Karl Borromäus Heinrich
Menschen von Gottes Gnaden
Karl Borromäus Heinrich

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Der Entschluß

Am Vormittag des 24. Dezember 19.. – zwei Tage also nach dem eben geschilderten Vorfall – ging Schlagintweit vor dem Hause der Briennerstraße, wo Baron Frangart wohnte, unentschlossen auf und nieder. Er sprach so laut mit sich selbst, daß die Vorübergehenden gar nicht anders konnten als über ihn lächeln. »Oh weh, oh weh!« rief er, »jetzt also wird es Ernst, jetzt muß ich ihn wirklich anpumpen! Der Geldbeutel hat lang simuliert, – aber jetzt ist er wirklich krank. Herrschaft, herrschaft! ... Natürlich wird er es mir geben, aber das ist mir wurscht ... Na, nicht gerade ganz wurscht, alter Schwimmer Schlagintweit! ... Aber peinlich ist es jedenfalls, peinlich! Sozusagen unangenehm! Gleichsam zuwider! Gewissermaßen abscheulich! ... Ja, ja, warum habe ich bei ihm den Teufel Habenichts so oft lügenhaft an die Wand gemalt! Jetzt kommt er ... Nein, er ist überhaupt schon da! ... Hoffentlich ist Frangart nicht verreist, der gute Junge hat solche plötzliche Einfälle – das heißt, es wäre mir schon beinahe lieber, er wäre verreist. Oh weh, oh weh! ...«

Baron Frangart hatte soeben dem Dienstmädchen gesagt, daß sie heute gar niemand vorlassen solle. In der Tat fühlte er sich nicht ganz wohl; denn da er es verschmähte, sich mit körperlichen Ausbrüchen Luft zu machen, wenn etwas Unangenehmes geschehen war, griff ihn alles innerlich um so mehr an; er wußte es, und war auch aus diesem Grunde nicht minder wie aus andern bestrebt, seine Ruhe zu hüten. Er saß jetzt frierend am geheizten Kamin.

Schlagintweit war auf der Treppe zweimal umgekehrt. Aber dann gab er sich einen Ruck, ging nochmals hinauf und läutete gleich in einem Zug, bis man ihm öffnete. Das Dienstmädchen wollte sprechen, wie ihr geheißen war; indes, schon hatte er sie beiseite geschoben und polterte, das Klopfen diesmal vergessend, in das Zimmer, wo er Frangart vermutete. Dieser sah ihn erstaunt und gekränkt an. »Ich muß Sie leider anpumpen!« platzte Schlagintweit heraus. Frangart seinerseits mußte nun doch lächeln. »Aber setzen Sie Sich nur, Schlagintweit! Das werden wir ja gleich haben.« – »Seien Sie nicht so liebenswürdig, Baron! Diesmal ist es viel und ich brauche es notwendig.« Frangart lächelte wieder. – »Wieviel ist es denn?« – »Sehr viel.« – »Wieviel denn?« – »Blödsinnig viel – vierhundert Mark!« schrie Schlagintweit heftig und fühlte sich geradezu erlöst, daß er sich's zu sagen getraut hatte; er schnaufte förmlich auf. »Mit Vergnügen, Schlagintweit, mit Vergnügen!« beruhigte ihn der Baron, erhob sich und trat an den Schrank, um das Erbetene herauszunehmen. »Und diesmal bekommen Sie es nicht so schnell wieder!« rief Schlagintweit noch besorgt. – »Nun, also weniger schnell!«

»Aber jetzt setzen Sie Sich, bitte,« lud ihn Baron Frangart nochmals ein ... »Erstens nämlich,« begann Schlagintweit erklärend, »muß ich jetzt einige Bilder in unsere Wohnung hängen und einen Läufer für den Fußboden kaufen, damit es auch etwas gleichsieht bei uns. Zweitens« (Baron Frangart machte eine abwehrende Bewegung, zum Zeichen, daß er ja keine Erklärungen wünsche) –, »zweitens nämlich will ich das deshalb, weil ich drittens, weil ich, ja, weil ich jetzt eine Braut habe, Herr Baron, und dieser, viertens, wohl auch ein besseres Geschenk machen muß ...« – »Nein?« ... machte Frangart sehr gedehnt und unterdrückte ein etwas spöttisches Lächeln. »Ja, eine Braut habe ich jetzt,« wiederholte Schlagintweit mit größter Bestimmtheit. »Ich gratuliere verbindlichst!« sagte Frangart dagegen.

Und Schlagintweit erzählte, daß seine Braut eine achtundzwanzigjährige Witwe sei, also ein paar Jahre älter als er, aber »was sagt denn das?!« rief er laut. – »Das sagt natürlich nichts,« meinte Frangart, »das sagt gar nichts.« »Im Äußeren sieht sie fast etwas chinesisch aus, aber gerade das ist interessant, nicht?« – »Oh, ich liebe das Chinesische.« – »Sie hat eine kleine Rente ...« (»Ich habe mir gleich gedacht, daß es keine größere ist,« sagte sich Frangart, im stillen natürlich.) »Und das Einzige, was mich bekümmert, ist ihr Leiden.« – »Mitleid spielt bei Ihnen doch immer mit.« – »Ja, deshalb habe ich sie noch lieber!« »Welches Leiden hat sie denn?« – »Ja, sie ist ... Sie ist wohl etwas nervenleidend, die Gute,« erwiderte Schlagintweit traurig. »Ich habe übrigens vergessen, Ihnen zu danken, Baron, vielen vielen Dank also!« Frangart wehrte ab. – »Und jetzt gehe ich und kaufe ihr was Schönes.« – »Tun Sie das, bitte, tun Sie das und gratulieren Sie ihr von mir!« – »Ja, ja, danke vielmals.« Und in der Eile vergaß Schlagintweit, daß er Baron Frangart eigentlich einladen wollte, morgen mit ihm und seiner Braut zusammen spazieren zu gehen. »Adieu – glückliche Weihnachten!« – »Adieu, gleichfalls!« –

Baron Frangart ließ sich in seinen Mantel helfen; er wollte zum Essen ins Hotel fahren. Auf dem Wege dorthin träumte er, die Unternehmungslust Schlagintweits halb belächelnd und doch unbewußt beneidend, von dem und jenem. » Irgend etwas muß geschehen,« beschloß er endlich bei sich selbst. Und die ihm ungewohnte Erregung des Entschlusses rötete seine bronzefarbenen, jugendlichen Wangen leise und liebenswürdig.


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