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Fünftes Kapitel.
Die Auflösung der Aktiengesellschaft »Confidentia«. Die Gründung der Aktiengesellschaft »Sapientia«

»Ja – wer hatte angerufen?«

Stangeland versuchte, die Frage mit einem Scherz zu beantworten, und für einen Moment, als er den Gewinn in der Hand hielt, vergaß Furustolpe seinen Schrecken. Aber in der nächsten Nacht kehrte er wieder – Furustolpe träumte – und im Traume riefen ihn alle Mächte der Finsternis an und drohten ihm. Am nächsten Tage kam Herr Blomberg, um eine Geschäftsreise zu unternehmen. Furustolpe schreckte davor zurück; wie vor einem Mord.

»Jawohl – ich mache mit, aber zuerst müßt Ihr mir sagen, wer mich anrief!«

»Niemand hat angerufen!«

Furustolpe antwortete mit einem Redeschwall, und Stangeland schlug mit der Faust auf den Tisch.

»Schweig! Ich will nichts mehr von dem Geschwätz hören?«

»Geschwätz?« Furustolpes Stimme überschlug sich.

»So wahr ich hier sitze – es ist kein Geschwätz. Ich hörte die Stimme ebenso bestimmt, wie ich dich jetzt höre! Nein, ich mache nicht mit! Ich habe moralische Bedenken?«

»Moralische Bedenken! Was soll denn das heißen?«

»Ich meine – neulich nacht überlegte ich mir, ob es auch recht ist.«

»Recht! Warum sollte es nicht recht sein?«

»Ich frage dich nur: ist es richtig gehandelt?«

»Ich will dir etwas sagen: wenn du Bedenken hast, kannst du ja deinen Gewinnanteil den Zollbehörden als Reue schicken. Aber nicht meinen Anteil – wohlverstanden?«

Furustolpe faltete gedankenvoll seine Serviette.

»Also hältst du das Geschäft für gut?«

»Ich stehe jenseits von Gutem und Bösem – ich bin ein Anhänger von Nietzsche – mir ist das ganz egal!«

Die Antwort des Kompagnons gefiel Furustolpe nicht. Er ging zu brutal mit Dingen um, die vorsichtig behandelt werden mußten.

»Ja – aber – glaubst du, daß es ein korrektes Geschäft ist?«

Stangelands Lachen rollte wie ein Donner:

»Nein – das glaube ich wirklich nicht!«

»So – das ist also deine Ansicht!«

»Was ist unrecht? Kannst du mir das sagen? Ich kenne wohl das Wort, aber der Begriff ist mir unbekannt! In Ägypten war es unrecht, wenn man seine Schwester nicht heiratete. Aber ich würde dir nicht raten, das hier im Lande zu versuchen. Auf Korsika ist es sehr unrecht, wenn du nicht einen Mann erschlägst, dessen Urgroßvater deinen Urgroßvater beleidigt hat. – Hm – hier sitzt du und ißt Filetbeefsteak zum Frühstück. Weißt du nicht, daß es in Tibet verboten ist, auch nur eine Wanze zu töten?«

Furustolpe hatte zugehört, ohne auch nur ein Wort zu verstehen. So wie ein stetig fallender Tropfen einen Stein aushöhlen kann, so hatten Stangelands Worte seine Bedenken geschwächt, ohne daß er wußte, was Stangeland eigentlich sagte. Aber plötzlich packte ihn wieder die Angst mit eisernem Griff ans Herz. Er hörte die Stimme im Apparat, wieder durchlebte er die Schrecken der Nacht.

»Ich mache nicht mit!« rief er, »nein – absolut nicht? Oder doch, aber nur unter einer Bedingung!«

»Und die wäre – –?«

»Herr Blomberg reist heute abend ohne – hm – ohne Gepäck zurück – wenn's gut abläuft – – –«

»Aber warum denn nur?«

»Ich habe an etwas gedacht. Derjenige, welcher mir drohte, wußte nicht, daß du schon abgereist warst. Darum lief es dieses Mal glücklich ab. Wenn Herr Blomberg also nochmals gut durchkommt – –«

»Hör' auf mit deinem Blödsinn!«

»Es bleibt dabei. Und ich habe ja das Geld!«

Stangeland fluchte. Herr Blomberg sah Furustolpe mit einem Ausdruck eisiger Verachtung in seinen Gletscheraugen an. Aber Furustolpe blieb fest. Blomberg verschwand mit dem Versprechen, am nächsten Tage, falls alles gut ablief, wiederzukommen.

Als Stangeland und Furustolpe wieder von Blomberg hörten, geschah dies durch die folgende Notiz im »Aftonbladet«:

Der letzte Trick der Schweden. Unsere Brüder jenseits des Sunds haben einen Erfindungsgeist entwickelt, der ihres großen Landsmannes John Ericssons würdig ist, wenn es sich darum handelt, aus unserem kleinen Land Ware auszuführen, an der es ihnen mangelt.

Ihre letzte Erfindung wandte gestern ein junger Mann, namens Blomberg aus Malmö, an. Herr B. wurde in der Zollrevision festgenommen, als er gerade dabei war, einen Posten medizinischer Artikel, von denen die Schweden bestimmt keinen Überfluß haben, in seinem künstlichen Arm durchzuschmuggeln.

Die Polizei ist mit diesem Fang recht zufrieden, obwohl sie nicht leugnet, daß sie gehofft hatte, einen wertvolleren Fund bei Herrn Blomberg machen zu können.

Herr Blomberg wird heute nacht in seine Heimat überführt, nachdem er die festgesetzte Strafe bezahlt hat. Es wird sicher einige Zeit vergehen, bevor er sich wieder am guten dänischen Essen und dem eisgekühlten Aquavit ergötzen kann.«

Furustolpe schaute Stangeland mit glänzenden Augen an.

»Na – was habe ich dir gesagt?«

»Hm!«

»Siehst du – was hier steht: die Polizei hoffte, einen viel wertvolleren Fund zu machen. – – Was sagst du dazu? Gibt es jemand, der uns schaden will oder nicht?«

»Hm … Tja …«

»Ich hatte recht! Aber wer könnte das wohl sein? Ich sage dir nur das eine: ich habe noch nie eine ähnliche Stimme gehört! Es lag solch ein diabolischer Hohn darin …«

»Rege dich nicht auf! Wir wollen den Tatsachen in die Augen schauen. Wir müssen logisch denken. Erst wollen wir sehen, ob Blomberg zu schweigen versteht.«

Doch Blomberg konnte es. In dieser Beziehung brauchten die Gründer der Aktiengesellschaft »Confidentia« ihr erstes unerlaubtes Geschäft nicht zu bereuen. Aber es rächte sich doch. Denn der mystische Anruf, die Ungewißheit und der Schreck machten Furustolpe zu aller Arbeit unfähig. Die Gefahr war diesmal glücklich vorüber, aber wer garantierte denn, daß es nicht nur eine Galgenfrist war, und der Unbekannte mit ihm spielte wie die Katze mit der Maus. »Vorsicht, Furustolpe! Das Geschäft geht schief!« Er überlegte, bis ihm ganz schwindlig wurde – wer mochte wohl dahinter stecken. Herr Isidor Lebenslust unterließ nicht, daraus Vorteil zu ziehen. In einem unbedachten Moment unterschrieb Furustolpe für die Gesellschaft einen Kontrakt, in dem eine Drei einer Acht zum Verwechseln ähnlich sah – am nächsten Tage garantierte Herr Lebenslust, daß es eine Drei sei: die Aktiengesellschaft »Confidentia«, deren alter Kontrakt mit Herrn Lebenslust abgelaufen war, verpflichtete sich, in Zukunft den Tang für 3 (drei) Öre pro Kilo zu verkaufen. Auf dem Warenmarkt war der Tang jetzt auf sieben Öre gestiegen, Furustolpe hatte sich zehn Öre ausbedungen und acht zu erhalten gehofft. Umsonst!

Herr Lebenslust schwor darauf, daß die Acht eine Drei war. Es war nie – nein niemals etwas anderes gewesen – und es fiel ihm nicht ein, mehr zu zahlen!

»Sehen Sie doch, Herr Furustolpe! Es ist eine Drei und keine Acht! Und dann steht doch in Buchstaben: drei und nicht acht Öre!«

»Aber Sie haben doch die Buchstaben ausgefüllt!«

»Nein, nein, Herr Furustolpe. Bedenken Sie bitte, was Sie sagen! Und die Unterschriften sind beglaubigt!«

Furustolpe betrachtete die Handschrift. Es konnte ebensogut die des Herrn Lebenslust wie seine eigene Schrift sein – doch die Unterschriften waren beglaubigt. Zwei Bureauangestellte aus dem Ledergeschäft, das im selben Flur lag, hatten sie beglaubigt. Er erinnerte sich dessen plötzlich und sprang wütend auf.

»Sie sind ein ganz durchtriebener Betrüger! Der Preis auf dem Warenmarkt ist sieben Öre das Kilo. Früher zahlten Sie mir fünf Öre, soll ich jetzt, wo der Preis steigt, zwei Öre billiger verkaufen? Sie Schwindler, ich gehe jetzt zur Polizei!«

Herr Lebenslust schlug die Augen nieder und lächelte.

»So? Wirklich? Und wann kommen Sie wieder?«

»Was meinen Sie?« schrie Furustolpe.

»Wissen Sie das wirklich nicht, Herr Furustolpe?«

Der Blick des Lebenslust war falsch, wie der einer Schlange. Furustolpe hatte das Gefühl, als ob sich in seinem Innern plötzlich ein Ventil geöffnet hätte, das seine ganze Wut ausströmen liest. Aber nicht nur seine Wut, sondern auch der Mut verließ ihn. Wußte vielleicht Herr Lebenslust etwas? Seine Blicke schienen zu sagen: »Ich weiß alles!« Wieder hörte Furustolpe die drohende Stimme im Telephon, und wieder erlebte er die Angst der bewußten Nacht. Hatte Herr Lebenslust angerufen? Indem er Worte vor sich hinmurmelte, die wirklich keine Segenswünsche waren, steckte Furustolpe den Kontrakt in die Tasche und wies Herrn Lebenslust die Tür.

Das war ein harter Schlag für die Aktiengesellschaft »Confidentia«, und Stangeland schob die ganze Schuld auf Furustolpe. Aber – dieser widersprach.

»Ich kann dir nur sagen, daß ich erst dann wieder ein Mensch sein werde, wenn ich erfahre, wer mich damals anrief. Jetzt glaubst du doch selbst daran, daß es wirklich jemand gewesen sein muß. Aber wer? Ich muß es wissen, sonst habe ich keine Ruhe.«

»Und weil du ein Angsthase bist, soll die Aktiengesellschaft in die Brüche gehen? Was verdienen wir an drei Öre pro Kilo?«

»Nichts! Leider Gottes.«

»Allerdings! Das ist wahr. Nein, wir müssen den Juden anzeigen!«

»Das wage ich nicht! Wer weiß, ob er es nicht war, der anrief.«

»Du Angsthase! Du Feigling!«

»Du kannst schimpfen, soviel du willst, aber ich wage es eben nicht. Und ich werde keinen Moment Ruhe haben, bis ich weiß, wer anrief!«

Stangeland konnte reden, was er wollte – es half nichts – und gegen den Willen des Kompagnons war nicht anzukommen.

Der Januar 1917 war ein schwerer Monat für die Aktiengesellschaft »Confidentia«. Die einzige Exportware war Tang, seitdem keine Nesseln und Eicheln mehr zu haben waren, und Herr Lebenslust erhielt jetzt den Löwenanteil des Verdienstes. Aber es kam noch schlimmer!

Am 1. Februar des Jahres 1917 dröhnte ein winterlicher Donnerschlag über ganz Nordeuropa. Deutschland erklärte England die Blockade. Der große U-Bootkrieg sollte beginnen; die Fänger wollten den Walfisch zu Tode jagen, ihn erschrecken und aushungern, bis er der Harpune erlag. Was bedeutete das für diejenigen, die nicht an der Jagd beteiligt waren? Diese Frage ging von Mann zu Mann, von Café zu Café über Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen. Was es für Dänemark für Folgen haben sollte, erfuhr man am Morgen des 3. Februar.

Als Kopenhagen erwachte, waren die Wände und Säulen mit roten Plakaten beklebt, die vom Magistrat unterzeichnet waren. Sowohl die Kohleneinfuhr von England, als auch alle anderen Importwaren, so verkündeten die Plakate, schwebten in ernstlicher Gefahr; es war die Pflicht eines jeden Staatsbürgers, an allem, besonders an Gas und Elektrizität, zu sparen. Die Behörden setzten sich selbst dadurch an die Spitze, daß sie den Verkehr einschränkten und alle Lokale um elf Uhr schließen ließen.

Die platonische Aufforderung zur Sparsamkeit ließ die Bevölkerung kalt, aber die Mitteilung der für elf Uhr angesetzten Polizeistunde ließ sie den Ernst der Situation klar erfassen. Erst jetzt wurde vielen bewußt, daß seit dem 1. August 1914 ein Weltkrieg wütete. Als weitere Bestätigung dessen kam einige Wochen später das Alkoholverbot wie ein Donnerschlag. Die alkoholischen Getränke sollten auf ihre Quantitäten geprüft und anschließend versteuert werden.

Wie ein einziger Schrei des Entsetzens tönte es aus allen Cafés des Landes. – Aber die Besucher der Lokale waren nicht die einzigen, die Grund zum Klagen hatten. – Die Reedereien, die nicht segeln – die Importgeschäfte, die nicht einführen – die Exportgeschäfte, die nicht exportieren konnten – alle klagten verzweifelt zum Himmel und waren durch nichts zu trösten.

Auch die Aktiengesellschaft »Confidentia« ließ ihre Stimme in dem Klagechor ertönen. Furustolpes Kontrakt mit Herrn Lebenslust hatte die Geschäfte so gut wie lahmgelegt. Von Verzweiflung und Mutlosigkeit ergriffen, hatten sich die Direktoren dazu entschlossen, zehntausend Kronen an der Börse zu riskieren. Im Strudel der Spekulation war diese Summe im Nu verschwunden.

Noch ein solcher Schlag, und die Aktiengesellschaft war verloren. Sie sollte sterben – aber nur, um wieder neu zu erstehen!

 

Am Abend des 3. April 1917 war die Weinstube »Halt!« bis auf den letzten Platz von Bachanten gefüllt, die das Wiedersehen mit dem Alkohol feierten. Der Minister des Innern hatte an diesem Tage seine schwere Hand von ihnen genommen, die Vorräte waren gezählt und mit hundert Prozent besteuert worden.

Der Dichter Storfossen saß mit seiner Gattin am Eingang des äußeren Zimmers und prophezeite Unglück wie Jonas vor den Toren Ninives.

»Hundert Prozent! – weiß der Teufel, ich glaube, daß alle Menschen verrückt geworden sind. Ein Schnaps soll jetzt fünfundzwanzig Öre kosten – eine kleine Flasche Schwedenpunsch vier Kronen und ein Whisky mit Selters eine Krone fünfundzwanzig. Was sagt ihr dazu?«

Der Zeichner Hallin entgegnete: »Und ist denn das wirklich zu teuer?«

»Wer sagt denn, daß es zu teuer ist? Es gibt eben Dinge, die man nie zu hoch bezahlen kann. Du verstehst mich mit Absicht falsch. Aber früher kostete ein Schnaps zehn Öre – eine Flasche Punsch zwei Kronen und ein Whisky fünfundsiebzig Öre. Damals hatte die Sache noch Sinn?«

Im inneren Raum saßen die beiden Gründer der »Confidentia« an einem Tisch und sprachen über die Geschäfte der Aktiengesellschaft.

»Ja,« sagte Stangeland, »es sieht wirklich gut aus. Heute haben sie fünf norwegische, zwei dänische und ich weiß nicht wieviel englische Schiffe versenkt. Wenn das bis Weihnachten so weitergeht, gewinnen sie doch noch den Krieg!«

Furustolpe seufzte schwer.

»Bald wagt niemand mehr zu segeln, mit Ausnahme der Ostasiatischen Company. Keiner ihrer Dampfer ist versenkt worden. Und weißt du, warum? Weil Kaiser Wilhelm Aktionär ist!«

Wieder stieß Furustolpe einen tiefen Seufzer aus.

»Glaubst du nicht, daß er einige Aktien der »Confidentia« übernehmen würde?« fragte er.

Stangeland schüttelte bitter lächelnd den Kopf.

»Paß auf, was ich dir sage: ich glaube, die Aktiengesellschaft »Confidentia« hat ihre besten Tage hinter sich.«

Furustolpe richtete sich langsam auf. »Was sagst du?«

»Ich sage dir meine ehrliche Meinung. Es war ja so gedacht, daß die Gesellschaft in solchen Geschäften spekulieren sollte, um die sich andere nicht kümmerten, bis wir genug verdient hatten, um etwas Besseres anzufangen. Aber jetzt wird es keine Möglichkeiten mehr geben, die andere nicht auch übersehen. Wir befinden uns in einer abgeschnittenen Festung. Das Rohmaterial wird bald zu Ende gehen. Alles wird teurer werden. Man wird zu dem kleinsten Geschäft viel Geld brauchen!«

Furustolpe hörte nachdenklich zu.

»Als wir die Gesellschaft gründeten,« sagte er, »wurde vereinbart, daß du die Ideen hergeben und Beziehungen anknüpfen solltest, und ich mußte das nötige Kapital zur Verfügung stellen. Und ich lasse mein Kapital nicht in einer Gesellschaft stehen, die deiner Ansicht nach zum Tode verurteilt ist!«

»Haben meine Ideen vielleicht nichts eingebracht?«

»Oh – doch – gewiß, aber jetzt? Was hast du jetzt vorzuschlagen? Du sagst, daß es mit der Aktiengesellschaft aus ist. Ist das eine Idee, von der die Gesellschaft existieren kann?«

In diesem Augenblick erschien ein hagerer, blasser Mann auf der Schwelle des Raumes. Er hatte einen blonden Schnurrbart, der tief in die Mundwinkel herabwuchs, seine Augen waren wasserblau und sein Blick müde. Sein Anzug saß außerordentlich schlecht, aber man hatte den Eindruck, er müßte so sitzen und würde ihm nicht stehen, wenn er gepaßt hätte. Die Ärmel waren voller Flecke. Seine Nägel und Fingerspitzen erschienen mahagonifarben. Er kam mit aufgeschlagenem Rockkragen in das Zimmer geschlichen, genau, als ob er sich vor der Gesellschaft an Storfossens Tisch fürchtete. Durch die Stille, die bei seinem Erscheinen eintrat, hörte man Bruchstücke des Gesprächs an Storfossens Tisch.

Dieser rief: »Nein – zehn Öre für einen Schnaps und fünfundsiebzig Öre Grog, das hatte noch Sinn! Aber jetzt …«

Der Zeichner Hallin sagte:

»Bei solchen Preisen wirst du nicht mehr dichten können! Du mutzt die Produktion mangels Rohstoff einstellen, genau wie die Fabriken!«

Der Dichter Wassersturz, der über sein neues Schauspiel nachgegrübelt hatte, fuhr auf und sagte:

»Mein Stück kann ebensogut in Frankreich wie in Österreich aufgeführt werden. Ich habe mit Absicht vermieden, genaue Ortsangaben zu machen!«

Der hagere blasse Mann schaute forschend zu Stangeland und Furustolpe hinüber und setzte sich dann an einen Tisch nahe zu ihnen. Sie waren zu sehr im Gespräch vertieft, um es zu beachten.

»Hör' mich erst mal an!« sagte Stangeland, »und sage mir dann, ob ich keine Ideen habe!«

»Oh – gewiß – du hast schon Ideen! War es nicht dein Vorschlag, an der Börse zu spekulieren? Der Scherz kostete uns zehntausend Kronen! Die Idee kam allerdings von dir!«

»Nicht soviel von dir wie von mir! Wer unterschrieb denn den Kontrakt mit Lebenslust? War das nicht der Grund, daß wir unser Glück an der Börse versuchten?«

»Und war nicht das Telephongespräch daran schuld, daß ich mich bei dem Kontrakt verschrieb?«

»Damals hat dich niemand angerufen!«

»Darauf antworte ich nicht!«

»Ich auch nicht! Übrigens ist es mir ganz egal! Aber ich sage nur immer wieder das Eine: die Aktiengesellschaft hat ihre besten Tage hinter sich!«

»Gut, dann nehme ich eben mein Geld heraus!«

»Das kannst du nicht! Das ist nach den Statuten unmöglich.«

»Ich kümmere mich nicht um die Statuten!«

»Na – ich muß sagen …! Hör mal – die Schuld liegt einzig und allein an der Blockade! Das Rohmaterial wird zu teuer. Das, was wir zwei vor dem Platin …«

»Still!«

»Die Sachen, die wir vorher exportierten, waren Rohstoffe. Jetzt ist es damit vorbei. Also müssen wir teure Ware aus billigen Rohmaterialien herstellen und exportieren.«

»Ha ha! Du bist wirklich schlau? Warum nicht ebensogut gleich Geld machen?«

»Nein! Das ist strafbar. Aber es ist nicht strafbar, aus billigem Rohmaterial teure Ware herzustellen. Was verkauften wir nach Deutschland? Tang, Nesseln und Eicheln! Warum kauften die Deutschen das Zeug? Weil es billiges Rohmaterial war. Jetzt werden wir es selbst veredeln! Das wird sich fünfmal mehr lohnen. Das ist meine Idee!«

»Du bist klug! Womit sollen wir denn anfangen? Mit Tang, Nesseln und Eicheln?«

»Nein!«

»Na – womit denn sonst?«

»Das ist eine spätere Frage!«

»Hahahaha! Du hast natürlich keine blasse Ahnung, sondern schwätzt nur!«

»Das tue ich nicht!«

»Na – möchtest du nicht die Güte haben und mir erklären, was du für Ware herstellen willst?«

Stangeland spitzte seinen Mund, als ob er Furustolpe die Worte tropfenweise einflößen wollte. Furustolpes Miene zeigte deutlich, daß er dieser neuen Idee mißtrauisch gegenüberstand. Aber bevor ihm Stangeland dieselbe mitteilen konnte, geschah etwas.

Der bleiche, hagere Mann, der vor zehn Minuten gekommen war, stand auf, machte eine linkische Verbeugung und sagte:

»Entschuldigen Sie – mein Name ist Petersson. Warum nicht mit – Salvarsan versuchen?«

In diesem Augenblick flutete ein Schwall von Worten von Storfossens Tisch herüber.

»Was sagst du? Ist Alkohol ein Luxus? Ist es recht, den Alkohol mit 100 Prozent zu besteuern? Ist es recht, den armen Leuten, die etwas Licht und Sonne im Leben suchen, es mit 100 Prozent zu erschweren, oder gar unmöglich zu machen? Wenn man Vergnügungssteuer auf die Theater legt, begnügt man sich mit 10 Prozent. Ich sage dir: besteuere mit 100 Prozent die Toren, die ins Theater gehen, und belaste uns mit 10 Prozent – uns, die wir nicht verrückt sind, sondern eine natürliche Freude haben wollen!«

Dem Dichter Wassersturz standen die Haare zu Berge:

»Was sagst du da? Hundert Prozent Aufschlag auf die Theater? Etwas Derartiges habe ich noch nicht gehört. Das Theater ist das einzige, veredelnde Vergnügen, welches den Menschen in dieser Epoche der Maschinen geblieben ist! 100 Prozent! Das wäre ja eine Vergewaltigung …«

Mit offenem Munde betrachtete Furustolpe den Hageren – Stangeland richtete sich wie ein kampfbereiter Stier auf und donnerte:

»Salvarsan!! Sehen wir aus, als ob wir Salvarsan benötigten?«

Der Hagere verbeugte sich nochmals linkisch und wiederholte:

»Entschuldigen Sie! Mein Name ist Petersson. Ich habe durch Herrn Blomberg von den Herren gehört. Ich frage nur: Warum wollen Sie es nicht mit Salvarsan versuchen?«

»Ich höre, was Sie sagen und ich frage: was Teufel meinen Sie eigentlich damit? Aus welchem Grunde glauben Sie, daß wir es nötig hätten?«

Der Fremde zupfte mit zwei braunen Fingern an seinem Schnurrbart:

»Herr Blomberg sprach mit mir von den Herren. Sie sind doch Herr Stangeland und Herr Furustolpe? Ich erkenne Sie nach der Beschreibung des Herrn Blomberg. Er sagte mir, daß die Herren oft hier wären und sprach sehr freundlich über Sie. Ich hörte zufällig Ihr Gespräch, darum kam ich mit meinem Vorschlag.«

Stangeland stand in seiner ganzen imponierenden Größe auf und donnerte:

»Herr – sind Sie verrückt oder bin ich es? Was meinen Sie mit Salvarsan? Hier ist ein Whisky. Trinken Sie ihn augenblicklich aus und erklären Sie sich dann – sonst verprügele ich Sie!«

Der andere verbeugte sich.

»Danke – ich bin Abstinenzler! Ich trinke nichts.«

»So beantworten Sie schleunigst meine Frage!«

Der Hagere setzte sich, rückte den Stuhl näher an den Tisch heran und räusperte sich umständlich. Er sah aus wie ein Mannequin. Geflissentlich vermied er, geradeaus zu schauen, immer irrten seine Blicke zur Seite. Seine Gesichtsfarbe war grau und ungesund. Er spitzte den Mund und stoßweise kamen die Worte über seine Lippen. Seine Aussprache war äußerst grammatikalisch.

»Herr Blomberg hat doch Geschäfte mit den Herren gemacht? Aber nach dem, was ich verstehen konnte, sind diese Geschäfte schon wieder zu Ende. Und jetzt, seitdem die Blockade begonnen hat, sind ja die Zeiten schwierig für die Geschäftsleute.«

Er machte eine Pause, die Furustolpe mit einem Seufzer und Stangeland mit einem Brummen ausfüllten. Dann sprach er weiter:

»Ja, ja – die Zeiten sind schwierig, und es wird noch ärger werden, je größer der Mangel an Rohstoffen wird. Die Kunst besteht nicht mehr darin, daß man Rohmaterial exportiert oder daß man richtiges Rohmaterial herstellt. Jetzt gilt es, aus billigem Material teure Ware herzustellen. Darum meinte ich, daß die Herren es mit Salvarsan versuchen sollten!«

Stangeland schlug mit der Faust auf den Tisch, daß es krachte und sah Furustolpe mit blitzenden Augen an.

»Hörst du! Was sagte ich dir? Salvarsan! – Da haben wir es!«

Furustolpe strich sich den Bart.

»Aber – ich versteh' nicht …«

Stangeland rief:

»Die Aktiengesellschaft »Confidentia« hat ihre besten Tage gesehen – hab' ich dir's nicht gesagt? Aber die Aktiengesellschaft ›Sapientia‹ ist im Entstehen! Ich sah ihre Geburt voraus. Herr Peterssons sah sie in Schweden gleich den drei Weisen aus dem Morgenlande voraus. Hm! Oder habe ich Sie falsch verstanden? Darf ich Ihnen nicht einen Whisky anbieten?«

»Nein, ich danke. Aber bitte, genieren Sie sich nicht, meine Herren! Ich bin aus Prinzip Abstinenzler, aber verkehre nur mit Alkoholikern. Das sind die einzigen Menschen, denen man noch Überraschungen zutrauen kann. Ein Abstinenzler benimmt sich immer gleich, aber bei einem Alkoholiker weiß man nie, was er im nächsten Moment machen wird. Ein Abstinenzler ist wie eine chemische Lösung, in die ich Wasser gieße – ich weiß genau, wie es wirkt. Aber ich liebe Überraschungen und darum verkehre ich nur mit Alkoholikern.«

Stangeland machte eine abwehrende Handbewegung.

»Danke! Aber wollen wir nicht lieber von dem Salvarsan reden?«

Der Hagere rückte seinen Stuhl noch näher heran und strich sich mit seiner mahagonifarbenen Hand über die dünnen Lippen:

»Ich bin Chemiker, wie ich Ihnen schon sagte. Ich habe in Lund, in Berlin und Breslau studiert. In Schweden kann ich nichts machen. Die Professoren wollen mich zurückhalten. Ich habe eine neue Theorie ausgearbeitet, die alle bisher bestehenden über den Haufen wirft. Es ist ja ganz klar, daß es ebenso wenig Grundstoffe gibt, wie Elemente. Einige Professoren geben zu, daß es weniger Grundstoffe gibt, als man früher glaubte, aber niemand will darauf eingehen, daß es überhaupt keine gibt! Nur ich …«

Stangeland packte ihn an der Schulter und rüttelte ihn wie eine Puppe:

»Zur Sache!«

»Ja, aber schütteln Sie mich nicht so. Ich war in Ehrlichs Laboratorium in Frankfurt beschäftigt. Ich weiß genau, wie man Salvarsan macht. Salvarsan kostet 10 Kronen die Tube in Dänemark und mindestens fünfmal soviel in Rußland. Ich kann Salvarsan zu drei Kronen die Tube herstellen. Aber eins kann ich nicht. Ich kann es nicht verkaufen. Aber Sie, meine Herren …«

Zum zweiten Male schlug Stangeland mit der Faust auf den Tisch.

»Herr Petersson! Furustolpe! In diesem Augenblick ist die Aktiengesellschaft ›Sapientia‹ gegründet. Du, Furustolpe, bist der Direktor, ich Schriftführer, und Sie, Herr Petersson, Betriebsleiter. ›Sapientia‹ bedeutet Weisheit. Die Zeit verlangt Weisheit. Die Aktiengesellschaft ›Confidentia‹ ist tot, aber die Aktiengesellschaft ›Sapientia‹ soll leben!«

Furustolpe rief nicht »Hoch!« sondern stand auf und wollte gehen.

»Was ist denn los? Gehst du schon?«

»Ich – ich will nichts mit dem Geschäft zu tun haben! Ich nehme mein Geld aus der ›Confidentia‹ heraus, aber lege es nicht in der ›Sapientia‹ an!«

»Warum denn nicht?«

»Weil das, was du vorhast, nicht recht ist!«

»Und warum denn nicht?«

»Weil es Patentgesetze gibt!«

»So – na hör' mal, was machten denn die Deutschen aus unserem Tang?«

»Was hat dies damit zu tun?«

»Das werde ich dir gleich sagen. Ich bin ein Anhänger von Nietzsche. Ich schmeichle mir, denken zu können. Also was machten die Deutschen aus dem Tang?«

»Ich glaube: Soda und Brom.«

»Also Dinge, die sonst aus anderem Material gemacht werden, das jetzt nicht zu beschaffen ist. Und was machten sie aus den Nesseln?«

»Kleider – glaube ich. Aber das hat doch …«

»Jawohl – Kleider. Die stellt man sonst auch aus anderem Material her, das aber jetzt nicht zu beschaffen ist. Und was machten sie aus den Eicheln?«

»Öl! Aber …«

»Stimmt! Öl! Noch eine Sache, die sonst auf andere Weise fabriziert wird, und die sie jetzt aus dem, was sie eben beschaffen konnten, herstellten. Ich kann den Kern der Dinge finden. Was wollen wir machen? Nur das, was die Deutschen, die das Patent für das Salvarsan haben, zwei Jahre lang gemacht haben.«

»Das ist nicht wahr! Es gibt ein Patent auf Salvarsan, aber nicht auf Kleider und Öl!«

»So kann es einem oberflächlichen Betrachter erscheinen, aber wenn du reiflich überlegst, ist es genau dieselbe Sache! Was ist Salvarsan?«

»Ein Heilmittel!«

»Ganz richtig! Ein Heilmittel. Hm. Ein Heilmittel, welches in der ganzen Welt benötigt wird, aber nur in Deutschland zu haben ist. Ist es recht gehandelt, eine solche Sache zu patentieren? Ich frage: ist das recht?«

»Ja – warum denn nicht?«

»Bestimmt nicht! Hm! Keineswegs. Derjenige, welcher eine derartige Sache patentiert, um sie auszunützen, ist ein Verbrecher, und derjenige, welcher sich über das Patent hinwegsetzt, handelt nach einem höheren moralischen Gesetz. Was überlegst du dir jetzt?«

»Hm. Vielleicht braucht man sich gar nicht um das Patentgesetz zu kümmern: Aber noch eins – es scheint mir recht – gefähr…«

»Na?«

»Recht riskant!«

»Ha – ha – ha! Da haben wir's!«

»Du lachst! Aber wie ging es das vorige Mal, als wir etwas Ähnliches unternahmen? Hätten wir das nicht getan, dann wäre ich auch nicht angerufen worden. Und hätte niemand angerufen, dann hätte ich nicht den Kontrakt mit dem Juden unterschrieben. Und hätte ich nicht unterschrieben, dann hätten wir noch heute unseren schönen Gewinn durch die »Confidentia«.«

»Hahaha! Was willst du eigentlich anfangen? Willst du mit den anderthalb Ören pro Kilo, die der Tang einbringt, leben?«

»Das andere ist gefährlich!«

»Hahaha!« Stangelands Lachen rollte wie der Donner.

»Glaubst du denn, daß es noch ungefährliche Geschäfte gibt? Ist es nicht mit Gefahr verbunden, mit Butter nach England zu fahren? Man riskiert immer, torpediert zu werden. Ist es nicht mit Gefahr verbunden, zu importieren? Das Risiko ist dasselbe. Und ist es nicht für die Fabriken mit Gefahr verbunden, weiter zu arbeiten? Sie riskieren ja, plötzlich ohne Rohmaterial dazustehen!«

»Na schön – du kannst recht haben. Aber wir setzen uns noch viel schlimmeren Dingen aus, wenn dir das Gericht nicht glaubt?«

Stangeland reckte sich.

»Meinetwegen! Ich bin eben ein Nietzscheanhänger. Übrigens! Hast du einen besseren Plan?«

Furustolpe seufzte.

»Du solltest ja Ideen geben – nicht ich!«

Der Chemiker wandte sich wieder mit einer schlangenartigen Bewegung nach vorn über den Tisch und zerrte an seinem Schnurrbart.

»Mit der Firmenbezeichnung wird es kaum irgendwelche Schwierigkeiten geben. Ich denke, daß wir die Ware sozusagen anonym verschicken werden. Wollen wir uns nicht lieber über das Geschäftliche einigen? Herr Blomberg sagte mir, daß man sich sehr gut mit den Herren verständigen könnte?«


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