Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XIII.
Zwei Herren werden drei und hierauf vier

Der Strand bog sich weiblich, weiß und weich vor den angreifenden blauen Wellen zurück. Bis über ihn hinab hing der Buchenwald, grün, üppig, schwellend. Hier und dort im Grünen verstreut lagen weiße Villen wie schimmernde Kieselsteine.

Das Fischerdorf und Badeörtchen Kildebaek schlummerte in der Sommersonne.

In der Rasierstube waren zwei Herren in Behandlung. Der eine war fertig und wusch sich seine Wunden in einem Schüsselchen, das der Barbier das Lavoir nannte: der andre wand sich mit lauten Rufen unter dem Stahl:

»Barbier! Unmenschlicher Barbier und entsetzensvolles Ungeheuer! Wie kannst du gegen eigenes Blut so grimmig und grausam wüten? Hast du vergessen, daß Krieg zwischen skandinavischen Brüdern ausgeschlossen ist? Au! Ist das jetzt fertig? Dem Herrn sei Lob! Aus vierundzwanzig Wunden blutend, von denen nur eine tödlich war, hinterließ Cäsar sein Hab und Gut dem römischen Volke.«

Der frisch Rasierte erhob sich und wankte zu dem Lavoir, in dessen gelbem Wasser er wie ein Flußpferd zu plätschern begann.

»Sagte ich vierundzwanzig? Ich glaube, es sind zwei Schock. Ich sehe aus wie das Opfer eines Schweines, eines Schafes und einer Ziege, womit die Römer größere Ereignisse zu feiern pflegten. Aber im übrigen ist ein Aderlaß ganz zuträglich. Ich fühle, wie der gelbe Punsch aus mir rinnt, wie der Saft im Frühling aus den Birken. Fünfundzwanzig Oere? Bitte. Nehmen Sie mein Blut, und zeichnen Sie ein Kreuz an die Tür, dann geht der Todesengel heute nacht an Ihrem Hause vorbei. Aber vermutlich kommt er eines Tages, wenn Sie Ihres Amtes walten. Adieu!«

Der kleine Barbier trat auf seine Schwelle und blickte starr vor Staunen seinen zwei Kunden nach, wie sie über die sonnige Dorfstraße verschwanden. Der Dicke streckte die Hand aus und zeigte dem Mageren Kildebaek mit einer Geste wie der Teufel, als er die ganze Welt vorwies.

»Siehst du, Bruderherz! Sieh nur! Das liegt schon seit einem halben Monat da und wartet auf uns, während wir in Kopenhagen herumgehen und uns in der verschiedensten Weise bestehlen lassen. Die ganze Zeit hat hier draußen die Sonne geschienen. Die ganze Zeit hat Gesundheit und Fröhlichkeit hier in den Wellen auf uns gewartet. Die ganze Zeit ist das Badehaus, wo der Bademeister seine furchtbaren Zigaretten rollt, leer gestanden und hat auf uns gewartet. Die ganze Zeit haben schöne junge Fräuleins am Strande ihre magdeburgischen Halbkugeln gezeigt und ihren kleinen Podex argenteus

Sie wanderten weiter und kamen zum Zentrum von Kildebaek, wo der Gemischtwarenladen das Kino fixierte wie einst Sodom Gomorrha. Im Gemischtwarenladen nahmen sie diverse Einkäufe vor.

»Schicken Sie es nach Villa Seefried, ich habe da für den Sommer gemietet. Mein Name ist Doktor Quillander aus Schweden. Das ist mein Freund, Doktor Schorn aus Schweden. Wieviel kostet das Ganze?«

Der Gemischtwarenhändler rechnete auf einer Rolle geblumten Umschlagpapiers.

»Fünf Flaschen schwedischer Caloric,« murmelte er so, als spräche er aus dem Schlaf, »dreißig Kronen, zwei Flaschen King Sorse vierzig Kronen, eine Flasche Rotwein vier Kronen, fünfzig Flaschen Sodawasser fünf Kronen, danke, neunundsiebzig Kronen.«

»Es ist gut, aber schicken Sie es gleich. Nein, hallo! Ich habe ja den Schnaps und das Bier vergessen. Drei Flaschen Aalborg und vierundzwanzig Pilsner!«

»Drei Flaschen Aalborg«, wiederholte der Gemischtwarenhändler geblendet, »dreiunddreißig Kronen, vierundzwanzig Pilsner 6.24.«

»Ja, und weil es mir gerade einfällt, vielleicht noch ein paar Flaschen Portwein und fünf Flaschen Rotwein.«

»Zwei Flaschen Portwein zwölf Kronen, fünf Rotwein zwanzig Kronen,« sagte der Gemischtwarenhändler vernichtet, »dreiunddreißig und zwölf macht fünfundvierzig, dazu zwanzig, ist fünfundsechzig. Fünfundsechzig und neunundsiebzig macht einhundertvierundvierzig und 6.24 für das Bier, danke sehr, einhundertfünfzig Kronen vierundzwanzig Oere.«

Er warf einen scheuen Blick auf seine Kunden. Adjunkt Quillander bezahlte mit einer majestätischen Geste und verließ mit Schorn den Laden. Der Barbier starrte ihnen noch immer von seiner Schwelle aus nach; der Gemischtwarenhändler trat sofort auf die seine. Zehn Minuten später, als die beiden Pädagogen den Fleischerladen verließen, verankerte sich der Fleischhauer vor seiner Ladentür; fünfzehn Minuten später hatten sie ihre Einkäufe beim Tabakhändler beendet, worauf auch dieser herauskam und den Eingang zu seinem Hause versperrte. Endlich verschwanden sie um die Ecke: Kildebaek stieß einen Seufzer aus und Kildebaeks Kinobesitzer einen Seufzer der Erleichterung.

»Nein, es geht doch nichts über das Landleben!« rief Adjunkt Quillander freudig, indem er stehenblieb und sich die Stirne trocknete. »Man hat sein eigenes behagliches, kleines Heim, man hat frische Luft, man hat alle Annehmlichkeiten, alles für den lächerlichen Zins von einhundert Kronen im Monat.«

Adjunkt Schorn bohrte sich die Nase.

»Ich hätte diesen Wechsel nie unterschreiben sollen,« sagte er, »Gott weiß, was er sagen wird, wenn er ihn zu Gesicht bekommt.«

Adjunkt Quillander warf ihm einen verachtungsvollen Blick zu und marschierte weiter.

»Was er sagen wird! Das sieht euch Sozis wieder ähnlich! Ihr denkt nie an etwas andres, als was die Leute sagen werden. Eßt ihr ein anständiges Mittagessen, so habt ihr eine Todesangst, daß die untern Klassen es erfahren könnten. Zieht ihr einen Wechsel, so zittert ihr, daß der Indossant …«

»Es erfahren könnte!« vollendete Schorn mit einem Seufzer, der bis in das Innerste seiner roten Blutkörperchen drang. »Jawohl.«

Sie waren zu einer schmalen weißen Landzunge gekommen, die in die blauen Wellen vorlugte, wie eine vorsichtige Mädchenzehe. Links davon, auf einer Anhöhe, lagen zwei Villen. Adjunkt Quillander blieb stehen, türmte sich über den Adjunkten Schorn auf und rief mit Stentorstimme:

»Jetzt muß aber dieses ökonomische Gewinsel ein Ende haben, daß du's weißt! Wenn du wie ein lebendiger Leichnam bei Tische sitzen willst, dann sei so gut und fahre lieber gleich nach Hause und suche den Trost der Religion, beispielsweise bei Möbius! Punktum und Schluß. Hast du verstanden?«

Adjunkt Schorn sah mit ausweichenden Blicken über das Meer.

»Bist du denn so sicher, daß er zu Hause ist?« fragte er endlich.

»Gewiß, zum Teufel, ist er zu Hause, wo zum Kuckuck sollte er denn sonst sein? Jetzt brauche ich aber einen Grog. Sara! S-a-r-a!«

Ein kleines dickes Mädchen kam aus der einen Villa geflogen. Ueber dem Eingang leuchtete in Gold die Inschrift: »Seefried«. Sie schien fünf oder sechs Räume zu enthalten; sie war im gewöhnlichen Jugendstil gebaut, mit Vorsprüngen, Erkern und Schlingpflanzen; ein kleiner halbherangewachsener Garten umgab sie. Adjunkt Quillander betrachtete sie mit so liebevollen Hausbesitzeraugen, daß er das Mädchen Sara vergaß, bis es ihn durch ein zärtliches Kichern veranlaßte, hinzusehen. Sie war schwarzhaarig und hatte falsche Vorderzähne mit hagebuttenroter Kante, die sie unaufhörlich lächelnd vorwies.

»Sara,« sagte Adjunkt Quillander, »ich bin durstig. Bringe also eine Flasche Whisky heraus, zehn Soda und ein Stück Eis in einem Kübel, verstehst du, Sara! Du hast doch nicht etwa gelächelt? Nein. Vortrefflich. Und bringe dann unser Mittagessen in Ordnung. Beefsteak, gekochte Kartoffeln und Gartenerdbeeren. Beatus ille … ah, es ist schön, sein eigenes Heim zu haben – namentlich auf fremde Kosten.«

Sara verschwand, liebevoll kichernd, um mit den Waren zurückzukehren, die Adjunkt Quillander gegen den Nachmittagsdurst nötig erachtet hatte. Sie ordnete sie auf einem Gartentisch. Adjunkt Quillander sank pustend auf einen Sessel und sah den Adjunkten Schorn an, der mit melancholischen Froschaugen über den Sund starrte.

»Na, du bist nicht durstig?«

Schorn sah ihn mit einem schwermütigen Blick an.

»Ich könnte meinen Kopf verwetten, daß das ein schlechtes Ende nimmt.«

»Schlechtes Ende nimmt! Wie sollte was ein schlechtes Ende nehmen können?«

»Der Wechsel war nicht in Ordnung.«

»Der Wechsel war nicht in Ordnung? Habe ich etwas gefälscht?«

Adjunkt Schorn antwortete nicht.

»Wenn eine Person auf eine Frage ja antworten will und nicht mehr als das halbe Wort herausbringt, habe ich dann das Recht, ihr weiter zu helfen oder nicht?«

»Dazu hast du das Recht, aber …«

»Habe ich etwas andres getan? Antworte mir auf Ehre und Gewissen! Habe ich etwas andres getan?«

»Du bist ein Sophist.«

»Ein Sophist! Wenn ich etwas nicht bin, so ist es ein Sophist. Sollte ich ein Sophist sein, dann wäre es nur in derselben Weise wie Sokrates. Hast du Sokrates' Majeutik oder Entbindungskunst vergessen? Das war das Hauptprinzip seiner Methode. Darunter verstand er die Kunst, den schwerfälligsten Personen die Antworten zu entlocken, die er wünschte. Habe ich etwas andres getan? Das frage ich dich noch einmal.«

»Vermutlich waren jene schwerfälligen Personen anwesend, wenn Sokrates sie entband. Aber Möbius –«

Adjunkt Quillander schoß aus dem Gartensessel in die Höhe wie ein Geiser aus Fleisch und Blut, beide Lungen voll Flüche.

»Jetzt höre zum letztenmal, was ich sage! Wenn du dich nicht augenblicklich auf deinen Podex argenteus setzest und deinen Mund zu seiner ursprünglichen Bestimmung verwendest, nämlich kalten Grog zu trinken, so werfe ich dich, David und die Sibylle sind meine Zeugen, aus dieser Villa hinaus. Zum letztenmal: Hast du verstanden?«

Adjunkt Schorn sank besiegt auf einen Sessel und reinigte den Hals einer Sodawasserflasche, bevor er sich einen Grog einschenkte. Quillander schüttelte sich wie ein Hund, den die Flöhe quälen, und gewann allmählich seine Ruhe wieder. Der Inhalt in den Groggläsern der beiden Pädagogen begann in der Stille zu sinken wie zwei Barometersäulen. Auch die Sonne sank auf das Dach der Villa; die Schatten wurden länger; die Mücken begannen versuchsweise ihre Arbeit; ein Fischer ruderte auf den Sund hinaus und nahm sein stilles Gewerbe auf. In der Villa brachte Sara ein dänisches Lied zum Vortrag. Alles war Friede. Quillanders Gesicht, das von leichter Feuchtigkeit perlte, nahm einen immer verklärteren Ausdruck der Seligkeit an. Er zog sein Taschentuch hervor und fuhr sich über das Gesicht.

»Wie leicht werden die Wangen des Menschen feist,« sagte er gedankenvoll. »Ich glaube, ich habe zehn Kilo zugenommen, seit wir in Dänemark sind.«

In diesem Augenblick geschah etwas. Man hörte etwas, das wie das Grunzen eines Ferkels, das Trampeln eines Elefanten und das Prusten eines Seehundes klang. Es kam vom Gartengitter. Die beiden Adjunkten richteten sich halb auf und sahen hin.

»Pardong, wenn ich störe – wie steht es mit der Gesundheit und der Liebe? Ist es erlaubt, einzutreten?«

Ein enorm fetter Mann in grauem Sakkoanzug stand an der Gartentür und trat von einem Fuß auf den andern wie ein Elefant, der um eine Brezel bettelt. Seine Wangen hingen ebenso schlaff und runzelig herab wie die Haut eines Elefanten; ein dünner Schnurrbart bemühte sich vergebens, seinen Mund zu beschatten. Er trug Brillen, unter denen seine schwarzen Augen starr hervorglotzten wie die eines Tintenfisches. Jetzt verlegte er wieder sein Körpergewicht von einem Fuß auf den andern und wiederholte:

»Pardong, wenn ich störe – ist es erlaubt, näherzutreten?«

Er sprach Schwedisch, eine Art normalisiertes Schwedisch, ungefähr wie ein Gesprächsbuch, kombiniert mit einem Phonographen, sprechen müßte. Quillander erhob sich, und er und der Neuankömmling betrachteten einander, wie Pelion den Ossa betrachtet. Quillander machte eine weite Handbewegung und rief:

»Willkommen in meinem Park, Svenson! Laßt wohlbeleibte Leute um mich sein, die des Nachts gut schlafen. Herr Svenson, Sie erfüllen alle berechtigten Ansprüche. Unter Ihrem grauen Sakko wittere ich keinen Brutus. Treten Sie ein, setzen Sie sich nieder! Sara! Sa-ra!«

Der Fremde, der sich zur Gartentür hereinwälzte, blieb stehen und sah sich um, als fürchte er, daß die Begrüßung ein Fallstrick sei und Sara ein weiblicher Bulldogg. Als er einen üppigen Busen, eine zerraufte Frisur und ein hagebuttenrotes Gebiß sah, warf er sein Zögern über Bord, schloß die Tür und näherte sich mit wogendem Bauch dem Gartentisch der zwei Adjunkten. Adjunkt Quillander sagte, an Sara gewendet:

»Sara, ein neuer Herr hat sich eingefunden, ein geachteter Gast, wir wollen ihn Herrn Svenson nennen. Kredenze uns also ein Glas, fünf Sodawasser und etwas Eis.«

Sara verschwand mit einem Kichern. Der Fremde nahm den Hut ab.

»Aber ich bin wirklich nicht gekommen, um mich hier einzuladen,« protestierte er. »Mein Name ist Direktor Hoff-Jensen. Wir sind Nachbarn. Ich wohne in der Villa dort drüben, Villa Vigilia. Ich hörte, daß die Herren hier gemietet haben, und da dachte ich mir, guckst einmal ein bißchen hinüber. Wenn man auf dem Lande benachbart ist, sieht man sich ja doch, ob man will oder nicht.«

»Herr Hoff-Jensen,« sagte Quillander, »Sie sprechen aufs I-Tüpfelchen, wie mein Lieblingsphilosoph Johann Jakob Boström. Gestatten Sie mir, mich selbst vorzustellen. Mein Name ist Doktor Quillander, gestatten Sie mir fernerhin, meinen Freund vorzustellen: Doktor Schorn aus Schweden, der eigentlich die Villa gemietet hat.«

Adjunkt Schorn zuckte zusammen wie bei einem galvanischen Stoß. Adjunkt Quillander und Herr Hoff-Jensen grüßten sich wie zwei französische Duellanten. In diesem Augenblick erschien Sara, eine Anzahl Sodawasserflaschen an ihren schwellenden Busen gedrückt.

»Ich habe gleich zehn auf einmal genommen,« sagte sie mit einem allumarmenden Lächeln.

»Dieser Gedanke«, sagte Quillander, »beweist, daß Sie, liebe Sara, an Intelligenz bedeutend die Australneger übertreffen, welche nicht weiter als bis drei zählen können. Herr Hoff-Jensen, darf ich Sie bitten, mit mir zu trinken? Skål!«

»Skål, Herr Quillander, Skål, Herr Schorn. Aber es war wirklich nicht meine Absicht …«

Man trank. Quillander sah seinen Gast lange und ernst an.

»Herr Hoff-Jensen, gestatten Sie mir, Ihnen drei Fragen zu stellen?«

»Mit Vergnügen.«

»Was ist Ihre Ansicht in der Politik?«

»Ich bin ein Mann der Rechten. Ich bin Direktor. Ich bin ein Freund geordneter Bankverhältnisse.«

»Vortrefflich! So wie ich. Ich bin Pädagoge. Ich will, daß meine Schüler zu achtungswerten Menschen heranwachsen, die einmal meine Wechsel diskontieren können. Mein Freund Schorn hingegen ist Sozi – Sozialist, Freund der Kleinen im Staate.«

»Doktor Schorn, der die Villa gemietet hat?«

»Das ist nur, um die ökonomische Weltkatastrophe zu beschleunigen. Darf ich fragen: Was sind Ihre Ansichten in der Literatur?«

»Ich lese nur Memoiren und Reisebeschreibungen.«

»Wie ich. Aus den Memoiren sieht man, wie sich die Leute früher einmal aufgeführt haben, und aus den Reisebeschreibungen, wie es anderswo aussieht, für den Fall, daß – und in der Kunst?«

»Da bin ich zum äußersten konservativ. In der Politik kann ich mit mir reden lassen, aber das Meer hat blau zu sein und eine Kuh braun.«

»Herr Hoff-Jensen, sind Sie verheiratet?«

»Nein, Herr Doktor.«

Adjunkt Quillander erhob sich von seinem Sitz und rief:

»Sara! Sa-ra!«

Das hagebuttenrote Gebiß, der üppige Busen und die schwarze Frisur kamen futuristisch über die Grasmatte getanzt. Quillander sah majestätisch auf sie herab und sagte:

»Sara! Es hat sich herausgestellt, daß Herr Direktor Svenson Hoff-Jensen heißt. Durch seine Ansichten nähert er sich dem Niveau des Idealmenschen. Du sollst folglich ein drittes Kuvert auflegen, den Schnaps einkühlen und eine kalte Platte richten, so gut das Haus sie bieten kann. Radieschen, Krevetten, Salat, Brot, Butter, Käse und Anjovis. Herr Direktor, wollen Sie uns die Ehre erweisen, an dieser Mahlzeit teilzunehmen?«

»Herr Doktor,« sagte der dicke Fremdling, »Ihre Gastfreundschaft ist orientalisch. Ich dränge mich bei Ihnen ein. Sie kennen mich nicht …«

»Der Orient fängt in Malmö an,« sagte Adjunkt Quillander. »Die Schweden sind Orientalen. Sie sind Verschwender, sie lieben Phrasen, sie verachten die Frauen und sind melancholisch. Sie geben uns also die Ehre?«

»Herr Doktor … die Ehre …«

Man trank.

Sara entfloh wieder futuristisch. Hoff-Jensen sagte:

»Bevor ich über Ihre Schwelle schreite, will ich etwas gestehen. Dann mögen Sie mich behandeln, wie Sie wollen. Als ich Sie aufsuchte, war es nicht nur als Nachbar, es war auch beruflich. Ich bin so eine Art Versicherungsdirektor. Ich wollte Sie versichern.«

»Was in aller Welt wollen Sie bei mir versichern?«

»Ihr Haus.«

»Welches Haus?«

»Dieses hier.«

»Aber das ist ja nicht mein Haus.«

»Nein, aber Sie wohnen darin. Was für eine Garantie haben Sie, daß man nicht bei Ihnen einbricht?«

»Bei mir? Was könnte man nehmen, das mein wäre? Die Möbel sind ja im Zins inbegriffen.«

»Ich glaubte zu sehen, wie ein Wagen aus dem Fischerdorf eine Menge Waren bei Ihnen ablud?«

»Die Spirituosen! Das ist wahr. Die Spirituosen könnten gestohlen werden. Das geht nicht. Wie heißt Ihre Gesellschaft?«

» Vigilia

»Und Sie nehmen Versicherungen gegen Einbruch auf?«

»Nein. Wir finden, daß es besser ist, zu verhüten, als zu heilen. Wir halten einen Stab von Nachtwächtern, die Nacht für Nacht die Häuser unserer Kunden bewachen. Ich glaube sagen zu können, daß wir bisher zur allgemeinen Zufriedenheit gearbeitet haben. Die Prämie ist niedrig.«

»Wieviel?«

»Ein Zehner im Monat.«

»Sprechen wir von etwas anderm, die Versicherung ist in diesem Augenblick gezeichnet. Nur eine Sache beunruhigt mich.«

»Was denn?«

»Wir könnten alles ausgetrunken haben, bevor die Versicherung abgelaufen ist. Bekommt man in diesem Falle den Versicherungsbetrag zurück?«

Direktor Hoff-Jensen sah seinen Gastgeber verwirrt an. Dann lachte er zögernd und zog ein Buch mit Quittungen heraus. Er stellte eine Quittung aus, Quillander überreichte einen Zehnkronenschein und steckte das Attest ein, daß seine Besitztümer in der Villa Seefried für einen Monat Tag und Nacht unter dem Schutze der Gesellschaft »Vigilia« standen.

»Eigentlich hätte das Attest auf Doktor Schorn lauten sollen,« sagte er. »Er ist für das Ganze verantwortlich.«

Adjunkt Schorn trank sein Glas fieberhaft aus und starrte durch dessen Boden in die Luft hinaus. Die Sonne berührte jetzt die Baumwipfel. Der Fischer auf dem Sund ging weiter seinem stillen Gewerbe nach, die Mücken wurden immer munterer und munterer. In diesem Augenblick verstummte Saras Gesang. Sie erschien auf dem Rasenplatz mit einem Lächeln, so selig wie das einer Heiligen, und rief:

»Das Essen ist serviert!«

Man brach auf und ging in das Haus; man hängte die Hüte auf einen Hirschkopf in der Vorhalle, der gutmütig und gehörnt in die Welt hinaussah; und mit Direktor Hoff-Jensen an der Spitze zog man in den Speisesaal.

Das Mittagessen begann. Die kalte Platte war befriedigend. Der Schnaps eiskalt. Quillander stieß vier Ah aus; die Beefsteaks waren mürb; der Bordeaux des Gemischtwarenhändlers gut und richtig temperiert, die Ananasbeeren saftig und der Madeira gerade entsprechend eisgekühlt. Man glättete die Westen und beschloß, den Kaffee und den Punsch bei Tisch zu trinken. Draußen hatte sich das Wetter getrübt, ein Gewitter schien aufzuziehen. Man hatte die ersten zwei Flaschen Punsch erledigt, als Sara sich in der Tür zeigte, wie eine Bacchantin lächelte, und sagte:

»Es ist eine Dame draußen, die mit dem Herrn Doktor sprechen will.« Quillander stellte das Punschglas nieder. Schorn tat desgleichen und schüttete überdies den Punsch aus. Quillander fixierte Sara und sagte:

»Eine Dame? Die mit wem sprechen will?«

»Mit dem Herrn Doktor.«

»Mit mir?«

»Ja.«

»Eine Dame?«

»Ja.«

»Die mit mir sprechen will?«

»Ja.«

»Das muß ein Mißverständnis sein. Sie hat gesagt, daß sie mit mir sprechen will?«

»Ja.«

»Mit wem hat sie gesagt, daß sie sprechen will?«

»Mit Herrn Doktor Quillander aus Schweden. Ich glaube, sie ist aus Kopenhagen hierher gereist.«

Quillander starrte Schorn und Hoff-Jensen an. Endlich sagte er:

»Die einzige Dame, die ich in Dänemark kenne, ist die, die mir am zweiten Abend, an dem ich hier war, mein Geld gestohlen hat. Sollte sie es sein? Sollten die Gewissensbisse sie in diesem Grade gefoltert haben? In diesem Falle gehe ich Sonntag in die Kirche. Sollte sie es wirklich sein?«

Hoff-Jensen unterbrach ihn in seinen Fragen mit dem praktischen Sinn seiner Nation.

»Die Dame hat vielleicht ihren Namen angegeben,« sagte er. »Hat sie das, Sara?«

»Ja,« sagte Sara und kicherte so hell wie eine Flöte. »Sie hat gesagt, ich soll bestellen, daß Fräulein Lundén aus Schweden mit dem Herrn Doktor zu sprechen wünscht.«

Saras Lächeln erstarb plötzlich. Bei ihren letzten Worten erhoben sich die beiden Herren des Hauses wie ein Mann. Adjunkt Quillander sah Sara an, und Adjunkt Schorn sah mit den Augen eines sterbenden Frosches den Adjunkten Quillander an. Hoff-Jensen machte Miene zu gehen. Im selben Augenblick öffnete sich die Tür, und eine Dame erschien tatsächlich auf der Schwelle.

Eine fünfundvierzigjährige Dame mit einem harten, vergrämten Gesicht zeigte sich wirklich auf der Schwelle und trat ein. Unmittelbar hinter ihr schritt ein blaugekleideter fünfunddreißigjähriger Mann über die Schwelle. Er hatte einen schwarzen Schnurrbart, breite Backenknochen und scharfe Augen. In der Hand hielt er einen Hut mit rundem Kopf.

Die Adjunkten Quillander und Schorn sanken automatisch auf ihre Stühle. Dafür erhob sich Hoff-Jensen höflich, aber verständnislos. Die fremde Dame blieb dicht an der Tür stehen und sah die Gesellschaft an. Der blaugekleidete Mann schloß die Tür. Sara gab ein Kichern von sich, das dem Papinschen Topf alle Ehre gemacht hätte.


 << zurück weiter >>