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Die erste Phase des U-Bootkriegs

In der Frühe des 22. September 1914 versenkte »U 9« unter dem Kommando des Kapitänleutnants Weddigen im Laufe einer einzigen Stunde die drei britischen Kreuzer »Abukir«, »Hogue« und »Cressy«. Die drei Torpedoschüsse hallten über die ganze Welt. In England weckten sie ernste Besorgnis, ja Bestürzung. In Deutschland lösten sie überschwengliche Hoffnungen aus: man begann in dem U-Boot die Waffe zu sehen, die bestimmt sei, die britische Seetyrannei zu zerschlagen.

Diese Hoffnungen erhielten einen starken Antrieb, als der Admiral von Tirpitz am 21. Dezember 1914 gegenüber einem Vertreter der amerikanischen »United Press« von der Möglichkeit eines U-Bootkriegs gegen die feindlichen Handelsschiffe sprach, durch den England an seiner verwundbarsten Stelle, der Zufuhr von Nahrungsmitteln und Rohstoffen, getroffen werden könne. Jedermann sagte sich, daß die höchste Marineautorität einen solchen öffentlichen Hinweis nur geben könne, wenn die Wirksamkeit der U-Bootwaffe gesichert sei und wenn hinter der Drohung die Tat stehe. Die völkerrechtlichen Bedenken hatte England in der deutschen öffentlichen Meinung im voraus zerstört durch seine völkerrechtswidrige Handels- und Hungerblockade, insbesondere durch die schon am 3. November 1914 erfolgte Erklärung der ganzen Nordsee zum Kriegsgebiet.

 

U-Boot-Handelskrieg

Als ich am 1. Februar in die Reichsleitung eintrat, stand die Erklärung des U-Boot-Handelskrieges unmittelbar bevor. Es war eine Bekanntmachung vorbereitet, in der die Gewässer um Großbritannien und Irland als Kriegsgebiet erklärt wurden; vom 18. Februar 1915 an sollte jedes in diesem Kriegsgebiet angetroffene feindliche Kauffahrteischiff zerstört werden. Die Bekanntmachung fügte hinzu, daß es nicht immer möglich sein werde, die dabei der Besatzung und den Passagieren drohenden Gefahren abzuwenden; daß ferner auch neutrale Schiffe im Kriegsgebiet Gefahr liefen, da es angesichts des von der britischen Regierung am 31. Januar angeordneten Mißbrauchs neutraler Flaggen und der Zufälligkeiten des Seekrieges nicht immer vermieden werden könne, daß die auf feindliche Schiffe berechneten Angriffe auch neutrale Schiffe treffen.

Neben der Bekanntmachung war eine begründende Denkschrift vorbereitet, die am 4. Februar 1915 mit der Bekanntmachung den neutralen und den feindlichen Mächten zugestellt worden ist. Die Denkschrift legte zunächst in großen Zügen dar, wie England in seiner Seekriegführung sich über alles Völkerrecht hinaussetze, um durch eine Lahmlegung auch des legitimen neutralen Handels das deutsche Volk auszuhungern; sie wies dann darauf hin, daß die neutralen Mächte sich den völkerrechtswidrigen Maßnahmen der britischen Regierung im großen und ganzen gefügt hätten, daß sie sich mit theoretischen Protesten abzufinden und die von England für seine völkerrechtswidrige Seekriegführung angerufenen britischen Lebensinteressen als eine hinreichende Entschuldigung für jede Art von Kriegführung gelten zu lassen schienen; solche Lebensinteressen müsse nunmehr auch Deutschland für sich anrufen und die britische Kriegsgebietserklärung damit beantworten, daß es die Gewässer rings um Großbritannien und Irland als Kriegsschauplatz bezeichne und der feindlichen Schiffahrt daselbst mit allen verfügbaren Kriegsmitteln entgegentrete. Weiter wurden in der Denkschrift die Neutralen aus den schon in der Bekanntmachung angegebenen Gründen gewarnt, feindlichen Schiffen, die das Seekriegsgebiet beführen, Mannschaften, Passagiere und Waren anzuvertrauen, und es wurde ihnen dringend empfohlen, auch für ihre eigenen Schiffe das Einlaufen in das Seekriegsgebiet zu vermeiden; »denn wenn auch die deutschen Seestreitkräfte Anweisung haben, Gewalttätigkeiten gegen neutrale Schiffe, soweit sie als solche erkennbar sind, zu unterlassen, so kann es doch angesichts des von der britischen Regierung angeordneten Mißbrauches neutraler Flaggen und der Zufälligkeiten des Krieges nicht immer verhütet werden, daß auch sie einem auf feindliche Schiffe berechneten Angriff zum Opfer fallen.«

 

Zustimmung von Kaiser und Kanzler

Die letzte Zustimmung von Kaiser und Kanzler stand noch aus. Beiden ist sie nicht leicht geworden. Die Gefahr, daß dieser Art Kriegführung friedliche Passagiere, auch Frauen und Kinder zum Opfer fallen könnten, dazu die Aussicht auf Verwicklungen mit den Neutralen, insbesondere mit den Vereinigten Staaten, stand beiden vor Augen. Ein Zufall hatte es gefügt, daß ich zwei Monate zuvor einen Einblick in die Auffassung des Kaisers hatte tun können. Ich war am Abend des 25. November 1914 in Charleville zur kaiserlichen Tafel befohlen. Der Kaiser brachte die Nachricht mit, daß sich der Untergang des auf eine deutsche Mine gelaufenen britischen Uberdreadnought »Audacious« bestätige. Bei Tisch bemerkte ein hoher Marineoffizier – nicht der Admiral von Tirpitz –, um ein Haar sei auch der englische Riesenpassagierdampfer »Oceanic« auf eine Mine gelaufen. Der Kaiser antwortete: »Gott sei Dank, daß es nicht dazu gekommen ist!« Auf eine etwas erstaunte Geste des Admirals richtete sich der Kaiser hoch auf und sagte mit lauter Stimme: »Meine Herren, denken Sie immer daran: unser Schwert muß rein bleiben. Wir führen keinen Krieg gegen Frauen und Kinder. Wir wollen den Krieg anständig führen, einerlei, was die andern tun. Merken Sie sich das!«

Ermöglicht wurde dem Kanzler wie dem Kaiser die Zustimmung zu der Erklärung des Tauchbootkrieges in den Gewässern um England durch die Anweisung, daß neutrale Schiffe im Seekriegsgebiet geschont werden sollten. Man war sich klar darüber, daß die Wirkung des U-Bootkriegs dadurch beeinträchtigt werde; aber aus Gründen der Humanität wie zur Vermeidung schwerer Konflikte mit den Neutralen hielt man diese Einschränkung für unerläßlich.

Es ist späterhin mitunter behauptet worden, der Reichskanzler sei nachträglich der Marine mit dieser Einschränkung in den Arm gefallen und habe dadurch die von der Marine erwartete Wirkung jenes ersten U-Bootkriegs vereitelt. Diese Annahme ist unrichtig; wie sich schon aus dem Text der Bekanntmachung und der Denkschrift vom 4. Februar 1915 ergibt, war die Anweisung an die U-Boote, »Gewalttätigkeiten gegen neutrale Schiffe zu unterlassen«, schon bei der Ankündigung der neuen Seekriegführung gegeben.

Die Marine rechnete auf einen raschen Erfolg. Zwar war die Zahl und die Leistungsfähigkeit der verfügbaren U-Boote gering; aber man hoffte auf eine starke Wirkung durch Abschreckung.

 

Englands Außenhandel

Wenn es gelang, den Schiffsverkehr der britischen Inseln erheblich zu beeinträchtigen, so war damit in der Tat England an den Wurzeln seiner Lebenskraft gefaßt. Denn noch ungleich viel mehr als Deutschland waren die britischen Inseln in die Weltwirtschaft hineingebaut. Nicht nur die Industrie, sondern auch die Volksernährung des Vereinigten Königreichs war in weit höherem Maße, als das in Deutschland der Fall war, von reichlichen und ungestörten überseeischen Zufuhren abhängig. Deutschland hatte in seiner Wirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte die Förderung seines Außenhandels in Einklang gebracht mit der Erhaltung und der Entwicklung seiner heimischen Urproduktion. In den Gesamtwerten unseres Außenhandels waren wir England nahe gerückt; aber wir hatten gleichzeitig unsere Eigenproduktion, insbesondere an den wichtigsten Nährfrüchten, in noch stärkerem Verhältnis gesteigert, als unsere Bevölkerung sich vermehrt hatte.

England dagegen hatte im Vertrauen auf seine Seeherrschaft sein Wirtschaftsleben, vor allem auch seine Volksernährung, immer mehr auf die überseeische Zufuhr eingestellt und seine Landwirtschaft verkümmern lassen. Seinen Bedarf an Brotgetreide hatte England in den letzten Jahren vor Kriegsausbruch zu drei Vierteln bis vier Fünfteln, seinen Bedarf an Butter zu nahezu zwei Dritteln, an Fleisch zu etwa zwei Fünfteln durch überseeische Zufuhren decken müssen. Außerdem war sein Kohlenbergbau auf starke Zufuhren von Grubenholz, seine Eisen- und Stahlindustrie auf starke Zufuhren fremder hochhaltiger Eisenerze angewiesen. Seine große Textilindustrie war von ausländischen Rohstoffen abhängig. Das für die Kriegführung so wichtige Petroleum und die Petroleumprodukte, wie Benzin, mußten über See zugeführt werden. Die Gesamteinfuhr Großbritanniens im letzten Friedensjahr stellte eine Menge von rund 57 Millionen Tonnen dar. Davon kamen auf Nahrungs- und Genußmittel rund 20 Millionen Tonnen, also ein starkes Drittel, auf Holz nahezu 16 Millionen Tonnen, auf Eisenerz rund 7 ½ Millionen Tonnen, auf alle andern Waren zusammen rund 13 ½ Millionen Tonnen. Eine erhebliche Einschränkung des Schiffsverkehrs nach den britischen Inseln mußte also diejenigen Kategorien treffen, die für die Volksversorgung und die Kriegführung unentbehrlich waren und für die Ersatz im eigenen Lande entweder überhaupt nicht oder nur langsam und nur innerhalb enger Grenzen beschafft werden konnte.

In der Ausfuhr überwogen der Menge nach die Kohlen. Von einer Gesamtausfuhrmenge des Jahres 1913 in Höhe von rund 92 Millionen Tonnen entfielen auf die Kohlenausfuhr allein rund 78 Millionen Tonnen, auf alle andern Güter nur rund 14 Millionen. Volkswirtschaft und Kriegführung der Verbündeten Englands waren auf die britischen Kohlen doppelt stark angewiesen, seit Deutschland das belgische und nordfranzösische Kohlenbecken besetzt hielt.

Das alles waren Momente, die den U-Boot-Handelskrieg als eine wirksame Repressalie gegen den britischen Handels- und Hungerkrieg erscheinen ließen, immer vorausgesetzt, daß es gelingen würde, den Schiffsverkehr von und nach den britischen Inseln ausgiebig und in fortgesetzt steigendem Maße abzudrosseln.

 

Proteste der Neutralen

Wie sich die Neutralen zu dieser neuen Art des Seekriegs verhalten würden, war allerdings unsicher. Durch die an die U-Boote gegebene Anweisung, neutrale Schiffe auch im Seekriegsgebiet nicht anzugreifen, hatte man eine Rücksicht auf die neutralen Interessen gezeigt, als deren Wirkung man erwartete, die Neutralen würden sich unserm U-Boot-Handelskriege gegenüber ebenso mit formellen Protesten begnügen, wie sie das England gegenüber aus Anlaß der von diesem begangenen, auf Kosten der Neutralen gehenden Völkerrechtsverletzungen, insbesondere aus Anlaß der Erklärung der Nordsee zum Kriegsgebiet, getan hatten. Über die Haltung der Vereinigten Staaten hatte der Unterstaatssekretär Zimmermann den Botschafter Gerard sondiert und den Eindruck gewonnen, daß mehr als ein papierner Protest auch von der Regierung in Washington wohl nicht zu erwarten sei.

Die Proteste kamen in der Tat.

Der amerikanische Einspruch, den Herr Gerard am 12. Februar 1915 überreichte, war, bei aller Höflichkeit in der äußeren Form, sehr bestimmt und unzweideutig in der Sache. Die amerikanische Note wies die Kritik zurück, die in der Denkschrift der deutschen Regierung vom 4. Februar an ihrer angeblich nicht neutralen Haltung geübt worden sei. Sie habe gegenüber allen Übergriffen der andern kriegführenden Nationen eine Haltung eingenommen, die ihr das Recht gebe, »diese Regierungen in der richtigen Weise für alle eventuellen Wirkungen auf die amerikanische Schiffahrt verantwortlich zu machen, die durch die bestehenden Grundsätze des Völkerrechts nicht gerechtfertigt sind«. Zu den von der deutschen Admiralität angekündigten Maßnahmen bemerkte die Note, die amerikanische Regierung glaube das Recht, ja die Pflicht zu haben, die deutsche Regierung zu ersuchen, sie möchte vor einem tatsächlichen Vorgehen die kritische Lage erwägen, die in den beiderseitigen Beziehungen entstehen könnte, falls irgendein Kauffahrteischiff der Vereinigten Staaten zerstört oder der Tod eines amerikanischen Staatsangehörigen verursacht werde. Die amerikanische Regierung würde in solchen Handlungen kaum etwas anderes als eine unentschuldbare Verletzung neutraler Rechte erblicken können und sich genötigt sehen, die deutsche Regierung für solche Handlungen ihrer Marinebehörden streng verantwortlich zu machen und alle Schritte zu tun, die zum Schutz amerikanischen Lebens und Eigentums und zur Sicherung des vollen Genusses der amerikanischen Rechte auf hoher See für die Amerikaner erforderlich seien. Die amerikanische Regierung hoffe, daß die deutsche Regierung die Versicherung geben könne und wolle, daß amerikanische Staatsbürger und ihre Schiffe auch in dem Seekriegsgebiet in keiner andern Weise als im Wege der Durchsuchung durch deutsche Seestreitkräfte belästigt werden sollten.

 

Deutsch-amerikanischer Notenwechsel

Die amerikanische Regierung stellte sich also schon in dieser Note auf den Standpunkt, daß sie ihrer Neutralität Genüge getan habe, wenn sie für die Amerikanern aus Völkerrechtsverletzungen erwachsenden Nachteile die Regierung, von der die Völkerrechtsverletzung ausging, »in der richtigen Weise« verantwortlich machte. In welcher Weise, darüber gestand sie Deutschland keine Kritik zu. In Wirklichkeit hatte sie sich bisher gegenüber England auf die Forderung von Schadenersatz beschränkt, jedoch keinen ernstlichen Versuch gemacht, die britische Regierung zur Einhaltung der völkerrechtlichen Normen zu bestimmen. Deutschland gegenüber kündigte sie an, daß sie nicht nur die deutsche Regierung für jede Schädigung, die sich aus der Durchführung der am 4. Februar angekündigten Maßnahmen ergeben sollte, verantwortlich machen, sondern auch »alle Schritte« zum Schutz des amerikanischen Lebens und Eigentums und zur Sicherung der amerikanischen Reisefreiheit auf den Meeren tun werde.

Schon damit hatte der U-Bootkrieg ein ernsteres Gesicht angenommen, als man es bei der Hinausgabe der Erklärung vom 4. Februar erwartet hatte. Denn für die weitere Entwicklung des Krieges kam es weniger darauf an, ob die Haltung der Regierung der Vereinigten Staaten gerecht und billig war, als darauf, welche Haltung diese praktisch einzunehmen entschlossen war. Und nach dieser Richtung hin eröffnete die amerikanische Note keine allzu guten Aussichten.

Die Reichsregierung gab auf die Note am 16. Februar eine ausführliche Antwort. Sie legte zunächst dar, daß die angekündigte Maßnahme in keiner Weise gegen den legitimen Handel und die legitime Schiffahrt der Neutralen gerichtet sei, sondern lediglich eine durch Deutschlands Lebensinteressen erzwungene Gegenwehr gegen die völkerrechtswidrige Seekriegführung Englands darstelle. Die Neutralen hätten bisher die völkerrechtswidrige Unterbindung ihres Handels mit Deutschland trotz ihrer Proteste nicht zu verhindern vermocht. Dadurch sei der Zustand geschaffen worden, daß einerseits Deutschland unter stillschweigender oder protestierender Duldung der Neutralen von der überseeischen Zufuhr auch solcher Güter, die niemals Kriegskonterbande waren, abgeschnitten sei, während England unter Duldung der neutralen Regierungen sogar mit solchen Waren versorgt werde, die stets und unzweifelhaft als Konterbande galten. Insbesondere wurde auf die Munitions- und Waffenlieferungen aus den Vereinigten Staaten an die Entente hingewiesen. »Die deutsche Regierung,« so fuhr die Note fort, »gibt sich wohl Rechenschaft darüber, daß die Ausübung von Rechten und die Duldung von Unrecht seitens der Neutralen formell in deren Belieben steht und keinen formellen Neutralitätsbruch involviert; sie hat infolgedessen den Vorwurf des formellen Neutralitätsbruchs nicht erhoben. Die deutsche Regierung kann aber – gerade im Interesse voller Klarheit in den Beziehungen beider Länder – nicht umhin, hervorzuheben, daß sie mit der gesamten öffentlichen Meinung Deutschlands sich dadurch schwer benachteiligt fühlt, daß die Neutralen in der Wahrung ihrer Rechte auf den völkerrechtlich legitimen Handel mit Deutschland bisher keine oder nur unbedeutende Erfolge erzielt haben, während sie von ihrem Recht, den Konterbandehandel mit England und unsern andern Feinden zu dulden, uneingeschränkten Gebrauch machen. Wenn es das formale Recht der Neutralen ist, ihren legitimen Handel mit Deutschland nicht zu schützen, ja sogar sich von England zu einer bewußten und gewollten Einschränkung dieses Handels bewegen zu lassen, so ist es auf der andern Seite nicht minder ihr gutes, aber leider nicht angewandtes Recht, den Konterbandehandel, insbesondere den Waffenhandel, mit Deutschlands Feinden abzustellen. Die amerikanische Regierung hat später wiederholt behauptet, ein Verbot der Waffenausfuhr an Kriegführende wäre, da eine Waffenlieferung nach Lage der Verhältnisse ausschließlich für die Entente in Betracht komme, ein Verbot also ausschließlich die Entente schädige, eine unneutrale Handlung. Die deutsche Regierung dagegen konnte sich für ihren Standpunkt, daß die Duldung der Waffenausfuhr gerade weil sie ausschließlich der Entente zugutekomme, ein unneutrales Verhalten sei, auf Präsident Wilson berufen, der im Februar 1914 als Begründung des Verbots der Waffenlieferung für die beiden sich in Mexiko bekämpfenden Parteien erklärt hatte: »Da Carranza keine Häfen hat, Huerta dagegen über Häfen zur Waffeneinfuhr verfügt, ist es unsre Pflicht als Nation, beide auf gleichem Fuße zu behandeln, wenn wir den wahren Geist der Neutralität beobachten wollen und nicht eine reine Papierneutralität.«

Bei dieser Sachlage sieht sich die deutsche Regierung nach sechs Monaten der Geduld und des Abwartens genötigt, die mörderische Art der Seekriegführung Englands mit scharfen Gegenmaßnahmen zu erwidern. Wenn England in seinem Kampf gegen Deutschland den Hunger als Bundesgenossen anruft, in der Absicht, ein Kulturvolk von 70 Millionen vor die Wahl zwischen elendem Verkommen oder Unterwerfung unter seinen politischen und kommerziellen Willen zu stellen, so ist heute die deutsche Regierung entschlossen, den Handschuh aufzunehmen und an den gleichen Bundesgenossen zu appellieren; sie vertraut darauf, daß die Neutralen, die bisher sich den für sie nachteiligen Folgen des englischen Hungerkriegs stillschweigend oder duldend unterworfen haben, Deutschland gegenüber kein geringeres Maß von Duldsamkeit zeigen werden, und zwar auch dann, wenn die deutschen Maßnahmen, in gleicher Weise wie bisher die englischen, neue Formen des Seekriegs darstellen.« Die Note wiederholte dann, daß die Befehlshaber der deutschen U-Boote angewiesen seien, Gewalttätigkeiten gegen amerikanische Handelsschiffe, soweit sie als solche erkennbar seien, zu unterlassen, und machte zur Vermeidung von Verwechslungen den Vorschlag, die amerikanische Regierung möchte ihre mit feindlicher Ladung befrachteten, den britischen Kriegsschauplatz berührenden Schiffe durch Konvoyierung kenntlich machen, über deren Durchführung die deutsche Regierung alsbald zu Verhandlungen bereit sei. Zum Schluß führte die Note aus: »Sollte es der amerikanischen Regierung vermöge des Gewichts, das sie in die Wagschale des Geschickes der Völker zu legen berechtigt und imstande ist, in letzter Stunde noch gelingen, die Gründe zu beseitigen, die der deutschen Regierung ihr Vorgehen zur gebieterischen Pflicht machen, sollte die amerikanische Regierung insbesondere einen Weg finden, die Beachtung der Londoner Seekriegsrechts-Erklärung auch von selten der mit Deutschland Krieg führenden Mächte zu erreichen und Deutschland dadurch die legitime Zufuhr von Lebensmitteln und industriellen Rohstoffen zu ermöglichen, so würde die deutsche Regierung hierin ein nicht hoch genug zu veranschlagendes Verdienst um die humanere Gestaltung der Kriegführung anerkennen und aus der also geschaffenen neuen Sachlage gern die Folgerangen ziehen.«

Diese Note, die von dem formalen Recht an den Geist des Rechtes appellierte und einen Weg zur Wiederherstellung einer menschlichen Kriegführung zeigte, hatte zunächst einen Erfolg. Am 22. Februar wandte sich die amerikanische Regierung in einer gleichlautenden Note an die deutsche und an die britische Regierung mit einem Vorschlag, dessen wesentlicher Inhalt war: Unterseeboote sollen gegenüber Handelsschiffen nur zur Durchführung des Rechtes der Anhaltung und Durchsuchung verwendet werden; neutrale Flaggen dürfen von Handelsschiffen der kriegführenden Staaten nicht benutzt werden. England wird Nahrungs- und Genußmittel, die für Deutschland bestimmt sind, nicht anhalten, wenn sie an Agenturen in Deutschland adressiert sind, die von den Vereinigten Staaten für den Empfang und den Weiterverkauf an die Zivilbevölkerung bezeichnet sind.

Die deutsche Regierung antwortete bereits am 28. Februar, daß sie in der amerikanischen Anregung eine geeignete Grundlage für eine Lösung zu erkennen glaube. Sie erklärte sich ausdrücklich bereit, die Tätigkeit der U-Boote gegenüber Handelsschiffen auf das Anhalten und die Durchsuchung zu beschränken, falls der Flaggenmißbrauch abgestellt werde und die von der amerikanischen Regierung vorgeschlagene Regelung der Lebensmittelzufuhr nach Deutschland zustandekomme, mit der sie ihrerseits sich einverstanden erklärte. Sie schlug lediglich eine Ergänzung vor hinsichtlich der Zufuhr von Rohstoffen, die der friedlichen Volkswirtschaft dienten.

Die britische Regierung dagegen lehnte am 13. März 1915 die amerikanische Anregung ab mit der Motivierung, daß Deutschland die in dem amerikanischen Vorschlag gleichfalls enthaltene Anregung über die Beschränkung der Anwendung von Seeminen nicht vorbehaltlos angenommen habe, womit es sich für die britische Regierung erübrige, eine weitere Antwort zu geben.

Damit war die amerikanische Vermittlungsaktion erledigt.

 

»Lusitania« versenkt

Indessen kam die amerikanische Regierung nicht eher wieder auf die deutsche U-Bootnote vom 16. Februar 1915 zurück, als bis praktische Fälle vorlagen, daß amerikanische Schiffe und das Leben amerikanischer Staatsbürger durch den U-Bootkrieg vernichtet wurden. Ein erster solcher Fall ereignete sich am 28. März 1915, indem bei der Versenkung des englischen Passagierdampfers »Fallaba« ein amerikanischer Staatsangehöriger das Leben verlor. Am 28. April griff ein deutsches Flugzeug versehentlich das amerikanische Schiff »Cushing« an. Am 1. Mai wurde das amerikanische Schiff »Gulflight« versenkt, wobei zwei amerikanische Staatsbürger ums Leben kamen. Schließlich wurde am 7. Mai der große englische Passagierdampfer »Lusitania« durch ein deutsches U-Boot torpediert; mehr als hundert Amerikaner, darunter viele Frauen und Kinder, fanden ihren Tod in den Wellen.

Die Erregung in Amerika war ungeheuer. Sie wurde auch nicht gedämpft dadurch, daß die deutsche Botschaft in Washington durch eine Anzeige in den amerikanischen Zeitungen ausdrücklich vor der Benutzung der englischen Passagierdampfer zu Fahrten in das Kriegsgebiet gewarnt hatte. Im Gegenteil! Die amerikanische Regierung bezeichnete es als »eine überraschende Regelwidrigkeit«, daß die deutsche Botschaft sich mit einer solchen Warnung vor der Ausübung eines guten amerikanischen Rechts durch die amerikanische Presse an die amerikanische Öffentlichkeit gewendet habe. Die Erregung wurde auch nicht gedämpft durch den deutschen Hinweis darauf, daß die »Lusitania« bewaffnet gewesen sei und große Mengen von Munition an Bord gehabt habe – diese Angaben der deutschen Regierung wurden von der amerikanischen Regierung, deren Behörden das Schiff ausklariert hatten, bestritten.

Die amerikanische Regierung Keß am 15. Mai in Berlin eine Note übergeben, in der sie die ernstlichsten Vorstellungen erhob. Über die vorliegenden Einzelfälle hinausgreifend, stellte sie fest, daß der U-Bootkrieg gegen Handelsschiffe ohne Mißachtung nicht nur des Völkerrechts sondern auch der Regeln der Billigkeit, der Vernunft, der Gerechtigkeit und der Menschlichkeit nicht durchführbar sei. Sie könne im übrigen nicht glauben, daß die U-Bootkommandanten ihre ungesetzlichen Handlungen anders als unter einem Mißverständnis der von der deutschen Marinebehörde gegebenen Befehle getan haben könnten. Sie verlangte von der deutschen Regierung Mißbilligung der Handlungen der U-Bootkommandanten, Genugtuung für den angerichteten Schaden, schließlich sofortige Maßnahmen zur Verhinderung weiterer ähnlicher Vorfälle. »Die Kaiserliche Regierung,« so schloß die Note, »wird nicht erwarten, daß die Regierung der Vereinigten Staaten irgendein Wort ungesprochen oder eine Tat ungeschehen lassen wird, die notwendig sein sollten, um ihrer heiligen Pflicht zu genügen, die Rechte der Vereinigten Staaten und ihrer Bürger zu wahren und deren Ausübung und Genuß zu gewährleisten.«

 

Erneuter Notenwechsel

An diese Note schloß sich eine diplomatische Korrespondenz an, in der die amerikanische Regierung immer schärfer ihren Standpunkt herausarbeitete, daß nur tatsächlicher Widerstand eines Handelsschiffes oder sein fortgesetztes Bestreben zu entfliehen, nachdem Befehl zum Anhalten zwecks Durchsuchung ergangen ist, dem Kommandanten eines Tauchbootes das Recht gebe, das Leben der an Bord befindlichen Menschen in Gefahr zu bringen; die deutsche Regierung dagegen nahm den Standpunkt ein, sie könne nicht zugeben, daß amerikanische Bürger ein feindliches Handelsschiff durch die bloße Tatsache ihrer Anwesenheit an Bord zu schützen vermöchten. Des weiteren wurde die Frage der Bewaffnung und Munitionsladung der »Lusitania« erörtert. Schließlich wurden von deutscher Seite Vorschläge gemacht, die den freien Verkehr ausreichend kenntlich gemachter und vorher angesagter amerikanischer Passagierdampfer mit England sichern sollten. Dieser letztere Vorschlag wurde von der amerikanischen Regierung in einer Note vom 23. Juli 1915 kategorisch zurückgewiesen, da er geradezu eine Vereinbarung für die teilweise Aufhebung jener Grundsätze enthalte, auf deren Anerkennung durch Deutschland die amerikanische Regierung bestehen müsse. Schärfer als jemals bisher lehnte es die amerikanische Regierung ab, ihre Politik gegenüber Großbritannien mit der deutschen Regierung zu diskutieren und dem Verhalten Englands gegenüber Deutschland für die Erörterung zwischen Amerika und Deutschland über die Frage des U-Bootkrieges irgendeine Erheblichkeit zuzubilligen. »Wenn ein Kriegführender einem Feinde gegenüber nicht Vergeltung üben kann, ohne Leben und Eigentum Neutraler zu schädigen, so sollten sowohl Menschlichkeit wie Gerechtigkeit und die angemessene Rücksicht auf die Würde der neutralen Mächte gebieten, daß das Verfahren eingestellt wird.« Das Verlangen nach Mißbilligung des Vorgehens der deutschen Seeoffiziere bei der Versenkung der »Lusitania« und auf Ersatz für den entstandenen Schaden wurde mit Nachdruck wiederholt, und der Schluß der Note enthielt die Wendung, daß die amerikanische Regierung eine Wiederholung von Handlungen von Kommandanten deutscher Seestreitkräfte, die eine Verletzung der Rechte amerikanischer Bürger darstellten, als »vorsätzlich unfreundliche Handlung« betrachten müßte.

 

»Freiheit der Meere«

Die scharfe Note der amerikanischen Regierung vom 23. Juli 1915 enthielt jedoch in Anknüpfung an die in der vorhergegangenen deutschen Note zum Ausdruck gebrachte Hoffnung auf Wiederherstellung der Freiheit der Meere einen Passus, der zu dem kriegerischen Ausklang in einem merkwürdigen Gegensatz stand. Dieser Passus lautete:

»Die Regierung der Vereinigten Staaten und die Kaiserlich deutsche Regierung kämpfen für das gleiche große Ziel und sind lange zusammen eingetreten für Anerkennung eben jener Grundsätze, auf denen die Regierung der Vereinigten Staaten jetzt so feierlich besteht. Sie kämpfen beide für die Freiheit der Meere. Die Regierung der Vereinigten Staaten wird fortfahren, für diese Freiheit zu kämpfen, von welcher Seite auch immer sie verletzt werden möge, ohne Kompromiß und um jeden Preis. Sie ladet die Kaiserlich deutsche Regierung zu praktischer Mitarbeit ein, im jetzigen Augenblick, wo diese Mitarbeit am meisten durchsetzen kann und dieses große Ziel am schlagendsten und wirksamsten erreicht werden kann. Die Kaiserlich deutsche Regierung hat der Hoffnung Ausdruck gegeben, daß dieses Ziel in gewissem Grade sogar vor dem Ende des gegenwärtigen Krieges erreicht werden könnte. Dies kann geschehen. Die Regierung der Vereinigten Staaten fühlt sich nicht nur verpflichtet, auf diesem Ziel, von wem auch immer es verletzt und mißachtet werden mag, zum Schutz ihrer eigenen Bürger zu bestehen; sie ist auch auf das höchste daran interessiert, dieses Ziel zwischen den Kriegführenden selbst verwirklicht zu sehen, und hält sich jederzeit bereit, als gemeinsamer Freund zu handeln, dem der Vorzug zuteil wird, einen Weg vorzuschlagen.«

Neben die kaum verhüllte Drohung mit dem Abbruch der Beziehungen für den Fall einer weiteren Schädigung der von der amerikanischen Regierung für ihre Staatsangehörigen beanspruchten Rechte durch unsern U-Bootkrieg war also die Bereitschaft zu einer Kooperation mit uns zur Wiederherstellung der Freiheit der Meere, und zwar noch während des Krieges, gesetzt. Damit war die deutsche Politik vor eine Entscheidung von größter Tragweite gestellt.

Obwohl ich als Schatzsekretär nicht unmittelbar an der Behandlung dieser Fragen beteiligt war, hatte ich doch, auch abgesehen von gelegentlichen Aussprachen mit dem Kanzler und meinen Freunden im Auswärtigen Amt, gewisse Berührungspunkte mit dem durch den U-Bootkrieg berührten Fragenkomplex.

So war ich seit einiger Zeit mit der Frage der Baumwolleinfuhr aus den Vereinigten Staaten befaßt worden. Persönlichkeiten, die im deutschen Baumwollhandel eine große Rolle spielten, hatten Fühlung mit ihren amerikanischen Geschäftsfreunden genommen und standen mit diesen in Verhandlungen wegen des Abschlusses über einen sehr großen Posten zu einem festen Preise. Die großen und einflußreichen amerikanischen Baumwollinteressen waren durch die Unterbindung des Absatzes nach Deutschland empfindlich geschädigt. Für uns handelte es sich darum, diese Interessen zu unsern Gunsten mobilzumachen und mit ihrer Hilfe nicht nur eine Belieferung Deutschlands mit amerikanischer Baumwolle durchzusetzen, sondern womöglich die amerikanische Politik zu einem tatkräftigen Handeln für die Wiederherstellung der Londoner Deklaration zu bewegen. Die Finanzierung des Riesengeschäftes, um das es sich handelte, ließ den deutschen Interessenten die Rückendeckung durch das Reich erforderlich erscheinen, und so kam die Sache an mich. Die jetzt von der amerikanischen Regierung angebotene Zusammenarbeit für die Wiederherstellung der Freiheit der Meere erregte infolgedessen mein besonderes Interesse.

 

Deutschlands Verhältnis zu Amerika

Außerdem war die Gestaltung unseres Verhältnisses zu den Vereinigten Staaten von besonderer Wichtigkeit für die finanzielle Kriegführung. Auch bisher schon hatten die Banken der Vereinigten Staaten den Ententeländern – in viel bescheidenerem Maße auch uns – einige Unterstützung im Wege kommerzieller Kredite und der Übernahme kurzfristiger Schatzanweisungen gewährt. Aber diese finanzielle Hilfe hatte sich, zumal da der Präsident Wilson zunächst die Aufnahme öffentlicher Anleihen zugunsten eines kriegführenden Staates als neutralitätswidrig erklärt hatte, in engen, weit unterhalb der Leistungsfähigkeit der Union liegenden Grenzen bewegt. Niemand konnte zweifeln, daß ein Hinübertreten der Vereinigten Staaten auf die Seite unserer Gegner den vollen Einsatz ihrer gerade während des Krieges gewaltig angewachsenen Finanzkraft zugunsten der Entente bringen würde. Für die Entente war daraus eine wesentliche Erleichterung nicht nur der finanziellen, sondern auch der wirtschaftlichen Kriegführung, für uns eine entsprechende Erschwerung zu erwarten.

Aber auch ganz unabhängig von den Interessen meines speziellen Ressorts wollte es mir als ein geradezu verhängnisvoller Fehler erscheinen, es wegen des U-Bootkrieges zum Bruch mit den Vereinigten Staaten kommen zu lassen und die von Wilson gebotene Hand zur Wiederherstellung der Freiheit der Meere, »von wem auch immer sie verletzt und mißachtet werden mag«, zu übersehen oder auszuschlagen. Sowohl wirtschaftliche Gründe als auch die politische Lage, insbesondere die kritische Situation auf dem Balkan, von deren Entwicklung das Schicksal der Dardanellen und der Türkei abhing, schienen mir keinen Zweifel über den richtigen Weg zu lassen, zumal da der Erfolg des U-Bootkriegs nicht entfernt den Erwartungen entsprach.

Ich legte dem Kanzler meine Gesichtspunkte zuerst mündlich und dann, am 5. August 1915, auch schriftlich dar. Mein Vorschlag ging dahin, der amerikanischen Regierung zu antworten: Wir akzeptieren die angebotene Kooperation zur Wiederherstellung der Freiheit der Meere. In der Voraussetzung, daß die amerikanische Regierung gewillt ist, alsbald wirksame Schritte bei der britischen Regierung zu unternehmen, um diese zur Aufgabe ihrer völkerrechtswidrigen Seekriegführung zu veranlassen und sie zur strikten Beobachtung der Londoner Deklaration zurückzuführen, sind die U-Bootkommandanten unter Aufrechterhaltung unseres grundsätzlichen Standpunktes angewiesen worden, bis auf weiteres den U-Bootkrieg in einer der amerikanischen Auffassung Rechnung tragenden Weise zu führen; wir behalten uns alles vor für den Fall, daß die gemeinsame Aktion nicht innerhalb einer angemessenen Zeit den gewünschten Erfolg herbeiführt.

Dieses Vorgehen hätte den Vorteil gehabt, für die nächste für die Entscheidungen auf dem Balkan so wichtige Zeit die bedrohlichen Differenzen mit Amerika praktisch auszuschalten und dem Präsidenten Wilson freie Hand für die von ihm in Aussicht gestellte Aktion gegen England zu geben, ohne uns für die Dauer die Hände zu binden.

 

»Arabic« versenkt

Mein Vorschlag fand jedoch beim Auswärtigen Amt keine Unterstützung, und der Chef des Admiralstabs nahm in einem Immediatbericht an den Kaiser mit großer Entschiedenheit gegen meine Anregung und deren Begründung Stellung. Der Kaiser stimmte zwar meiner Replik zu, in der ich meine Auffassung unter eingehender Begründung aufrechterhielt; aber in der Zwischenzeit hatte sich die Lage erheblich verschärft durch die am 19. August ohne Warnung erfolgte Torpedierung des auf der Ausfahrt von England nach Amerika begriffenen Passagierdampfers »Arabic«; abermals fanden bei dieser Versenkung amerikanische Staatsangehörige den Tod.

Glücklicherweise war schon vor der Torpedierung der »Arabic« eine Weisung an die U-Bootkommandanten ergangen, daß »Liners« nur nach vorhergegangener Warnung und nach Rettung der Nichtkombattanten versenkt werden sollten, es sei denn, daß ein Schiff zu fliehen versuche oder Widerstand leiste. Der Kommandant des U-Bootes, das die »Arabic« versenkte, hatte sich in dem Glauben befunden, daß die »Arabic« Anstalten machte, sein U-Boot zu rammen. Die an die U-Bootkommandanten ergangene Weisung wurde nun der amerikanischen Regierung mitgeteilt. Im weiteren Verlaufe der Verhandlungen, die hart an den Krieg heranstreiften, bestätigte Graf Bernstorff am 5. Oktober 1915 dem Staatssekretär Lansing, daß die an die U-Bootkommandanten erteilten Befehle so bestimmt lauteten, daß eine Wiederholung ähnlicher Zwischenfälle wie des Arabic-Falles als ausgeschlossen gelte. Gleichzeitig erkannte die deutsche Regierung an, daß der Angriff auf die »Arabic« den erteilten Befehlen nicht entsprochen habe, daß sie den Vorgang nicht billige und ihn bedaure; dem Kommandanten des U-Bootes sei eine dahingehende Eröffnung gemacht worden. Auch zur Gewährung einer Entschädigung erklärte sich die deutsche Regierung bereit. Natürlich konnten, wie sich jetzt die Lage gestaltet hatte, an diese Mitteilung keine weiteren Bedingungen oder Voraussetzungen bezüglich der von Amerika gegenüber England zu unternehmenden Schritte geknüpft werden. Die Gelegenheit, in die von Wilson gebotene Hand einzuschlagen und eine ernsthafte Probe auf seine Bereitwilligkeit zu einem gemeinschaftlichen Vorgehen gegen Englands Seekriegführung zu machen, war uns also durch die Versenkung der »Arabic« aus der Hand genommen. Eine endgültige Klärung war auch nicht herbeigeführt; insbesondere betonte Lansing, daß die »Lusitania«-Angelegenheit für die amerikanische Regierung noch nicht erledigt sei. Aber die unmittelbare Gefahr schien abgewendet. Darüber hinaus raffte sich jetzt die amerikanische Regierung zum erstenmal seit langer Zeit zu einem energischen Schritt gegenüber der Entente auf. In einer sehr ausführlichen Note vom 5. November 1915 legte sie die Völkerrechtswidrigkeit der von der Entente unter Englands Führung beliebten Seekriegführung dar und erklärte, daß die Vereinigten Staaten ohne Zaudern die Aufgabe der Vorkämpferschaft für die Rechte der Neutralen zu übernehmen und der Erfüllung dieser Aufgabe ihre ganze Energie zu widmen entschlossen seien.

 

Amerika gegen Englands Seekriegführung

Im eigenen Lager hatte die Frage unseres Verhaltens zu Amerika zu einer ernstlichen Krisis geführt. Nachdem der Kaiser sich auf den vom Reichskanzler vertretenen Standpunkt gestellt hatte, reichte der Admiral von Tirpitz seinen Abschied ein, der aber vom Kaiser nicht angenommen wurde (Anfang September 1915). Dagegen wurde an Stelle des Admirals Bachmann der Admiral von Holtzendorff zum Chef des Admiralstabs ernannt; gleichzeitig wurden durch eine Kaiserliche Order die Kompetenzen zwischen Reichsmarineamt und Admiralstab neu abgegrenzt. Ein zweites Abschiedsgesuch des Admirals von Tirpitz folgte, das abermals abgelehnt wurde.


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