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Eosanderportal am Schlosse

Ins Fischerviertel

»Neu-Cölln am Wasser«, schildert Paul de Lagarde in seinen Erinnerungen an den Dichter Friedrich Rückert, der in den vierziger Jahren Berliner Universitätsprofessor war, »bot den eigentümlichsten Anblick. Der Fluß, an einem Ufer von einer breiten Gracht begleitet, war nicht belebt, obwohl die bekannten langen Kähne auf ihm lagen: aber eben diese ungegliederten Holzgestelle, aus deren Kajüten Torfrauch aufstieg, über denen Windeln und Hemden getrocknet wurden, machten den Eindruck einer ganz eigenen Wohnlichkeit sogar der Spree. Manch strammer Mann hat auf diesen Kähnen in Berlin selbst, oder während sie ihre Fahrt, Torf und Obst, auf der Havel zusammenholten, das Licht des Lebens erblickt. Darüber mehr Kirchtürme sichtbar, mehr Turmuhren und Glocken und Glockenspiele hörbar, als man sonst in Berlin sah und vernahm.«

Lagarde hat in der Schilderung noch eins vergessen: die Fischkästen und die Tienen, die ganz zum Bilde gehörten. Da liefen riesige Männer mit Ledermänteln und Südwestern, auf dem Rücken den Riesenkescher mit den zappelnden Fischen, hin und her, fischten Karpfen, Hechte und Plötzen aus den Kästen zwischen den Pfählen in der Spree oder schütteten den blinkernden, plätschernden Inhalt in die Tienen auf der Straße. Und die Hökerinnen gaben acht, ließen ihre flinke und manchmal recht boshaft derbe Zunge gehen, und im Herbst roch es dann zu den Fischen auch noch nach Torf und Aepfeln. Zumal oben am Mühlendamm, auf einer rundlich in die Spree vorbuchtenden Landzunge, saßen diese verwegenen Damen mit ihren grüngestrichenen, gewaltigen Zobern und ihren bei schönem Wetter zugeklappten, grauen Riesenschirmen.

Wie ich ein Junge war, gingen unmittelbar vor der hölzernen Waisenbrücke noch der »Grüne Graben« und schräg gegenüber der »Königsgraben«, übelduftenden Gedenkens beide, von der Spree ab. Auf letzterem zieht jetzt die Stadtbahn dahin. Damals war gerade an seiner Mündung ein Rummelplatz en miniature: Wagenbuden mit Zwergen, die es unter »Prinz« und »Prinzessin« natürlich nicht taten, eine Bude mit Selterwasser, Aepfeln, Stangenzucker und »Naute« – gibts das noch, dieses berlinische Kinderentzücken aus Sirup und Mohn? – und einmal, das ist mir unvergeßlich, eine Bude, in der ein geheimnisvolles Bett gezeigt wurde, das pünktlich auf die Minute einen weckte, erst durch Klingelzeichen, zweimal, dreimal und dann den Langschläfer mit einem Wuppdich hinauswarf. Auf dem Grünen Graben liefen wir im Winter Schlittschuh: er selbst floß teils unterirdisch, teils am Tage bis zum Kupfergraben hinter der Singakademie. Beide Gräben waren übrigens letzte Reste der Befestigung Berlins; der Name » Wallstraße« sagt ja auch noch davon. Hier an der Waisenbrücke stand ein finsteres Gebäude – wir Jungens nannten es »Ochsenkopf« –, ein Gefängnis oder Arbeitshaus, und dann kam der kleine Park, darin wir während der Turnstunde »Räuber und Gendarm« spielten. Er hat sich nicht allzu sehr verändert, dieser »Köllnische Park«: der grüne Berg ist noch da mit den Sandsteinfiguren. Aber an der Stelle der – Bedürfnisanstalt (sie hatten damals in Berlin merkwürdigerweise alle die Form einer Niere) ragt heute das herrliche Märkische Museum, auf das wir ehrlich stolz sein dürfen, und das wir nur viel häufiger besuchen sollten, schätzereich und interessant, wie es ist.

Und noch eins war in meinen Jungenstagen nicht im Park: der » Wusterhausische Bär«, jenes Wehr (berum in der alten Festungsbausprache geheißen), jene Grünegrabenschleuse, die einst nahe dem Köpenicker Tore dem Feind den Zugang sperrte. Und natürlich auch nicht der steinerne Roland, der, eine Nachbildung des Brandenburgers, auf dem Kopfe sein grünes Kränzlein von »Donnerbart« trägt und – das Wetter hat ihm böse mitgespielt – so aussieht, als hätte ihm einer das linke Auge ausgeschlagen, oder er hätte mal in den letzten Jahren an den Sitzungen der Berliner Stadtverordneten teilgenommen.

Aber kommen wir endlich auf Neu-Kölln am Wasser zurück. Solch reizvolles altes Städtebild gibt's in ganz Berlin nicht zum zweiten Male! Im Vordergrunde die Spree mit ihren Zillen, der Flottille von Schleppdampfern an der »Insel«, ihren in Pfählen hängenden Fischkästen und schmalen Brückenstegen dazwischen. Und drüben Giebel und Dächer, ein Drängen und Durcheinanderschieben von Häusern und Häuschen, niedrig, eingewohnt, mit dem Firnis von Alter und Arbeit, ein paar schmale, sich zum Wasser öffnende Gassen, an einer Ecke noch Fachwerkhäuschen. Das alles überragend Türme und Kuppeln: das neue Stadthaus, die Nikolaikirche, der Dom und links der Zackenturm der Petrikirche – ein paar Schritte weiter, und der Turm der Parochialkirche, der des alten Rathauses schiebt sich in das Bild. Zur Linken, den weitausholenden Bogen schließend, der Festungsbau der Sparkasse, die auf- und absteigende Häuserreihe an der Fischerbrücke, die Friedrichsgracht. Und überall, wie am Alsterbassin zu Hamburg, Möwen, vereinzelt, in Scharen, lautlos segelnd oder mit wildem Kreischen sich jagend. Ganz das Bild einer vielgeschäftigen, kleinen Hafenstadt. Hier stehen auch noch ein paar der alten, ungefügen Kastenschwengelbrunnen – »Kein Trinkwasser« warnte gewöhnlich eine Tafel die unbekümmerten Durstigen – und eines der Häuser (Nr. 21) zeigt noch über vorragendem Kellerhalse eine stattliche Freitreppe, wie sie in Berlin immer seltener geworden sind.

Die neue Inselbrücke – Obelisken mit Butterkugeln darauf, von als Fischer verkleideten Putten bewacht, »zieren« sie – führt uns zur Friedrichsgracht mit ihren engbrüstigen, schiefen, altersmüde sich neigenden Häuschen.

»Gracht« für Graben, das erzählt uns von den holländischen Werkleuten, die der Große Kurfürst einst hierher gerufen, und die die zahllosen Spreearme in ein Netz schiffbarer Kanäle zwangen.

Wir biegen in die Fischerstraße und sind wie in einer Stadt für sich. Das war hier einmal die älteste Straße des Fischerdorfes Cölln, und sie hat sich bis zum heutigen Tage von ihrer Eigenart manches bewahrt. Da steht gleich ein kostbares Häuschen, das »Gasthaus zum Nußbaum«, spitzgieblig über die Maßen, von seinem Nußbaum halb verdeckt; der Kellerhals im Innern zeigt die Jahreszahl 1571. Ein paar Schritte weiter (Nr. 28) folgt ein Häuslein wie aus einem Bild von Schwind, das »Blütchenhaus«. Wie oft hab ich nicht als Kind davor gestanden und mir ein Märchen zusammengeträumt. Und tretet einmal durch die niedere Hausflur auf den Hof: diese geländerten Treppen und Treppchen, diese Dächer und Dächlein, dieses Gärtchen an der Mauer …

Ueberhaupt die Höfe in der Fischerstraße! Da ist einer (Nr. 29) mit hölzernen Galerien: über dem Tore innen rühmt ein Eichhörnchen-Relief: »Zum Eichhorn bin ich genannt, dies Haus steht in Gottes Hand 1604.« Zu einem andern (Nr. 32) führt ein ganz niedriger, gedielter Torweg. Wieder eines (Nr. 34) birgt ganze Häuschen und »Häuschen« (in Anführungszeichen) in seinen Mauern. Ein enger, winkelreicher Durchbruch (Nr. 30) geht zur Fischerbrücke.

Und noch eine reizvolle Besonderheit hat diese originelle Fischerstraße: eine Fülle von Gewerkzeichen und ähnlichen Reliefs als Häuserschmuck. Da prangt überm Eingang zu Nr. 34 eine künstlerische Arbeit »Glaube, Liebe, Hoffnung« mit der Jahreszahl 1735. Da zeigt gegenüber Nr. 7 einen hohen Flechtwerkkorb mit Brezeln und allerlei Backwerk. Da tritt an Nr. 5 ein Adler hervor, der eine goldene Schlange in den Fängen hält. Da hat der Bäckerladen Nr. 12 als Gewerkszeichen eine Brezel, einen Striezel und Semmeln mit noch drei »Hellingen« an der Front; da trägt Nr. 17 einen naiven Stern und die Jahreszahl 1778. Ringsumher hier im Fischerviertel gibts noch solche Hauszeichen. Unweit der Fischerbrücke, neben dem erwähnten Durchgang, ist wieder eines: die Schiffahrt in Person, die sich an einen Anker lehnt und auf der Linken robinsonmäßig einen Papagei trägt (1727). Und gehen wir zur Roßstraße, so grüßt uns an der Ecke (Nr. 33) ein lustiges Relief, die fünf Sinne – das »Gefühl« durch eine Putte verkörpert, die von einem Krebs gekniffen wird.

Ich will noch eines der interessantesten gleich hier nennen: Wallstraße 25, das Simsonrelief, der »Simson am alten Köpenicker Tor« (1735), den sich das Volk in einen biederen Meister Pechdraht umgedeutet hat, so sein auf die Haustür festgepichtes Gewinnlos zur Lotterie trägt.

Doch biegen wir von der nun modernisierten Roßstraßenbrücke noch einmal links in die Friedrichsgracht und zur Petristraße ein, die sich wie eine Zwillingsschwester der Fischerstraße ausnimmt. Sie birgt in Nr. 15 den schönsten von allen altberliner Höfen, zu dem man durch ein stattliches Haustor und an gefälligem Treppenhause vorüber gelangt.

Und nun müßt ich noch vom Mühlendamm berichten mit seinen Kolonnaden und seinen Kaufgewölben, dunkel, geheimnisvoll, von den Säulen fast allen Lichtes beraubt. Was gab's da nicht in meinen Jugendtagen alles zu kaufen?! Alte Hosen und saure Gurken, alte Schmöker und Pincenezs, echt tombakne Ohrringe und buntbedruckte Taschentücher – das ganze Warenhaus von heute. Und die »Mühlendammer« erst, die einen beim Rockzipfel ergriffen und in ihre Spelunken zogen! Aber »Schwamm drüber«. Den, d. h. in diesem Falle: Zunderschwamm, gab's dort auch zu kaufen, wie ja schon das berühmte, nach einer Melodie aus Webers »Euryanthe« gesungene Lied verkündete:

»Unterm Mühlendamm
Sitzt 'n Mann mit Schwamm,
Der will janich, janich, janich fang'n«.


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