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VII.
Adjunkt Quillander stellt Fragen und vertritt die Rechte der Akzeptantengilde

»Verstehst du, was das heißen soll?«

»Nein, habe ich dir schon gesagt.«

»Oder wie das zusammenhängt?«

»Natürlich ebensowenig.«

»Oder, was er eigentlich meint?«

»Ich brauche meine Antwort nicht zu variieren.«

»Oder, wie das überhaupt möglich ist! Nicht, daß ich je viel Zutrauen zu ihm hatte, wenn es sich darum handelt, Geld durchzubringen …«

»Das hast du schon durch die Tat bewiesen.«

»Aber es gibt doch Grenzen! Wenn ich von ihm in bezug auf seine ökonomische Lage nicht völlig hinters Licht geführt worden bin …«

»Hm! Entschuldige! Es ist mir etwas in die unrechte Kehle gekommen.«

»Wenn er mich nicht total hinters Licht geführt hat, so kann er nicht mehr als zwei Kronen bei sich gehabt haben. Ich erinnere mich, daß ich ihm zwei Kronen gegeben habe, als wir herkamen.«

»Du hast immer die flotte Geste in ökonomischen Angelegenheiten gehabt. Hast du ihm wirklich zwei Kronen von seinem eigenen Gelde gegeben, als wir herkamen?«

»Von seinem eigenen Geld? Was sind das für Dummheiten? Das war Geld, das ich dadurch beschafft habe, daß ich mit persönlichem Risiko zwei Wechsel akzeptierte, die ich …«

»Die du ihn indossieren ließest!«

»Die ich ihn indossieren ließ, worauf ich Geld bei einer Bank bekam. Ist das sein Geld? Das war latentes Geld, das ich an den Tag gebracht habe. Was hat das übrigens mit der Sache zu tun? Tatsache ist, daß ich ihm zwei Kronen gegeben habe – oder waren es drei? Sagen wir drei –, als wir herkamen. Etwas wird er doch bis vorgestern verbraucht haben. Willst du mir erklären, wie es sogar für einen Menschen wie ihn möglich ist, zwei und einen halben Tag mit nicht ganz drei Kronen zu existieren?«

»Du tust ganz recht, mich zu fragen. Selbst könntest du diese Frage kaum beantworten. Mir hast du ungefähr ebensoviel zur Verfügung gestellt wie ihm.«

»Ich denke nicht daran, auf deine Dummheiten zu antworten. Tatsache ist, daß er vorgestern höchstens drei Kronen hatte. Tatsache ist ferner, daß er seit vorgestern fort ist. Hätte er mehr Geld bei sich gehabt, dann würde ich glauben, daß er lumpen gegangen ist. Danach hat er sich natürlich gesehnt, wenn er sich auch vor uns geniert hat. Aber mit drei Kronen!«

»Vielleicht hat er mehr gehabt.«

»Woher sollte er mehr gehabt haben?«

»Von mir nicht, das versichere ich dir. Da hast Du vorgebaut.«

»Willst du nicht mit diesem Gewimmer aufhören? Die Frage ist: Was sollen wir tun? Soviel ich sehen kann, gibt es zwei Erklärungen.«

»Und die wären?«

»Erstens, daß er bereut hat und nach Brostad heimgefahren ist. Das ist das wahrscheinlichste.«

»Hm.«

»Ja, er fürchtet sich. Du hast doch gesehen, wie er am ersten Abend ausgekniffen ist. Das war die reine Angst. Kopenhagen und das neue Leben hier haben ihn erschreckt. Er ist nach Hause gefahren und hat sich bei seiner Tante versteckt. Als ich Gymnasiast war, hätte es mir auch so gehen können, du magst es mir glauben oder nicht. Es gibt noch eine Möglichkeit.«

»Und zwar?«

»Die andre Möglichkeit ist, daß er ermordet wurde.«

»Was sagst du? Ermordet!«

»In einer Stadt, wo man bestohlen wird, kann man auch ermordet werden. Ich hatte das Vergnügen, hier bestohlen zu werden, woran du mich in den letzten Tagen oft genug erinnert hast. Aber der Portier hat die Polizei angerufen, und dort wußte man ausnahmsweise nichts von einem Schweden, der ausgeplündert oder ermordet worden ist. Uebrigens interessieren sie sich für nichts andres als den Einbruch in Roskilde.«

»Du sollst sehen, da ist er im Spiel gewesen. Die Not hat ihn dazu getrieben. Du wolltest ihm nicht mehr als zwei Kronen von seinen eigenen elfhundert zur Verfügung stellen. Er ist hingefahren, hat die Goldkränze gesehen, und die Versuchung ist zu …«

»So hör' doch schon mit deinen Dummheiten auf! Die erste Möglichkeit ist die, an die ich glaube. Ich sagte dir's schon an dem Morgen, an dem er durchgebrannt ist: er ist eigentlich geizig.«

»Zum Beweis dessen, hat er beim Frühstück einen Wechsel in blanco unterschrieben.«

»Was beweist das? Nichts. Das kann er aus Zerstreutheit getan haben. Die Leute unterschreiben aus den wunderlichsten Beweggründen Wechsel. Das kann ich dir versichern.«

»Wenn du es versicherst, glaube ich daran wie ans Evangelium. Uebrigens weiß ich, daß es wahr ist. Ich habe selbst drei Wechsel für dich unterschrieben, außer diesem beim Frühstück.«

»Als er diesen Wechsel unterschrieb, war sein Plan schon fix und fertig: Er wollte durchbrennen. Die Geschichte kam ihm zu teuer, er wollte heim, und ein letztes Anständigkeitsgefühl hielt ihn davon ab, uns ganz mittellos zurückzulassen. Die Neugierde hatte ihn über den Sund gelockt. Die erschreckte Tugend und der erschreckte Geiz jagten ihn zurück. So ist die Sache. Wir brauchen nichts zu tun.«

»Du hast wohl recht. Gestatte mir eine Frage: Wie groß hast du diesen Wechsel gemacht?«

»Zwölfhundert.«

»Zwölfhundert!«

»Zwölfhundert.«

»Zwölfhundert! Du genierst dich nicht.«

»Was meinst du damit?«

»Ich meine, daß ich den Wechsel trassiert habe.«

»Was weiter! Ich habe ihn akzeptiert. Wer hat ein größeres Risiko, der Akzeptant oder der Trassant?«

»Der Trassant.«

»Das ist das Neueste.«

»Ja, wenn du der Akzeptant bist.«

»Darf ich mir deine Unverschämtheiten verbitten? Was meinst du mit einer solchen Bemerkung, und was meinst du überhaupt im ganzen?«

»Ich meine, daß ich fünfhundert Kronen haben will, wenn das Geld kommt.«

»Fünfhundert Kronen?«

»Ja, fünfhundert Kronen, die ich gutgeschrieben haben will, bis der Wechsel eingelöst ist, als Sicherheit für meine Trassierung.«

»Nein, da hört sich doch alles auf! Mir scheint, die Welt ist lichterloh verrückt. Fünfhundert Kronen! Gutgeschrieben, bis der Wechsel eingelöst ist! Jetzt habe ich weiß Gott wie viele Jahre Wechsel gezogen …«

»Ja, das weiß Gott allein.«

»Aber in meinem ganzen Leben habe ich nie etwas Aehnliches gehört. Ja, mir nicht einmal träumen lassen. Fünfhundert Kronen als Sicherheit für den Trassanten. Darf ich fragen: Wieviel bekommt dann der Indossant? Vermutlich den Rest. Und der Akzeptant soll vielleicht noch Zinsen und Spesen bezahlen, kann ich mir denken. Darf ich fragen, warum soll der Trassant fünfhundert Kronen auf einen Wechsel von zwölf bekommen?«

»Weil er trassiert hat.«

»Ich antworte dir und deinesgleichen, wie Mirabeau den Blutsaugern des französischen Volkes antwortete: ›Was habt ihr getan? Ihr habt euch der Mühe unterzogen, zu trassieren, nichts weiter.‹ Nein, ehe nicht meine Zunge lahm und meine Hand zu matt ist, um ein Nein zu schreiben, werde ich auf eine solche Forderung nicht eingehen. Was ist ein Wechsel? Ein Gedicht, nichts anderes. Wem gebührt das Verdienst, daß es entstanden ist? Dem Akzeptanten. Was sind der Trassant und der Indossant andres als das Rohmaterial der Dichtung, das dunkle Chaos, aus dem der Akzeptant einen Kosmos schafft? Ich habe zwölfhundert Kronen geschaffen, indem ich meinen, deinen und Möbius' Namen auf einem Papier kombinierte, zwölfhundert Kronen, die aus dem Nichts kommen, die weder meine, noch deine, noch seine Bareinkünfte beeinträchtigen …«

»Vor allem nicht deine.«

»Und davon bist du frech genug, fünfhundert zu verlangen. Als Kamerad, merke dir wohl, als Kamerad werde ich dir hundert Kronen geben, aber auch keine Oere mehr.«

»Zweihundertfünfzig.«

»Einhundert, nicht eine Oere mehr – ja, warte, ich will weiter gehen, als ich sollte. Du sollst hundertfünfzig Kronen bekommen, aber unter einer Bedingung.«

»Nämlich?«

»Du sollst einen Weg machen.«

»Einen Weg?«

»Ja. Du gehst die Straße hinunter, die diese hier kreuzt, schräg gegenüber dem Hoteleingang. Du gehst ungefähr hundert Schritte rechter Hand hinunter.«

»Was dann?«

»Dann siehst du eine graue Fassade und ein gewölbtes Schild, das über einem Haustor vorragt.«

»Steht etwas auf dem Schild?«

»Es steht: Pfandleihanstalt.«

»Darf ich fragen: Was soll ich in einer Pfandleihanstalt?«

»Du gehst zum Tor hinein, gehst links hinauf und ins Kontor. Da steht eine üppige, dunkle Dame. Wenigstens stand sie zu meiner Zeit da.«

»Soll ich sie von dir grüßen?«

»Ja. Du sollst sie von mir grüßen und ihr sagen, ich brauche fünfzig Kronen. Ich habe kein Geld, und darum muß ich mich an sie wenden.«

»Leiht sie dir so ohne weiteres fünfzig Kronen?«

»Das tut sie, wenn sie deine Uhr und das Zigarrenetui bekommen hat, das dir die Sozis gespendet haben.«

»Nein, das ist doch unerhört …! Meine Uhr und mein Zigarrenetui! Eine alte Familienuhr und ein Zigarrenetui, das ich für meine Vorträge im Arbeiterverein bekommen habe! Die willst du, daß ich verpfänden soll! Ich, der ich den Wechsel trassiert habe, soll in der Stadt herumrennen und meine Uhr und mein Zigarrenetui für den Akzeptanten versetzen! Meiner Seel', ich habe noch nie etwas Aehnliches gehört.«

» Ich habe noch nie etwas Aehnliches gehört. Trassant! Ein Mensch ohne die geringste Bedeutung, ohne Risiko – ohne nennenswertes Risiko, ohne jedes Verdienst an der Entstehung des Papiers, nein, ich will nicht weiter reden. Wenn du diesen Weg nicht sofort erledigst, haben wir überhaupt zum letztenmal miteinander Geschäfte gemacht. Willst du so gütig sein und mir sofort antworten.«

Es wurde still im Zimmer des Grandhotel Petersen. Eine Fliege summte vor dem Adjunkten Schorn hin und her, der ganz zwecklos den Hals einer leeren Pilsnerflasche mit seinem rechten kleinen Finger reinigte. Adjunkt Quillander stand vor ihm, die Hände auf dem Rücken, groß, majestätisch, mit gerunzelter Stirn und Augen, die den Adjunkten Schorn wie Bratspieße durchbohren zu wollen schienen. Die melancholischen Froschaugen des Adjunkten Schorn flackerten unschlüssig über die Uhrkette hin, die sich quer über den Bauch des Adjunkten Quillander zog. Plötzlich sah er Quillander ins Gesicht.

»Du hast ja selber eine Uhr …«

»Zum Teufel, die brauche ich doch, wenn du deine versetzt hast! Wenn du wissen willst, wieviel Uhr es ist, kannst du mich fragen.«

»Warum kannst du nicht deine versetzen?«

»Ich – nein, ich kann nicht länger tauben Ohren predigen. Willst du also den Weg machen?«

»Ich werde es tun, aber …«

»Was aber? Vielleicht noch eine Bedingung?«

»Wenn das Geld für den Wechsel kommt, löst du dann die Uhr und das Etui wieder aus?«

»Jetzt reißt mir aber wirklich die Geduld. Du bekommst hundertfünfzig Kronen – hundertfünfzig Kronen, und dann verlangst du noch, daß ich deine Sachen im Versatzamt auslöse. Was sind das heutzutag für Ideenströmungen? Immer nur den andern Geld auspressen und selber nichts tun? Zum letztenmal frage ich dich: Willst du den Weg erledigen oder nicht?«

»Ich – na ja, in Gottes Namen.«

Adjunkt Schorn befreite gedankenvoll die Pilsnerflasche und seine Nase von den noch überlebenden Bazillen und verschwand durch die Tür. Adjunkt Quillander verfolgte vom Fenster aus seinen Gang zur Pfandleihanstalt mit gerunzelten Augenbrauen. Aus dem Bureau des Grandhotel Petersen im unteren Stockwerk hörte man die Stimmen des Hoteliers und des Portiers die Rechnung der drei Adjunkten diskutieren, und von draußen vernahm man das dumpfe Mittagsbrausen Kopenhagens.


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