Karl Borromäus Heinrich
Menschen von Gottes Gnaden
Karl Borromäus Heinrich

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Die Bestattung

Pater Bonaventura, der die ganze Nacht kein Auge zugetan und auf den Knieen liegend sein Gelübde der Entsagung und Enthaltung erneuert hatte, las schon früh fünf Uhr seine Messe. Kein Mensch war noch in der uralten Pfarrkirche von Bozen, und er stand allein vor seinem Schmerz und seinem Gott.

Gegen zehn Uhr brachte ihn der Wagen nach Frangart. Der junge Baron war ihm langsam entgegengegangen. Er bestellte ihm Grüße von seiner Mutter, mit der Nachricht, daß sie ihn, infolge großer Herzbeschwerden, heute nicht mehr empfangen könne; daß ein Telegramm des alten Choiseul gekommen sei, in dem er die Baronin bitte, nach Riom oder Choiseul heimzukommen; er sei etwas leidend, sonst würde er sie selbst abholen; daß die Baronin ablehnend geantwortet habe, sie fühle sich außerstande, eine so weite Reise zu unternehmen; endlich aber, daß die Mutter und er, der junge Baron, beratschlagt hätten, ob er nicht auf einige Jahre eine Schule, etwa das Colligium der patres in Chamfort, besuchen solle. Bei diesen Worten lächelte Fritz Frangart sehr höflich, während ihm Bonaventura innig die Hand drückte. So gingen sie vor der Kirche auf und ab. Die Beerdigung war auf elf Uhr festgesetzt, jedoch hatte man die Zeit nicht öffentlich bekannt gegeben; was sich aus den auffälligen Umständen des Todes Baron Frangarts erklärte. Man wollte, zumal die Grablegung in der einfachsten Form vor sich gehen sollte, das Zusammenströmen der Leute und die Bildung loser Gerüchte vermeiden. Es wurden nur einige Wiener Offiziere erwartet. Diese kamen denn auch in schärfster Fahrt genau zur bestimmten Zeit an. Baron Fritz Frangart nahm in aller Ruhe ihre Karten entgegen, stellte sich vor und machte auch Pater Bonaventura mit den Herren bekannt. Dann übergab er die Karten einer herbeigeeilten Bedienerin, damit sie sie seiner Mutter zustelle, welche er nun ein zweites Mal entschuldigte: die Baronin könne wegen ihres Herzleidens niemand empfangen; wollten aber die Herren mit ihm vorlieb nehmen, so bäte er sie, nach der Feierlichkeit für eine Viertelstunde ins Schloß zu kommen. Die Offiziere ihrerseits, welche über die grazile Schönheit des Knaben nicht minder erstaunt waren wie über seine frühe Sicherheit und Beherrschung, lehnten dankend ab, indem sie erklärten, den allernächsten Zug nach Wien zurücknehmen zu müssen. Alle zusammen stiegen die Treppe zu dem geöffneten Portal empor; dem Beispiele des vorangehenden Knaben folgend, verneigten sie sich tief vor dem Sarg, der nur einen einzigen, mit blutroten Rosen gewundenen Kranz trug. Der älteste der Offiziere trat an den Sarg, verneigte sich wiederholt und legte den mitgebrachten Kranz des Regiments wortlos darauf nieder. Der Geistliche kam eben mit zwei Ministranten und vier Sargträgern aus der Sakristei. Er bespritzte die Bahre mit Weihwasser und sprach die rituellen Worte der Aussegnung. Die Träger traten an den Sarg, nahmen ihn sorgsam auf die Schultern und trugen ihn hinaus. Der Geistliche folgte. Hinter ihm schritt, mit über die Brust gekreuzten Armen, starren Blickes, und ohne äußeres Anzeichen der Bewegung in seinen scharfgeschnittenen Zügen, der junge Baron. Alle Augen hingen an ihm, an seinem edlen, gleichmäßigen Gang, an der vollkommenen Harmonie seiner kindlichen Gestalt. Bald standen sie alle am geöffneten Familiengrab derer von Frangart, das dicht an die Kirchenmauer gebaut war ...

In diesem Augenblick, eben als der Sarg niedergesetzt wurde, hörte man die Schritte zahlreicher, eilig ankommender Menschen. Es waren die Bauern aus der Umgebung, schlanke kleine Leute, mit braungeglühten Gesichtern und kühnen neugierig-teilnehmenden Augen. Man hatte die Offiziere fahren gesehen, die Zeit des Begräbnisses erraten und sich in größter Eile feiertäglich angezogen. Es war rührend zu sehen, wie sie, als sie in die Nähe des Grabes gekommen waren, ihre Schritte dämpften und den vom schnellen Laufen hochgehenden Atem anhielten. Fast allesamt trugen Büschel von Feldblumen, die sie verlegen mit den arbeitsrauhen Händen emporhoben.

Ihr Kommen hatte eine kurze Unterbrechung verursacht. Dann aber begann der Geistliche die vorgeschriebnen lateinischen Gebete und führte sie mit langsamer ausdrucksvoller Betonung zu Ende. Er nahm den Weihwedel und bespritzte den Sarg, den die Träger ängstlich in die Tiefe gleiten ließen, nochmals mit dem gesegneten Wasser. Schließlich ergriff er die Schaufel, stach kaum ein Klümpchen Erde damit aus und warf es in das Grab. Mit einer schüchternen besorgten Bewegung reichte er die Schaufel jetzt dem Knaben.

Fritz Frangart trat einen Schritt vor. In diesem Augenblick breitete eben die hohe Sonne ihre vollen dunstfreien Strahlen mit gelassener Heiterkeit über das offene Grab und über die zierliche, in schwarzen Samt gekleidete Gestalt des jungen Barons. Der glänzende Stoff flimmerte. Die Strahlen übergossen das bronzefarbene schmale Gesicht und brachen sich an dem seidenweichen Haar und an den langen langen Wimpern ...

Fritz Frangart stach mit der Schaufel in die Erde und füllte sie langsam; mit strenger, wie abgemessener Bewegung führte er sie an den Rand des Grabes. Er ließ sie sinken, und mit lautem unheimlichem Poltern schlugen die Erdklumpen auf dem Sarg auf. Da schien es den Anwesenden, die ihm atemlos zugesehen hatten, als ob die weichen vornehmen Linien seines liebenswürdigen schlanken Körpers ein innerliches Zittern durchlief. Eilig und mit leiser Bewegung wollten Bonaventura und die Offiziere auf ihn zutreten. Aber schon war er wieder ruhig geworden. Nur einen Augenblick senkten und öffneten sich noch die langen langen Wimpern über den trocknen dunkeln Augen. So stand er da, mit unbewußtem unvergleichlichem Stolz, von der heißen verzehrenden Strahlenflut der Mittagsonne übergossen ...

Alle schluchzten laut. Erschüttert gab einer dem andern den Spaten. Die Offiziere drückten dem jungen Baron die Hand. Die Bauern küßten sie ehrfürchtig, nachdem sie mit linkischem schüchternen Arm ihre Blumenbüschel ins Grab geworfen hatten.

Pater Bonaventura aber weinte unaufhörlich. Die Tränen, die seine gütigen Augen füllten, glitzerten im Sonnenlicht. Mit bebender Hand segnete er immer wieder die letzte Stätte seines heimgegangnen Freundes und stammelte: »... und das ewige Licht, das ewige Licht leuchte ihm! ...«

Mit heißen Augen sah die Baronin Frangart, an ein Fenster des Schlosses gelehnt, blaß und zart, gleich einem Schatten und Hauch aus einer andern Welt, der Grablegung zu.


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