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Nach Tegel

»Wir sind so klug«, sagt der Gespensterseher mit dem unaussprechlichen und (unter uns gesagt) eigentlich doch recht unanständigen, ja, selbst so klingenden Titel »Proktophantasmist« in der »Walpurgisnacht« des »Faust«, – »und dennoch spukts in Tegel«. Was das bedeute, darüber hat sich schon manch einer den Kopf zerbrochen, und Alexis will wissen, auch Napoleon habe das getan, und weil er es durchaus nicht herausbekommen, habe sein Berliner Gesandter Laforest expreß nach Tegel hinausfahren müssen. Aber da wohnten nur die Humboldts, und an deren Riesengeist hätte sich wohl kein Spuk gewagt. So ist Napoleon (und leider auch mir) diese Goethestelle immer rätselhaft geblieben. Ich kenne zwar jemanden, der nachmals in Tegel vortrefflich zu spuken verstand und eine Schar originellster Geister dort um sich versammelte; allein, dieser »Dr. Havelmüller«, Leberecht Hühnchens Freund, lebte ja dazumalen noch nicht, und bevor ich von ihm und seinem Spuk erzähle, wollen wir erst nach Tegel hinaus.

Das ist noch ein weiter Weg, und zu Fuß, wie Fontane rät, wird ihn keiner heute mehr machen mögen. Interessant ist er freilich schon: nirgends zeigt Berlin so wie hier, im volkreichen Norden, was es groß gemacht hat: das figurenreiche, hart umrissene Bild der Arbeit. Namen von Wucht und Bedeutung klingen überall auf, voran die Borsig und Schwartzkopff, Wöhlert, Egells und Pflug, und wie Fontane um 70 schrieb: »Bahnhöfe, Kasernen, Kirchhöfe und Eisengießereien, diese vier heterogenen Elemente drücken dem ganzen Stadtteil ihren Stempel auf – das ist eigentlich bis heute so geblieben, wenn auch die Kasernen nun teilweise andern Zwecken dienen, und die meisten der Fabriken längst in billigere Gegenden verlegt sind.

Und geblieben ist auch die Oase der Kesselstraße, in der einst Heinrich Seidel wohnte, als er noch simpler Ingenieur in einer der Fabriken hier war und sich abends mit dem hölzernen Stiefelknecht am Kachelofen – »auf dem Tische bauzt es so« – sein Beefsteak mürbe klopfte, wie es in seiner »Silbernen Verlobung« der »alte Gram«, sein Landsmann, macht. Die Kesselstraße, die ihre Bewohner stolz, in echt berlinischem Drange nach Höherem, die »Tiergartenstraße des Nordens« nennen. Da steht wie zum Abschluß der Straße, die zweimal buchstäblich um die Ecke geht, mitten im Prospekte die gußeiserne »Invalidensäule« mit dem Adler, von deren Galerie sich hinabzustürzen einmal Berliner Selbstmörder-Mode war. Da führt das erste Um-die-Ecke-Gehen auf einen stillen Platz voll Akazien mit einem eisernen Springbrunnen im protzigen Geschmack der Gründerzeit. Da sind wir, zur Invalidensäule gehend, die Friedrich Wilhelm IV. zum Gedächtnis der in den Revolutionskämpfen 1848/49 gefallenen Soldaten errichten ließ, plötzlich auf einem winzigen Brücklein, darunter, einen knappen Meter breit, die Panke dahinstrudelt, um vor unsern Augen in der Tiefe zu verschwinden! Noch zweimal auf unserm Weg nach Tegel begegnen wir ihr, wie sie kümmerlich zwischen den Häusern hindurchkriecht.

Mit der Müllerstraße beginnt der Wedding, und mählich geht die Großstadt in die Vorstadt über und verläuft ins Land. Winzige Häuschen mit dürftigen Gärtchen schieben sich zwischen die hohen Häuserzeilen, die grünen Parkflächen alter Kirchhöfe drängen sich dichter aneinander, lustige kleine Restaurants lagern sich längs der Straße, mit Schaukeln, Karussels und Glücksbuden, ein »Sommertheater« hie und da, und dann taucht zur Linken ein wahres Sandgebirge auf, die Rehberge, Dünenketten grell leuchtenden Sandes, dahinter in geschlossener Mauer schwärzliche Kiefern. Ein echt märkisches Bild, und echt Berliner Humor ist's, wenn sich die Laubenkolonisten hier »Pflanzerverein am Brocken« benamsen.

»Rehberge« und noch mehr »Rehberjer«, das hatte einst in Berlin einen üblen Klang. Da wurde 48 »Sand gekarrt«, und die besten Brüder werden's ja wohl nicht gewesen sein, die hier draußen »Arbeet« suchten; jedenfalls zogen die Rehberjer sehr bald truppweise in die Vorstadt und – »requirierten« (aber damals nannte man das in Berlin noch nicht so verschämt gebildet), wo sie nur konnten.

Am Horizont im Süden ein paar einsame Kirchtürme. Die Mietkasernen sind längst verschwunden. Laubenland. Ziegen weiden und Pferde. Und dann taucht es hinter ödem Wäldchen – dem Schießplatz von einst – noch einmal wie ein Symbol der Stadt der Arbeit auf: der schöne, vieltürmige Rundbau der riesigen Gasanstalt und Schlote, Speicher, Seilbahnen, Berge von Kohlen und Borsigs gewaltiges Werk, eine ganze Stadt für sich mit ihren Mauern und dem Tor, durch das die Tausende schreiten, ein Großes, das man nicht leicht vergißt …

Eine Kurve der Elektrischen, und wir sind mitten im Idyll. Alt-Tegel, eine Kirche und im Rechteck darum niedere Häuser, kaum ein Stockwerk hoch, mit Glasveranden und dichten Gärten, vornehm-ruhig im Stil, reserviert wie ein Geheimrat vergangener Tage, dazu die alten, mächtigen Linden ringsum – das ist wie einer jener zärtlich getuschten Marktplätze aus einer Novelle Storms oder einem Bilde Moritz v. Schwinds.

Und nun der See, das blanke Wasser noch verdeckt durch die Bäume der Uferpromenade und den Kranz von Schilfrohr hie und da, mit seinen buschig malerischen Inseln, dahinter zur Rechten der wundervolle Tegeler Wald, Laubwald und Nadelholz …

Diese Havelseen, und eigentlich sind es nur weitgeschweifte Buchten der Havel, sie haben alle ihr ganz eigenes Antlitz und ihr besonderes Temperament: der poliert-höfliche Wannsee, der langweilig-mürrische Schwielow – der Tegeler See hat bei all seiner behäbigen Breite und Rundung etwas Zerrissenes, Unausgeglichenes, und so ist er auch von Charakter: unberechenbar, jähzornig, wie manchmal die Dicken sein können. Von der »Sechserbrücke« aus hat man einen guten Ueberblick, und dann sind wir mit ein paar Schritten an der Villa des Dr. Havelmüller, die kein Geringerer als Bruno Schmitz, der Erbauer des Kyffhäuser- und Leipziger Völkerschlachtdenkmals, seinem Freunde Dr. Emil Jacobsen (so hieß im bürgerlichen Leben Seidels Havelmüller) nach dessen Ideen geschaffen hat.

Gegenüber dem alten »Seepavillon«, der in seinem Garten mit den Terrassen noch ganz der alte ist – wie wundervoll sitzt sich's nicht hier an stillen Sommersonnentagen, wenn die kleinen, leinwandbedeckten Segelboote an ihren Ankertauen wie eine Schar flugbereiter Möven auf den Wellen sich wiegen und hüpfen, wenn der Rohrspatz (»Karl, Karl, kiek«, ahmt der Berliner Junge ihn treffend nach) im Schilfe ruft, und die dichten Wipfel der alten Buchen drüben ein zarter, golden leuchtender Heiligenschein säumt! – gegenüber dem Seepavillon, nur durch Wegbreite von ihm getrennt, liegt weiland Havelmüllers Villa, mit ihrem bauernmäßigen Garten, darin die Feigen reifen! Gibt's das noch einmal irgendwo in der Mark? Und was es schon gar nirgends mehr in der weiten Welt gibt, das ist der »Reimsalon« hier im Garten, eine Art Bretterlaube, in der der »Allgemeine deutsche Reimverein«, die Seidel, Trojan, Stinde, Lohmeyer, und wer sonst noch zu dieser erlesenen Brüderschaft gehörte, in den achtziger Jahren seine zum Tränenlachen komischen Sitzungen abhielt.

Was hier nach dem Wahlspruch Jacobsens: »Reimen muß die Nationalbeschäftigung der Deutschen werden« zusammengedichtet wurde, ist zwerchfellerschütternd. Drei heute recht seltene Bände eines Musenalmanachs »Die Aeolsharfe« berichten davon. Jeder sein eigener Dichter, war die Parole, oder, wie Trojan einmal dichtete:

»Der hat vom Leben spärlichen Genuß,
Der andre für sich dichten lassen muß.
Ein andrer kann ja auch mal etwas leisten,
Doch was man selbst gemacht hat, freut am meisten«.

Für die Benutzung des Reimsalons – man kann ihn im Garten noch heute sehen – mußte »die Stunde 25 Pfennig« bezahlt werden. Im Innern war der Raum mit einer ganz unmöglichen Tapete geschmückt, die große Arabesken aus Phantasieblättern zeigte und in den Voluten grellbunte Schäferliebesscenen trug. Von ähnlichem Geschmack waren auch die Bilder und Büsten. Da hing zum Beispiel eine bunte Stickerei auf Kanevas: eine Blumenvase und ein Herz mit der Umschrift: »Ich liebe Dir«. Unter den Büsten der Vereinsmitglieder – mit Plastilin aus billigen Gipsbüsten von Mozart, Beethoven, Schiller und Goethe zurechtgeknetet und »modern« bemalt – war die berühmteste die »Guido v. Posematzkys«, der leiblich niemals in Erscheinung trat, als »einziger Adliger« aber im Verein besonderes Ansehen genoß. Die Ventilationsvorrichtung war ein in einem Astloch steckender Holzpflock, der im Bedarfsfall zum Lüften herausgezogen werden konnte.

Jacobsen, ein Original, wie es nur ein Jean Paul oder E. T. A. Hoffmann hätte ersinnen können, freilich sehr bewußt originell und darum von leicht zu verletzender Eitelkeit, war unermüdlich im Erfinden neuer Absonderlichkeiten und Grotesken. So hatte er auch im Keller seiner Villa, im besonderen »Verlies«, die vorgebliche Mumie eines Mönchs, die er »Mumatsch« nannte; dieser Mumatsch spukte – natürlich, in Tegel. Aber Jacobsen »spukte«, wenn er schlecht gelaunt war, und das war er häufig, auch selber, und köstlich ist's, daß seine Enkelkinder dann von ihm sagten: »Großvater mumatscht«. Unübertrefflich war er auch im Erfinden von Schnäpsen, Chemiker, der er von Beruf eigentlich war. »Einmal«, erzählte mir mein lieber, nun verstorbener Freund Eduard Krause, sein Schwiegersohn, »standen nicht weniger als 33 verschiedene Sorten auf der Tafel. Ich traf an dem Tische mit Trojan zusammen, der mit großem Sachverständnis probierte, und warnte ihn vor einem russischem Aalbeerschnaps, der schlecht sei. Da meinte Trojan in seiner bekannten Seelenruhe, es gebe überhaupt keinen schlechten Schnaps, nur guten und besseren«.

Das war Tegels literarischer Ruhm und Tegeler Spuk unsrer Tage. Seinen Ewigkeitswert aber hat es von den Humboldts empfangen, deren Schloß und letzte Ruhestätte nur wenige Schritte von dem barocken Havelmüllereinfall entfernt sind. Es ist geweihter Boden, den wir treten, empfinde ich jedesmal, wenn ich vor diesem schlichten Hause stehe, das der Volksmund beharrlich das »Schlößchen« nennt. Das ist so wie im Weimarer Ilmpark und vor Goethes Gartenhaus, etwas Unvergängliches, Heiliges. Dieses weiße, schmucklose Haus, das einst ein Jagdschloß des Großen Kurfürsten war – und hier ganz in der Nähe hat noch viel früher der Dietrich Quitzow die Berliner einmal übel verbläut – dieses Tuskulum erhabenster Gelehrsamkeit, was ist in ihm nicht alles Großes und Edles gedacht und geschrieben worden! Fünfzehn Jahre lang hat Wilhelm v. Humboldt hier gewohnt, und Alexander ist immer wieder hinaus in die Stille geeilt, wenn es seinem weltumspannenden Denken zu laut war in Berlin, und hat sich unter die alte Eiche geflüchtet, die heute noch in voller, unerschöpflicher Kraft sich breitet.

Humboldtschloß in Tegel

Ein Dom gewölbter Buchen führt uns zu der Grabstätte der Familie. Verheißend leuchtet Thorwaldsens »Hoffnung« von granitner, jonischer Säule durch das Grün, und in efeuüberwucherten Reihen schlafen die Humboldts und die Ihren davor. Ein Fichtenkranz umschließt das Ganze wie zum Heiligtum. Diese schlichten Marmortäfelchen mit den Namen und den Daten: »Du wirst im Alter zu Grabe kommen, wie Garben eingeführt werden« steht auf Alexanders Täfelchen.

»Wenn ich den Eindruck bezeichnen soll, mit dem ich von dieser Grabstätte schied«, sagt Fontane, »so war es der, einer entschiedenen Vornehmheit begegnet zu sein. Ein Lächeln spricht aus allem: wir wissen nicht, was kommen wird, und müssen's erwarten«.


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