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Und nochmals Kölln und Alt-Berlin

Es wohnte aber Herr Johannes Rathenow unfern der Kirche des heiligen Nikolaus, so die älteste ist der alten Stadt Berlin. Das Haus lag, als zu vermuten, in einem der Winkel um die Kirche, wo heutzutage kein Bürgermeister seine Wohnung aufschlüge, und auch kein Patrizier, so es deren in Berlin gäbe. Doch in den frommen Tagen, als es erbaut wurde, suchten die reichsten Familien eine Ehre darin, nahe ihrer Pfarrkirche zu wohnen, die engen, kleinen Fenster auf die hochgewölbten des Gotteshauses gerichtet.«

So hat's mir mein lieber Vater erzählt, als ich noch nichts von Willibald Alexis und seinem »Roland von Berlin« wußte, und daher ist mir so etwas wie Andacht und Ehrfurcht vor diesem Nikolaikirchplatz mit seinen absonderlichen Häuschen verblieben. Engbrüstig, nur zwei Fenster breit – »Handtücher«, wie der Berliner sagt –, hochgeschossen oder unter Mittelmaß, häßlich, verhutzelt wie alte Weiblein, die Höfe wahre Löcher, die Flure so schmal, daß kaum zwei aneinander vorüber können, sind diese Häuschen. Aber sie haben unzweifelhaft etwas wie Charakter und passen wundervoll zu dieser uralten Kirche und diesem stillen, grünen Platz.

In Nr. 10 wohnte drei Jahre lang Lessing, und das Nachbarhaus, das wie ein Erinnerungsmal einen riesigen Schwalbenschwanz an der Fassade und noch immer das alte Firmenschild zeigt, war unser Jungensparadies. Da haben wir beim alten Keitel Insektennadeln und Torf gekauft, und was sonst noch zu dieser Schmetterlingsjäger- und -sammlerleidenschaft gehört. Wißt Ihr's noch, Heinrich Zille, Georg Hermann, Erdmann Graeser?

Seltsam geschnörkelte Grabsteine zieren die Kirchenmauern, die teilweise schon aus dem 13. Jahrhundert stammen. Und in der Kirche selbst hat einst (1657-66) Paul Gerhardt gepredigt, der so schöne Lieder dichtete, wie »Befiehl Du Deine Wege«, »Nun ruhen alle Wälder«, »O Haupt voll Blut und Wunden« und das köstlich-naive »Geh aus, mein Herz, und suche Freud zu dieser schönen Sommerszeit«, und der doch ein Zelot war, und weil er sich dem Toleranzedikt des Großen Kurfürsten nicht fügen wollte, seines Amtes enthoben ward.

Ein originelles Häuschen steht noch hier am Platze: Probststraße 11, mit seinen musizierenden Putten.

Die Molkenstraße – da wohnt noch heute ein veritabler Waffenschmied, ganz wie in alten Zeiten sieht das aus, wenn's freilich nun auch nur Theater ist – führt uns zum Molkenmarkt. Gleich das Eckhaus ist was Besonderes: das »Haus zur Rippe« wird es genannt, und eine Riesenrippe und dito Schulterblatt sind seine Wahrzeichen. Die Legende weiß davon zu erzählen, daß hier einmal ein gewalttätiger Riese von einem »Erdenwurm« erschlagen worden sei. Sein Leib war so groß, daß er nicht auf einem Kirchhof Platz hatte; so wurde er zerstückelt und auf verschiedenen begraben. Ein paar der Knochen aber wurden zum Gedächtnis bewahrt. Nun, von einem »Riesen« stammen die Knochen nicht, vielmehr – und das ist für Berlin und den Molkenmarkt beinahe ebenso verwunderlich – von einem Wale.

Gegenüber, der häßliche Kasten, ist die einstige Stadtvogtei, in der Fritz Reuter, der »hochverräterische«, schwarz-rot-goldene Burschenschafter im Spätherbst 1833 ein paar Monate hinter Schloss und Riegel gehalten wurde. Seine Zelle lag, so wird erzählt, nach dem Krögel hinaus, und damit wären wir – werfen wir im Vorübergehen noch einen Blick auf das stattliche Palais Schwerin (Nr. 3), das nun freilich architektonisch etwas »vermöbelt« worden ist – zu einer »Berliner Rarität« gelangt, die nirgends ihresgleichen hat.

Der » Krögel«, das ist düsterstes Berlin, altersgrauestes, pittoreskestes und ungezählte Male geschildertes. Hier stand das älteste Badhaus Berlins, die Mauerbogen und Gewölbe berichten noch davon, und mußte wegen allzu – sagen wir mal – freibadmäßigen Treibens von einem ehrbaren Magistrat geschlossen werden. Wie eine Stadt für sich, von der Zeit vergessen, ist das Ganze: der eiserne Prellbock, ein Ritter mit Helm, wie zur Wacht am Eingang, die lange, hohe, enge, in sich gebrochene Gasse zum Wasser, die sich drängenden Häuser, Torbogen, Höfe, eines immer winkliger, baufälliger, altersgrauer und malerisch häßlicher als das andere. In buntem Durcheinander Fachwerk, Ziegel, Feldsteine. Da tragen Säulen das überhangende Gebälk seltsamer Balkonfluchten. Da ist eine absonderliche Sonnenuhr – scheint denn jemals die Sonne in dieses schwärzliche Häusergewimmel?! – und sie zeigt, ganz in die Stimmung hier sich fügend, die Inschrift: »Mors certa, hora incerta«, »Der Tod ist sicher, unsicher seine Stunde nur«.

Ja, hier, in der »Kröppelstraße«, mußte Hans Unwirrsch geboren werden, zum »Hungerpastor« bestimmt, und nicht weit von hier stand auch das heimlige Observatorium des weiland Heinrich Ulex, dessen Leitspruch die Raabesche Weisheit war: »Sieh nach den Sternen, gib acht auf die Gassen« …

Am Wasser unten, Wasserpest wuchert darin, und wie ein Teppich breitet Froschbiß sich im Sommer darüber, ein Hafenbild: Dampfer an Dampfer, Zillen mit Kalk- und Mauersteinen, dahinter die alte »Insel«, tot nun und wüst bis auf den einen breitgeästeten Baum. Auf dieser Insel hatte der Große Kurfürst ein Spinnhaus errichtet, darin Landstreicher und Bettler ans Arbeiten gewöhnt werden sollten, hatte ein halbes Jahrhundert später der rührige Wegely, der 1752 die erste Berliner Porzellanfabrik gegründet, seine Wollzeugmanufaktur angelegt. Bald wird hier, wie ein »kundiger Thebaner« mir verriet, »neues Leben aus den Ruinen« blühen, so ein Berliner Alsterpavillon entstehen. Wie wir uns zur Umkehr wenden, fällt der Blick auf die eisernen Dornen der Regentraufe an der Stadtvogtei; sie sollten den Häftlingen die Flucht unmöglich machen. Nur eine kurze Spanne und auch der Krögel wird der neuen Zeit weichen.

Laßt uns die Stralauer Straße nun hinuntergehen. Sie barg für mich als Knaben manche Köstlichkeiten. Da war das Stammhaus von Theodor Hildebrandt mit seinem schokoladenbraunen Riesenbären; da war das Stammhaus der Ravenés mit dem nicht minder lockenden Gefunkel und Geblinker seiner Werkzeuge und Maschinen; da waren Gerber und Färber, davon es so seltsam und durchdringend roch. Und Lagerhäuser voll Heringe und Bücklinge waren da, die mischten ihren salzigen Räuchergeruch dazu. Da war manch stattliches Bürgerhaus, in dem ich Schulkameraden hatte. Nur eines fand ich noch wieder, Nr. 52, so selbstbewußt wie damals, mit den Wandgemälden im Torweg, breit, behäbig, entschieden aristokratisch. Und auch die Strauß-Apotheke ist noch da (Nr. 47), mit dem großen Straußen an der Front. Daneben war damals eine alte Gärtnerei, und wenn hier die »Königin der Nacht« zur Blüte kam, dann stand's in der »Vossischen Zeitung«, und alt und jung pilgerte hierhin, das nächtliche Wunder zu schauen. Ja, und noch ein paar alte Häuser dieser einst so gemütlichen Straße sind erhalten geblieben, gleich vorn am Molkenmarkt. In einem schenkt Landré seine Weißen und hat allerlei Seltenheiten bewahrt aus dem Berlin unsrer Großväter und Väter. Nun freilich beherrscht und erdrückt das alles der wuchtige Bau des Stadthauses; sein rundschlanker Turm überhöht weit und breit das Straßenbild, wohin wir immer uns wenden mögen.

Noch eine Jugenderinnerung: am andern Ende stand der häßliche Würfelkasten der Waisenkirche. Darin war die Fachschule der Berliner Friseurinnung untergebracht. Und so lauerten hier die künftigen Figaros an allen Straßenecken auf ein Opfer, das sich ihrer Schere leichtsinnig anzuvertrauen geneigt. Es kostete nichts, das Haareschneiden; ich glaube – man bekam sogar noch etwas dazu. Aber wie geschundene Raubritter betraten hernach oft genug die Vertrauensseligen und Gewinnlüsternen wieder die Straße.

Die Waisenkirche ist verschwunden, man braucht ihr keine Träne nachzuweinen; sie war nichts als nur häßlich. Die Waisenstraße aber hat fast ihr altes Gesicht bewahrt, jenes Armeleutegesicht der Straßen an der Mauer. Hier schloß nämlich einst die älteste Feldsteinmauer die Innenstadt in sich, und wie Schwalbennester klebten die Häuser an der Mauer. Was sind das für Haustüren, für Keller, für Steintreppen und Vorbauten! Die Treppen im Innern scheinen jäh auf die Straße zu stürzen, als wollten sie dem Elend dadrinnen entfliehen. Aber da ist zum Troste dann wieder ein wunderschönes Portal (Nr. 28), einst war es noch viel schöner, stilgerechter; es ziert das Hospital der Parochialgemeinde und trägt die wundervolle Inschrift: »Am Abend wird es licht sein«. Ein Stückchen weiterhin steht noch die Mauer des Friedhofs, von alten hohen Bäumen überschattet, sieht man die Kreuze und den Efeu alter Gräber. Nach dem Ende zu wirds immer enger. Die Klosterkirche gibt hier den Abschluß zur Sackgasse und dieses allerengste Endchen heißt noch heute im Volksmunde der »Bullenwinkel«, weil einstmals hier die Bauern an Viehmarkttagen ihre Kühe und Kälber bis zum Marktbeginn zusammenhielten.

Längs des Friedhofes kehren wir durch die Parochialstraße zurück. Welch seltsamer Zusammenklang: diese Riesentürme zur Linken, zur Rechten und vor uns, und dazu diese winzigen, baufälligen, schmalen »Handtücher« – eines der Häuserlein, das ganze sieben Fenster breit ist, trägt dafür gleich drei Hausnummern! Einstmals hieß jenes letzte Stück der dreigeteilten Parochialstraße, das in die Spandauer Straße mündet, die Reezengasse, und in meinen Kindertagen war hier Haus bei Haus ein Schusterladen oder eine Trödlerbude. Die Schuster hatten ihre langschäftigen »Kalauer«, immer drei, vier Paare an langen Stangen über der Ladentür in die Gasse hinaushängen – die ganze Gegend roch davon nach Leder und Stiefelwichse. Und die Trödler – sie werden wohl zumeist Glaubensgenossen der Mühlendammer gewesen sein. Denn Glaßbrenners Handlanger Kielmeyer hatte sich, wie er vor Gericht erzählt, seinen hellblauen Rock »in de Reezenjasse von Abrammen jekooft, det heeßt eijentlich von Sahran, denn er wa nich ze Hause«.

Die Klosterstraße gibt ein etwas wirres Straßenbild. Der Stil von Jahrhunderten mischt sich hier zu unvermittelt. Zur Linken die Parochialkirche: Barock und Renaissance, ein echt berlinisches Kuddelmuddel, daran sich schließend das barocke Stadthaus Ludwig Hoffmanns. Zur Rechten zunächst das einstige Palais Podewils (Nr. 68), nüchtern strenger Klassizismus mit leichtem Einschlag von gefälligerem Rokoko. Und weiterhin die Klosterkirche, Gotik ohne Turm, das ehemalige Franziskanerkloster der »Grauen Brüder«, seit 1574 Schule, im Stil von Kirche und Kloster – eine Bronzetafel an der Straßenmauer erzählt, daß auch Bismarck einstmals »Klosteraner« war – und endlich das »Hohe Haus« (Nr. 75/76), die markgräfliche und kurfürstliche Residenz bis auf die Tage Friedrichs I. von Hohenzollern, des Nürnberger Burggrafen, dem hier die Stände 1415 huldigten, dann Ritterakademie und schließlich – sic transit gloria – Lagerhaus für die Wolle zu den Uniformen des preußischen Heeres. Durch einen Torweg geht's hier zu der Werkstatt Daniel Rauchs, die nun zu einem kleinen »Rauchmuseum« eingerichtet ist. Die andre Straßenseite ist viel jüngeren Gesichts. Am Hause Nr. 43, das nun die alte französische Klosterkirche auf dem Hofe und im Garten zu einem »Goethe-Theater« umgestaltet hat, erzählen uns zwei Bronzereliefs von der Aufnahme der Hugenotten und der Einweihung dieser ihrer ersten Kirche in Berlin. Inmitten der Straße der Bahnhofseingang der ganz modernen Untergrundbahn – das alles ist ein fast parvenuhaft wirkendes Bild des Werdens und der Geschichte Berlins.

Aber nun die Jüdenstraße. Da ist gleich rechts ein schmaler Eingang, und auf einmal sind wir mitten in der Idylle des »Großen Jüdenhofs«. Der war einst der Mittelpunkt des Berliner Ghettos, dessen letzte geistige Mauern erst zur Zeit der Freiheitskriege (1812) fielen. Was ist das für ein köstliches Plätzchen! Der schlafende Marktplatz eines winzigen Städtleins scheint es. Hähne krähen geruhig, bunte Katzen schleichen über das Pflaster und reiben sich schnurrend an den Wänden der Häuser. Eine Frau kommt, den schweren Henkelkorb am Arm, vom Markte und öffnet mit großmächtigem Schlüssel eine Haustür. Vor einem der Häuslein eine altersmüde, vornüber sich neigende Akazie, die im Frühsommer voll duftender, weißer Blütentrauben hängt. Mach deine Reverenz, lieber Reisegefährte, vor diesem Häuschen; denn aus ihm stammt die Mutter Wilhelms und Alexanders v. Humboldt. Das Nebenhaus hat hintenhinaus noch wie in alten Zeiten sein Gärtchen. Und freundlich schützend blickt wie aus ferner Welt der Turm des Stadthauses auf diesen Marktplatz nieder. Und wenn die Singuhr der Parochialkirche zur halben oder vollen Stunde, ein wenig heiser und leicht aus dem Takt geratend, ihr frommes Lied herübertönt – dann denkt man an Theodor Storm oder gar an Voßens »Louise«.

Alt-Berlin am Wasser, Blick von der Waisenbrücke

Zum Nußbaum. Aquarell von Prof. Jul. Jacob

Hof in der Petristraße


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