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Zum Kreuzberg

Bismarck hat einmal dem Berliner Stadtrat Penzig eine Geschichte von einem Berliner Jüngling in den Alpen erzählt, den einer gefragt habe, ob es in Berlin auch solche Berge gäbe, und der alsbald geantwortet: »Nein, solche Berge haben wir nicht; aber wenn wir welche hätten, wären sie noch höher!«

Bismarcks Wort in Ehren – aber das kann kein richtiger Berliner gewesen sein; denn der hätte unfehlbar auf den Kreuzberg hingewiesen, der ja doch, wie Glasbrenner verzeichnet, »mit seinem Gipfel siebzehn Fuß über der Meeresfläche liegt«, in Wahrheit sogar (ich hab's aus Kürschners Lexikon) volle 62 Meter über Berlin emporragt – von der Höhe des Monuments auf ihm ganz zu schweigen!

Gewiß, die Alpen und meinetwegen selbst die Sächsische Schweiz und der Harz, die ja auch dicht bei Berlin liegen … Als ich zum ersten Male als dreizehnjähriger Sekundaner im Harz war, hat er mir gar nicht imponiert, und ich habe mich gefreut, als ich später in Fontanes »Cécile« das Gespräch der beiden Berliner im Hotel Zehnpfund zu Thale las: »Das ist also der Harz oder das Harzgebirge. Merkwürdig ähnlich. Ein bißchen wie Tivoli, wenn die Kuhnheimsche Fabrik in Gang ist. Sieh nur, Hugo, wie das »Ozon« da drüben am Gebirge hinstreicht. Ach, Berlin!«

Im Grunde genommen denkt wohl jeder richtige Berliner so oder doch ganz ähnlich. Und der Kreuzberg ist noch dazu etwas Historisches und geradezu ein Symbol. Denn dahinter kommt gleich das Tempelhofer Feld, und man müßte nicht Berliner Junge gewesen sein und an den Paradetagen frei gehabt haben, wenn man das nicht in gutem Gedächtnis hätte.

Ueberhaupt das Tempelhofer Feld und der Kreuzberg … Da ließ man seinen Drachen steigen, und in dem großen schattigen Garten der Tivoli-Brauerei gab's Salzbrezeln und Bockbier. Solche Riesendrachen, wie man sie in meiner Jungenszeit baute, kennt man im Zeitalter des Flugzeugs gar nicht mehr. Und ganz ernsthafte Leute, richtige Erwachsene, ließen sie auf dem Tempelhofer Felde steigen, hatten Bindfadenknäuel so dick wie ein kleiner Kürbis und saßen stundenlang und sahen auf ihren zuckenden Drachen, der nur wie ein weißes Pünktchen im blauen, weitfernigen Herbsthimmel stand. Ob wohl mehr neue Franklins darunter waren und gleich dem amerikanischen Freiheitsmann »Jupitern den Blitz und den Tyrannen das Szepter zu entreißen« träumten oder mehr Doppelgänger des harmlosen Mister Dick aus »David Coperfield«, die ihre krausen Gedanken in die Luft sandten? Wer weiß?

Von der Raupachstraße, wo wir wohnten, bis zum Kreuzberg, das war schon ein hübsches Ende, eine richtige Reise. Pferdebahnen da hinaus gab's erst seit Mitte der achtziger Jahre. Zu den zwei Pferden – »das eine Pferd das zieht nicht, das andre das ist lahm«, sangen wir dazumal – kam vor dem Berg in der Belle-Alliancestraße noch ein drittes als Vorspann, und dieses An- und Abspannen, dieses Hinauf und Hinab des Pferdes mit dem klappernden Ortscheit, das war was für uns.

Vom Spittelmarkt gingen wir gewöhnlich über den Dönhoffplatz zur Friedrichstraße. Was steigen nicht alles für Erinnerungen beim Klang dieser Namen auf. Die Leipziger »Kolonnaden«, von Gontard 1776 erbaut, – ihr erfreulicheres, reicheres Gegenstück, die »Königskolonnaden«, zieren heute den Kleistpark (alter Botanischer Garten, am Ende der Potsdamer Straße) – stehen ja noch heute, und auf der Südseite bieten sie mit ihren kleinen, altmodischen Lädchen noch ganz das anheimelnde Bild von früher. Auf der andern Seite hauste wie in dunkler Höhle der Antiquar Danz und hatte in dem Säulengange seine Regale mit billigen Büchern aufgebaut, seine großen Mappen voll Bilder zu beliebigem Drinblättern und Schmökern auf die Erde gestellt. Auf Danz und die Kolonnaden folgte, die Leipziger Straße beginnend, das alte Palais Hardenberg, seit 1848 preußisches Abgeordnetenhaus: im Innern hatte man in jenen stürmischen Märztagen eine elende Halle aus Fachwerkmauern mit erbärmlichen Sitzreihen für die Herren Abgeordneten errichtet, vom alten Windthorst treffend die »Bude« genannt, ohne Beleuchtung, wenn's regnete, tropfte es durch – und dieser Notstandsbau hat 40 Jahre als Sitzungssaal gedient!

Der Dönhoffplatz, im Viereck von niederen Häusern umstanden, bis auf zwei jämmerlich geschotterte, in der Mitte sich kreuzende Wege ungepflastert und daher bei Regenwetter ein Morast, hier und da ein Baum, ganz unmotiviert und gleichsam von der Axt vergessen, war Berlins wichtigster Marktplatz. Irre ich mich nicht, stand noch in meiner Kindheit eine Art von Meilenzeiger auf ihm; später nahm seine Stelle das Denkmal des Freiherrn v. Stein ein, von dem ein Couplet damals sang, ein Fremder habe einen Berliner gefragt, ob das nicht »von Stein« sei: »Nee, sagt der Berliner, 's wird woll Bronze sein«.

In der Leipziger Straße, dort, wo jetzt Tietz prangt, war das »Konzerthaus«, das einzige im damaligen Berlin, darin Benjamin Bilse, die Brust voller Orden, mit stattlichem, weißem Bart und einer mächtigen »Läusekaschel« (in seiner heimatlichen Mundart zu reden; so heißt nämlich der Schlesier eine Glatze), den Taktstock führte, für 50 und im Abonnement gar nur 40 Pfennige die musikliebenden Berliner in mustergültiger Weise mit den Werken der Großen und Kleineren bekannt machte und an seinen Walzerabenden nebenher – manche Ehe stiftete. Noch eins ist mir neben der Erinnerung an die ideellen Genüsse hier unvergeßlich: im Tunnel unter dem Konzertsaal war das Büfett, dessen Spezialität die »Jauerschen« von Hefter waren. Kaum war oben der letzte Ton des ersten Programmteils verklungen, so stürzte man die Treppen in drängender Hast hinunter; denn die zuerst kamen, kriegten die längsten Würste.

Die Leipziger Straße, heute Berlins vornehmste Geschäftsstraße, durchaus Weltstadt und namentlich des Abends mit der Perlenkette ihrer elektrischen Lampen ein überaus malerisches Bild, machte noch in den achtziger Jahren einen ganz kleinbürgerlichen Eindruck: die Häuser schmucklos, ein- und zweistöckig – das Bote- und -Bocksche (Nr. 37) gibt davon noch einen Begriff. Kaum ein paar kleine Läden gab es – wer weiß sich noch der Anfänge von Wertheim in dem kleinen Häuschen an der Mauerstraßenecke zu erinnern? – auf beiden Seiten des Fahrdammes der schmutzige »Rinnstein«, mit Bohlen vor den Hauseingängen zugedeckt, dazu des Abends die gelblich flackernden Gaslaternen.

Die Friedrichstraße wirkte kaum viel anders, durch ihre Endlosigkeit und das Schnurgerade ihrer Querstraßen vielleicht nur noch langweiliger. Man merkt ihr die Entstehungsgeschichte immer noch deutlich an: dieses Straßen- und Häuser-aus-der-Erde-Stampfen auf Befehl des Soldatenkönigs. Die Häuser in Reih' und Glied ausgerichtet – die »Regularität derer Strassen« wurde dazumal tatsächlich von der Militärbehörde »observiret«! – mußten die gleiche Dachfirsthöhe haben und möglichst eines wie das andere aussehen; sie waren sogar ganz gleichmäßig verputzt und mit derselben Farbe gestrichen! Ein zeitgenössischer Poet sang davon begeistert:

»Der itzt gedachte Putz der Farben fällt ins Gelbe
Und kommt, wie man bemerkt, Orangeäpfeln bei;
Woraus denn allsofort zu schließen, daß derselbe
Für die Beschauenden ein' Augenweide sei«.

Diese Häuser hörten übrigens noch um die Mitte des vorigen Jahrhunderts bald hinter der Kochstraße auf und machten den in Grün gebetteten Anwesen der sogenannten »Viehmeister« Platz, die den Süden Berlins mit Milch und Käse versorgten.

Schön ist in diesem Südteil der Friedrichstraße nur der Blick längs der Kochstraße auf das Palais Friedrich Heinrich (wir nannten es Prinz Albrecht) in der Wilhelmstraße, das eine lustige Bauhistorie hat. Ein Baron Vernezobre de Laurieux, der in Paris bei dem Lawschen Papiergeldschwindel (1720) sein Vermögen erworben hatte, ließ es bauen, damit seine Tochter einen Mann ihrer Wahl heiraten durfte und nicht dem Freier von des Soldatenkönigs Gnaden die Hand zu reichen brauchte. Später hatte hier des Alten Fritzen Schwester Amalie ihre – Sommerresidenz; im Winter wohnte sie Unter den Linden 7 (heutige Russische Botschaft). Im Hause Nr. 12 hatte in meinen Kindertagen Brockmann sein famoses »Affen-Theater« aufgeschlagen; die Affen, Meerkatzen und Paviane, führten, in ulkigen Kostümen steckend, ganze Komödien auf, besser als manche andern Menschen, würde Glaßbrenner sagen. Ein paar Häuser weiter, auf der andern Seite (Nr.235) hat Chamisso über ein Jahrzehnt bis zu seinem Tode gewohnt. Am 26. Juni 1880 wurde in dem damals noch mit alten Obst- und Kastanienbäumen bestandenen Garten eine Erinnerungsfeier an den Dichter veranstaltet und ein Bronzemedaillon an der Front des Hauses enthüllt. Heut ist das Medaillon verschwunden, das Haus eines der vielen Kinogebäude hier. Aber der Dichter hat dafür auf dem stillen Monbijouplatz ein Denkmal erhalten. Ein wenig zerrissen gibt sich der Abschluß der Friedrichstraße durch den Belle-Alliance-Platz, so schön der Platz an sich ist: diese Rauchsche Viktoria auf der Cantianschen Säule, diese Marmorgruppen der Verbündeten von Belle-Alliance im Rund um die Säule, England und Preußen zur Rechten, Niederland und Hannover zur Linken, diese Göttinnen der »Geschichte« und des »Ruhmes«, wo die Stufen zum Straßenniveau hinaufführen, diese Torbauten oben mit den Sandsteingruppen der vier Jahreszeiten. Ein Großstadtbild: die Hochbahnbrücke, darunter und dahinter die Belle-Alliance-Brücke mit ihren die Arbeit im Frieden verkörpernden Marmorgruppen, die Türme der Heiligen Kreuz-Kirche, Schornsteine, das Warenhaus, der Fluß, Baumgrün, und rückwärts gesehen der Dreizack der sich zum Platze öffnenden Wilhelm-, Friedrich- und Lindenstraße, ein bißchen verworren-verwirrend und allzu hastig, lärmend, nervös.

Die Belle-Alliance-Straße: Kasernen und Kirchhöfe, ein Haus trägt an der Front die Büsten der preußischen Herrscher, ein byzantinischer Gruß an das Defilee der Paraden von einst, ist nüchtern, »preußisch«, trotz der Baumalleen, unruhig. Aber dann kommt die stille, steil ansteigende Lichterfelder Straße, und mit einem Male ist das Häßliche, nach dem Lineal Gezogene verschwunden. Und noch eine idyllische Schönheit ist in all dem Straßenlärmen hier geblieben: »Riehmers Hofgarten« zwischen York- und Hagelsbergerstraße.

Wie ein Stück Sächsische Schweiz und Thüringer Land nimmt uns jetzt der herrliche Viktoriapark auf, über jedes Lob erhaben, Kunst und Natur hier wahrhaft eines nur. Und ein unvergleichlicher, ergreifender Blick auf Berlin, die Weltstadt, die » Bergstadt der Kultur«, wie Jean Paul unsre Vaterstadt einmal genannt hat.


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