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XIV.
Aus vier Herren und einer Dame werden parthenogenetisch sechs Herren und eine Dame

Es war die fremde Dame, die das Schweigen brach, das auf ihr Erscheinen gefolgt war. Sie wendete sich an Quillander, wie in dem richtigen Gefühl, daß er der Herr des Hauses war. Ohne besagten Herrn des Hauses zu grüßen, sagte sie ganz einfach:

»Wo ist Peter Ludwig Möbius?«

Die Frage war deutlich. Sie rief zwei Phänomene hervor.

Adjunkt Quillander, der sich gesetzt hatte, erhob sich, und Direktor Hoff-Jensen, der sich gerade erhoben hatte, setzte sich. Die Augen des Direktors schienen die Aquariumgläser sprengen zu wollen. Aber niemand beachtete Herrn Hoff-Jensen. Die Aufmerksamkeit der ganzen Gesellschaft war auf Fräulein Lundén und den Adjunkten Quillander konzentriert. Adjunkt Quillander stand da, die Hand auf der Tischplatte, ein bißchen vorgeneigt und sah Fräulein Lundén an. Sie erwiderte diesen Blick mit einem Blick, kalt wie der Eiskübel, der den Tisch schmückte. Es blieb dahingestellt, ob der Inhalt des Eiskübels es bewirkte, daß der Blick des Adjunkten Quillander weniger sicher war. Endlich sagte er:

»Ist – ist Möbius nicht daheim in Schweden?«

Fräulein Lundén antwortete mit einem Schnauben.

»Er ist hier im Hause! Lassen Sie ihn holen!«

»Mein Fräulein, ich versichere Ihnen eine Sache: Möbius ist nicht hier im Hause.«

»Sie können versichern, was Sie wollen. Ich weiß, was ich weiß. Er ist hier im Hause. Lassen Sie ihn holen!«

»Ich wiederhole, was ich gesagt habe. Er ist nicht hier im Hause. Ich glaubte, er sei in Schweden.«

»Ich wiederhole, was ich gesagt habe. Er ist hier im Hause. Lassen Sie ihn sofort holen! Ich bin hier, um ihn mitzunehmen.«

»Mein Fräulein …«

Fräulein Lundén wendete sich an Sara, die sofort ein ekstatisches Kichern hören ließ, und sagte:

»Holen Sie Herrn Möbius! Ich will mit ihm sprechen.«

Ein solcher Wunsch erschien Sara als der Gipfelpunkt des schwedischen Humors. Sie wankte fast sprachlos hin und her und stammelte:

»Hi – hi – hi – hier – hi – hi – hi – ist kein – kein – hi – hi – hi – Herr – hi – hi – hi – der Möbius heißt!«

Fräulein Lundén warf ihr einen Blick zu, der jedes andre Mädchen gelähmt hätte, aber Sara nur zu einer letzten schwindelnden Anstrengung anstachelte. Sie sank zusammen, ohnmächtig vor Lachen. Fräulein Lundén drehte sich um und wendete sich Quillander zu.

»Ist das Mädel verrückt, oder ist sie nur unverschämt? Haha – ich verstehe! Sie haben ihr das eingelernt! Zum letztenmal frage ich Sie: Wollen Sie gutwillig Peter Ludwig Möbius holen?«

»Zum letztenmal versichere ich Ihnen, mein Fräulein, daß Möbius sich nicht in diesem Hause befindet.«

Fräulein Lundén sah ihn durchdringend an.

»Sie geben zu, daß Sie der Adjunkt Theodor Quillander aus Schweden sind?«

»Ja.«

»Sie wissen, wer ich bin.«

»Ja.«

»Sie geben zu, daß Ihr Freund dort der Adjunkt Johannes Schorn ist.«

»Ja.«

»Wollen Sie leugnen, daß Sie und der Adjunkt Johannes Schorn mit Peter Ludwig Möbius die Reise nach Dänemark gemacht haben?«

»Hm – nein, das kann ich nicht leugnen, aber …«

»Jedes Aber ist ganz überflüssig. Sie haben zusammen im Grand-Hotel Pedersen gewohnt, das habe ich in Erfahrung gebracht. Sie haben Schweden am Tage nach Schluß des Schuljahres verlassen. Waren Sie derjenige, der Peter Ludwig angestiftet hat, mir einen lügenhaften Brief zu schreiben?«

»Nein! – Was für einen Brief?«

»Sie leugnen im vorhinein! Das ist schön! Einen Brief, in dem er mitteilt, daß er zu Verwandten zu reisen gedenkt. Das waren Sie!«

»Nein! Das war er selbst.«

»Das ist nicht wahr! Peter Ludwig wäre nie auf die Idee gekommen, mich anzulügen. Ich kenne ihn seit fünfzehn Jahren.«

»Gerade deshalb kennen Sie ihn nicht.«

»Was soll das heißen?«

»In fünfzehn Jahren verändert man sich. Das merkt man nicht, wenn man täglich mit jemand beisammen ist. Sie kennen Möbius noch immer so, wie er vor fünfzehn Jahren war. Ihr Möbius ist schon längst tot.«

»Hören Sie mit Ihrem Geschwätz auf! Ich will kein Wort mehr hören. Ein paar Tage vor Schluß des Schuljahres haben Sie Peter Ludwig aufgesucht. Ich habe Sie selbst eingelassen. Hätte ich es doch nie getan! Hätte ich Ihnen doch die Tür vor der Nase zugeschlagen. Jetzt weiß ich, was Sie im Schilde führten. Sie haben mit ihm von dieser Reise gesprochen. Sie haben ihn veranlaßt, mir diesen frechen Brief zu schreiben, und Sie haben ihn nach Kopenhagen mitgenommen, und jetzt haben Sie die Unverschämtheit – jetzt sind Sie frech genug, zu leugnen, daß er in Ihrer Gesellschaft ist. Jetzt sagen Sie, daß Sie nicht einmal wissen, wo er sich befindet! Wenn Sie glauben, daß ich das glaube, dann sind Sie – dumm

Fräulein Lundén warf Quillander einen vernichtenden Blick zu und ließ ihn die Tafelrunde weitergehen. Direktor Hoff-Jensen begegnete ihm mit zwei ausdruckslosen Tintenfischaugen, Adjunkt Schorn erzitterte davor, wie vor dem Blick einer Klapperschlange. Saras Sinn für Humor entlockte er einen letzten hinsterbenden Tribut. Adjunkt Quillander war derjenige, der sich zuerst erholte.

»Mein Fräulein,« sagte er langsam, »Sie sind hier, hier bei mir eingedrungen – in meine Villa, in eine geschlossene Gesellschaft, in einer Weise, die ich bis auf weiteres als eigenmächtig bezeichnen will. Ich könnte andre Worte dafür finden, aber ich bin höflich. Es ist richtig, daß ich mit Möbius zusammen hierher gefahren bin. Es ist wahr, daß wir miteinander zwei Tage im Grand-Hotel Pedersen gewohnt haben. Soweit sind Ihre – hm – Untersuchungen von Richtigkeit. Aber darüber hinaus habe ich nichts, merken Sie sich, ein für allemal, gar nichts mit der Sache zu tun. Ich habe keine Ahnung, wo Möbius sich aufhält. Ich habe ihn nicht veranlaßt, einen lügenhaften Brief an Sie zu schreiben. Ich habe ihn nicht aufgesucht, um ihn auf Reisen zu locken. Sondern er selbst hat mich gebeten, ihn mitzunehmen. Da haben Sie meine Antwort. Kann ich die Sache jetzt als zu Ende debattiert ansehen? Und dürfen meine Gäste und ich die Zusammenkunft fortsetzen, die Sie in einer so – so eigenmächtigen Art unterbrochen haben?«

Fräulein Lundén richtete sich empor, eine Steinstatue, eine Marmorsäule, eine Eisskulptur der Empörung und Verachtung.

»Nein,« rief sie, »die Sache ist keineswegs zu Ende debattiert. Nicht ein Wort von dem, was Sie sagen, ist wahr. Sie behaupten, daß Sie Peter Ludwig nicht veranlaßt haben, mir zu schreiben? Sie sagen, daß er Sie gebeten hat, ihn mitzunehmen! Wie können Sie es wagen, so etwas zu behaupten? Peter Ludwig, der in seinem ganzen Leben nicht allein aus Brostad herausgekommen ist, der nie ein Kaffeehaus besucht hat, nicht einmal, als er an der Universität war! Er, er sollte Sie gebeten haben, mit Ihnen nach Kopenhagen fahren zu dürfen – mit Ihnen! Ha, ha, da möchte ich wirklich gern wissen, warum.«

Quillander türmte sich zu oratorischer Majestät auf, und sah auf Fräulein Lundén mit einem Antlitz herab, in dem sich Ernst und Schmerz paarte.

»Fräulein Lundén, ich pflege nicht über das zu sprechen, was mir Kameraden privatim anvertraut haben. Aber Sie haben mich beleidigt, Sie haben Beschuldigungen gegen mich ausgestoßen, die ich nur in einer Weise widerlegen kann. Ich werde Sie darüber aufklären, warum Möbius mich gebeten hat, daß ich ihn hierher mitnehme.«

Er machte eine Kunstpause und fuhr mit gesenkter Stimme fort:

»Der Grund, weshalb Möbius mich gebeten hat, sich mir anschließen zu dürfen, war, daß er mit seinem bisherigen Leben unzufrieden war. Der Grund war, daß er es ohne sittlichen Wert fand. Der Grund war, daß er die Versuchungen kennenlernen wollte.«

Fräulein Lundéns Hohngelächter hätte den Schiffsverkehr im Sund stoppen können.

»Das wird ja immer schöner! Peter Ludwig kommt zu Ihnen und sagt, daß er sein Leben ohne sittlichen Wert findet! Peter Ludwig bittet Sie, ihn mit den Versuchungen bekanntzumachen! Da hat er sich jedenfalls an die richtige Adresse gewendet! Hat er Sie nicht gleich gebeten, es so einzurichten, daß sie ihn beim Schiff in Kopenhagen erwarten? Ich vermute, daß Versuchungen schlechte Weibsbilder bedeuten!«

»Das hat er mich nicht gebeten,« sagte Quillander kalt. »Er hat mich genau um das gebeten, was ich Ihnen gesagt habe. Dafür haben Sie mein Ehrenwort.«

»Ich schätze es genau so hoch ein, als es wert ist. Ist es Ihnen gelungen, ihn zugrunde zu richten? Ist er den Versuchungen begegnet?«

»Mein Fräulein, Ihr Ton paßt mir so wenig, daß ich diese Debatte hiermit abschließe. Ich bin so zuvorkommend gewesen, als ich konnte. Ich habe Ihnen alles gesagt, sogar Dinge, die ich nicht hätte sagen sollen. Das war dumm von mir, aber ich wüßte nicht, warum ich mich deshalb unter meinem eigenen Dach beleidigen lassen müßte. Ich bitte Sie, mein Haus sofort gutwillig zu verlassen!«

Quillanders Stimme hatte jede Spur von Ruhe verloren; sie zitterte vor Erregung. Seine Augen würden seine sämtlichen Klassen zu Tode erschreckt haben. Aber auf Fräulein Lundén übten sie keine solche Wirkung aus. Fräulein Lundén lachte zum zweiten- und drittenmal. Es ist richtig, daß ihr zweites und drittes Lachen nicht so schrill war, wie das erste. Es war ein kleines, trockenes, boshaftes Meckern, während sie ein Kuvert öffnete, das sie aus ihrem Täschchen genommen hatte. Adjunkt Schorn, der rot gewesen, wurde plötzlich leichenblaß und schob den Sessel vom Tisch weg. Direktor Hoff-Jensen, der, weit davon entfernt, sich bei dem Auftritt zu langweilen, vielmehr jedes Wort verschlungen hatte, streckte den Hals vor, um besser zu sehen. Sara, eine verstummte Bacchantin, stand da mit Augen wie Teetassen. Die verschiedenen Ausdrucksformen des schwedischen Humors hatten sie überwältigt und gelähmt.

» Ihr Haus!« sagte Fräulein Lundén endlich mit glucksender Stimme. »Ihr Haus von meiner Gegenwart befreien! So etwas hat mir noch niemand gesagt.«

»So sage ich es noch einmal!« brüllte Quillander und machte einen Schritt auf sie zu. »Schauen Sie, daß Sie hinauskommen, und wenn Sie zehnmal Möbius' Tante sind, hören Sie?«

»Ich höre. Aber ich muß um eine Erklärung von Ihnen bitten, bevor ich gehe.«

»Ich habe Ihnen schon alle Erklärungen gegeben, die ich zu geben habe.«

»Wirklich? Das kann ich mir nicht denken. Wollen Sie mir nicht erklären, was das ist?«

Sie hatte das Kuvert geöffnet und hielt nun Quillander vier Papiere hin, die durch ihr längliches Format wie amerikanische Banknoten aussahen. Der blaugekleidete Herr in ihrer Gesellschaft, der sich bis dahin vollkommen passiv verhalten hatte, trat vor und stellte sich als Beschützer an ihre Seite. Adjunkt Schorn, der leichenblaß gewesen war, wurde blutrot. Hoff-Jensens Tintenfischaugen schienen sich auf Saugarmen aus dem Kopfe heraus zu verlängern. Sara stand mit verständnislos aufgerissenem Munde da. Die humoristische Pointe dieser Situation ging über ihren Horizont. Adjunkt Quillander machte den Schritt zurück, den er eben vorwärts gemacht hatte.

Es verging eine Anzahl Sekunden, ohne daß ein Wort gesprochen wurde. Dann fuhr sich Quillander hastig mit der Hand über das Gesicht, wie um die Muskeln in Ordnung zu bringen.

»Das hier …«

»Ja, das hier. Wollen Sie mir sagen, was das hier ist?«

»Wenn ich nicht fehlsehe, sind es Wechsel.«

»Sie sehen recht. Es sind Wechsel. Jetzt drücken Sie sich viel beherrschter aus als früher; soll ich noch immer Ihr Haus – hahaha, Ihr Haus – von meiner Gegenwart befreien?«

»Ja, ich wüßte nicht, daß sich etwas ereignet hätte, das es weniger wünschenswert macht, daß Sie …«

»Wissen Sie, was ein Wechsel ist?«

»Ich kann wirklich nicht …«

»Herr Wessén, Herr Adjunkt Quillander ist sich nicht darüber klar, was ein Wechsel ist. Man sollte es nicht glauben, wenn man weiß, wer er selbst ist. Sagen Sie ihm doch, was ein Wechsel ist, Herr Wessén.«

Der blaugekleidete Herr in Fräulein Lundéns Gesellschaft richtete seine schwarzen Augen wie zwei Bohrer auf den Adjunkten Quillander. Adjunkt Quillander fuhr sich zum zweitenmal über das Gesicht. Sara entsendete vorschlagsweise ein Kichern, aber verstummte sofort, als Herrn Wesséns Blick sie streifte.

»Ein Wechsel,« sagte der Blaugekleidete mit metallisch klingender Stimme, »ist ein vom Gesetz besonders geschützter Schuldschein auf kurze Frist, in der Regel drei Monate. Der Akzeptant, der das Geld schuldig ist, stellt ihn dem Trassanten aus, der den Betrag zugute hat. In manchen Fällen kommt noch ein Indossant hinzu, der die Forderung bei der Bank garantiert, bei der der Schuldschein belehnt ist.«

Adjunkt Quillander räusperte sich nachdrücklich.

»Wer ist denn dieser Herr? Wenn ich ungebetene Gäste unter meinem Dache habe, muß ich doch wenigstens wissen, was sie …«

»Herr Wessén, weiter! Sie vergessen das Wichtigste! Wie ergeht es dem, der einen fremden Namen auf einen Wechsel schreibt?«

Adjunkt Quillander verstummte plötzlich. Adjunkt Schorn, der leichenblaß war, wurde blutrot. Direktor Hoff-Jensen erhob sich halb von seinem Sessel.

»Wer einen fremden Namen auf einen Wechsel unterzeichnet oder eine ähnliche Handlung begeht,« sprach Herr Wessén eintönig weiter, »wird mit Zuchthaus von sechs Monaten bis acht Jahren bestraft. Im Wiederholungsfalle …«

»Hören Sie mal!« brüllte Quillander und trat näher an den Blaugekleideten heran, die Hand auf einer Stuhllehne geballt. »Wer sind Sie? Was meinen Sie mit diesen Albernheiten? Wollen Sie vielleicht jemand in der Gesellschaft der Wechselfälschung bezichtigen? Was wollen Sie sonst mit Ihrer Komödie? Antworten Sie!«

Fräulein Lundén streckte triumphierend die vier Papiere Adjunkt Quillander ins Gesicht und zog sie dann blitzschnell zurück.

»Hier sind vier Wechsel,« rief sie. »Sie haben sie akzeptiert, Herr Schorn hat sie trassiert, und Peter Ludwig hat sie indossiert. Sie sehen, ich habe die Ausdrücke gelernt. Der erste lautet auf achthundertfünfzig, der zweite auf elfhundert, der dritte auf zwölfhundert und der vierte auf fünfzehnhundert Kronen. Ich habe sie selbst, bevor ich herfuhr, bei der Bank eingelöst. Es kam ein Aviso nach dem andern. Das hat mich auf die Spur gebracht. Es sieht aus, als ob Peter Ludwig die ersten drei selbst unterschrieben hätte. Wie Sie ihn dazu gebracht haben, weiß ich nicht, aber ich gedenke, es noch herauszubringen. Ueber dreitausend Kronen in einer Woche! Ja, aber den vierten Wechsel auf fünfzehnhundert hat Peter Ludwig nie unterschrieben! Es mag ja so aussehen, als ob er unterschrieben hätte, aber das hat er nicht. Ich kenne seine Schrift. Den Namen hat nicht er geschrieben, sondern jemand andrer

Ihre Augen sprühten Raketen. Quillander machte unwillkürlich einen Schritt zurück, aber faßte sich wieder.

»Schorn!« rief er, »ich nehme dich zum Zeugen. Fräulein Lundén wagt zu behaupten, daß ein Wechsel auf fünfzehnhundert Kronen mit Möbius' Namen gefälscht ist. Sie behauptet, daß er von mir akzeptiert ist. Ich habe einen Wechsel auf fünfzehnhundert akzeptiert, den Möbius indossiert hat. Ich frage dich, hast du ihn selbst auf der Nimbschen Terrasse unterschreiben gesehen oder nicht? Nun?«

Adjunkt Schorn wechselte wie ein Chamäleon zweimal in zehn Sekunden die Farbe. Er stammelte etwas, das wie ein Ja klang. Fräulein Lundén wartete kaum, bis er fertig war, um zu rufen:

»Ueberlegen Sie sich, was Sie sagen! Sehen Sie in einen Spiegel und überzeugen Sie sich, ob Sie sich selbst glauben können. Peter Ludwig hat den Namen nie geschrieben!«

»Möbius hat den Namen auf der Nimbschen Terrasse geschrieben, Schorn hat es bezeugt. Wie können Sie es wagen …?«

Herr Wessén öffnete zum zweitenmal den Mund.

»Es läßt sich denken, daß der, der den Wechsel trassiert hat, ein ebenso großes Interesse an einer eventuellen Fälschung haben kann wie der Akzeptant. Auf jeden Fall ist seine Aussage irrelevant.«

Die Augen des Adjunkten Schorn hingen an ihm wie die eines lebenslänglich Verurteilten am Richter. Quillander rief:

»Möbius hat den Namen geschrieben! Wie können Sie es wagen, mich oder Schorn einer solchen Sache zu beschuldigen? Wollen Sie mich das Papier sehen lassen und …«

»Ich will nur eines. Ich will Peter Ludwig selbst sagen hören, daß er den Namen geschrieben hat. Früher gehe ich nicht aus diesem Hause.«

»Sie gehen.«

»Gut. Dann gehe ich zur Polizei.«

»Ich rate Ihnen, nehmen Sie sich in acht.«

In diesem Augenblick ließ sich eine Stimme hören, die seit dem Erscheinen der ungebetenen Gäste stumm gewesen war.

»Pardong,« sagte Direktor Hoff-Jensen in seinem besten Schwedisch, »wenn ich, der ich sozusagen hier ins Haus gefallen bin, mich in die Sache hineinmische. Soweit ich verstehe, hat sowohl das Fräulein,« – er verbeugte sich vor Fräulein Lundén –, »wie Herr Doktor Quillander ein Interesse daran, Herrn – wie war doch der Name – Möbius zu treffen. Das Fräulein glaubt, daß der Herr Doktor weiß, wo Herr – Herr Möbius sich befindet. Doktor Quillander behauptet das Gegenteil. Ich bin überzeugt, daß Doktor Quillander recht hat. Meines Erachtens wären zwei Dinge zu tun.«

»Und zwar?«

»Erstens, zur Polizei zu gehen, es kann ja Herrn Möbius etwas zugestoßen sein.«

»Das ist möglich, aber dann hat der dort seine Hände im Spiel gehabt. Was ist das zweite?«

»Sonst müssen Sie annoncieren und dem eine Belohnung aussetzen, der etwas über Herrn – Herrn Möbius weiß.«

Die schwarzen Augen des Direktors sahen Fräulein Lundén listig an. Fräulein Lundén antwortete nur mit einem Schnauben.

»Wenn Peter Ludwig etwas zugestoßen ist, dann weiß der, der ihn hergelockt hat, was es sein kann. Dem setze ich keine Belohnung aus. Ich bleibe hier bis zwölf Uhr. Dann geht der letzte Zug nach Kopenhagen. Wenn Herr Quillander Peter Ludwig bis dahin nicht herbeigeschafft oder gesagt hat, wo er zu finden ist, so werde ich den ersten Rat dieses Herrn befolgen und zur Polizei gehen. Herr Quillander, haben Sie gehört, was ich gesagt habe? Jetzt ist es halb elf Uhr. Jetzt setze ich mich hier nieder, bitte, nehmen Sie Platz, Herr Wessén.«

Fräulein Lundén nahm unaufgefordert einen Sessel und schob dem Blaugekleideten einen zweiten hin. Quillander starrte ihn an.

»Darf ich fragen, wer sind Sie eigentlich?«

»Ich bin Advokat und ein wenig Privatdetektiv, wenn Sie es gerade wissen wollen.«

Adjunkt Schorn stieß plötzlich einen Seufzer aus, der seinen roten Blutkörperchen für eine längere Zukunft Sauerstoff gab, und hätte fast seinen Stuhl umgestoßen. Saras erstorbene Munterkeit loderte in hellen Flammen wieder auf. Quillander wandte sich ihr zu und brüllte:

»Hinaus! Verschwinden!«

Sie verschwand mit glucksendem Lachen. Hoff-Jensen trat auf Quillander zu.

»Herr Doktor, soll ich gehen?«

»Durchaus nicht! Es – es hat ja den Anschein, als ob ich meine – hm – unangemeldeten Gäste nicht so bald loswerden könnte. Körperliche Gewalttätigkeit liegt mir nicht. Wollen Sie mir wenigstens so lange Gesellschaft leisten, bis sie abgezogen sind, so wäre ich Ihnen dankbar.«

»Es wird mir ein Vergnügen sein.«

Der Direktor lächelte ein sonderbares Lächeln. Quillander schenkte in die Punschgläser ein.

»Jetzt trinken sie Punsch für Peter Ludwigs Geld,« bemerkte Fräulein Lundén halblaut.

Quillander drehte ihr den Rücken und begann mit Hoff-Jensen zu plaudern. Der blaugekleidete Herr Wessén zog das »Svenska Dagbladet« aus der Tasche und las. Von Zeit zu Zeit sah Fräulein Lundén auf die Uhr. Der Punsch sank, zuerst langsam, dann schneller. Zwischen jedem tiefen Schluck, den Quillander oder Hoff-Jensen nahm, kam ein Seufzer vom Adjunkten Schorn und eine Betrachtung von Fräulein Lundén. Viertelstunde um Viertelstunde verrann. Quillander erzählte Anekdoten und trank, anscheinend ahnungslos, daß das Zimmer noch mehr Personen als ihn und Hoff-Jensen beherbergte. Plötzlich räusperte sich Fräulein Lundén und sagte zu sich selbst:

»Jetzt ist es dreiviertel auf zwölf Uhr.«

Nur ein Seufzer des Adjunkten Schorn antwortete ihr.

»Noch zehn Minuten.«

Ein Seufzer antwortete ihr wie ein Echo.

»Acht Minuten.«

»Fünf Minuten. Das ist nicht mehr lange.«

»Zwei Minuten.«

In diesem Augenblick hörte man vorsichtige Schritte.

Fräulein Lundén erhob sich triumphierend.

»Haha! Peter Ludwig kommt also doch! Ich habe es ja gewußt. Wo hat er nur um diese Tageszeit gesteckt?«

Die Vorzimmertür öffnete sich, aber war es Möbius, der kam, so kam er jedenfalls nicht allein. Denn während sich die Vorzimmertür öffnete, öffnete sich gleichzeitig eines der Gartenfenster. Eine Person erschien in der Vorzimmertür und eine auf dem Fensterbrett.

War eine von ihnen Möbius? Unmöglich, es zu sagen. Beide waren maskiert.

Der Mann in der Vorzimmertür sagte gedämpft, aber deutlich:

»'ände 'och, oder ich sieße!«


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