Rang.« Da fragte der Chalife: »Und wie ist jene Geschichte?« Da erzählte seine Schwester: »Wisse, o Fürst der Gläubigen, in der Stadt Kûfa lebte einmal ein Knabe, Níame, der Sohn des Er-Rabîa, geheißen, welcher eine Sklavin hatte, die er liebte, und die ihn liebte; zudem war sie mit ihm in demselben Bette erzogen. Wie sie nun erwachsen waren, und beide von Liebe zu einander ergriffen wurden, traf sie das Schicksal mit seinen Widerwärtigkeiten, die Zeit mißhandelte sie mit ihrem Unheil und verhing über sie die Trennung, und die Verleumder stellten ihr eine Falle, 71 als sie einmal das Haus verließ, und raubten sie aus seinem Hause. Dann verkaufte sie ihr Räuber einem Könige für zehntausend Dinare. Da aber ihr Herr sie ebenso innig liebte wie sie ihn, verließ er Haus und Heim und zog aus sie zu suchen und setzte es durch mit ihr zusammenzukommen.

Zweihundertundsechsundvierzigste Nacht.

Wie er nun mit ihr zusammengetroffen war, und sie sich kaum noch gesetzt hatten, kam der König, der sie von ihrem Räuber gekauft hatte, herein, und sprach eilends das Todesurteil über beide aus, ohne Gerechtigkeit zu üben und ohne sein Urteil ihnen hinauszuschieben. Was sagst du, o Fürst der Gläubigen, zu dem Mangel an Gerechtigkeit bei diesem König?« Der Fürst der Gläubigen antwortete ihr: »Das ist eine höchst wunderbare Sache. Jener König hätte bei seiner Macht doch Gnade walten lassen sollen, da es ihm anstand in ihrem Falle drei Dinge zu berücksichtigen. Zum ersten, daß sie einander liebten, zum zweiten, daß sie sich in seinem Hause und in seiner Gewalt befanden, und zum dritten mußte er bedenken, daß er beim Gericht über das Volk bedächtig zu verfahren hat, um wie viel mehr also in einer Sache, die ihn selber anging. So hat er eine unkönigliche That gethan.« Nun sagte seine Schwester zu ihm: »Mein Bruder, bei dem König des Himmels und der Erden, befiehl Noam etwas zu singen und hör auf das, was sie singt.« Da sagte er: »Noam, singe mir etwas vor;« und nun trug Noam in entzückender Melodie die Verse vor:

Die Zeit war voll Falsch, die immer voll Falsch und Verrat ist,
Die Herzen bricht sie und Kummer giebt sie zum Erbe.
Erst führt sie die Herzen in Liebe zusammen, dann trennt sie die liebenden Paare,
Daß sich die Thränen in Strömen über die Wangen ergießen.
Sie waren, und ich war, und es war mein Leben voll Wonne,
Da uns das Schicksal so häufig vereinte.
Weinen will ich drum blutige Ströme von Thränen
Nächte und Tage aus Gram über deinen Verlust. 72

Als der Fürst der Gläubigen dieses Lied vernommen hatte, war er außer sich vor Entzücken, seine Schwester aber sagte nun zu ihm: »Mein Bruder, wer über sich selber den Spruch gefällt hat, muß ihn auch stehen lassen und muß nach seinem Worte handeln, denn, siehe, du hast mit diesem Spruch dich selber getroffen.« Dann sagte sie: »Níame, steh auf, und desgleichen du, Noam, auf deine Füße!« Da standen sie auf, und die Schwester des Chalifen sprach: »O Fürst der Gläubigen, das Mädchen, das hier steht, ist Noam, welche El-Hadschâdsch, der Sohn des Jûsuf eth-Thakafī gestohlen und dir geschickt hat, und der dich belog, als er dir in seinem Briefe schrieb, daß er sie für zehntausend Dinare gekauft hätte. Und der, welcher dort steht, ist Níame, der Sohn des Er-Rabîa, ihr Herr. Und ich beschwöre dich bei der Ehre deiner reinen Ahnen, daß du ihnen verzeihst und sie einander schenkst, um den himmlischen Lohn dafür zu erbeuten. Sie sind in deiner Gewalt, sie haben von deiner Speise gegessen und von deinem Wein getrunken, und ich lege Fürbitte für sie ein und verlange ihr Blut zum Geschenk.« Als der Chalife diese Worte vernahm, sagte er: »Du hast recht, ich habe so entschieden, und wenn ich einen Spruch gethan habe, so nehme ich ihn nicht wieder zurück.« Darauf fragte er: »Noam, ist dieser da dein Herr?« Sie antwortete: »Ja, o Fürst der Gläubigen.« Da sagte er: »Fürchtet euch nicht, ich schenke euch einander.« Alsdann fragte er: »Níame, wie erfuhrst du ihren Aufenthaltsort, und wer gab dir dieses Zimmer an?« Níame erwiderte: »O Fürst der Gläubigen, höre meine Geschichte und horch auf meine Erzählung, und, bei deinen reinen Vätern und Ahnen, ich will dir nichts verhehlen.« Darauf erzählte er ihm seine ganze Geschichte, wie der persische Hakîm und die Beschließerin an ihm gehandelt hatten, und wie die letztere ihn ins Schloß geführt und er sich in der Thür geirrt hatte. Aufs äußerste hierüber verwundert, befahl der Chalife: »Her mit dem Perser!« Da führte man denselben vor ihn und er machte ihn zu 73 seinen Vertrauten, verlieh ihm Ehrenkleider und verordnete ein schönes Geschenk für ihn, indem er sagte: »Es geziemt sich uns einen Mann, der dieses zuwege gebracht hat, zu unserm Vertrauten zu machen.« Dann machte der Chalife ebenfalls Níame und Noam reiche Geschenke, beschenkte auch die Beschließerin, und Níame und Noam blieben sieben Tage lang bei ihm in Freuden, in Glück und im herrlichsten Leben. Dann aber bat ihn Níame um Erlaubnis mit seinem Mädchen heimzuziehen, und er erlaubte ihnen die Heimreise nach Kûfa, und sie reisten ab und wurden wieder mit ihren Eltern vereinigt, worauf sie das schönste Leben führten, bis daß der Zerstörer aller Freuden und der Trenner aller Vereinigungen sie heimsuchte.«

Als El-Amdschad und El-Asad diese Geschichte von Bahrâm vernommen hatten, verwunderten sie sich höchlichst über sie und sagten: »Das ist fürwahr eine wunderbare Geschichte.«

 


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