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Nach Stralau und Treptow

»Verjangnen Fischzug«, das war mal eine Zeitbestimmung in Berlin: Julius v. Voß' köstlich berlinerndes Volksstück »Der Strahlower Fischzug« hat gerade vor hundert Jahren im Schauspielhause wahre Triumphe gefeiert, Glaßbrenner hat dies einzige Volksfest in Vers und Prosa besungen, Hosemann es gemalt. Und selbst ein so griesgrämiger Historiker wie Ranke hat gemeint, in seiner »Deutschen Geschichte« bei der Schilderung des Berliner Lebens in der Zeit nach der Restauration (wohlverstanden der historischen) notieren zu müssen: »Im Hochsommer strömte alt und jung hinaus, um sich beim Stralauer Fischzuge an den Nationalgerichten Aal, Gurken und Weißbier zu erlaben«.

Das war einmal: der Stralauer Fischzug ist tot, im August 1914 gestorben, und, ehrlich gesagt, das ist nicht mal allzuschade, er war längst schon altersschwach und verkalkt, ein lebender Leichnam. Was sollte auch der Berliner von heute mit einer so harmlos ausgelassenen Lustigkeit, wie sie beim »Fischzug« traditionell war, denn noch beginnen? »Rummel« hat er allenthalben das ganze Jahr, und ohne Paprika (eigentlich ist's schon Cayennepfeffer) schmeckt ihm scheinbar überhaupt nichts mehr – nein, der »Fischzug« ist tot und begraben und liegt wohl in irgendeinem Winkel des wunderbaren kleinen Stralauer Kirchhofs da draußen an der Spree.

Dieser Kirchhof am Wasser mit seinen alten Bäumen und seinem Efeu, mit seinen verrosteten Kreuzen, seinen alten Steinen und Urnen – drüben der Treptower Park, die leuchtenden Wiesenflächen und auf dem Flusse, der so manchen verschlang, der nun hier schläft, Boote und Segel, Kähne und Dampfer – dieser alte, kleine, melancholische und doch wieder freundlich einladende Kirchhof allein möchte schon genügen, eine Reise nach Stralau verlockend erscheinen zu lassen. Aber Stralau und Treptow haben noch andre mannigfache Reize, sind so schön, wie nur weniges um Berlin.

Stralau … Wir fuhren zumeist mit den kleinen Dampfern von der Jannowitzbrücke aus dorthin. Schon das Einsteigen war vergnüglich. Da stand an der hölzernen, wackligen Jannowitzbrücke auf wackligen Pfählen ein kleiner, schwankender Pavillon, wie ein Taubenhaus anzuschauen, und eine geheimnisvolle Gleitbahn mit genügend Querlatten zum Stolpern führte einen in seinem völlig dunklen Innern im Kreise herum, sachte über die Schiebebrücke aufs Verdeck. Ging es dann los, dann kamen auch allsobald Aufregungen über Aufregungen. An jeder Brücke wurde der Schornstein umgelegt, von jeder Brücke spuckten die Jungens runter, Zillen voll Kalk sperrten die Fahrstraße, bei Pfuel sprangen die Badeengel ins Wasser … es gab immer was zu sehen und lachen und schimpfen! Häuser standen längs der Ufer ja noch recht wenige: Stätteplätze waren da, Schiffswerfte, auf denen Zillen und Bugs – so heißt der Spreekahn mit länger ausgezogenem Schnabel – gezimmert, kalfatert, gestrichen wurden, Tabberts Mörtelwerk, mit seinem weißgrauen Staub ein charakteristischer Fleck in dem nicht gerade anmutigen Landschaftsbilde, Wiesenflächen, Weideland: »Hier kann Schutt abgeladen werden«. Und endlich kam dann Stralau und – Tübbeke, wo die Dampfer anlegten.

Stralau ohne Tübbeke war so etwas wie Rom ohne Papst: er gehörte einfach dazu. Ach ja, Tübbeke. Die Alten sind ja längst tot: er, der mit Perücke und Klotzpantinen, ich erzählte es schon, dann und wann ins Café Bauer Unter den Linden fuhr; Sie, die eine unglaubliche Virtuosität im Oeffnen der Weißbierkruken besaß. Gibts noch Weißbier in Kruken aus graugelbem Steinzeug, den Korken eingehämmert und mit Strippen bebunden? Wohl ebensowenig wie die hohen Stangen dazu mit dem Porzellandeckel; ja, ich glaube, selbst die riesigen, runden, fußlosen, weißberänderten Glashafen, die man, wie es für die philosophische Neigungen (und die Verdauung – zumal in Verbindung mit Obst oder gar Aal und Gurkensalat) fördernde Weiße sich eigentlich gebührt, nur mit beiden Händen halten kann, selbst diese (wie der Berliner sagte) »Klauweißen« sind heute Raritäten fürs Märkische Museum.

Bei Tübbekes im Flur, nur so breit, daß gerade zwei »ältere ovale« Herren aneinander vorbei konnten, stand ein seltsames Büfett. Dahinter thronte in ihrer ganzen thusneldamäßigen Leiblichkeit und Würde – lest das mal in Fontanes »L'Adultera« nach, die Szene in »Löbbekes« Kaffeehaus – Madame Tübbeke und öffnete Weißbierkruken. Konnte sie dafür, daß der festgekeilte Pfropfen hin und wieder einem Gaste, der sich ihr »mißliebig« gemacht hatte, hastdunichtgesehen mehr oder minder unzart ins Gesicht fuhr? Daß der Schaum weit umherspritzte? Dieses Gasthaus, noch steht's, ganz wie Fontane es geschildert, nur so hoch, daß man bequem von der Straße die Dachziegel, grün vom Moos, greifen kann. Mit seinem Hausflur, der auch von Schiffahrt (der eine Sohn war »Kapitän«) erzählt, mit seinen niederen, gemütlichen Gaststuben – eine hübsche Empirestanduhr, ein paar alte Bilder, ein behäbig breiter Kachelofen sind darin. Noch ist der Garten ganz wie er damals war, gepflegt-verwildert, die alten Linden zu gestutzten Laubenhallen gezogen, die Aeste wie Kandelaber sich reckend und verflechtend; das putzlustige »Rondehl« voll Efeu mit amphorenartigen, großen Tonkrügen umpflastert; die kleinen Buden für die »Sommergäste«, die Glasveranda – diese ganze heimelnde Gastwirtschaft von damals mit dem Blick auf die Spree, auf die Stralauer Kirche, die Liebesinsel, auf »Zenner« und den Treptower Park.

Noch lebt dieses altberliner Idyll … Die alte Dorfstraße freilich hat sich »modernisiert«, von ihren liebenswürdigen Reizen ist dabei wenig mehr geblieben. Die »alte Taverne«, auch solche berühmte Stralauer Gaststätte von dunnemals, hat das Gesicht verändert, und die Spitzhacke hat als »Zahn der Zeit« noch manche andre Züge im Antlitz von Alt-Stralau getilgt. Aber der Kirchhof ist noch fast unverändert, die naive Dorfkirche (wenn auch frisch getüncht und Kreuz und Kuppel frisch vergoldet) und manches grüne Gärtchen, und die Bootshäuser sind noch da, und drüben der Rummelsburger See.

Rummelsburg, das ruft auch zahlreiche frohe Kindertage in mir wach. Da war Peters großer Kaffeegarten, darin die Bäume alle ihre Namen hatten, mit Schildern bezeichnet: »Adam« und »Eva« z. B., na und dann »Hinterindien« und »Vorderindien« – sapienti sat. Da waren die Fuchsberge, wo wir Sonnabends mit unserm alten Professor Bischof botanisieren gingen, ins Wasser fielen, glücklich herausgezogen wurden, von Morast starrten, unsre Ohrfeige empfingen – und was für eine! Der alte Bischof bog mit den Händen Taler krumm! – und was eben sonst noch zum Vergnügen gehörte. Da wurde im Winter Schlittschuh gelaufen; da hab ich mit meinem Vater das Waisenhaus besucht: die armen Jungens sahen immer beinahe wie Sträflinge aus, und das »Arbeitshaus« stand ja auch dicht daneben. Und jenseits liegt und ist schier noch schöner geworden der Treptower Park.

Nach Treptow hinaus zogen wir gewöhnlich – auf Schusters Rappen, von wegen der Billigkeit – durch die Köpenicker Straße. Auch da gab's mancherlei zu bestaunen. Die Feuerwehrkaserne an der Michaelkirchstraße, die Kasernen der Pioniere und der Gardeschützen, zu meiner Zeit von den Alten gelegentlich noch »Neffschandeller« genannt – Neuchâtel gehörte bis 1857 der preußischen Krone, und bis dahin wurden jährlich ein paar Dutzend dieser französischen Schweizer von heute für das preußische Heer angeworben. Sachses »Dampfwellenbadeanstalt« am Schlesischen Tor. So manche schmucke Villa Berliner Kaufherren – auch Fontanes Kommerzienrat Treibel wohnte ja hier, und der schwächliche Leopold ritt täglich frühmorgens zu Zenner hinaus, sein Glas Milch zu trinken. Und dann kam der Treptower Park, damals noch ganz verwildert, ein Lieblingsschlupfwinkel für Strolche und also für uns Jungens voller Räuberromantik.

Kurz vor Zenner auf einer Wiese dicht an der Spree stand etwas Wunderbares: eine »Camera obscura«. Ein runder Pavillon mit einem drehbaren Sehrohr auf dem Dache, innen eine riesige, weiße Scheibe, auf der sich, wenn die Tür geschlossen und jeder Lichtstrahl ausgesperrt war, durch das reflektierende Sehrohr das Leben und Treiben draußen in farbigem Gewimmel lebendig abmalte. Die »Camera obscura« ist freilich auch längst zum alten Gerümpel unsrer Kindertage geworfen worden: der gröbere »Kientopp« hat sie totgeschlagen. Aber Zenner, der Park, die Spree, drüben Stralau, die »Abtei«, die Boote, die Kähne und Dampfer, all das ist noch recht lebendig, eines der schönsten Bilder vor den Toren Berlins und hält allen Vergleichungen mit andern »fernen« Gegenden stand.

Und noch eines ist hier draußen glücklicherweise geblieben: das naive Vergnügen des »kleinen Mannes«. Da gibt's noch russische Schaukeln, und gibt's »Personenwagen«, Karussells und alte Frauen, die bunte Zuckerstangen verkaufen, und die Honigbude von Gühler, und gibt's noch »Sommertheater« und harmlose Lustigkeit.


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