Karl Borromäus Heinrich
Menschen von Gottes Gnaden
Karl Borromäus Heinrich

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Der einzige Brief Baron Frangarts

Pater Bonaventura schrieb kurz vor Weihnachten folgenden Brief an Baron Frangart:

(Aus dem Französischen übersetzt)

Chamfort, den 19. Dezember, anno domini 19..

Mein lieber Sohn in Christo dem Herrn, verehrter Herr Baron,

es drängt mich, Euch zu sagen, mit welcher Teilnahme ich Eurer oft und oft gedenke. Lebhaft, aber ohne es Euch nachzutragen, habe ich bedauert, daß Ihr es mir durch Euren etwas brüsken Abschied unmöglich machtet, Eure Fragen zu beantworten.

Nun aber befürchte ich, daß Ihr viele dunkle Träume an eine Sache verschwenden möchtet, die in Wirklichkeit klar ist wie nur irgend etwas; und daß Euch solche Träumerei in Euren Tätigkeiten lähmen möchte. Und wenn Ihr bedenkt, daß ich vordem Eurer Jugend diese Dinge nicht verhehlen, wohl aber verschweigen zu müssen glaubte, werdet Ihr begreifen, daß ich sie Euch jetzt um so bereitwilliger auseinandersetze. Daß ich es im Briefe tue (indem ich nicht weiß, ob mir die Güte Gottes und Ihr selbst erlaubt, Euch in diesem Leben wiederzusehen), mag Euch die Schicklichkeit der Sache beweisen.

Wie Euch Gott selbst im Traume eröffnet hat, bin ich in der Tat ein Halbbruder Euerer seligen Mutter. Weder ich noch sie haben das eher als Ihr selbst erfahren; vielmehr habt Ihr es uns damals im Traume erzählt, und mir hat es ein hinterlassener Brief Eures lieben Vaters, sowie später Marquis Choiseul persönlich bestätigt.

Nichts aber ist geschehen, was sündhaft wäre. Grübelt nicht, wenn Ihr nicht das Andenken der Toten mit Unrecht entweihen wollt.

Ich wünsche Euch zur heiligen Weihnacht den Frieden auf Erden, der uns allen so nötig ist.

Seid, geliebter Sohn in Christo, Gott, Der Euer Leben fruchtbar machen möge, innigst empfohlen

von Eurem ergebenen
Bonaventura S.J.

Auf diesen Brief schrieb Baron Frangart die folgende Antwort nieder:

München, 21. Dezember 19..

Hochwürdiger Vater,

warum erinnert Ihr mich an etwas, woran mich, wie Ihr richtig erraten habt, meine Träume oft genug erinnern? Daß zwischen Frau Baronin Frangart, geborener Comtesse Riom, und Euch nichts geschehen sei, konnte mir nie zweifelhaft sein; und fast finde ich, Ihr sündigt gegen ihr Andenken, wenn Ihr solche Zweifel bei mir vermutet. Mir geht es sehr nahe, von Eurer Vermutung zu lesen und zu schreiben.

Aber etwas anderes ist (und wenn Ihr in unserer Seelenlehre eine bewiesene negative Antwort findet, lasset Ihr mich sie, bitte, wissen!), ob nicht zur Unzeit ein Wunsch, ein Schrei der Sehnsucht von Euch, dem nahverwandten Blute, ausgegangen sein und in mir, außer allem, was an mir »Frangart« ist, noch Ausdruck gefunden haben könnte. Ich achte Euch, hochwürdiger Vater. Aber verzeiht, daß ich offen sage: Wenn es so wäre, täte es mir sehr leid. Ich bin ein Mensch aus ältestem Geschlecht; viele andere sind es nicht, und vielleicht äußert sich ihr Leben gerade deshalb fruchtbarer als das meine. – Aber, wenn das so wäre, müßte ich ja die geringere Fruchtbarkeit meines Daseins auch noch aus andern Gründen erklären.

Den jugendlichen Tadel dieses Briefes verzeiht im übrigen Eurem Euch allezeit ergebenen

Fritz Freiherrn von Frangart.

Diesen Brief hatte Baron Frangart in einem seltsamen Anfall von Wut, der seinen ganzen Körper durchzitterte, geschrieben. Aber er fand die Kraft, sich zu beherrschen, schickte den Brief nicht ab, zerriß ihn und warf die Fetzen ins Feuer. Dann schrieb er, gegen seine Gewohnheit, ein Telegramm; es enthielt die Worte:

»Pater Bonaventura S.J.
Collegium Chamfort (Belgien)

Mit ergebenem Dank für Ihren Brief verbinde ich meine höflichsten Weihnachtswünsche.

Frangart«

Pater Bonaventura seinerseits besaß Feingefühl genug, um dieses Telegramm zu verstehen. Er kniete in seiner Zelle nieder und betete: »Herr, ich habe aus Güte gefehlt. Magst Du und Baron Frangart mir verzeihen!« (Übrigens hatte Bonaventura seinen Brief in der Tat vor jedem Menschen verheimlicht, ihn heimlich geschrieben und heimlich zur Post gegeben. – Es hat also nachgerade den Anschein, als ob große Güte auch große Fehler begehen könne; deshalb sind aber die Fehler doch zu verdammen, wie auch in diesem Falle, wo nun Bonaventura um Verzeihung betete.)


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