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Bewirtschaftung der Rohstoffe

Auf dem Gebiet der industriellen Rohstoffe führte die gleich zu Beginn des Krieges eingerichtete Kriegsrohstoff-Abteilung des Kriegsministeriums.

Hier mußten mit raschem Zugriff die vorhandenen Bestände an nicht beliebig vermehrbaren kriegswichtigen Rohstoffen für die Heereszwecke sichergestellt werden. Es handelte sich vor allem um die in Deutschland nicht vorkommenden oder nur in beschränktem Umfang zu gewinnenden Mineralien, die sogenannten »Sparmetalle«, und um die Textilrohstoffe.

 

Erfassung der Rohstoffe

Die Erfassung erfolgte zunächst im Weg der Beschlagnahme. Mit der Beschlagnahme, die noch nicht gleichbedeutend mit Enteignung ist, wird dem Eigentümer das Recht der beliebigen Veräußerung und Verarbeitung des beschlagnahmten Materials entzogen. In zahlreichen Fällen hat die Kriegsrohstoff-Abteilung von einer Enteignung abgesehen und lediglich die Verwendung reguliert und kontrolliert. In andern Fällen sah sie sich zu der Überführung der Bestände in Staatseigentum veranlaßt. Die Notwendigkeit hierzu lag besonders dann vor, wenn nicht nur auf die Vorräte der Industrie und des Handels, sondern auch auf die bereits in den Gebrauch übergegangenen Bestände von Haushaltungen, Betrieben usw. zurückgegriffen werden mußte, wie bei Kupfer und Kupferlegierungen, Nickel, Zinn.

Für die Verteilung und die Verwendungsregulierung waren die auf Grund der Bestandsaufnahmen und Bedarfsanmeldungen aufgestellten Wirtschaftspläne maßgebend. Bei der Aufstellung dieser Wirtschaftspläne hieß es, sich nach der Decke strecken, den angemeldeten Bedarf nach seiner Dringlichkeit klassifizieren, nach Ersatzmöglichkeiten suchen und jedenfalls so zu disponieren, daß in der Lieferung der notwendigen Heeresausrüstung keine Stockung eintreten konnte.

Wie auf dem Gebiet des Ernährungswesens, so waren auch hier die zu lösenden Aufgaben teils behördlicher, teils kommerzieller Natur. Die Anordnungen von Bestandserhebungen, Beschlagnahmen und Enteignungen, die Festsetzung der Preise, die Aufstellung der Wirtschaftspläne und der Verteilungsschlüssel konnten nur von einer Behörde ausgehen, die sich dabei natürlich der Beratung der beteiligten Industrie- und Handelskreise bedienen mußte. Dagegen war die Abnahme und Bezahlung der zu beschaffenden Materialien sowohl im Inland, wie namentlich auch in den besetzten Gebieten, in den Ländern unserer Bundesgenossen und der uns zugänglichen Neutralen, ferner die Verfrachtung, Einlagerung, Sortierung ein kaufmännisches Geschäft großen Stils, für dessen Bewältigung besondere Organe aus den beteiligten Wirtschaftskreisen geschaffen werden mußten, die sogenannten »Kriegsrohstoff-Gesellschaften«.

Schon die Erfassung der kriegswichtigen Rohstoffe für den Heeresbedarf griff stark ein in die Versorgung der Zivilbevölkerung. Das gilt vor allem für die Erfassung der Faserstoffe und des Leders. Für die Verteilung des von der Heeresverwaltung für die Versorgung der Zivilbevölkerung freigegebenen Leders mußte im Frühjahr 1916 eine besondere Organisation geschaffen werden. Noch stärker wurde die Versorgung der Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft gezogen, als es sich notwendig zeigte, im Heeresinteresse die Hand auch auf Fertigfabrikate der Textilindustrie zu legen. Nachdem am 1. Februar 1916 die Heeresverwaltung die Beschlagnahme der Anzugstoffe, Futterstoffe, Wäsche, Unterkleider usw. verfügt hatte, wurde eine umfassende Regelung der Versorgung der Zivilbevölkerung mit Kleidung und Wäsche unaufschiebbar. Zu diesem Zweck wurde die »Reichsbekleidungsstelle« ins Leben gerufen, der die dornenvolle Aufgabe zufiel, die notwendig gewordene Einschränkung des Verbrauches im Wege des der Lebensmittelkarte nachgebildeten, auf dem Gebiet der Bekleidung aber viel schwerer anwendbaren Bezugsscheins durchzuführen und gleichzeitig für die weitestmögliche Nutzbarmachung des hier besonders wichtigen Altmaterials an Stoffen und Kleidern zu sorgen.

 

Reichsbekleidungsstelle. Verteilung der Rohstoffe

So entstanden, gerade in der Zeit, in der ich das Reichsamt des Innern übernahm, für die Zivilverwaltung auch außerhalb des Gebietes der Volksernährung neue große Aufgaben.

Diese Aufgaben wuchsen, als die immer stärker werdende Knappheit der Rohstoffe und der Arbeitskräfte eine Beschränkung auf die Regelung des Verbrauchs nicht mehr angängig erscheinen ließ.

Schon die Verteilung der allzu knapp gewordenen Rohstoffe auf die einzelnen Betriebe durch die Kriegsrohstoff-Abteilung hatte einen starken Einfluß auf die Betriebe selbst ausgeübt. Es waren zwei verschiedene Wege gangbar: entweder die Verteilung auf sämtliche vorhandenen Betriebe nach Maßgabe ihrer Leistungsfähigkeit, was zur Folge haben mußte, daß alle Betriebe des betreffenden Industriezweiges nur teilweise beschäftigt wurden; oder die Zuweisung des Rohstoffs an einzelne besonders leistungsfähige Betriebe bis zur Vollbeschäftigung unter Stillegung der weniger leistungsfähigen. Wirtschaftlich rationeller ist das zweite System; denn es ermöglicht die gleiche Leistung bei geringerem Aufwand von Arbeit, Kohle usw. Dagegen sprachen gewisse soziale Rücksichten für das erstere System, da dieses keinen Betrieb gegenüber den andern in Nachteil brachte und die Entlassung von Arbeitern durch Kürzung der Arbeitszeit vermeiden ließ.

Solange kein Mangel an Arbeitskräften und keine Knappheit an Kohlen bestand, mochte man dem ersteren System den Vorzug geben. Das ist in der Tat in der ersten Periode der Kriegswirtschaft ganz vorwiegend geschehen.

Vor allem in der mit Rohstoffen besonders knapp versehenen Textilindustrie, ebenso in der Schuhwarenindustrie hielt man auf eine gleichmäßige Verteilung der Beschäftigung; das bedingte eine wesentliche Verkürzung der Arbeitszeit, die unter Gewährung von Zuschüssen aus öffentlichen Mitteln zu den Arbeitslöhnen durchgeführt wurde.

Als aber der wachsende Bedarf an Kriegsgerät die Nachfrage nach Arbeitskräften immer mehr steigerte, als die äußerste Sparsamkeit mit Kohle und andern Betriebsstoffen immer dringlicher wurde, ließ sich der Übergang zu dem wirtschaftlich rationellen System der Vollbeschäftigung der Höchstleistungsbetriebe und der Stillegung der weniger leistungsfähigen Unternehmungen trotz aller sozialen Bedenken nicht mehr vermeiden. Den entscheidenden Umschwung brachte das sogenannte »Hindenburgprogramm« in Verbindung mit dem Hilfsdienstgesetz und die im Winter 1916/17 scharf einsetzende Kohlenknappheit.

 

Rationelle Ausnutzung der Höchstleistungsbetriebe

Schon vorher aber erschienen mir Eingriffe in die Struktur einzelner Industriezweige im Interesse der Steigerung der Nutzwirkung aller Kräfte und Stoffe und der Vermeidung unwirtschaftlichen Arbeits-, Kapitals- und Materialaufwandes angezeigt.

Zunächst wurde angesichts des Mangels an Arbeitskräften im Kalibergbau ein Verbot des Abteufens von neuen Schächten erlassen (8. Juni 1916). Dann wurden Neubauten und Erweiterungsbauten von Zementfabriken beschränkt (29. Juni 1916), um den angesichts der Nichterneuerung der Syndikatsverträge zu befürchtenden irrationellen Arbeits- und Kapitalaufwand für den Bau neuer oder die Vergrößerung bestehender Werke zu verhindern. In der gleichen Richtung zielten meine Bemühungen bei den Bundesregierungen und Generalkommandos, eine Zurückstellung aller nicht kriegswichtigen Hoch- und Tiefbauten behufs Freisetzung von Arbeitskräften und Ersparnis von Material zu erreichen. Schließlich erwähne ich die Durchführung des wirtschaftlich rationellen Prinzips der Beschäftigung einer Auswahl leistungsfähiger Fabriken in der Seifenindustrie, die im Frieden nicht weniger als 2000 Betriebe überwiegend kleinster Art beschäftigt hatte. Von diesen wurden jetzt nur ganz wenige leistungsfähige Betriebe mit Fetten weiter beliefert, während die stillgelegten Betriebe das Recht erhielten, von den arbeitenden Fabriken Fertigprodukte zu Vorzugspreisen zu beziehen und mit ihren eigenen Packungen in Verkehr zu bringen (Verordnung vom 21. Juli 1916). Eine ähnliche Regelung wurde für die Schuhindustrie in die Wege geleitet.

Bei einem wichtigen Gewerbe allerdings mußte ich aus zwingenden Gründen des öffentlichen Wohles im entgegengesetzten Sinne, zum Zweck der Erhaltung gerade der kleinen und weniger leistungsfähigen Betriebe, eingreifen: beim Zeitungsgewerbe.

Es war die wachsende Knappheit der Rohstoffe der Papierfabrikation, und späterhin auch der Kohle, die auf diesem Gebiet ein Eingreifen nötig machte. Die Bemühungen, die Beschaffung und Verarbeitung der Rohstoffe in ausreichendem Umfang zu sichern, hatten keinen vollen Erfolg. Es fehlte in Deutschland an Arbeitskräften für den Einschlag von Papierholz; der Bedarf des Heeres an Holz für die Schützengräben usw. nahm immer größeren Umfang an, und der Bezug von Papierholz, Zellstoff und Druckpapier aus dem Ausland wurde durch Ausfuhrverbote erheblich eingeschränkt. Um das Papier konkurrierten mit den Zeitungen neue wichtige Industrien: einmal die Fabrikation von Papiergarn, von dem immer wachsende Quantitäten benötigt wurden, vor allem für die Herstellung von Sandsäcken für die Schützengräben; dann die Verwendung von Papier im Nitrierverfahren zur Herstellung von rauchlosem Pulver.

 

Das Zeitungsgewerbe

Die aus diesen Verhältnissen sich ergebende starke Erhöhung der Rohstoffpreise und damit der Druckpapierpreise traf das Zeitungsgewerbe um so schwerer, als seine finanziellen Grundlagen durch den Ausfall von Einnahmen aus Inseraten ohnedies erschüttert waren. Um das Forterscheinen der Zeitungen, namentlich auch der am schwersten bedrohten mittleren und kleineren Zeitungen, zu ermöglichen, entschloß ich mich im Frühjahr 1916 noch in meiner Eigenschaft als Reichsschatzsekretär, Reichszuschüsse zur Verbilligung des Druckpapierpreises zu bewilligen.

Aber damit war nur der finanzielle Teil der Schwierigkeiten überwunden, nicht aber die Knappheit an Druckpapier, die trotz aller Gegenmaßnahmen so stark wurde, daß der Wettbewerb um die verfügbaren Mengen einen Teil der Presse einfach auszuschalten drohte. Eine planmäßige Einschränkung des Verbrauchs von Druckpapier durch das Reich war um so mehr geboten, als dafür gesorgt werden mußte, daß die recht erheblichen Reichszuschüsse zur Verbilligung des Zeitungspapiers ihren Zweck der Erhaltung der deutschen Presse in ihrer Gesamtheit erfüllten und nicht nur den im freien Wettbewerb um das Papier stärkeren Zeitungsunternehmungen zugutekämen.

Als Organ für eine sachgemäße Regelung wurde im April 1916 die »Kriegswirtschaftsstelle für das deutsche Zeitungsgewerbe« geschaffen und zunächst mit der Feststellung der tatsächlichen Verhältnisse von Bedarf und Versorgung betraut. Nachdem ich das Reichsamt des Innern übernommen hatte, wurde der Kriegswirtschaftsstelle ein Beirat, bestehend aus Vertretern des Zeitungsgewerbes und der Papierindustrie, beigegeben. Die notwendig gewordene Kontingentierung des Papierverbrauchs der einzelnen Zeitungen wurde unter Mitwirkung des Beirats durchgeführt. Eine gleichmäßige Einschränkung aller Zeitungen um einen bestimmten Prozentsatz ließ sich dabei nicht ermöglichen, weil die kleinen und mittleren Blätter, die nur in einem bescheidenen, kaum zu verkürzenden Umfang erschienen, durch den notwendigen Abstrich einfach zum Tode verurteilt worden wären, während die Zeitungen mit einer Tagesausgabe von vielen Druckseiten eine stärkere Einschränkung eher ertragen konnten. Die kleine und mittlere Lokalpresse mußte aber aus naheliegenden und zwingenden Gründen unter allen Umständen am Leben gehalten werden. Die gegebene und auch von dem Beirat mit großer Mehrheit gebilligte Lösung war eine gestaffelte Kontingentierung, die den Verbrauch der in größeren Ausgaben erscheinenden Zeitungen stufenweise stärker einschränkte als den Verbrauch der Blätter mit kleiner Ausgabe.

Ich bin wegen dieser Regelung späterhin, als infolge der Kohlennot die Kontingentierung schärfer angespannt werden mußte, von einem Teil der großen Presse heftig angegriffen worden; ja eine Anzahl Berliner Organe hat sich damals zu einer Art Streik gegen mich zusammengetan und verabredet, von meiner im März 1917 im Reichstag zum Etat des Reichsamts des Innern gehaltenen Rede über unsere Kriegswirtschaft keinerlei Notiz zu nehmen. Heute denkt wohl mancher von denen, die mich damals so scharf befehdeten, etwas milder; denn es ist mir nicht bekannt, daß nach meinem Ausscheiden aus dem Reichsamt des Innern eine bessere Lösung der Druckpapierfrage gefunden worden wäre.

Die Zeitungsangelegenheit war ein Sonderfall ganz eigener Art. Die Presse als Ganzes konnte ihre Funktionen, die im Kriege noch so viel bedeutungsvoller waren als im Frieden, nur dann erfüllen, wenn auch ihre über das ganze Land verteilten kleinen Organe erhalten blieben. Die Erzielung einer stärkeren Nutzwirkung von Kräften und Stoffen im Wege einer Konzentration der Produktion in wenigen besonders leistungsfähigen Betrieben verbot sich also hier durch die Natur der von der Presse zu vollbringenden Leistung. Überall aber, wo solche besonderen Verhältnisse nicht vorlagen, verlangten die immer gewaltiger anwachsenden Ansprüche des Krieges geradezu gebieterisch, daß aus Menschen und Stoffen das Höchstmaß von Nutzwirkung herausgeholt werde. Die Entwicklung drängte also zu der Verwirklichung der Grundsätze hin, die gegen Ende des Jahres 1916 im »vaterländischen Hilfsdienst« eine gesetzliche Formel gefunden haben.

 

Hilfsdienstgesetz und Hindenburg-Programm

Die aus der allgemeinen Lage sich ergebende Notwendigkeit der äußersten Anspannung aller Kräfte wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 1916 verstärkt durch eine ernste Krisis der Munitionserzeugung.

Mit bewundernswerter Umsicht und Tatkraft hatte die deutsche Eisenindustrie gleich nach Beginn des Krieges die gewaltige Aufgabe der Versorgung unseres Heeres mit Kriegsgerät aller Art in Angriff genommen und bewältigt. Der Verbrauch an Munition, namentlich an Artilleriemunition, überstieg von Anfang an alle Begriffe. Die vorhandenen Bestände waren rasch aufgebraucht, die bestehenden Einrichtungen für die Herstellung von Artilleriemunition vermochten mit dem riesenhaften Bedarf nicht entfernt Schritt zu halten. Im September und Oktober 1914 machte die Munitionsversorgung des Heeres eine schwere Krisis durch, die unsere militärischen Operationen auf das äußerste beeinträchtigte, ja verhängnisvoll zu werden drohte. Alles, was in der deutschen Eisenindustrie irgendwie der Herstellung von Granaten dienstbar gemacht werden konnte, wurde herangeholt. Man half sich mit Graugußgranaten, die zwar gegenüber den Stahlgranaten geringwertig sind, aber rasch in großen Mengen hergestellt werden konnten. Gleichzeitig wurden die Einrichtungen für die Herstellung von Stahlgranaten in einem Maße ausgebaut, daß nach verhältnismäßig kurzer Zeit für diese Fabrikation mehr als 90 Werke zur Verfügung standen, gegenüber 7 bei Kriegsausbruch. Auch die Belieferung dieser Werke mit Rohstahl gestaltete sich befriedigend. Zwar hatte unsere Eisen- und Stahlerzeugung unmittelbar nach Kriegsausbruch einen schweren Rückgang erfahren. Die Flußstahlerzeugung war von 1 628 000 Tonnen im Juli 1914 auf 567 000 Tonnen im August herabgesunken. Aber den Anstrengungen der Industrie und dem verständnisvollen Entgegenkommen der Heeresleitung in der Freigabe von Arbeitskräften war es gelungen, die Stahlerzeugung bald wieder zu heben; im Sommer 1916 erreichte sie etwa 1 400 000 Tonnen im Monat, also etwa 85% der Friedenserzeugung. Eine besondere Förderung hatte die Herstellung der Stahlgranaten dadurch erfahren, daß es gelungen war, als Rohmaterial Thomasstahl an Stelle des immer knapper werdenden Siemens-Martin-Stahls zu verwenden.

 

Munitionsversorgung

Die Klagen über ungenügende Munitionsversorgung waren so allmählich verstummt. Lange Zeit hindurch schien die Munitionserzeugung den Bedarf des Feldheeres ausreichend zu decken. Noch im Mai 1916 versicherte mir der damalige Kriegsminister, General Wild von Hohenborn, als ich mich bei ihm über die Wirkungen des gewaltigen Munitionsverbrauches vor Verdun erkundigte, daß unsere Munitionsvorräte und unsere Munitionserzeugung jeder Eventualität gewachsen seien.

Da begann am 1. Juli die Schlacht an der Somme, die erste ganz große Materialschlacht. Engländer und Franzosen entwickelten eine Überlegenheit an Artillerie und Munition, von der man sich bei uns offenbar weder bei der Obersten Heeresleitung noch beim Kriegsministerium und der Feldzeugmeisterei eine auch nur annähernde Vorstellung gemacht hatte. Wie wenig unsere maßgebenden militärischen Kreise mit einer solchen Steigerung des Munitionsbedarfes gerechnet hatten, ergibt sich daraus, daß die Feldzeugmeisterei keinerlei Eile zeigte, die am 30. Juni 1916 ablaufenden Verträge über die Lieferung von Granaten aus Thomasstahl zu erneuern, obwohl der Vorstand des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute schon Monate vorher auf den Ablauf der Verträge hingewiesen und auf rechtzeitige Erneuerung gedrängt hatte. Als die Entscheidung ausblieb, richtete der Vorstand des genannten Vereins im Juni noch einmal eine dringende Anfrage an die Feldzeugmeisterei und erhielt darauf am 2. Juli die Antwort, eine Weiterlieferung von Thomasstahl für die Granatfabrikation sei nicht beabsichtigt. Vierzehn Tage später, am 16. Juli, erhielt der Verein ein dringendes Telegramm des Inhalts, es liege die zwingende Notwendigkeit vor, Geschosse aus Thomasstahl in großen Mengen zu beschaffen; es werde umgehende Feststellung der Höchstmengen, die geliefert werden könnten, erbeten. Drei Tage darauf fand eine Versammlung der Thomaswerke statt, bei der die Militärbehörde den dringendsten Monatsbedarf an Thomasrundstahl für die Granatenfabrikation auf ein Vielfaches dessen bezifferte, was die Thomaswerke leisten konnten. Außerdem ergab sich, daß es in den dringenden Bestellungen der Militärbehörden auf die verschiedenen Arten von Stahlerzeugnissen – Granaten, Wurfminen, Minenwerfer, Draht usw. – an der erforderlichen Einheitlichkeit fehlte, so daß die einzelnen Stellen sich in der Nachfrage nach dem Rohmaterial gegenseitig Konkurrenz machten.

 

Munitionskrisis

Die neuen Anforderungen der Heeresverwaltung übertrafen in ihrem Umfang bei weitem alles bisher Dagewesene. Die Stahlindustrie zeigte sich sofort bereit, jede andere Arbeit, auch die Lieferungen an das neutrale Ausland, zurückzustellen und die zur Bewältigung des neuen Munitionsbedarfes erforderliche Umstellung ihrer Betriebe, die an Umfang, selbst die Umstellung der Industrie zu Anfang des Krieges übertraf, mit jeder möglichen Beschleunigung durchzuführen. Über die Voraussetzungen – Freigabe der erforderlichen Facharbeiter und der notwendigen Rohstoffe, einheitliche Disposition in den Bestellungen der Heeresverwaltung auf Stahlerzeugnisse, Zurückstellung des Bedarfs für andere Zwecke, z. B. des Schienenbedarfs des Eisenbahn-Zentralamts – war für den 18. August eine abschließende Besprechung im Kriegsministerium vereinbart. Die Besprechung verlief ohne positives Ergebnis, da, wie mir von Teilnehmern an der Beratung mitgeteilt worden ist, weder der den Vorsitz führende Vertreter des Kriegsministeriums, ein Major, noch der Vertreter der Feldzeugmeisterei und des Ingenieurkorps genügend orientiert waren.

In diesem Stadium wurde ich zum erstenmal mit der Angelegenheit durch Vertreter der Industrie befaßt. Ich erteilte den Herren, die über die Behandlung dieser unabsehbar wichtigen Frage auf das äußerste erregt waren, den Rat, sich alsbald an den stellvertretenden Kriegsminister – der Kriegsminister selbst befand sich im Großen Hauptquartier – zu wenden, in der Überzeugung, daß dieser sofort durchgreifen würde. Ich stieß mit diesem Rat auf Bedenken und Zweifel, aber die Herren sagten zu, den Vorschlag alsbald an ihre Verbände weiterzugeben. Wenige Tage darauf erhielt ich die Nachricht, man habe meinen Rat insofern befolgt, als man den Kriegsminister telegraphisch gebeten habe, in der Munitionsangelegenheit alsbald zwei Vertreter der Eisen- und Stahlindustrie im Großen Hauptquartier zu empfangen. Die Antwort habe gelautet, der Kriegsminister sei zur Zeit an der Ostfront festgehalten und gebe anheim, bei dem stellvertretenden Kriegsminister in Berlin vorstellig zu werden. Ein erneutes persönliches Telegramm des Herrn Krupp von Bohlen und Halbach an den Kriegsminister hatte die erneute Verweisung an dessen Stellvertreter zur Folge.

Der Verein Deutscher Eisenhüttenleute legte nun seine Auffassung der Lage und seine Vorschläge in einer vom 23. August 1916 datierten Denkschrift nieder, die dem Kriegsminister und wohl auch andern maßgebenden militärischen Persönlichkeiten zugestellt wurde. Auch mir wurde auf meinen Wunsch ein Exemplar überlassen. Schon vorher hatte ich dem Reichskanzler, der im Begriff war, nach dem Großen Hauptquartier zu reisen, über die Angelegenheit Vortrag gehalten und ihm anheimgestellt, den Chef des Generalstabs – damals noch General von Falkenhayn – und den Kriegsminister auf den Ernst der Lage und auf die Notwendigkeit einer Reorganisation der Materialbestellung hinzuweisen.

 

Denkschrift des Vereins deutscher Eisenhüttenleute

Wenige Tage darauf war der General von Falkenhayn als Generalstabschef durch den Generalfeldmarschall von Hindenburg ersetzt. Als der Kanzler am 28. August, noch ohne Kenntnis des Wechsels, abermals nach dem Hauptquartier fuhr, gab ich ihm die mir inzwischen zugegangene Denkschrift des Vereins Deutscher Eisenhüttenleute mit.

Der Kanzler fand den Generalfeldmarschall und den General Ludendorff bereits orientiert und fest entschlossen, durchzugreifen. Am 31. August richtete der Feldmarschall an den Kriegsminister ein Schreiben, in dem er das stärkste Kraftaufgebot zur Steigerung der Munitions- und Waffenherstellung verlangte. Dem Kanzler gab der Feldmarschall eine Abschrift.

Ich schrieb darauf an den General Ludendorff am 3. September 1916 einen Brief, in dem es hieß:

»Ich bin über die auf diesem Gebiet vorliegenden großen Schwierigkeiten durch unsere Industriellen unterrichtet. Mein Eindruck ist, daß die volle Leistungsfähigkeit unserer Industrie nur dann ausgenutzt werden kann, wenn

  1. die nötigen Facharbeiter aus der Front der Industrie schleunigst zur Verfügung gestellt werden,
  2. die Vergebung der Aufträge vereinheitlicht wird,
  3. der zu schaffenden Zentralstelle ein Mann ersten Ranges aus unserer Eisenindustrie beigegeben wird.

... Ich empfinde es als große Erleichterung von einer drückenden Sorge, daß die Oberste Heeresleitung diese wichtige Angelegenheit nunmehr in die Hand genommen hat. Die Oberste Heeresleitung ist die einzige Stelle, die auf das Kriegsministerium in dieser Sache mit der Sicherheit des Erfolges einwirken kann.«

Etwa zwei Wochen später erhielt der Kanzler ein Schreiben des Feldmarschalls, in dem dieser unter nachdrücklichem Hinweis auf den Ernst der Lage und auf die Notwendigkeit der Sicherung eines ausreichenden Heeresersatzes wie der Steigerung der Leistungen unserer Kriegsindustrie eine Reihe von Vorschlägen zur Erwägung stellte, deren wichtigste waren: Ausdehnung der Wehrpflicht auf alle Deutschen männlichen Geschlechts vom vollendeten fünfzehnten bis zum sechzigsten Lebensjahr und Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für Frauen.

 

Ausdehnung der Wehrpflicht. Frauendienstpflicht

So sehr ich von der Überzeugung durchdrungen war, daß eine intensivere Ausnutzung der vorhandenen Arbeitskräfte dringend notwendig geworden war, so wenig konnte ich mich von der Zweckmäßigkeit und Wirksamkeit der von der Obersten Heeresleitung vorgeschlagenen Eingriffe überzeugen. Die Ausdehnung der Wehrpflicht nach unten aus Gründen des Heeresersatzes schien mir schon deshalb überflüssig, weil das bestehende Wehrgesetz, das die Wehrpflicht vom vollendeten 17. Lebensjahre beginnen ließ, hinsichtlich der beiden jüngsten Jahrgänge überhaupt noch nicht ausgenutzt war. Auch von der Ausdehnung nach oben – jedenfalls von einer Ausdehnung über das fünfzigste Jahr hinaus – eine Ausdehnung bis zum fünfzigsten Jahr hielt ich für diskutabel – vermochte ich mir gleichfalls für den Heeresersatz keinen Vorteil zu versprechen, der einigermaßen im Verhältnis zu den Härten und Nachteilen einer solchen Maßnahme gestanden hätte. Wollte man aber die Ausdehnung der Wehrpflicht nach oben und unten lediglich als Verschleierung einer Arbeitspflicht, so schien mir dieser Weg nicht zweckmäßig; man hätte die neuen Wehrpflichtigen alsbald für die Arbeit in die Heimat wieder reklamieren müssen, und die mit den Reklamierten schon damals vorliegenden Erfahrungen waren nicht gerade ermutigend. Die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht für die Frauen sollte die Möglichkeit geben, männliche Arbeit in weiterem Umfange als bisher durch weibliche zu ersetzen. Ich hatte den Eindruck, daß die Oberste Heeresleitung, als sie diesen Vorschlag machte, weder darüber im Bilde war, in welchem Umfang der Ersatz männlicher durch weibliche Arbeitskräfte bereits gelungen war – ich habe oben dafür einige Zahlen gegeben –, noch auch darüber, daß immer noch auf dem Arbeitsmarkt ein starker Überschuß des Angebots weiblicher Arbeitskräfte über die Nachfrage bestand. Das Problem lautete hier nicht: Wie kann man mehr weibliche Arbeitskräfte verfügbar machen? – sondern umgekehrt: Wie kann man für die verfügbaren weiblichen Arbeitskräfte geeignete Arbeit schaffen? Auch schien mir der Urheber des Vorschlages der Obersten Heeresleitung die wirtschaftlichen, sozialen und sittlichen Unzuträglichkeiten eines Arbeitszwanges für das weibliche Geschlecht nicht genügend zu würdigen.

In dem Ziel, die männlichen Arbeitskräfte weit stärker als bisher auf die kriegswichtigen und lebenswichtigen Betriebe zu konzentrieren und die Männerarbeit in noch weiterem Umfang als seither durch Frauenarbeit zu ersetzen, stimmte ich mit der Obersten Heeresleitung überein. Aber von dem vorgeschlagenen Weg vermochte ich – abgesehen von der Frage nach der Möglichkeit seiner gesetzgeberischen Verwirklichung – bei zweifelhaftem Nutzen nur ganz schwerwiegende Nachteile und Störungen zu erwarten. Der Weg, der mir gangbar erschien, war die konsequente Weiterführung und Verallgemeinerung der bereits für einige Industrien in Angriff genommenen Konzentration und rationellen Nutzbarmachung der verfügbaren Arbeitskräfte, und zwar unter möglichster Förderung der weiteren Ersetzung von Männerarbeit durch Frauenarbeit im Wege der Einwirkung auf alle irgendwie für weibliche Arbeitskräfte in Betracht kommenden öffentlichen und privaten Betriebe. Auch die militärischen Behörden und Betriebe sowohl in der Heimat wie in den besetzten Gebieten schienen mir eine Überprüfung nach dieser Richtung hin sehr wohl zu vertragen.

In diesem Sinne habe ich den Reichskanzler beraten, und in diesem Sinne hat der Reichskanzler dem Generalfeldmarschall geantwortet.

Es knüpfte sich daran eine weitere Erörterung, in deren Verlauf die Oberste Heeresleitung in einem Schreiben des Feldmarschalls vom l0. Oktober, das General Gröner am 14. Oktober dem Reichskanzler überbrachte, einen neuen Vorschlag machte.

 

Errichtung des Kriegsamts

In diesem Schreiben setzte der Feldmarschall auseinander, daß die bisher getroffenen Maßnahmen zur Steigerung der Leistungen unserer Industrie (Einrichtung des Waffen- und Munitionsbeschaffungsamtes und des Arbeitsamtes im Kriegsministerium) nicht zum Ziele führen würden. Erfolge würden auch in Zukunft dadurch vereitelt werden, daß diese Ämter nicht die erforderliche Selbständigkeit und Befehlsgewalt hätten, um schnell und lediglich nach großen sachlichen Gesichtspunkten zu handeln, die Ausführung zu überwachen und nötigenfalls auch durchsetzen zu können. Auch das Kriegsernährungsamt leide unter den gleichen Mängeln. Die unbedingt notwendige Änderung sei nur zu erreichen, »wenn wir uns zunächst auf Maßnahmen beschränken, die lediglich durch Kaiserlichen Erlaß, ohne Beteiligung der gesetzgebenden Körperschaften, getroffen werden können«. Der Entwurf einer Allerhöchsten Kabinettsorder war beigefügt.

Dieser Entwurf sah die Einrichtung eines »Obersten Kriegsamtes« vor, dem die Leitung aller mit der Kriegführung zusammenhängenden Angelegenheiten der Beschaffung, Verwendung und Ernährung der Arbeiter, sowie die Beschaffung von Rohstoffen, Waffen und Munition übertragen werden sollte. Das Waffen- und Munitionsbeschaffungsamt, das Arbeitsamt und die Kriegsrohstoffabteilung des Kriegsministeriums sollten dem »Obersten Kriegsamt« unterstellt werden. Ferner sollte das »Oberste Kriegsamt« die Maßnahmen des Kriegsernährungsamts für die Versorgung der Arbeiter überwachen.

Letztere Regelung war als eine vorläufige gedacht, die gänzliche Einfügung des Kriegsernährungsamtes in das »Oberste Kriegsamt« sollte weiterer Erwägung vorbehalten bleiben.

Mündlich sagte General Gröner bei der Übergabe dieses Schreibens dem Reichskanzler: General Ludendorff habe den Gedanken des Arbeitszwanges noch nicht ganz aufgegeben; er, Gröner, sei für seine Person dagegen, halte aber Einschränkungen der Freizügigkeit der Arbeiter, ähnlich wie in England, für nötig.

 

Kriegsamt. Arbeitspflicht. Hindenburg-Programm

Die Errichtung eines Kriegsamts, bei dem alle Angelegenheiten der Beschaffung von Waffen und Munition, einschließlich der Arbeiter- und Rohstoffragen einheitlich zusammengefaßt werden sollten, lag in der Richtung der in meinem Schreiben an den General Ludendorff vom 3. September gegebenen Anregung. Zweifelhaft war die Zweckmäßigkeit einer völligen Lostrennung des Kriegsamts vom Kriegsministerium. Nach weiterer Prüfung entschieden sich die militärischen Stellen dahin, das Kriegsamt nicht als »Oberstes Kriegsamt« selbständig neben das Kriegsministerium zu stellen, sondern es mit weitgehender Selbständigkeit im Verbände des Kriegsministeriums zu belassen. In diesem Sinn wurde am 1. November 1916 die Errichtung des »Kriegsamts« durch Allerhöchste Order verfügt. Gleichzeitig wurde der General Gröner zum Chef des Kriegsamts ernannt und General Wild von Hohenborn als Kriegsminister durch General von Stein ersetzt.

Noch ehe diese Änderungen veröffentlicht waren, am 28. Oktober, teilte General Gröner dem Reichskanzler mit, daß die Oberste Heeresleitung – entgegen der im Schreiben des Feldmarschalls an den Reichskanzler vom 10. Oktober ausgesprochenen Absicht, zunächst von Maßnahmen, die eine Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften nötig machten, abzusehen – auf die früheren Vorschläge in der Form zurückgreifen wollte, daß für alle männlichen Deutschen vom vollendeten 15. bis zum 60. Lebensjahr, sowie für die Frauen eine Arbeitspflicht eingeführt werde.

Am folgenden Tage fand beim Reichskanzler unter Zuziehung des Generals Gröner eine Besprechung mit den beteiligten Ressortchefs über diesen Gedanken statt. General Gröner begründete die Notwendigkeit der Arbeitspflicht, gegen die er sich dem Reichskanzler gegenüber noch vierzehn Tage zuvor für seine Person ausgesprochen hatte, mit dem gewaltigen Bedarf an Arbeitskräften zur Durchführung des neuen großen Waffen- und Munitionsprogramms, des »Hindenburg-Programms«. Ich hörte bei dieser Gelegenheit zum erstenmal von den gigantischen Dimensionen dieses Programms, das aufgestellt und mit der Industrie größtenteils bereits vereinbart war, ohne daß die militärischen Stellen in dieser so tief in das gesamte Wirtschaftsleben einschneidenden und in ihrer Durchführbarkeit von schwer zu übersehenden wirtschaftlichen Voraussetzungen abhängigen Angelegenheit mit mir als dem Chef des wirtschaftlichen Reichsressorts in Verbindung getreten wären. Es ergab sich, daß auch der Eisenbahnminister von Breitenbach und der Handelsminister Sydow zu der Feststellung des Programms nicht herangezogen worden waren, obwohl dessen Durchführung, die enorme Transporte für Neubauten industrieller Anlagen größten Stils nötig machte und den Verbrauch der Kohle gewaltig steigern mußte, von der Leistungsfähigkeit unserer Eisenbahnen und unserer Kohlenproduktion ebenso abhängig war wie von der Möglichkeit der Beschaffung ausreichender Arbeitskräfte. Beide Minister äußerten, ebenso wie ich, die ernstlichsten Zweifel an der Durchführbarkeit des »Hindenburg-Programms« und wiesen auf die verhängnisvollen Folgen einer solchen Überspannung hin.

 

Arbeitspflicht

In Sachen der Arbeitspflicht brachte General Gröner nur den allgemeinen Gedanken und den dekorativen Namen »Vaterländischer Hilfsdienst« mit. Keine bestimmte Formulierung und keine Ausgestaltung im einzelnen. Die Aussprache enthüllte die außerordentlichen Schwierigkeiten der Verwirklichung des Gedankens der Arbeitspflicht. Sollten die Arbeitspflichtigen wie die Wehrpflichtigen in Stammrollen eingetragen, zu Arbeiterbataillonen formiert und in bestimmte Betriebe kommandiert werden? Jedermann sah ein, daß dies unmöglich war. Weitaus der größte Teil der künftighin Arbeitspflichtigen war bereits in Betrieben und Beschäftigungen tätig, die als wichtig für die Kriegführung und Volksversorgung anzusehen waren.

Es hätte keinen Zweck gehabt und nur die schwersten Störungen verursacht, wenn man diese hätte aus ihrer Tätigkeit herausreißen wollen, um sie dann derselben Tätigkeit oder einer anderen, aber nicht wichtigeren, wieder zuzuführen. Der Sinn der Arbeitspflicht konnte doch nur sein, diejenigen heranzuholen, die bisher entweder überhaupt nicht arbeiteten oder in für Kriegführung und Volksversorgung unwichtigen oder weniger wichtigen Beschäftigungen tätig waren, oder schließlich in an sich wichtigen, aber mit Arbeitskräften übersetzten Betrieben arbeiteten. Das Erfassen dieser Arbeitskräfte und ihre Überweisung an wichtige Arbeit war zu organisieren. Ferner bedurfte der Zwang, eine zugewiesene Arbeit anzunehmen, zu seiner Ergänzung einer Kontrolle des Verlassens einer kriegswichtigen Arbeit, also einer Beschränkung des Arbeitswechsels. Und diese weitgehenden Einschränkungen der persönlichen Freiheit machten ein geordnetes Verfahren und einen Rechtsschutz für die dadurch betroffenen Personen nötig. Vorauszusehen war ferner, daß bei der parlamentarischen Behandlung eines Arbeitspflichtgesetzes die alten sozialen Wünsche nach Arbeitsausschüssen, Schlichtungsstellen und Einigungsämtern und die politische Forderung nach unbeschränkter Koalitionsfreiheit sich Geltung verschaffen würden.

In der grundsätzlichen Frage konnte ich mich den Gründen, die General Gröner für die Statuierung einer Arbeitspflicht darlegte, nicht entziehen, obwohl ich den praktischen Nutzeffekt der Arbeitspflicht erheblich geringer einschätzte als die militärischen Stellen. Aber angesichts der schweren Bedrängnis, in die wir geraten waren, konnte auf keine irgend mögliche Verbesserung in der Nutzbarmachung von Arbeitskräften verzichtet werden. Die Arbeitspflicht der Jugendlichen von weniger als 17 Jahren und der Frauen ließ General Gröner angesichts der von allen Seiten geltend gemachten Einwendungen fallen.

Ich übernahm es, einen Entwurf ausarbeiten zu lassen, der als Grundlage für die weitere Erörterung dienen sollte.

Das war am Sonntag, dem 29. Oktober. Obwohl ich damals neben meinen anderen Geschäften durch die Reichstagsverhandlungen über Belagerungszustand und Zensur, durch den Bundesratsausschuß für auswärtige Angelegenheiten, der am 30. Oktober tagte, und die damals vor der Entscheidung stehende polnische Frage auf das äußerste in Anspruch genommen war, konnte ich die Grundzüge des Entwurfs schon am Donnerstag, 2. November, mit General Gröner besprechen und mit diesem vereinbaren, daß vor weiterem die Angelegenheit in der folgenden Woche vertraulich mit Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmer-Organisationen durchberaten werden sollte. Zudem hatte der Kaiser sich der Auffassung des Kanzlers angeschlossen, daß vor einer öffentlichen Behandlung der Frage der Arbeitspflicht die Wirkung des damals schon bei unseren Verbündeten angeregten Friedensvorschlags abgewartet werden sollte.

 

Das Hilfsdienstgesetz

Am 4. November war der Reichstag vertagt worden. Am Vormittag des 6. November schickte mir der Kanzler ein Telegramm des Vertreters des Auswärtigen Amts im Großen Hauptquartier, der General Ludendorff erkläre, das Hilfsdienstgesetz dulde keinerlei Aufschub; er werde diesen Standpunkt mit allem Nachdruck bei Seiner Majestät vertreten. Schon am Nachmittag erhielt der Kanzler ein Telegramm des Kaisers, in dem dieser in ungewöhnlich, schroffer Form die sofortige Erledigung des Hilfsdienstgesetzes befahl. Auch in den folgenden Wochen, während mit Hochdruck an dem Gesetz gearbeitet wurde – der Entwurf wurde am 10. November nach der Beschlußfassung des Preußischen Staatsministeriums dem Kaiser zur Genehmigung vorgelegt und alsbald nach Eingang der Kaiserlichen Order, am 14. November, bei dem inzwischen bereits vertraulich orientierten Bundesrat eingebracht – wiederholte sich dieses ungestüme Drängen aus dem Großen Hauptquartier. Es ist mir heute noch unbegreiflich, was für einen Sinn dieses Drängen haben sollte. Die Durchführung des Gesetzes bedurfte in dem gerade erst neu errichteten Kriegsamt umfassender Vorbereitungen, die unbeschadet der verfassungsmäßigen Behandlung des Entwurfs sofort in Angriff genommen werden konnten und in Angriff genommen wurden. Auch bei der besten und gründlichsten Vorbereitung konnten die Wirkungen des Gesetzes sich nicht auf Tag und Stunde, sondern erst im Laufe längerer Zeit fühlbar machen. Andererseits war das Gesetz von solcher Tragweite für unser ganzes Wirtschaftsleben und für die Verhältnisse eines jeden einzelnen Staatsbürgers, daß ich für die Durchberatung mit den in erster Linie beteiligten Wirtschaftskreisen, für die Beschlußfassung der Verbündeten Regierungen und für die Vorbereitung der parlamentarischen Behandlung die nötige Zeit in Anspruch nehmen mußte.

Jedenfalls war ich für meine Person nicht gewillt, das fortgesetzte Drängen hinzunehmen. Ich erklärte dem Kanzler, daß ich dafür dankte, unter der Hetzpeitsche des Großen Hauptquartiers zu arbeiten, und bat ihn, dem Kaiser mein Entlassungsgesuch zu unterbreiten. Der Kanzler selbst hatte den Eindruck, daß die unverkennbare Animosität des Großen Hauptquartiers sich in der Hauptsache gegen seine Person richte. Er reiste nach Pleß, um eine Aussprache mit dem Kaiser und dem Feldmarschall herbeizuführen und danach seine eigenen Entscheidungen zu treffen. Diese Aussprache reinigte für kurze Zeit die Atmosphäre; eine wirkliche Klärung brachte sie nicht. Der Kanzler selbst kehrte aus Pleß zurück mit dem Gefühl eines von Einzeldifferenzen unabhängigen, auf die Dauer unüberbrückbaren Gegensatzes zwischen sich und der Obersten Heeresleitung.

 

Das Hilfsdienstgesetz im Reichstage

Das Hilfsdienstgesetz wurde am 21. November vom Bundesrat angenommen und dem für den 25. November wieder einberufenen Reichstag vorgelegt. Schon zwei Tage zuvor begann der Hauptausschuß auf Grund der von mir mit den Fraktionsführern getroffenen Abrede in freier Diskussion die Beratung des Gesetzentwurfs. In Sitzungen, die vom frühen Morgen bis zum späten Abend dauerten, wurde das Gesetz in der eingehendsten Weise durchgearbeitet. Der Reichstagsausschuß verlangte, wie ich das nicht anders erwartet hatte, daß alle die nach dem Entwurf dem Bundesrat vorbehaltenen Einzelbestimmungen über die zur Durchführung des Gesetzes zu schaffenden Organe und Instanzen sowie über den Rechtsschutz für die Arbeitspflichtigen – Bestimmungen, die in Form von »Richtlinien« der Begründung des Entwurfs beigefügt waren – in den Text des Gesetzes selbst aufgenommen würden. Dazu kamen alle die vorausgesehenen und manche nicht vorausgesehenen sozialpolitischen und politischen Anträge, die auf ein mit dem Zweck des Gesetzes verträgliches Maß in schwieriger Diskussion zurückgeführt werden mußten. So erfüllte sich die von einem Vertreter der Obersten Heeresleitung bei der ersten Besprechung mit den Gewerkschaften ausgesprochene Hoffnung, der Reichstag werde das Gesetz als eine patriotische Großtat auffassen und ohne Diskussion en bloc annehmen!

In Tages- und Nachtarbeit wurde der Entwurf so weit gefördert, daß der Hauptausschuß schon am Abend des 28. November die Beratung abschließen konnte. In den folgenden Tagen erledigte das Reichstagsplenum die Vorlage in Dauersitzungen. Die zweite Lesung am 30. November begann um 12 Uhr mittags und endigte kurz vor 12 Uhr nachts. Am Nachmittag des 2. Dezember wurde das Gesetz in dritter Lesung vom Reichstag mit 235 gegen 19 Stimmen der Unabhängigen Sozialdemokraten bei 8 Stimmenthaltungen angenommen.

Bis zum letzten Augenblick waren einzelne wichtige Bestimmungen schwer umstritten. Meine Stellung war gegenüber dem Reichstag eine ungewöhnlich schwierige infolge des Umstandes, daß zwischen den einzelnen Stadien der Reichstagsberatung nicht die genügende Zeit lag, um eine Stellungnahme der Verbündeten Regierungen zu weitgehenden Abänderungen und Ergänzungen der Vorlage herbeizuführen. Dadurch war ich gezwungen, in Wahrung des gesetzgeberischen Rechtes des Bundesrats auch gegenüber Anträgen Zurückhaltung zu zeigen, die ich an sich für erträglich hielt und die ich bei den Verbündeten Regierungen gegen manche mir bekannte Widerstände zu befürworten entschlossen war. Ich mußte in solchen Fällen, wie ich es im Reichstag ausdrückte, den Verbündeten Regierungen gewissermaßen »das Protokoll offen halten«. Der Reichstag hat für solche Situationen, die sich aus der Stellung der Mitglieder der Reichsleitung als Vertreter der Verbündeten Regierungen ergaben, stets nur geringes Verständnis gezeigt. Im vorliegenden Fall kam für mich noch die besondere Erschwerung hinzu, daß der General Gröner, der als Chef des Kriegsamts mit mir die Vorlage zu vertreten hatte, in der nur einem Soldaten gestatteten Unbefangenheit auf eigene Faust verhandelte und Zugeständnisse machte, oft genug, ohne mich auch nur von seinen Besprechungen und Zusagen zu unterrichten. Es ist mir in der Kommission passiert, daß mir ein sozialdemokratischer Abgeordneter unter vier Augen sagte: »Wir verstehen Sie nicht; Sie wehren sich hier gegen Dinge, die uns der General Gröner längst zugestanden hat!«

Noch in der dritten Lesung kam es zu einer kritischen Zuspitzung. Am Abend vorher wurde mir mitgeteilt, daß die Nationalliberalen auf Drängen des Abgeordneten Ickler, der in den Eisenbahner-Organisationen eine führende Rolle spielte, einen Antrag einbringen wollten, der die Erstreckung der in den Beschlüssen zweiter Lesung vorgesehenen Arbeiterausschüsse und Schlichtungsstellen auch auf die Staatseisenbahnen vorsah. Der preußische Eisenbahnminister und mit ihm das gesamte preußische Staatsministerium hatten, schon als in den Kommissionsberatungen dieser Gedanke von sozialdemokratischer Seite in die Erörterung geworfen wurde, eine solche Erstreckung für unannehmbar erklärt. Der Widerstand des Eisenbahnministers richtete sich vor allem gegen die Schiedsstellen, die für das Verhältnis zwischen Eisenbahnverwaltung und Eisenbahnangestellten und Arbeitern eine dritte außerhalb stehende Instanz geschaffen hätten. Dagegen gelang es mir, von Herrn von Breitenbach die Zusicherung zu erhalten, daß die bei der Eisenbahn bereits bestehenden Arbeiterausschüsse entsprechend den aus der Mitte des Reichstags geäußerten und in einer Resolution niedergelegten Wünschen ausgebaut werden sollten. Auf Grund dieser Zusage gelang es, die Nationalliberalen noch vor Beginn der Sitzung zur Zurückziehung des bereits gedruckten Antrages Ickler zu bestimmen. Die Sozialdemokraten, die bisher einen solchen Antrag nicht gestellt hatten, erhielten jedoch von dem gleich wieder zurückgezogenen Antrag Ickler Kenntnis und nahmen diesen nun ihrerseits auf. Als bereits der Abgeordnete Legien zur Begründung des Antrags sprach, trat der Abgeordnete Ickler zu mir heran und sagte mir, daß, nachdem die Sozialdemokraten den Antrag gestellt hätten, seine Freunde nun doch für den Antrag stimmen müßten. Da die Haltung eines Teiles des Zentrums zum mindesten zweifelhaft war, was mir der Abgeordnete Spahn bestätigte, konnte die Annahme des Antrags, wenn überhaupt noch, dann nur durch eine klare Stellungnahme meinerseits und einen Hinweis auf die möglichen Folgen eines solchen irreparabeln, weil in der dritten Lesung gefaßten Beschlusses verhindert werden. Ich nahm deshalb nach Legien das Wort, teilte zunächst die Zusicherung des preußischen Eisenbahnministers hinsichtlich der Arbeiterausschüsse mit, entwickelte kurz die Gründe gegen eine Ausdehnung der Schiedsstellen auf die Eisenbahnen und fügte hinzu: »Deshalb muß ich hier, so leid es mir tut, sagen, daß, wenn der Antrag, wie er hier gestellt ist, angenommen wird, dann in der Tat das Gesetz gefährdet ist. Dieses Wort habe ich bisher noch nicht ausgesprochen; in diesem Punkte muß ich es leider tun.«

Diese Erklärung trug mir im Reichstag und in der Presse die heftigsten Angriffe ein. Sie hatte aber die Wirkung, daß ein Teil der Abgeordneten, die andernfalls für den sozialdemokratischen Antrag gestimmt hätten, vor allem die Nationalliberalen um Ickler und die den Arbeiterorganisationen nahestehenden Zentrumsabgeordneten, sich auf die zu diesem Thema vorliegende Resolution zurückzogen und gegen den Antrag stimmten, der auch jetzt nur mit einer Stimme Mehrheit, mit 139 gegen 138 Stimmen, abgelehnt wurde. Ich war bei der Besetzung des Hauses auf eine Annahme des Antrags gefaßt und hatte bereits meine Akten gepackt, um sofort zum Kanzler zu fahren und meine Entlassung zu nehmen.

Mir persönlich wäre diese Lösung eine Erleichterung gewesen. Die das Maß menschlicher Kraft übersteigende Arbeitslast, die sich in den letzten Wochen ins Unerträgliche gesteigert hatte und durch die Reibungen mit dem Großen Hauptquartier auf der einen Seite, mit dem Reichstag auf der anderen Seite, noch eine besondere Würze erhielt, hatte mir die Freude an meiner Amtstätigkeit zerstört und mir auch körperlich stark zugesetzt. Neue schwere Reibungen und Konflikte sah ich voraus. Die Erfahrungen bei der Beratung des Hilfsdienstgesetzes hatten mir gezeigt, daß ich bei einem großen Teil des Reichstags, insbesondere bei den Sozialdemokraten, mit einer unüberwindlichen Voreingenommenheit zu kämpfen hatte. Man sah in mir, zu dessen Geschäftsbereich vor allem auch die Sozialpolitik gehörte, stets den früheren Bankdirektor und infolgedessen den Vertreter kapitalistischer Weltanschauung und kapitalistischer Interessen, ohne mir den mildernden Umstand zuzubilligen, daß auch ich nicht in einer goldenen Wiege gelegen habe, sondern aus immerhin bescheidenen Verhältnissen lediglich durch eigene Arbeit vorwärtsgekommen war. Andererseits lehnte sich, je länger desto mehr, mein in neun Jahren großer geschäftlicher Tätigkeit an praktische Arbeit gewohnter Sinn gegen die Arbeitsmethoden des Reichstags auf, der immer wieder in endlose Debatten und öde Parteipolitik zurückfiel, während draußen Stunde für Stunde um Leben und Tod der Nation gerungen wurde und uns allen die Not des Vaterlandes auf den Nägeln brannte. Auch in der Unerquicklichkeit des Verhältnisses zum Großen Hauptquartier sah ich keine Besserung. Über die wachsende Schwierigkeit des vertrauensvollen Zusammenwirkens konnte es mich nicht hinwegtrösten, daß der Kaiser nach der Erledigung des Hilfsdienstgesetzes mir sein unvermindertes Vertrauen durch die Übersendung seines Reiterbildes mit einer anerkennenden Widmung zu erkennen gab. Aber in allen diesen Schwierigkeiten überwog doch schließlich das Gefühl, daß persönliche Empfindungen vor der harten Pflicht zurücktreten mußten, und daß die Pflicht von mir verlange, auszuharren und weiterzukämpfen.

 

Durchführung des Hilfsdienstgesetzes. Abkehrschein

Die Durchführung des Hilfsdienstgesetzes wurde durch das Gesetz selbst dem Kriegsamt übertragen, dem ein aus fünfzehn Mitgliedern bestehender Ausschuß des Reichstags, ausgestattet mit weitgehenden Befugnissen, zur Seite gestellt wurde. Damit waren meiner unmittelbaren Einwirkung auf die Durchführung des Gesetzes enge Grenzen gezogen.

Von erheblicher Bedeutung für die Durchführung ist die Fassung geworden, die der Reichstag dem § 9 des Gesetzes gegeben hatte.

Der Paragraph behandelt die als Ergänzung zur Arbeitspflicht erforderliche Beschränkung des Arbeitswechsels. Ein Arbeitswechsel sollte nur gestattet sein vermittels eines von dem bisherigen Arbeitgeber ausgestellten »Abkehrscheines«. Gegen die Verweigerung des Abkehrscheines sollte die Berufung an eine paritätisch zusammengesetzte Kommission statthaft sein, die den Abkehrschein bei Vorliegen eines »wichtigen Grundes« für das Ausscheiden auszustellen hatte.

Diese Regelung war bereits in den der Vorlage beigegebenen Richtlinien enthalten. In der Kommission wurde ein Zusatz beantragt, daß als »wichtiger Grund« für das Ausscheiden »insbesondere die Möglichkeit der Verbesserung der Arbeitsbedingungen« zu gelten habe. Gegen diesen Zusatz wurden nicht nur von mir, sondern auch aus der Mitte der Kommission, namentlich auch von den Abgeordneten von Payer und Dr. Schiffer, starke Bedenken geltend gemacht. Die einseitige Hervorhebung der Verbesserung der Lohnverhältnisse als »wichtiger Grund« für den Arbeitswechsel schien mir mit dem Zweck des Gesetzes, im Interesse der möglichsten Steigerung der Produktion den Arbeitswechsel einzuschränken, im Widerspruch zu stehen. Ich führte damals in der Kommission aus:

»Nach meiner Ansicht werden durch eine solche gesetzliche Bestimmung die Leute geradezu mit der Nase darauf gestoßen, daß sie sich überlegen, wo sie bessere Arbeitsbedingungen finden. Statt den Arbeitswechsel zu verhindern, fürchte ich, daß durch eine solche einseitige Definition das Gegenteil erreicht wird, daß Unzufriedenheit in die große Masse der Arbeiter hineingetragen wird, die an einen Arbeitswechsel bisher gar nicht denken.«

Der Abgeordnete von Payer sprach geradezu von einer Entwertung des ganzen Gesetzes durch eine so einseitige Hervorkehrung der Lohnfrage.

Schließlich einigte sich die Mehrheit der Kommission auf einen Zusatz, lautend:

»Bei der Entscheidung der Frage, ob ein >wichtiger Grund< vorliegt, ist auf die Bedürfnisse des vaterländischen Hilfsdienstes Rücksicht zu nehmen. Als wichtiger Grand soll insbesondere eine angemessene Verbesserung der Arbeitsbedingungen im vaterländischen Hilfsdienst gelten.«

Hier war wenigstens die Rücksicht auf den Zweck des Gesetzes im ersten Satz vorangestellt.

Im Plenum des Reichstags jedoch wurde die Streichung des ersten Satzes beantragt und gegen meinen Widerspruch angenommen.

 

Lohntreiberei

Die seither gemachten Erfahrungen haben meine Befürchtungen leider gerechtfertigt. Die heute allgemein, auch von den Sozialdemokraten, beklagte ungesunde Lohntreiberei ist von der Kriegsindustrie ausgegangen, und in der Kriegsindustrie hat ihr der vom Reichstag beschlossene Zusatz geradezu den Boden bereitet.

Auf diesem Boden mußte die Lohntreiberei um so üppiger ins Kraut schießen, als das Kriegsamt mehr und mehr dazu überging, Lieferungsverträge abzuschließen, bei denen die Preisfestsetzung offen blieb und nach Abschluß der Lieferung auf Grund der Gestaltung der Materialpreise und Löhne erfolgen sollte. Durch Verträge dieser Art wurden die Unternehmer geradezu angereizt, sich gegenseitig in den Arbeitslöhnen zu überbieten. Denn die Lohnsteigerung wurde ja nun nicht mehr von ihnen selbst getragen, sondern von dem geduldigen Staat; ja die Lohnsteigerung brachte ihnen geradezu einen Vorteil, da ihr Gewinn im Verhältnis ihres Aufwandes für Material und Löhne stieg. Das Kriegsamt hat später in einer besonderen Denkschrift über dieses verheerende System bewegliche und berechtigte Klage geführt. Es hat dabei nur den einen nicht ganz unwichtigen Umstand übersehen, daß nämlich die Anwendung und die Abstellung dieses Systems lediglich Sache seiner eigenen Zuständigkeit und Verantwortung war.

Von der Lohnfrage abgesehen war die Wirkung des Hilfsdienstgesetzes in ganz besonderem Maße davon abhängig, wieweit es gelang, auf organisatorischem Weg durch eine rationelle Gestaltung der einzelnen Produktionszweige, insbesondere durch Zusammenlegung und Stillegung von Betrieben, bisher ohne erhebliche Nutzwirkung gebundene Arbeitskräfte freizusetzen und für wichtige Arbeit verfügbar zu machen. Darüber ist schon bei den Verhandlungen des Hauptausschusses, dann in den Verhandlungen des dem Kriegsamt zur Seite gestellten Fünfzehnerausschusses unendlich viel gesprochen worden. Die praktische Arbeit hat mit den theoretischen Worten leider nicht gleichen Schritt gehalten. Das Reichsamt des Innern war bald genötigt, diese dem Kriegsamt übertragenen Angelegenheiten allmählich wieder in seine Hand zu nehmen.

 

Wirkung des Hilfsdienstgesetzes

Ein abschließendes Urteil über die Wirkung des Hilfsdienstgesetzes ist mir heute noch nicht möglich, da mir das hierfür erforderliche Material nicht zugänglich ist. Mein Eindruck geht jedoch dahin, daß seine Wirkung jedenfalls weit hinter den Erwartungen der Obersten Heeresleitung zurückgeblieben ist, ja daß, alles in allem genommen, der Nachteil den Vorteil aufgewogen hat. Dies gilt auch von der Wirkung auf die Volksstimmung. Der große patriotische Aufschwung, den die Urheber des Gesetzes von der Verkündigung der allgemeinen Dienstpflicht für das Vaterland erwarteten, ist nicht eingetreten; dagegen haben die Radikalsten der Radikalen das »Arbeitszwangsgesetz« als zugkräftigen Agitationsstoff ausgenutzt. Ein entschiedenes, aber besonnenes Fortschreiten auf dem bereits betretenen Weg der Einschränkung des Arbeitsaufwandes für weniger wichtige Zwecke und der rationellen Nutzbarmachung der Arbeitskräfte in den für den Krieg und die Volksversorgung wichtigen Zweigen hätte uns wohl weiter geführt als die große Aufmachung des »Vaterländischen Hilfsdienstgesetzes«.

Eines steht leider fest: Auch mit dem Hilfsdienstgesetz ist es nicht gelungen, das »Hindenburg-Programm« auch nur annähernd zur Durchführung zu bringen. Es trat vielmehr ein, was dem neuen Chef des Kriegsamts schon in jener ersten Besprechung beim Reichskanzler am 29. Oktober 1916 mit allem Nachdruck entgegengehalten worden war: das Hindenburg-Programm scheiterte nicht nur an der Arbeiterfrage, sondern auch an der Transport- und der Kohlenfrage, und schlimmer als das: es brachte nicht nur unsere Arbeitsverhältnisse, sondern auch unsere Transport- und Kohlenverhältnisse in eine schlimme Verwirrung.

Schon Anfang Februar 1917 sah sich die Oberste Heeresleitung genötigt, gegenüber der Industrie den Wunsch auszusprechen, es möchte der Weiterbau aller derjenigen Fabriken, die nicht schon innerhalb der nächsten drei bis vier Monate fertig würden, zunächst einmal zurückgestellt werden. Die Schwierigkeiten, namentlich die Transportschwierigkeiten, waren damals so groß geworden, daß kein einziger der 40 Hochöfen, die vollständig betriebsfähig, aber kalt bereitstanden, hatte angeblasen werden können. Eine Entlastung der Werke zugunsten des Eisenbahnbedarfs war zur Vermeidung einer Katastrophe unabweisbar geworden.

Aber auch die schon damals vorgenommene erhebliche Einschränkung des Programms genügte noch nicht, das Gleichgewicht mit unserer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit herzustellen. Die Transportkrisis, verschärft durch einen ungewöhnlich harten Winter, der für viele Wochen die Wasserstraßen unbenutzbar machte und das Eisenbahnmaterial stark beanspruchte, hielt an. Die Kohlenkrisis wurde von Woche zu Woche bedenklicher. Wie man dem Eisenbahnbedarf auf Kosten der Munitionserzeugung freieren Spielraum geben mußte, so wurden auch auf dem Gebiet der Kohlenförderung und des Kohlenverbrauches einschneidende Maßnahmen nötig.

Die Sorge für die Kohle hatte zunächst das Kriegsamt an sich genommen. Der »Kohlenausgleich« des Kriegsamts, der zu einer großen Organisation ausgebaut worden war, stand im Februar 1916 vor der Unmöglichkeit, seine Aufgabe zu bewältigen. General Gröner wandte sich an den preußischen Handelsminister und an mich, um mit uns über die zu ergreifenden Maßnahmen zu beraten. Es wurde ein Reichskommissar für Kohle eingesetzt und mit selbständigen und weitgehenden Befugnissen ausgestattet, vor allem mit der Befugnis der Beschlagnahme der Kohle und der Zuteilung an bestimmte Empfänger. Zur Aufrechterhaltung der unbedingt notwendigen engen Fühlung mit den militärischen Stellen wurde der Kohlenkommissar dem Kriegsamt »angegliedert«, blieb jedoch der Aufsicht des Reichskanzlers unterstellt.

 

Transport- und Kohlenkrisis

Es stellte sich bald heraus, daß die Aufgabe des Kohlenkommissars, für eine ausreichende Deckung des Kohlenbedarfs, vor allem des dringlichen Kohlenbedarfs, zu sorgen, bei den damals obwaltenden Verhältnissen unlösbar war. Zwar war die Kohlenförderung nach dem Rückschlag zu Beginn des Krieges bald wieder in die Höhe gebracht worden. Die Steinkohlenförderung stand nicht mehr weit hinter der Friedensproduktion zurück, und die Braunkohlenförderung hatte die Friedensproduktion sogar überschritten. Aber abgesehen von der schlechteren Qualität der mangelhaft aufbereiteten Kohle waren die Eisenbahnen bis in das Frühjahr 1917 hinein nicht in der Lage, die geförderten Mengen abzutransportieren; Hunderttausende von Tonnen mußten auf die Halde gestürzt werden. Und auch später, als die Wagengestellung wieder ausreichte, um die gesamte Förderung zu bewältigen, zeigte sich, daß allein die Dringlichkeitsliste der militärischen Stellen infolge der enormen Ansprüche des Waffen- und Munitionsprogrammes größere Kohlenmengen umfaßten, als bei damaligem Stand der Belegschaften überhaupt gefördert werden konnten. Die Erhebungen des Kohlenkommissars, der für das Jahr 1917 eine Bilanz aufzustellen versuchte, ergaben bei einer Steinkohlenförderung von rund 160 Millionen Tonnen und einem Bedarf von 183 Millionen Tonnen einen Fehlbetrag von nicht weniger als 23 Millionen Tonnen. Eine Nachprüfung der Ersparnismöglichkeiten ergab, daß die Verwendungszwecke außerhalb der Kriegsindustrie (hauptsächlich für Eisenbahnen, Hausbrand, Gas-, Wasser- und Elektrizitätswerke, Ausfuhr auf Grund abgeschlossener Kompensationsverträge) entweder keine oder nur eine im Verhältnis zu dem Fehlbetrag geringfügige Einschränkung vertrugen. Insbesondere habe ich mich dafür eingesetzt, daß der Hausbrand, der mit 14 Millionen Tonnen ohnedies schon sehr niedrig veranschlagt war, unter allen Umständen sichergestellt werden müsse. Wir standen also vor der Alternative: entweder weitere Einschränkung des Rüstungsprogramms oder Steigerung der Kohlenproduktion, die nur durch die Freigabe einer großen Anzahl von Bergarbeitern aus der Front erzielt werden konnte. Es handelte sich also im wesentlichen darum, den Bedarf an Waffen und Munition und den Bedarf an Mannschaften gegeneinander abzuwägen. Das war Sache der Obersten Heeresleitung, die allein darüber entscheiden konnte, an welchem Punkt diese beiden Interessen ihren Ausgleich finden sollten. Ich mußte mich darauf beschränken, den militärischen Stellen die engen Grenzen der zivilen Ersparnismöglichkeit und die damit unausweichliche Alternative: entweder ausgiebige Freigabe von Mannschaften für den Kohlenbergbau oder weitere empfindliche Einschränkung des Hindenburg-Programms, mit aller Eindringlichkeit klarzumachen. Das ist von mir namentlich auch in einer eingehenden Besprechung mit dem General Ludendorff im Juni 1917 geschehen.

 

Hindenburg-Programm und Kriegsausgaben

Die Heeresverwaltung hat sich schließlich zu weitgehender Freigabe von Mannschaften auf der einen Seite, zu einer neuen Einschränkung des Hindenburg-Programms auf der andern Seite entschlossen. Der ungeheure Druck der Tatsache, daß jede Tonne Steinkohle, die ohne zwingende Notwendigkeit verbraucht wurde, eine Minderung der Versorgung des kämpfenden Heeres mit Kampfmitteln darstellte, nötigte gleichzeitig zu der äußersten Einschränkung des Kohlenverbrauches auf allen übrigen Gebieten.

Auch unsere finanzielle Kraft wurde durch die Überspannung des Waffen- und Munitionsprogramms über Gebühr in Anspruch genommen. Die monatlichen Kriegsausgaben, die noch im August 1916 sich unter dem Betrag von 2 Milliarden Mark hielten, überschritten im Oktober 1916 bereits den Betrag von 3 Milliarden Mark. Ein Jahr später wuchsen sie über die vierte Milliarde hinaus, und im Oktober 1918 haben sie den Betrag von 4 Milliarden 800 Millionen Mark erreicht. Es ist also auch nach der Einschränkung des Hindenburg-Programms nicht mehr gelungen, den immer stärker anschwellenden Strom der Kriegsausgaben wieder einzudämmen.

Der Reichsfinanzminister Dr. Schiffer hat im Februar 1919 in der Nationalversammlung das Hindenburg-Programm ein »Programm der Verzweiflung« genannt. Diese Bezeichnung ist nicht zutreffend. Den Herren, in deren Kopf das Programm entstand, das sie mit dem Namen Hindenburgs ausstatteten, war die Verzweiflung fremd. Ihr Programm war ein Programm der Selbstüberschätzung und der Überschätzung der deutschen Volks- und Wirtschaftskraft. Bei ruhiger Überlegung des Notwendigen und sachlicher Prüfung des Möglichen hätte es sich vermeiden lassen, Mengen von wertvollem Material und noch wertvollerer Arbeitskraft in industrielle Ruinen zu stecken, die aus Mangel an Menschen und Kohlen teils nie vollendet, teils nie in vollem Umfang in Betrieb genommen worden sind. Man hätte mit weniger Arbeitskräften und Material erheblich mehr für die Ausrüstung des Heeres geleistet und unserer Wirtschaft Störungen und Erschütterungen erspart, die letzten Endes an die Wurzeln der Widerstandskraft unseres Volkes gingen.


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