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Erstes Kapitel.
Das Ende einer Epoche. Der Anfang einer Erzählung

Die Nacht lag über dem Bottnischen Meer.

Die Nacht, die Freundin der Schatten, war voller gespenstischer Wolken; sie jagten einander wie fliehende Heeresmassen über einen zerrissenen Himmel; das Wasser unter ihnen war schwarz wie der Styx, und über den tosenden Wogen steuerte die Brigg »Britannia« gen Westen. Kein Lampenschein sickerte aus ihren Kajütenfenstern; kein Lichtschimmer fiel auf ihren Kompaß; keine Hecklaterne warnte die Schiffe, die möglicherweise ihren Weg kreuzten. Über ein Wasser, schwarz wie der Styx, segelte die »Britannia« gen Westen, gesteuert von Schatten.

Es war eine eisige Aprilnacht, und in der Luft lag Schnee. Das Deck der »Britannia« war glatt wie eine Rutschbahn, die Maste und Taue mit Eis überzogen. Das Wasser, das über die Reeling spritzte, war bitterkalt, bitterkalt der Wind, der durch die Takelage pfiff; die Luft über ganz Europa wehte bitterkalt wie der Tod …

Es war im April 1916.

Die Wolken, die spukhaft über die »Britannia« jagten, hätten ebensogut Brigaden von wirklichen Gespenstern sein können. – Der lange Friede war vorbei, Brigade nach Brigade von lebendigen jungen Menschen waren seit anderthalb Jahren in den Tod gejagt worden – Europa war ein einziges großes Schlachtfeld – ein einziges großes Irrenhaus.

Aber an Bord der »Britannia« war nicht alles so kalt und dunkel, wie es schien. Die Kajüte war wohlig durchwärmt, sie enthielt eine feste Bank und einen rohgezimmerten Tisch; über dem Tisch warf eine verhangene Lampe matt ihr Licht. Der Schein fiel auf zwei Männer, die sich durch ihre Bärte charakteristisch voneinander unterschieden. Des Einen schwer erkennbares Gesicht umrahmte ein fuchsrotes Gestrüpp, während der Andere seinen blonden Bart wohlgepflegt trug. Kein Lichtschein drang in die Nacht hinaus. Die Fenster der Kajüte waren sorgfältig verhängt. Die Zwei, die unter der Hängelampe saßen, hatten sich ebenso geheimnisvoll und diskret zusammengefunden, wie die ersten Christen sich in den Katakomben versammelten. Ganz mechanisch hielten sie mit den Schwankungen des Schiffes Takt. Dann und wann verschwand der blonde Bart im Schatten, und eine sommersprossige Stubsnase, zwei breite Backenknochen und zwei grüne Augen wurden über dem fuchsroten Bart sichtbar. An der Schläfe über den grünen Augen saß eine Warze, die aussah, wie eine stechende Fliege. Wenn dagegen im Wiegen des Schiffes der fuchsrote Bart im Schatten verschwand, dann sah man über dem blonden Bart eine gerade Nase, zwei blaue Augen und eine breite Stirn unter einer zurückgestrichenen blonden Mähne.

Außerdem beleuchtete die Lampe eine dickbäuchige Flasche mit langem Hals und der Aufschrift »Benediktiner«, zwei Trinkgläser und die bläulichen Rauchwölkchen von zwei Zigaretten mit langem Pappmundstück.

Der Mann mit dem fuchsroten Bart hatte das Wort. Er saß nach vorn geneigt, so daß das Lampenlicht seine roten Haare wie Feuer aufleuchten ließ. Mit den knöchernen Fingern der einen Hand hielt er das grobe Trinkglas umklammert; die andere Hand umspannte mit eisernem Griff die Tischkante. Die kleinen grünen Augen starrten auf die schmutzige Kajütenwand, aber sahen sie nicht. Ihr starrer Ausdruck verlor sich in prophetischer Ferne; er war nicht mehr ganz nüchtern.

»Na, was sagt Er dazu, Furustolpe, war das nicht gut gemacht? Das hätte Er wohl nicht geglaubt, um die Wahrheit zu reden? Der Russe hat seine Wächter draußen, und die Deutschen liegen überall mit ihren Schiffen, um das abzufangen, was die Russen durchlassen, – nur noch ein paar Stunden, und wir sind an der schwedischen Küste.«

Das Schiff schwankte – der Mann mit dem fuchsroten Bart verschwand aus dem Lichtkreise. Anstatt dessen tauchte der Mann mit der blonden Mähne aus dem Schatten hervor. Seine Augen hatten einen irritierten Ausdruck. Er hatte nicht so viel wie der andere getrunken.

»Ja, gewiß hat Er es gut gemacht, Teelemainen – aber Ehre dem Ehre gebührt. Dies darf Er nicht vergessen, Teelemainen. Hätte eine gütige Vorsehung uns nicht geholfen, dann wären wir niemals so weit gekommen!«

Die Augen des anderen erschienen im Lichtkreis, sie waren zusammengekniffen und hatten einen nachdenklichen Ausdruck bekommen.

»Die Vorsehung – hm … Er spricht von der Vorsehung, und diejenigen, die von der Vorsehung reden, sind immer solche, die niemals selbst etwas ausführen. Aber wenn andere etwas für solche Leute tun, dann kommen sie immer mit der Vorsehung! – Auf der finnischen Seite lauern die russischen Wachen – und auf der anderen Seite die deutschen Schiffe, und dabei spricht Er immer noch von der Vorsehung! Ich sage nur soviel: Es ist wohl das beste, daß die Vorsehung Ihn nach Schweden schafft, wenn sie es war, die Ihn aus Finnland herausgebracht hat, und nicht ich!«

Der Blick aus den grünen Augen fiel unstet zur Seite, nicht weit genug, um den Tischgenossen zu treffen, aber doch genügend, um ihn bedenklich zu machen. Der ergriff die dickbäuchige Flasche mit einer fetten weißen Hand, lächelte strahlend in seinen Bart und hielt die Flasche mit der Mündung über das Glas seines Gegenüber.

»Nur nicht so hitzig, Teelemainen, ich sprach nur deswegen von der Vorsehung, weil man Gott geben soll, was Gottes ist, und dem Kaiser, was dem Kaiser gebührt, Prosit! – – Ah! Das schmeckt gut! Sollte man glauben, daß es kaum ein halbes Jahr her ist, daß ich Derartiges zum ersten Male trank?«

Im Gehirn des anderen rollten die Gedanken herum wie Steine, die einen Abhang hinunterpoltern, und schwer und bedächtig kamen die Worte über seine Lippen:

»Manch einer könnte für weniger wütend werden, aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die wegen einer Lappalie zum Messer greifen. Ich weiß noch ganz genau, was ich zu Ihm sagte, als Er zu mir kam, Furustolpe. Ich werde tun, was ich kann, Furustolpe, sagte ich, und wenn Er mich anständig bezahlt, werde ich Ihn schon aus dem Lande herausholen; ja, das sagte ich, obwohl ich seine Lage kannte und wußte, daß die Russen nicht gut auf ihn zu sprechen waren, denn sie behaupteten, daß seine Geschäfte nicht für Schweden, sondern für Deutschland gemacht würden. Er, Furustolpe, antwortete da: ›Wenn Er das tut, Teelemainen, dann macht Er etwas, was kein anderer fertig brächte, denn in Tornea kann ich nicht über die Grenze, und so weit komme ich überhaupt nicht, ich werde schon dann festgenommen, wenn ich mich nur an einer Bahnstation zeige.‹

Und darum soll Er nicht von einer Vorsehung sprechen, ich nehme wahrhaftig nichts übel, aber …«

Die fette weiße Hand ergriff das gefüllte Glas und führte es zum roten Bart. Der Blick in den grünen Augen wurde milder, als der Mund im fuchsroten Bart sich öffnete und trank. Der Besitzer der weißen fetten Hand ergriff das Wort, um zu verhindern, daß der Genosse den Gedankengang fortsetzen konnte.

»Die Zeiten, die Zeiten … Teelemainen,« sagte er, »wer hätte das vor zwei Jahren gedacht! Kein Mensch ahnte, daß etwas in der Luft lag, am allerwenigsten ich. Und dann – Bumms! war's da und hörte nicht mehr auf, und wer weiß, wann es überhaupt mal ein Ende nimmt?«

»Was machte Er eigentlich damals, als es anfing, Furustolpe?«

»Das, was ich immer gemacht habe. Ich unterrichtete die Menschen und versuchte, sie auf gute Wege zu leiten.«

»Er aß, trank und lebte wie der reiche Mann, Furustolpe!«

»Das ist nicht wahr! Ich war niemals reich und werde es auch niemals werden. Diejenigen, welche den richtigen Weg gehen und dabei versuchen, ihre Brüder auf denselben Weg zu führen, werden niemals reich!«

»Und darum hörte Er mit dem Predigen auf und fing an, mit Deutschland Geschäfte zu machen.«

»Mit Schweden, mit Schweden, Teelemainen. Ach Gott, nehmen es einem die Menschen übel, wenn man Geld verdient. Und gehört man zu denen, die anderen den richtigen Weg zeigen wollen, ist es erst recht verkehrt. Dann schimpfen sie einem gleich Dieb und Verbrecher.«

»Ich sage überhaupt nichts, ich sage nur, daß Er schweres Geld verdient hat; und dann begann Er, Geld aus dem Lande zu schaffen. Darum war der Russe hinter ihm her, Furustolpe. Warum schickte Er denn auch das Geld heraus?«

»Das ist eine Lüge, Teelemainen, das habe ich niemals getan. Man hat mich verleumdet, die Leute lügen ja so gern.«

»Manchmal sprechen sie auch die Wahrheit, Furustolpe!«

»Darauf antworte ich nicht!«

»Ist auch gar nicht nötig, Furustolpe. Aber wenn Er wirklich kein Geld aus dem Lande geschickt hat, warum will Er also unbedingt nach Schweden?«

»Weil …«

Der Mann mit der blonden Mähne richtete sich auf und schaute vor sich hin, als ob er nach Worten suche. Und plötzlich fand er sie. Er fuhr sich mit seiner fetten weißen Hand durch die Haare; mit leuchtenden Augen und mit einer Stimme, die immer singender wurde, sagte er:

»Weil ich aus der Sklaverei fort will, weil ich die Luft der Freiheit atmen will, darum! Denn welches Volk hat so wie das finnische im Weltkrieg gelitten? Keins! Darum reise ich, Teelemainen. Gott hat nicht alle Menschen gleich geschaffen, manchen gab er Kraft, anderen Verstand. Mir hat er Verstand gegeben. Mit meinem Verstand will ich versuchen, meinem Volke aus fernem Lande zu helfen, denn in Finnland bin ich gejagt wie Absalon. Dort bin ich schwach und machtlos, aber im fremden Lande kann ich Geld verdienen und Hilfe und Vorbild sein.«

Der Mann mit dem fuchsroten Bart umspannte das Glas so heftig, daß die Knöchel weiß wurden. Seine kleinen, grünen Augen verschleierten sich. Als der andere mit Reden aufhörte, sagte er mit einem Seufzer:

»Er lügt, Furustolpe. Aber Er lügt gut, verdammt gut. Ich möchte, ich könnte so lügen, wie Er.«

Der fuhr auf und schrie mit blitzenden Augen:

»Lüge ich, Teelemainen? Hat ein Volk soviel im Weltkrieg gelitten, wie das finnische? Ist es nicht meine Pflicht, soviel als irgend möglich für mein Volk zu tun? Lüge ich, du Kanaille? Nimm sofort jedes Wort zurück, sonst …«

Eine mächtige Sturzwelle ließ die »Britannia« schwanken; Furustolpe stolperte auf die Bank. Teelemainen blieb unbeweglich sitzen. Seine grünen Augen schossen Blicke, die an scharfgeschliffene Messerklingen erinnerten, während er murmelte:

»Manch einer könnte für viel weniger wütend werden! Aber ich gehöre nicht zu den Leuten, die wegen einer Lappalie zum Messer greifen. Aber wenn ich es einmal tue, … Mein Messer soll nämlich verhext sein …«

Das Glas an seinem Mund war geleert. Sein Tischgenosse preßte ihm schnell die Flasche an den Mund.

»Nanu! Teelemainen. Was quasselt Er da von Verhextsein? Sie glauben doch wohl nicht an Zauberei? Oder hat Er schon einmal etwas gesehen?«

Im Innern des andern wühlte ein Kampf, der sich in seinem Gesicht widerspiegelte. Er hätte gern den Gedanken von seinem Messer weitergesponnen, ebenso schnell auch die an ihn gerichtete Frage beantwortet. So kniff er die grünen Augen zusammen, bis sie den Schlitzen einer indianischen Holzmaske glichen. Der rote Bart glühte im Lampenlicht wie mystisches Rubinfeuer.

Endlich war der Kampf vorüber. Der Bart teilte sich und schwerfällig bröckelten die Worte von seinen Lippen:

»Warum fragt Er mich eigentlich, Furustolpe? Er ist doch gebildet! Er glaubt doch nicht an Hexerei! Will er mich zum Narren halten?«

Der Mann mit den fetten weißen Händen machte eine abwehrende Bewegung und rieb sich dann die Hände, wie ein Redner, der versucht, ein schwieriges Problem klarzulegen.

»Glauben, glauben! Was soll man denn eigentlich glauben? Kein Mensch dachte wohl, daß solch ein Krieg kommen würde, aber er kam doch und niemand sieht das Ende voraus. Er soll ja nicht denken, daß ich nicht gebildet bin! Er weiß ja ganz genau, daß es der Fall ist! Und ich schere mich wahrhaftig nicht um jeden finnischen Aberglauben, beileibe nicht! Aber es passieren doch so allerhand Dinge … Hat Er selbst etwas gesehen, Teelemainen?«

Der Mann mit dem fuchsroten Bart kniff die Augen noch mehr zusammen, als ob er sich vor dem Licht fürchtete, obwohl der Lampenschein nicht einmal eine Eule gestört hätte. Schließlich brummte er:

»Oh! Man hat schon allerhand gehört und auch gesehen! Ich weiß schon, was ich weiß!«

»Was denn, Teelemainen? Was weiß Er? Was hat Er gesehen?«

Der andere knurrte fast gegen seinen Willen:

»Na, da war erstens Mal der Matti aus Puijo. Der kannte das Eis besser, als irgendein anderer, und doch brach er ein. Und genau drei Wochen vorher war sein Freund Hannes an derselben Stelle ertrunken, und die Paavilahexe hatte den Hannes ein paar Tage später aus dem Loche winken sehen; und dann der Küster in Pohjola, den man tot auf dem Kirchendach fand. Wer hatte ihn denn dorthin geschleppt? Und dann, was die Paavilahexe zu mir gesagt hat …«

Er brach jäh ab, mit demselben Geräusch, mit dem eine Maschine plötzlich abstoppt.

Furustolpe neigte sich mit weit aufgerissenen Augen über den Tisch. »Was denn, Teelemainen! Was sagte sie?«

Der andere schwieg. Der rote Bart leuchtete, wie der Bart des zwölften Apostels. Aus dem fahlen Gesicht traten die Augen gespenstisch hervor.

Der Mann mit den fetten Händen bediente sich zum fünften Male innerhalb kurzer Zeit seines gewöhnlichen Sesams. Ganz abwesend öffnete sich der rote Bart, versank in dem gelben Likör, wie Gras in einem Bach, um sich wieder zu schließen, dann begann er wieder:

»Es war in meiner Jugend. Die Paavilahexe war die schlimmste weit und breit. Eines Morgens war ich allein zu Hause, alle waren auf der Arbeit – da hörte ich ein Geräusch in der Küche und schaute hinein. Es war die Paavilahexe, die drinnen war, um zu stehlen. Ich fing aus Leibeskräften an zu schreien – die Alte stürzte zur Tür hinaus und ich schloß ab. Als sie mich durchs Fenster sah, fing sie an zu fluchen, daß es nur so nach Schwefel roch. ›Du verdammter Teufelsbub, du hast deinen Eltern immer nur Schande gemacht und dabei wirds wohl auch bleiben.

Du wirst zur See gehen und die See wird dich auch behalten.

Du wirst ein eigenes Schiff bekommen, aber viel Freude sollst du nicht davon haben. Und gerade, wenn du glaubst, daß es dir gut geht, wirst du dorthin gehen, wo du hin mußt.‹

Höre, was ich dir sage:

›Vierzig Jahre wird der Teufel auf dich warten, – aber nicht länger. Pärkälä!‹ Ich war so erschrocken, daß ich kaum stehen konnte. Die Alte spie gegen das Fenster und verschwand.

Acht Tage später wurde sie von einem erstochen, dem sie das Vieh verhext hatte, Pärkälä!«

Der rote Bart schloß sich, um sich gleich darauf wieder zu öffnen:

»Und vorige Woche wurde ich vierzig!«

Der andere rieb seine weißen Hände aneinander und schaute nachdenklich an die Kajütendecke. Die Decke war verraucht und enthielt mehr kabalistische Zeichen als ein Buch der Schwarzkunst: Pentagramme, Zirkel, Tiere und mysteriöse Figuren.

Furustolpe betrachtete sie mit einem unsicheren Lächeln. Dann wandte er den Blick und fragte:

»Na – war das alles?«

»Was meint Er? Ist das nicht genug? Bin ich nicht zur See, seit ich fünfzehn Jahre wurde? Habe ich nicht mein eigenes Schiff? Habe ich jemals Freude davon gehabt?«

»Aber Teelemainen, sind das nicht recht schwache Beweise dafür, daß die Alte wirklich eine Hexe war? – Die Hälfte der finnischen Bevölkerung geht ja doch früher oder später zur See.«

»Und meint Er, daß alle ihr eigenes Schiff bekommen?«

»Na – viele wenigstens. Man darf nicht glauben, daß alles, was passiert, darum geschieht, weil eine Hexe es vorausgesagt hat. Man muß über solche Geschichten erhaben sein. Das lernten wir schon im Seminar.«

»Ich schere mich den Teufel darum, was Er sagt, Furustolpe. Ich frage nur: Habe ich jemals an meinem Schiff Freude gehabt?«

»Das weiß ich nicht, aber ich weiß, daß …«

»Hör' Er: In meinem ganzen Leben habe ich nicht ein Öre mehr verdient, als wie ich zum Leben brauchte; ist das nicht merkwürdig, wenn man ein eignes Schiff hat?«

Der rote Bart brannte wie ein Warnungsfeuer. Die grünen Augen richteten sich zum ersten Male beinah genau auf die des Gegenüber. Die rechte Hand hatte das Glas losgelassen und tastete drohend an die Messertasche. Der Mann mit den fetten weißen Händen machte schnell eine beruhigende Handbewegung.

»Es ist wirklich merkwürdig, Teelemainen, wenn man darüber nachdenkt. Sehr merkwürdig sogar … Ja, ja, es ist kurios, daß ein Mann mit einem eigenen Schiff nie ein Öre übrig hat!«

Der Mann mit dem roten Bart schien mit seinen grünen Augen die Kajütenwand durchbohren zu wollen, als er sagte:

»Bis zu dieser Reise.«

Die weißen Hände rutschten unwillkürlich zurück. Die Augen Furustolpes weiteten sich und umfaßten den Tischgenossen mit einem gespannten Blick.

»Ja, ja,« sagte er, »2000 Mark bedeuten eine Menge Geld für Ihn, Teelemainen.«

Mit undurchdringlicher Miene antwortete der: »Und 10 000 sind noch mehr.«

Der Genosse lachte auf, aber sein Lachen klang weder überzeugend noch herzlich.

»Ganz recht, Teelemainen, 10 000 sind allerdings mehr als 2000. Aber 2000 hatten wir wohl vereinbart und diese Summe bekommt Er auch, sobald Er mich in Schweden ans Land setzt. Darauf habe ich Ihm ja mein Wort gegeben!«

»Er sprach wohl von 2000 und ich sagte nicht nein dazu, das kann ich wirklich nicht behaupten. Aber gibt Er mir nicht freiwillig 10 000, dann sieht Er niemals Schweden, Furustolpe. So ist die Geschichte – verstanden!«

»Ja, aber …«

»Er hört ja, was ich sage. Er hat wie der reiche Mann gelebt, und ich wie Lazarus. Und jetzt will ich mein Labsal haben, wie es geschrieben steht.«

»Aber, ich habe ja gar keine 10 000 Mark, Teelemainen. Ist Er verrückt geworden? Wo soll ich denn die 10 000 Mark herhaben? Ich mußte ja ganz Hals über Kopf …«

»Er hat 14 200 Mark und 1500 Rubel, Furustolpe, das weiß ich. So wahr ich hier sitze, denn ich sah selbst, wie Er das Geld zählte, bevor ich in die Kajüte kam.«

»Und das will Er mir jetzt stehlen, Teelemainen?! Das hätte ich wirklich niemals von ihm gedacht …«

»Von Stehlen kann hier nicht die Rede sein! Will Er in Schweden an Land, so kostet es eben 10 000 Mark. Es könnte ja auch 14 000 Mark und 1500 Rubel kosten. Wenn Er die 10 000 Mark bezahlt, kommt Er eben ans Land. Will er nicht zahlen, na – dann gehen wir einfach nach Finnland zurück. Und dann kann Er sehen, wie Er Seine Geschäfte mit den Russen regelt.«

Furustolpe fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Sein großer, roter Mund stand sperrangelweit offen.

»Das ist doch nicht Sein Ernst!«

»Oh – doch!«

»Das ist nicht wahr! Das kann nicht Sein Ernst sein, Teelemainen!«

Die Lampe blakte und der Ruß zeichnete neue Figuren an die Decke. Die Wogen pochten wie ungeduldige Fäuste an die Seiten des Schiffes. Die Warze an Teelemainens Schläfe ähnelte mehr und mehr einer großen Fliege in dem flackernden Licht; jetzt sah es aus, als ob sie sich mit den Vorderbeinen den Kopf putzte. Teelemainen blickte starr auf die Kajütenwand. Furustolpe versuchte vergeblich seinen Blick zu fangen. Jetzt sprang er auf.

»Verdammter Hund, willst du mir beinahe alles, was ich besitze, stehlen? Schämst du dich nicht? Die Paavilahexe hatte recht …!!!«

Die rechte Hand Teelemainens machte eine bedächtige Bewegung an die Messertasche. Furustolpe verstummte, um dann zu zetern:

»Aber Teelemainen, es kann doch nicht Sein Ernst sein, daß Er einem ehrlichen Menschen alles abnehmen will? Er hat mir einen großen Gefallen getan und ich bin wahrhaftig nicht undankbar. Ich werde Ihm 2000 Mark geben, nein, – ich werde mehr geben, 2500 – nein – ich gebe Ihm sogar …«

»Ruhe, Furustolpe! Er versteht mich ja doch nicht. Ich will die Hexe Lügen strafen. An dieser Reise will ich ein Stück Geld verdienen. Also! Will Er oder will Er nicht in Schweden ans Land?

Es wird Zeit, daß es der Bootsmann zu wissen bekommt.«

»3000, Teelemainen!«

»Will Er oder will Er nicht!?«

Furustolpe schaute auf seinen Tischgenossen, er sah das knochige Gesicht hart, als wäre es aus Holz geschnitzt, die ausdruckslosen, unerbittlichen Augen, die immer noch geradeaus starrten, die Warzenfliege an der Schläfe, die sich immer noch höhnisch den Kopf putzte.

Und dann mit einem Male sah er nichts mehr von alledem – nur rote Schleier tanzten vor seinen Augen.

Ehe er wußte, wie ihm geschah, hatte er schon die schwere Likörflasche am Hals gepackt, schwang sie in kreisender Bewegung in der Luft, und ließ sie dann schwer auf den Kopf des anderen niedersausen. Es krachte wie ein Schuß. Nur ein Finnländer oder ein Neger hätte überhaupt einen solchen Schlag aushalten können.

Durch die Kajüte erscholl ein wildes Brüllen wie von einem zu Tode verwundeten Stier; der schwere Tisch erzitterte unter dem heftigen Stoß, die Lampe zersplitterte in tausend Scherben.

Dann heulte ein Windstoß durch die Dunkelheit. Furustolpe hatte die Tür gefunden und sich hinausgerettet.

Schnaubend und schreiend, mit von Blut und Likör verklebtem Bart, torkelte Teelemainen hinter ihm her. Der erste bleiche Morgen durchbrach die Nacht. In Teelemainens Hand blinkte matt der Puukko, das gefürchtete finnische Messer. Die Treppe hinauf und aufs Deck hinaus schwankte er mit wild glühenden Augen. Am Steuer stand der Bootsmann und hinter dem Großmast die andere Gestalt von größerem Interesse.

Schwerfällig rollend wie ein Walroß und dabei halb singend, halb schreiend die wildesten Flüche ausstoßend, näherte sich Teelemainen dem Mast:

»Du Höllenhund! Du wolltest mich wohl ermorden? Du wolltest mich um mein Geld betrügen? Aber daraus wird nichts, denn jetzt muß ich dich töten! Hörst du?«

Die Brigg »Britannia« schlingerte. Hinter dem Mast stand Furustolpe, totenblaß, aber der Mund in dem blonden Bart leuchtete noch immer rot. Jetzt war Teelemainen bis an den Mast gekommen.

»Jetzt, du verdamm …!« Er macht einen Luftstoß. Furustolpe hatte sich durch eine schnelle Bewegung in Sicherheit gebracht.

Die beiden standen sich gegenüber.

Furustolpe gewann die Herrschaft über seine Zunge zurück.

»Aber so hör Er doch, Teelemainen! Ich wollte das nicht, was ich unten in der Kajüte tat. Nein wirklich nicht! Es war nicht recht von mir. Ich will ja alles wieder gutmachen. Ich werde Ihm die 10 000 bezahlen, die Er verlangt, wenn Er vergessen will …«

Ein heiserer singender Schrei unterbrach ihn.

»Vergessen – du Hund! Ich werde gerade vergessen! Und wenn du mir zehnmal entkommst, so vergesse ich's doch nicht. Und wenn ich sterben müßte, so würde ich es doch nicht vergessen! Aber ich bin es nicht, der sterben soll, sondern du – und hier hast du …!«

Alles ging so blitzschnell vor sich, daß Furustolpe es kaum fassen konnte. Plötzlich kam Teelemainen mit blutunterlaufenen Augen und schnaubend wie ein Bär auf ihn zu.

Das blauweiß schimmernde Messer hielt er gesenkt, um ihm damit den gefürchteten finnischen Stoß in den Leib zu versetzen. Furustolpe sprang rein mechanisch zur Seite, stolperte und fiel gegen die Reeling.

Im selben Augenblick schwankte die »Britannia« heftig wie unter einem Riesenstoß. Etwas Zottliges, Rotäugiges taumelte an Furustolpe vorbei, zückte das Messer gegen ihn – und verschwand. Und dann sah er nichts mehr als die schäumende See, die zitternde Takelage und einen Himmel mit tanzenden, weiß blinkenden Sternen. Die Nacht, die Freundin der Schatten, wich langsam dem neuen Tage, und ihre Schattenbrigaden hatten einen neuen Rekruten eingereiht.

Als Furustolpe endlich seinen Blick von den schäumenden Gischtköpfen der rollenden See wegzwingen konnte, sah er, daß der zweite Bootsmann am Steuer war. Der erste stand neben ihm mit strohblondem Haarschopf und einem nachdenklichen Grinsen im knochigen Gesicht.

»Das wäre ja noch gnädig für Ihn abgelaufen, Furustolpe. Der Alte ist weg! Konnte nicht schwimmen, sank wie ein Stein. Er hatte Glück, Furustolpe, das hätte ich nicht geglaubt.«

»Ich auch nicht,« murmelte Furustolpe.

»Was hatte Er eigentlich dem Alten getan? Er war ja ganz verrückt.«

»Ja, er war verrückt,« antwortete Furustolpe. »Ich – ich glaube, ich vergriff mich an ihm, aber er war verrückt. Er wollte mich ermorden, – das hat Er ja selbst gesehen. Aber ich verzeihe ihm. Friede seiner Seele.«

Während sich der Bootsmann durch den Schopf fuhr und gen Westen ausschaute, wo die ersten Schären auftauchten, murmelte Furustolpe plötzlich vor sich hin: »Die Paavilahexe bekam doch Recht. Er wurde gerade vierzig Jahre alt – und Geld hat er auch keins verdient. Es ist doch merkwürdig um den Aberglauben.«


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