Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Mein Schwiegervater und meine Mutter waren über Theklas Entschluß nicht minder erregt, als ich, und des alten Herrn Betrübnis ging sogar in Zorn über. Er brauste auf, ging unmutig im Zimmer auf und ab und stieß statt des feinen Rauches, der sonst aus seiner Meerschaumspitze hervorringelte, mächtige Dampfwolken heraus. Die meist so glatte, unter der festangelegten Perrücke noch glatter erscheinende Stirn legte sich in starke Falten, und der Hals, sonst innerhalb der schwarzen Kravatte so fest und gemessen ruhend, war in fortwährender Bewegung.

Meine Mutter saß gedankenvoll am Fenster, und ich sah es, – sie blickte traurig verstohlen zu mir herüber, während ich mit verschränkten Armen vor mich hinstarrte.

Das Gespräch ward nicht unterbrochen, als Manja ins Zimmer trat. Selbst meine Mutter betrachtete sie schon nach diesem vierzehntägigen Beisammensein als zu uns gehörig. Durch ihr taktvolles Benehmen hatte sie deren Herz ganz gewonnen. Niemals mischte sie sich unaufgefordert in Gespräche, die Angelegenheiten unserer Familie betrafen. Da es zudem in der menschlichen Natur liegt, eher aus freien Stücken zu gewähren, als zufolge eines Anspruches, so bot man ihr ein Vertrauen, das sie scheinbar nicht suchte.

Es geschah auch heute zum ersten Mal, daß sie in bescheidenem Ton, halb sich an Herrn von Barca, halb an meine Mutter wendend, und mit einer artigen Bewegung auch meine Zustimmung einholend, sagte: »Darf ich einmal versuchen, auf die gnädige Frau einzuwirken?«

Mein Schwiegervater, in dessen Mienen leicht ein einfältiger Ausdruck trat, wenn ein ungewohntes Wort an sein Ohr schlug – ein Ausdruck, den man häufig bei alten Leuten mit geradem Wesen findet und fälschlich als einen Beweis erlangter Zustimmung deutet – nickte diesmal Manja lebhaft zu, wandte sich aber auch zugleich fragend an uns.

Ich hatte wenig Vertrauen zu ihrem Vorhaben und nahm deshalb die Sache minder ernst, als ihren guten Willen, dem ich freundlich Anerkennung zollte. Meine Mutter aber sagte, und ihr Einwand lag bei der Eigenart Theklas sehr nahe: »Ihr Zureden wird gewiß von Wert sein, liebes Fräulein Elster, aber unter welchem Vorwande wollen Sie sich meiner Schwiegertochter nähern? Ich halte es jedenfalls für bedenklich! Sie möchte Ihr Vorgehen – verzeihen Sie, ich spreche nicht meine Ansicht aus! – als eine unaufgeforderte Einmischung in ihre Angelegenheiten betrachten.«

Manja verbeugte sich und sagte: »Ich habe das wohl bedacht, gnädige Frau. Ich werde einen geeigneten Vorwand finden, mich der Frau Gräfin zu nähern, und dabei versuchen, das Gespräch auf Ihre Wünsche zu lenken. Sehe ich, daß es nicht unauffällig geschehen kann, so werde ich von meinem Vorsatz abstehen.«

Nach Tisch begab sich Manja in der That in das Gemach meiner Frau und berichtete uns eine Stunde später, daß sie ihren Zweck erreicht habe. Thekla werde am morgenden Tage aufstehen, an allem teilnehmen und sogar noch am heutigen Tage beim Thee erscheinen. Einen weiteren Aufschluß versprach sie später zu geben. –

Es war rührend zu sehen, wie Herr von Barca seine Tochter empfing, wie er für sie den Sessel herbeirückte und mit welchen Worten er ihr für etwas dankte, was doch von ihrer Seite zu gewähren so leicht, was so natürlich war. Gegen mich beobachtete Thekla an diesem Tage eine große Aufmerksamkeit. Es war, als ob sie mir abbitten wollte, daß sie mich vordem so gekränkt hatte, während sie wohl ein Recht hatte, mir wegen meiner verletzenden Worte zu zürnen. Und so blieb es bis zum Spätabend, wo ich mich ans Klavier setzte und Chopinsche Lieder vortrug.

Als ich mich erhob, trat Manja mit unverstellter Freude auf mich zu und lobte mit begeisterten Worten mein Spiel. Sie gehörte zu den Menschen, die etwas Schönes im Augenblick so hinzureißen vermag, daß die Empfindung notgedrungen nach einem Ausdruck ringt. Immer von neuem legte sie ihre Bewunderung an den Tag und ließ die Zurückhaltung, die sie bisher beobachtet hatte, so sehr außer Acht, daß ich unwillkürlich zu meiner Frau den Blick wandte. Und Thekla begegnete mir mit ihrem Auge –, aber was daraus hervorsprühte, das werde ich nie vergessen! Ihre Mienen entstellten sich, eine boshafte Tücke trat in ihr Antlitz und in ihrer ganzen Haltung erschien ein drohender Zorn!

Es unterlag keinem Zweifel, meine Frau durchglühte Eifersucht, Eifersucht auf Manja, obgleich der Ausdruck blitzartig wieder verschwand. Es verhielt sich so, obgleich sie ihren Argwohn in der Folge geschickt verbarg. Ich that alles, um ihr Mißtrauen zu entkräften; ich wandte mich absichtlich, bis wir uns trennten, nicht ein einziges Mal an Manja.

Meine Mutter, die ich lange nicht in einer so glücklichen Stimmung gesehen hatte, die meine Frau zärtlich streichelte und fröhlich erregt die Hoffnung aussprach, sie werde ihren Lebensmut nunmehr völlig zurückgewinnen, hatte so wenig den Zwischenfall bemerkt, wie mein Schwiegervater.

Als endlich Thekla aufbrach, schützte auch Manja Kopfweh vor und bat, sich entfernen zu dürfen. Es war kein Zweifel, auch sie hatte beobachtet, was in Thekla vorging, und wollte jedem, auch dem geringsten Anlaß zu einem Argwohn begegnen. Ließ sich die Kranke durch alle diese Umstände täuschen? Ich glaubte es fast, da sie dem Fräulein mit großer Artigkeit begegnete und deren Anerbieten, sie auf ihre Gemächer begleiten zu dürfen, mit freundlich scherzenden Worten zurückwies:

»Nein, nein! Sie nehmen meinen Arm, Fräulein! Heut Abend bin ich ja die Starke und Sie die Schwache! – Nun, wir machen's ja beide noch!« fuhr sie, schnell durchs Zimmer schreitend, fort, wandte sich noch einmal, wenn auch etwas gezwungen lächelnd, zu uns, und verließ mit Manja das Wohngemach. –

Allzu gern hätten wir freilich noch gehört, welches Zaubermittel auf meine Frau gewirkt hatte. Mein Schwiegervater erging sich in den lebhaftesten Lobeserhebungen über Manja und forderte uns in seiner ungestümen Art auf, ihm beizupflichten. Meine Mutter nickte auch sanft mit dem Kopf und sagte: »Ja, ja! Ein liebes, treffliches Mädchen!«

Nachdem wir uns an diesem Abend getrennt hatten, horchte ich beim Beschreiten des Korridors noch einmal an den Gemächern meiner Frau. Es war alles ruhig; sie schien zu schlafen, und mit glücklichen Empfindungen wandte ich mich nach meinem Zimmer.

In diesem Augenblick hörte ich jenseits das Geräusch einer sich öffnenden Thür, und trotz der Teppiche, die den Korridor bedeckten, einen leisen Schritt.

Ich sah zu meiner Ueberraschung Manja und wandte mich absichtlich rasch von ihr ab.

»Wie? Du bist noch nicht zur Ruhe gegangen?« fragte ich, als sie sich mir trotzdem näherte, in einem abwehrenden Tone.

»Nein! Ich konnte nicht schlafen, Detlef!« erwiderte sie erregt. »Ich muß Dich noch sprechen, heute abend noch sprechen –«

Einige Sekunden standen wir stumm neben einander. Ich zauderte, da ich diesen abendlichen Zusammenkünften unter allen Umständen ausweichen wollte, als plötzlich ein seltsamer Ton an unser Ohr schlug. Unwillkürlich wichen wir zurück, Manja schlüpfte in mein unbeleuchtetes Zimmer. Ich horchte! – Nichts –! Vielleicht hatte der Nachtwind drunten an der Hausthür gerüttelt. –

Jetzt war alles still.

»Nur einen Augenblick, Detlef«, hauchte Manja, als ich nun auch in mein Zimmer trat. »Nur einen Augenblick –« und ich gab ihren Bitten nach. Und die Minuten verrannen, die Zeit verging. Zum ersten Male schloß ich, allzu bedrängt von dem, was mich seit Jahresfrist bewegte, dem Mädchen mein Herz auf.

Ich erzählte von Columba, von meinem Aufenthalt in Aschdorf, von meiner Ehe, von dem Tode des Kindes, von Unzer und meinem zerstörten Glück bis zu unserer Wiederbegegnung. Sie hörte still zu, wie ein lieber Freund, und ließ ihre Teilnahme durchblicken bei allem, was ich berichtete. Aber am Schluß ward sie in völliger Verkennung meiner Offenherzigkeit, hingerissen, die Leidenschaft überwog die Klugheit, und was ihr Innerstes in den geheimsten Falten beschäftigte, das trat in abfälligen, tadelnden Aeußerungen über meine Frau zu Tage.

»Also, Du liebst Deine Frau?« fragte sie, obgleich ich von nichts anderem gesprochen hatte, als von meinen zärtlichen, mit Trauer gemischten Gefühlen.

»Du fragst mich, ob ich Thekla liebe?« erwiderte ich erstaunt.

»Ja, ich meine, ob Du ihr zugethan bist aus Pflicht und Gewohnheit, oder aus Herzensneigung?«

Seltsam! Über diesen Unterschied hatte ich noch nicht nachgedacht. Aber ihre Frage mißfiel mir; sie erregte mein Mißtrauen. Stets wußte sie, worüber ich sann, auch nun sagte sie, da ich schwieg:

»Du zürnst mir, daß ich so spreche, und Du vermutest, daß ich aus Deiner Antwort einen günstigen oder ungünstigen Schluß für mich ziehen will, Detlef! Aber Du täuschest Dich!«

Ich sah sie überrascht an und bat sie fortzufahren.

»Höre mich an! Man steht an dem Bette eines Kranken und sorgt sich um ihn. Man empfindet selbst seelisch fast mehr, als jener körperlich. Dann sagt man sich plötzlich, daß dem Leidenden dadurch nicht im Geringsten genützt war, daß man also keine Pflichtverletzung begeht, wenn man es wie der Arzt oder der Krankenwärter macht. Sie thun, was ihres Amtes, aber verzehren sich nicht in Mitgefühl für den Betroffenen.

»Nun?« schaltete ich ein.

»Nun ja! Wenn man Jemanden sehr liebt, so ganz von Herzen liebt, kann man seinen Regungen nicht gebieten, aber aus einem unklaren Pflichtgefühl, ohne Wert für den Kranken, mitzuleiden, ist töricht.«

»Das alles sagst Du, Manja«, rief ich. »Dieses kalte Zerlegen, dieses praktische, selbstsüchtige Erwägen und Unterscheiden kommt aus Deinem Munde?! Könntest Du an meinem Krankenlager wachen und, während ich leide, Dich mit Deinen Gedanken anderweitig beschäftigen?«

»Ich? Bei Dir?« stieß sie rasch heraus. »Ich bei Dir, den ich mehr liebe, als alles in der Welt? Nein, Detlef! Aber Deine Frau« –

Sie stockte. »Meine Frau?"« drängte ich.

»Ach laß, es ist besser so –«

»Nein, sprich, ich bitte Dich.«

»Nun!« sagte Manja, »so sei es denn gesagt. Thekla scheint mir Deiner zärtlichen Liebe nicht wert. Als ich heute auf sie einsprach, und sie an die Pflichten gegen Euch, vornehmlich gegen Dich, erinnerte, mit vorsichtigen, aber beredten Worten auf sie einzuwirken suchte, erkannte ich ihren grenzenlosen Egoismus – ihre Kälte. Und zu diesen Eigenschaften noch Eifersucht!

Dieses Gefühl allein, – wisse es denn, – konnte sie bewegen, meinen Bitten nachzugeben. Ich argwöhnte es gleich; ich hoffte nur, daß ich mich täuschte. Sieh! Alles war Maske! Sie war mißtrauisch geworden, sie wollte uns beobachten! Als sie sich in unserem Kreise befand und uns so gelassen und liebenswürdig begegnete, schwankte ich zwar noch einmal. Aber sahst Du den Ausdruck in ihrem Auge, nachdem Du vom Piano aufstandest, und ich – in meiner Harmlosigkeit – Dir Lob spendete? Ich sah ihren funkelnden Blick, und ich hätte sie in dem Augenblick vernichten mögen, weil sie mir den armseligen Brocken nicht gönnte, den Du mir durch Deine freundliche Begegnung gewährtest.«

»Du thust ihr Unrecht«, entgegnete ich streng abwehrend, obgleich ich ihren letzten Auslassungen nur zu sehr beipflichtete. Schreckliche Schauer wegen der Zukunft huschten durch meine Seele. »Du thust ihr Unrecht!« wiederholte ich, »und ich bedauere dies um so mehr, weil gerade aus Dir die Eifersucht spricht! Sieh, Manja! Dies Gespräch beweist mir, daß doch Deines Bleibens nicht in unserem Hause sein kann! Du bist der Aufgabe, die Du Dir gestellt hast, nicht gewachsen. Statt zu mildern und zu versöhnen, nimmst Du jetzt schon Partei gegen eine Kranke! Welche Folgen werden sich daraus ergeben? Sicher diejenigen, die wir vermeiden wollen; gerade das Gegenteil von dem wird entstehen, um dessen Wert ich mich, auf Deine Bitten, zum Hehler eines furchtbaren Vertrauensmißbrauchs machte! Sei ehrlich! Sei wahr gegen Dich selbst! Habe ich nicht Recht?«

Manja war totenblaß geworden. Sie riß an den Spitzen ihres Aermelkragens, und ihre Hände arbeiteten unruhig hin und her.

Plötzlich fiel sie an mir nieder. Ihr Körper zitterte und zuckte, und ihr thränenüberströmtes Gesicht war entstellt.

»Grausames Schicksal!« schluchzte sie so laut, daß es durch das Zimmer gellte und ich ängstlich abwehrend mich zu ihr hinabbeugte. »Ich kam her mit den Absichten einer Heiligen, und schon ist alles teuflisch in mir verwandelt! Ja, Du hast Recht! Ich fühle es, daß Liebe, tiefe, leidenschaftliche Liebe keinen Zweiten neben sich erträgt! Der stolzeste Baum wird erdrückt, wenn man ihm sein Wachsthum beengt; jedes Ding in der Natur will sein Recht und seinen Raum für sich zum Gedeihen. Ich bin eifersüchtig auf diese Frau, die Deine Liebe nicht verdient! – Und doch, Detlef! Verlaß mich nicht. – Ich werde mich überwinden; ich darf, ich will mich nicht nach dem ersten Widerstand ergeben, dann wäre ich meiner selbst, Deiner nicht wert. – – Ich verspreche es Dir, ich will geduldig sein, ich will alles ertragen; nur nicht wieder fort von hier! Wisse, muß ich dieses Haus verlassen, verlasse ich auch diese Erde, die ein grausamer Gott schuf. Er wußte selbst nicht, was seinen Geschöpfen Not that. In eine rauhe, wechselnde, ungesunde Natur setzte er Menschen mit so zarter Beschaffenheit, daß sie nur ängstlich bedacht sein müssen, dem grinsenden Sensenmann zu entgehen.

Er gab seinen Geschöpfen göttliche Eigenschaften, Aufopferung, Sanftmut, Duldsamkeit, Mitgefühl – und Liebe, aber ebenso dawider streitende Mächte, die sie an sich und ihren Nebenmenschen täglich bekämpfen müssen! Mit der Geburt erhebt schon die Hexe Qual ihr Haupt und läßt nicht ab, bis sie das gefolterte Menschenkind zu Tode gehetzt hat! Ist das eine vollkommene Welt? – Ist das ein barmherziger Schöpfer, der sie schuf?«

»Versündige Dich nicht, Manja!« rief ich, mitleidig von ihren Worten ergriffen und ohne Ausweg für diese Fülle von Schmerz und Jammer. »Komm, erhebe Dich!« fuhr ich, trotz meiner durch diese Unterredung nunmehr unabänderlich gefaßten Entschlüsse, fort.

»Wir wollen verständig überlegen, nichts übereilen und morgen weiter sprechen. Es ist spät, – unser ferneres Zusammensein ist gefährlich – verderblich –«

»Nein, nein, laß mich bleiben! Ich bitte, ich beschwöre Dich –« flehte sie erregt, ging unruhig auf und ab, und marterte sich wegen meiner Worte.

In diesem Augenblick – es schauderte durch meine Glieder, denn es war wie der grausenerregende Mahnruf, der einst im Schloßhof Macbeths Ohr traf – schlug es mit heftigen Schlägen an meine Thür und – die Stimme meiner Frau rief kreischend:

»Detlef, Detlef!«

Was war das? Wir standen wie erstarrt. Rasch löschte ich die Lichter, faßte Manjas Hand, horchte, suchte gleich ihr den Athem zu dämpfen, das laute Klopfen meines Herzens zu unterdrücken, das vernehmlich durch die unheimliche Stille klang. – Und dann riß abermals dieselbe Hand an dem Thürgriff, rüttelte, daß sie in ihren Angeln bebte, daß es schreckhaft durch die friedlich ruhenden Hausräume klang.

Ich schwankte, ich vermochte im Augenblick keinen Entschluß zu fassen. Die Gedanken schwirrten blitzartig durch mein Gehirn. Sollte ich mich schlafend stellen? Trotz des Lärms nicht öffnen? Aber was dann? Würde sich Thekla zurückziehen? Gewiß nicht! Was trieb sie an meine Thür, und wenn meine Ahnung die richtige war, was sollte aus alle dem werden? Ein seltsam banges Gefühl schlich durch meine Seele. Alle toten Dinge um mich her schienen plötzlich Mitwisser des Geheimnisses zu sein. Das lange spähende Verhängnis regte sich im ganzen Hause, saß mit gespensterhaftem Treiben lauernd in den dunklen Ecken, Winkeln und Vorhängen und wälzte seine unsichtbaren Schrecken auf mich. Endlich raffte ich mich entschlossen empor. Ich rief mit träger, verschlafener Stimme ein »Na, was soll's? Wer ist da?«, drängte gleichzeitig Manja in mein Schlafzimmer, warf eilig Rock und Weste in eine Ecke und – öffnete.

Was ich sah, war entsetzlich! Aber ich sah es auch nur für einen Augenblick, denn Schrecklicheres verschlang der nächste. In wahnsinniger Wut, im Nachtgewande, mit dem Licht in der Hand, stürzte Thekla an mir vorüber ins Nebengemach. Und dann ein grauenhafter Schrei – ein Kampf – ein Würgen! – Meine Frau – sie war irrsinnig – tobsüchtig, und doch, mit dem furchtbaren Instinkt der Geisteskranken ausgerüstet, hatte Manjas Hals umkrallt und suchte sie zu erdrosseln. Ich war im Nu an ihrer Seite und bot alle meine Kräfte auf, die verzweifelt Ringenden zu trennen.

Als ich Manja unter größten Anstrengungen endlich befreit hatte, fiel sie gegen den Tisch, auf den die Rasende das Licht gestellt hatte. Dieses stürzte herab und verlöschte, und nun rang ich mit meiner Frau im Dunkeln, die mich anschrie, nun auch meinen Hals umkrallte, und dabei in abgerissenen Worten die gräßlichsten Verwünschungen ausstieß: »Ehrloser!« kreischte sie. »Ehrloser! Mein Kind – mein Kind! – Hier ist die Falsche – – der Teufel – die Gräfin – Sie ist es – die Elster – Hörst Du es, Verruchter? Manja Sternberg – Ha, ha!«

Ich bändigte sie trotz verzweifelter Gegenwehr und schloß ihr, grausenerfüllt durch die Ausbrüche furchtbarster Raserei, den Mund. Aber sie wütete fort, riß sich mit unmenschlicher Kraft noch einmal empor und ächzte endlich bezwungen, und von der Macht des Irrsinns auf Sekunden erlöst: »Detlef – Detlef – höre mich – höre mich« – Dann sank sie tonlos zu meinen Füßen nieder.

Und nun eilte auch die Dienerschaft, mein Schwiegervater und meine Mutter, wie erstarrt von dem Anblick, herbei und bestürmten mich mit Fragen. Ein schrecklicher Gedanke marterte mich, während ich neben meiner Frau kniete und Grausen meine Seele erschütterte. Was war mit Manja? Ich schaute mich um; sie lag in ohnmächtiger Erschöpfung auf meinem Bett und athmete schwer wie eine Sterbende.

Ich aber fiel wie gebrochen über den Körper meiner Frau, die wie eine Leiche vor mir ausgestreckt lag.

*

So ward mein Glück erbarmungslos vernichtet. Jahre sind seitdem verflossen; ich bin ein ernster, sehr ernster und stiller Mann geworden, und wenn nicht eine Heilige – meine Mutter – in meiner Nähe gewesen, wenn ich nicht aus dem unerschöpflichen Quell ihres Herzens immer Liebe und neuen Trost zu schöpfen vermocht hätte, mir wäre das Leben eine unerträgliche Last geworden. Und es war noch nicht genug der Prüfungen und schmerzlichen Eindrücke während meiner Ehe, – noch eins, das mit den früheren Ereignissen im engsten Zusammenhange stand, sollte mir nicht erspart bleiben.

Der heilige Festabend war ein grausamer Spott auf Glück und Freude. Meine Frau, die nach dem Anfall von Tobsucht ängstlich bewacht werden mußte, verfiel später in einen stillen, unheilbaren Irrsinn. Bis zum heutigen Tage habe ich keinen sicheren Anhalt, was sie bewog, in jener Nacht das Zimmer zu verlassen und – das war offenbar – an dem meinigen zu horchen.

Immer von neuem beschäftigten mich Anlaß und Umstände. Sollte Unzer ihr in Paris Mitteilungen gemacht haben? War er mir damals absichtlich auf meine Frage ausgewichen, oder erspähte Thekla, nachdem ihr Argwohn erregt, mit lauerndem Tasten, daß ein früheres, engeres Band mich mit Manja verknüpfte? Nein, Unzer war zu edel, um mich einer Laune halber bloßzustellen, oder gar einen Racheakt auszuüben! Es schien mir undenkbar, daß er Vorgänge zur Sprache gebracht hatte, deren bloße Erwähnung er mir untersagte.

Es blieb also nur die Wahrscheinlichkeit, daß ihre krankhafte Vorstellung, durch Eifersucht genährt, sich verschärft hatte, daß ihre Geistesverwirrung, nicht planvolles Überlegen, sie an meine Thür getrieben, daß der Name Manja nur ein Rückhall dessen war, was beim Horchen an ihr Ohr schlug, daß er ihr entfuhr im Anfall des Wahnsinns, ohne Anknüpfung an früheres.

Und dennoch! So schnell, so furchtbar sollte sich ihr Geist umnachtet haben, ohne tieferen Anlaß? War es nicht doch möglich, daß sie alles wußte, aus Zartsinn, zu Ehren eines gegebenen Wortes schwieg, dann argwöhnte, plötzlich Gewißheit empfing, und nun, zerschmettert von der Entdeckung, in eine Raserei verfiel, deren Keime schon in ihr ruhten?

Ich befragte die Zofe und ließ sie mir berichten, was sie in den letzten Wochen an Thekla beobachtet hatte. Sie wich anfänglich aus, sie mochte wohl fühlen, daß ihre Antworten mich peinlich berühren mußten. Als ich aber darauf bestand, unumwunden zu sprechen, kam es zögernd heraus.

Sie habe meine Frau schon lange als eine Geisteskranke angesehen, äußerte sie. Ihre Gedanken wären stets bei ihrem Kinde gewesen oder bei mir, bei mir aber nur, wenn sie die Eifersucht gequält habe.

Einmal – in der Nacht – im Traume – habe sie sich in großer Erregung befunden und mich eines Einverständnisses mit dem Fräulein beschuldigt. Aber sie sei zugleich Kläger und Verteidiger gewesen, denn sie habe zugestanden, daß ihr jeder Vorwand fehle. Nur eine Ahnung, daß dem so sein müsse, habe sie beherrscht.

Jedes Mal habe sie eine heftige seelische Unruhe erfaßt, wenn ich mit jener auch nur gesprochen, und stets habe sie wohl gewußt, wenn ich mich in meinen Gedanken mit Manja beschäftigt habe.

Nun verstand ich auch Theklas Aufregung am ersten Abend, an dem die Zofe sich an mein Zimmer flüchtete. Ihr Inneres war mit mir verwachsen, ihr ahnender, gleichsam unsichtbar mich umgebender Geist hatte meine Gedanken erraten, so daß ihm nichts verborgen blieb, was mein Innerstes bewegte. Und doch kam nie eine Silbe über ihre Lippen.

Als ich am ersten Weihnachtstage neben ihr saß und mit zerrissenem Herzen auf sie einredete, blickte sie mich an, als ob sie mich nie gesehen habe, selbst ihren Vater erkannte sie nicht, und nur meiner Mutter Wangen streichelte sie und flüsterte: »Mein süßer Detlef!« Ich werde den Ausdruck des Schmerzes nie vergessen, der in den Gesichtern dieser mir so teuren Menschen aufzuckte. Aber die Qual, die ich um jene empfand, war nur ein schwacher Abglanz gegen die Martern, die mein Inneres sonst durchwühlten.

Alle Ärzte, die wir zu Rate zogen, erklärten den Zustand meiner Frau für hoffnungslos und drangen in uns, sie einer Anstalt zu übergeben. Sie ließ alles geschehen, denn ihr Geist war völlig umnachtet.

Eine Stunde vor ihrer Abreise an diesen traurigen Ort faßte mich eine Art Verzweiflung. Ich stürzte auf ihr Zimmer, warf mich vor ihr nieder, küßte ihre Hände, rief ihren Namen, erinnerte sie an den meinigen, schrie endlich in meinem Seelenschmerz: »Wache auf, wache auf! Ich bin es, den Du liebst, der nur den einzigen Gedanken auf der Welt hat, mit Dir glücklich zu sein«, und sie – legte die Finger an die Unterlippe und machte ein albernes Geräusch mit dem Munde, wie es die Kinder treiben. Dann lachte sie irrsinnig ins Leere.

»Barmherziger Christus!« rief ich. »Wecke sie auf. Einst löstest Du die Umnachtung der Seele eines armen Kranken, wie uns die Schrift erzählt. Lasse auch hier ein Wunder geschehen! Habe Mitleid mit meinem Schmerz und meiner Verzweiflung.« – Nichts! Dahin!

Herr von Barca wurde in wenigen Wochen ein Greis. Das Schicksal schlug seinem Herzen eine Wunde, an der er langsam zu Grunde ging. Meine Mutter erhielt jenes ernste, furchterregende Auge, dessen ich mich noch aus meiner Knabenzeit erinnerte, und das mich traf, wenn ich ein Unrecht begangen hatte. Monatelang sah ich sie nicht einmal lächeln.

Und Manja? Manja lag fast eine Woche krank darnieder. Sie war so verändert, daß sie kaum wiederzuerkennen war. Dann raffte sie sich auf, bat meinen Schwiegervater, ihn verlassen zu dürfen, nahm sich selbst die Zustimmung, als er zögerte, sie zu gewähren, und war eines Morgens abgereist, ohne daß wir den völligen Ernst ihrer Absicht erkannt hatten.

Wenn noch etwas meinen Seelenzustand zu verschlimmern vermochte, so war es das Schreiben, das mir am nächsten Tage ein Bote überreichte. Es liegt vor mir und ich teile seinen Inhalt hier wörtlich mit:

»Lieber Detlef!

So oft mein Geist dieser Tage einmal klarer ward, beschäftigte mich nur ein einziger Gedanke: die Qual, noch zu leben. Nicht wahr, entsetzlich muß es in dem Innern eines Menschen aussehen, wenn ihn in lichten Momenten seiner Krankheit nicht der holde Lebensrausch, nicht die Hoffnung auf Wiedergenesung durchdringt, sondern ihn nur das Gefühl einer unerträglichen Bürde belastet! Nach langen, langen Jahren tauchte das Bild meines Vaters wieder vor mir auf, den ich nur als einen sorgenvollen Mann kannte. Er sprach mit mir und winkte mich an seine Seite. Ich sah etwas in seinem Auge, das mein Herz zerschmolz, – es war unendliche Liebe und Mitleid. Eine Sehnsucht, die sich mit irdischen Dingen nicht zu verknüpfen vermag, erfüllte mich. Meine Seele abzulösen aus der Hülle, in die ein wohlmeinender Schöpfer sie einschloß, durchfieberte mich, und nach neugewonnener Kraft, meinem Leben ein Ende zu machen, war mein einziges Sinnen und Denken. Du fragst, weshalb? Nein! Das fragst Du mich nicht! Aber Du schlägst mir die Schrift auf, die dem Menschen verbietet, selbst die Wege des Schöpfers zu durchkreuzen. Nun, ich will Dir antworten. Alle, alle diese klugen und sanftmütigen Geschöpfe, die vernunftbegabt auf der Gotteserde umherwandeln, borgen aus dem Urquell alles Guten die göttlichste aller Eigenschaften, die Barmherzigkeit, nur für sich. Siehst Du nicht die vornehme Miene der Entrüstung in ihren Zügen, wenn sie den Nächsten verdammen? Nein, Detlef, Barmherzigkeit wohnt nur in einer Brust, in der weiten, unendlichen Seele Gottes, denn er übt sie in seiner unermeßlichen Liebe an allen. –

Und so gehe ich – ausgestoßen von meinen Brüdern und Schwestern – o falscher Name! – zu dem Höchsten zurück, und erflehe seine unendliche Gnade. Siehe! sie lächeln, daß ich an seine Liebe glaube, weil ich fehlte! – Aber wenn sie fehlen, möchten sie in die unergründlichsten Tiefen seiner göttlichen Barmherzigkeit tauchen!

Lebe wohl! Nur eines war hold und schön auf dieser Welt, auf der ich, mit der ganzen Inbrunst nach Liebe und Verständnis, das Glück suchte. Es war die Zeit meiner Kindheit, sie, in der ich in jeder blühenden Blume ein Geschenk des Himmels zu erkennen glaubte, während mich das Leben lehrte, daß in den Kelchen so vieler betäubendes Gift schlummert. – Diese und die wenigen Tage, in denen ich, wenn auch im Bangen des schnell schwindenden Glücks, an Deiner Seite atmete, – waren köstlich. – Ich habe nur einmal geliebt, ich liebte Dich!

Nochmals, lebe wohl! Gedenke mein! Frage jetzt nicht, wo mich die Erde decken wird. Wenn ich tot bin, wirst Du es erfahren. Vergieb den Kummer, den ich Dir bereitete, sei glücklich! – Nacht, Finsternis, Qual! Ah! welche Zauberworte gegen das, was bei diesem letzten Lebewohl durch meine Seele zittert – –

Manja.

*

Auf dem einsamen Kirchhof einer kleinen Stadt liegt Manjas Grab. Wenige Wochen später, nach Empfang dieses Briefes, legte ich einen Kranz auf den Hügel, der ein Wesen deckte, das durch seinen Charakter sein Schicksal entschied. Darf ein Mann weinen? Ja, ein Mann darf weinen, wenn ein treues Herz von ihm Abschied nimmt, denn unerschütterliche Anhänglichkeit ist eine der großen schimmernden Perlen, die so selten sind, daß man sie unter den unermeßlichen Schätzen der Welt gar leicht zählen kann.

Wie oft fragte ich mich, ob ich die Schuld trage, daß so viele Menschen, daß ich selbst so namenlos unglücklich geworden sei? Nie glaubte ich mich entlastet, und doch sah ich um mich so viel Unrecht, so viel Thorheit, so viel Vergehen, daß ich meine jugendliche Verirrung, die ich ehrlich zu bekämpfen und zu sühnen gesucht, als kein Verbrechen betrachten durfte. –

Und die Zeit wanderte vorwärts mit hellen und dunklen Tagen, mit erfüllten und zerstörten Hoffnungen, mit Glück und Unglück, mit all ihrem Wechsel, aber ich fand nichts überraschend, nichts gerecht und nichts ungerecht; ich kannte das Leben! –

Nachdem geordnet war, was diese grausame Zeit an Anforderungen erhob, nachdem ich mit meiner Mutter auf unseren Familiensitz zurückgekehrt war, und mein Schmerz sich soweit besänftigt hatte, daß ich anderen Dingen meine Aufmerksamkeit wieder zuzuwenden Neigung fand, nahm ich den alten Gedanken auf, am öffentlichen Leben teilzunehmen.

Ich erhoffte einen Ersatz für mein gestörtes Glück, zum mindesten eine Ablenkung meiner Gedanken von den traurigen Ereignissen.

Ich ward in meiner Gegend als Abgeordneter aufgestellt, ward gewählt, und war oft monatelang in der Residenz. Dann brach plötzlich der Krieg aus und ich ging als Offizier nach Frankreich.

Das Bewußtsein, meine Schuldigkeit zu thun, den Anforderungen an der Stelle gerecht zu werden, an der mir der König einen Platz angewiesen, die Begeisterung für die gute Sache, drängten die alten schmerzlichen Empfindungen bei Seite, – mehr als jene Thätigkeit, in der ich, gegenüber einer weisen und besonnenen Regierung, die Unzulänglichkeit meiner mitberatenden Stimme nur zu sehr erkannte. Ich fing an, zu vergessen und gewann wieder etwas Freude am Leben. – Aufgaben, die mir im engeren Kreise zu erfüllen nicht bestimmt gewesen waren, fand ich im weiteren Sinne jetzt. Aber ich schätzte, von der Auffassung beseelt, in dem Leben lediglich die Ausübung einer dem Menschen auferlegten Pflicht zu erkennen, auch mein Dasein nicht eben hoch. Wo sich Gefahr zeigte, hatte es einen Reiz für mich, sie zu bestehen, und die größten Anstrengungen und Entbehrungen nahm ich ohne langes Bedenken hin.

Je tieferen Seelenschmerz ich empfunden hatte, je gestählter war ich gegen alle äußerlichen Dinge. Bei Orleans traf mich eine Kugel, die meine Überführung in das Lazaret von Etampes notwendig machte. Ich lag monatelang schwer darnieder, und wieder war es meine unvergleichliche Mutter, die auf die Kunde von meiner Verwundung herbeieilend, mit unbeschreiblicher Selbstverleugnung mich pflegte und dem Leben zurückgab.

Nach einigen Jahren reiste ich nochmals nach Paris. Eine stille Sehnsucht trieb mich an die Plätze zurück, an denen ich damals so glückliche Tage mit meiner unvergeßlichen Frau verlebt hatte.

*

Während dieses Aufenthaltes besuchte ich auch das Musée de Cluny, das Thekla und mich bei unserem ersten Aufenthalte in Paris besonders angezogen hatte. Draußen in dem kleinen, reizenden Gärtchen, der das eigenartige Gebäude umgiebt, hatte der Frühling sich mit seiner ganzen Lieblichkeit eingenistet. Nirgend schien mir das Grün der Bäume so frisch, nirgend wirkte die Natur mit ihrer demütigen Schönheit so auf mich ein, wie an diesem stillen Fleck Erde. Zu dieser Naturempfindung trat jene eigentümlich gehobene Stimmung, die sich unserer bei Kunstgenüssen zu bemächtigen pflegt, und diese verwandelte sich in ein Gefühl halb freudiger, halb ängstlicher Spannung, als ich mich nach beendigter Besichtigung dem Ausgang zuwandte.

Während ich die Treppen hinabstieg, streiften mich ein Herr und eine Dame, die mein Interesse aufs lebhafteste in Anspruch nahmen. Die Ähnlichkeit der letzteren mit – Columba war so groß, daß ich, dem ersten Andrange meines Innern folgend, stehen blieb, mich rasch umwandte und eine Bewegung zum Grüßen machte.

Aber der Mann an ihrer Seite war mir vollkommen fremd, und sie war mit einem so flüchtig gleichgiltigen Blick an mir vorübergeschritten, daß ich mich doch getäuscht zu haben glaubte. Ich überlegte. Wie sollte auch Columba nach Paris gekommen sein! Wußte ich sie doch unverehelicht, in stiller Einsamkeit, bei ihrer Großmutter. Und dennoch ließ mich der Gedanke nicht, dennoch trieb es mich, noch einmal in die Nähe beider zu gelangen und mir Gewißheit zu verschaffen.

Unter solchen Eindrücken und Gedanken wanderte ich draußen auf und ab und wartete, bis die Fremden sich wieder entfernen würden. Aber die Zeit verrann, niemand kam; endlich ernüchterten sich meine Vorsätze, und schon war ich im Begriff, den Garten zu verlassen, als jene unerwartet mit raschen Schritten aus dem Gebäude traten, einen Wagen herbeiwinkten und, ehe ich recht zur Besinnung kam, in diesem davonfuhren.

Den ganzen Tag beschäftigte mich dieses Zusammentreffen ausschließlich. Die vergangenen Zeiten tauchten vor mir auf, in denen ich noch mit berechtigten Hoffnungen in der Welt stand und mir meinen Himmel vergoldete.

Als ich dann nach einem einsamen Spaziergange mein Hotel erreichte, fand ich zwei Briefe vor. Der eine war von meiner Mutter, der andere von dem Arzte, der meine Frau behandelte. Ich öffnete zunächst den ersten. Ich fand es selbst unnatürlich, aber es drängte mich, gerade heute etwas Gutes, Freundliches zu hören; ich wußte ja, daß das andere Schreiben Dinge enthielt, die meine Gedanken nur verdüstern konnten.

Die Zeilen meiner Mutter kamen aus Aschdorf. Sie berichtete, daß dort und auf unseren Gütern alles nach Wunsch gehe, daß aber mein Schwiegervater immer ernster, düsterer und menschenscheuer werde, auch seine Kräfte im Abnehmen seien. »Ach, Detlef! Ihr fehlt uns, fehlt uns jeden Tag, jede Stunde!« hieß es am Schluß. »Zuviel war es einst des Glücks, um es in seinem ganzen Umfange von dem Schicksal zu beanspruchen. Und doch, ich darf nicht einmal klagen! Ich habe ja Dich, mein geliebter Sohn, und Lolo, und ich bete jeden Tag zum Himmel, daß Ihr mir erhalten bleibet!«

Ernst und gedankenvoll legte ich das Schreiben bei Seite und öffnete das nächste. »– – Trotz dieser wenig tröstlichen Nachrichten,« hieß es in diesem, »ist die Kranke, wie immer, ruhig und geduldig und spricht in rührenden Worten mit ihrem Kinde, das sie stets in ihrer Umgebung zu erblicken glaubt. Nur, wenn die Wärterin sie verläßt, wird sie wohl einmal bewegt und weint, und auch in den Nächten quälen sie noch bisweilen dieselben Traum-Visionen, deren Gegenstand Sie kennen.

Wir dürfen uns der Thatsache nicht verschließen, daß es noch jahrelanger Seelenruhe bedürfen wird, um wieder Hoffnungen zu schöpfen, die ich aber, sehr geehrter Herr Graf, doch nicht ganz aufgebe."

Selbst Angesichts des sicheren Todes klammert sich der Mensch noch an Hoffnungen, unzertrennlich sind seine Gedanken vom Glück, dem weise verteilten Geschenk des Schöpfers. Aber auch keinen größeren Wert hatten die Worte des Arztes in meinen Augen. Ich erwartete nichts mehr! – –

*

Acht Tage später besuchte ich die große Oper. Nach einem der Aktschlüsse begab ich mich ins Foyer und schaute in das Gewirr der Menschen, die lebhaft schwatzend unter den flimmernden Kronleuchtern einherschritten. Und da sah ich abermals die Dame aus dem Musée de Cluny an dem Arme desselben Mannes. Sie sah sehr bleich und leidend aus, sie glich jemandem, der eine schwere Krankheit überstanden, an dem ein schleichendes Uebel an der besten Lebenskraft zehrt.

Und augenscheinlich überkam sie gerade in diesem Augenblick ein Unwohlsein, denn ihr Begleiter neigte sich ängstlich besorgt zu ihr herab und geleitete sie an einen Ruheplatz. Ich stand in der Ferne und beobachtete sie. Ja, es schien mir zweifellos, dieses zarte Wesen mit dem kranken Ausdruck in den Zügen, mit der sanftergebenen Miene einer Dulderin – war Columba.

Sie hatte sich verändert, der Frühling ihrer Jugend war dahin, aber immer umgab sie noch der eigene, mädchenhafte Hauch ihrer Jugendjahre, und seltsam drängte es bei ihrem Anblick durch meine Brust.

War das sanftblickende Wesen, das drüben vor mir auftauchte, nicht die, welche einst auf ihre Liebe verzichtete, und doch einen Schwur leistete, nie einem anderen Manne anzugehören?

Ich vermochte nicht, über Geschehenes ohne innere Erregung hinwegzugehen, weil daran nun einmal nicht zu ändern, ich gehörte nicht zu denen, die Menschen und Verhältnisse wie die Luft betrachten, welche sie ein- und ausatmen, ohne daran zu denken, daß in jeder Sekunde ihre Lebensbedingung an diese geknüpft ist. Nein! Ich glaubte an eine Zusammengehörigkeit aller Guten.

Ein zehrendes Gefühl wogte in mir, zu hören, ob Columba glücklich sei, was sie treibe, was sie vom Dasein erhoffe, ob sie meiner noch bisweilen gedacht habe.

Viele Menschen hatte ich auf meinem Lebenswege gestreift. In Columba bewunderte ich die vornehme Gesinnung und Denkungsart, gepaart mit jener Selbstlosigkeit, die sich nicht genügt, nur das anderen zu leisten, was Sitte oder äußerer Schein vorschreiben. Es war deshalb nichts erloschen von den sanften Gefühlen, die ich ihr einst entgegengetragen hatte. Ein unbeschreibliches Verlangen trieb mich, ihr gegenüberzutreten, ihr ins Auge zu schauen, den Klang ihrer Stimme wieder zu hören und von dem Zauber ihres Wesens berührt zu werden.

Aber auch diesmal wurden meine Absichten vereitelt. Als ich mich im Theater umschaute, vermochte ich die Fremden nirgend zu entdecken, und beim Schluß der Vorstellung stand ich vergebens, bis der letzte Theaterbesucher die Stufen der großen Oper herabschritt. Sie mußten schon vorher das Haus verlassen haben.

Ich ließ nun nicht nur den Zufall weiter sorgen, stellte vielmehr Nachforschungen an, durchblätterte die Fremdenlisten, erkundigte mich auf den Bureaux der Polizei, guckte in die Theater, und eilte an Orte, an denen Paris besuchende Fremde zu verkehren pflegen. Aber alles war vergeblich; ich fand keine Spur und mußte zuletzt die Versuche aufgeben.

Eine Reise in die französische Schweiz führte mich, nachdem ich eine Zeitlang in Genf geweilt hatte, nach Bex. Hier mietete ich mich, angezogen von dem eigentümlichen Reiz der Gegend, für einige Wochen in einer guten und behaglichen Pension ein, und machte, neben täglichen Ausflügen, noch Spaziergänge nach dem höher gelegenen Bade.

Eines Nachmittags, als ich den Ort durchstreifte, bemerkte ich einen fremden Herrn, der erst eingetroffen sein mußte, jedenfalls aber unter den Gästen bisher von mir nicht bemerkt worden war. Als er mir näher trat, erkannte ich zu meinem nicht geringen Erstaunen, aber auch zu meiner freudigen Ueberraschung in ihm dieselbe Persönlichkeit, die ich in Paris vor Monaten an der Seite jener Dame bemerkt hatte, die ich für Columba hielt. Ich wollte endlich Gewißheit, überwand die Scheu, redete ihn höflich an, und erhob einige Fragen, durch die ich den geheimen Zweck einer Annäherung zu erreichen hoffte. Wir kamen auch in ein lebhaftes Gespräch und trennten uns erst nach einem längeren, gemeinsamen Spaziergang. Am nächsten Tage begegneten wir uns abermals und fanden so großes Gefallen aneinander, daß wir einen gemeinsamen Ausflug verabredeten, sofern der Zustand der Tochter meines neuen Bekannten, die seit Ankunft leidend und bettlägerig gewesen, kein Hindernis biete. Der Fremde bewahrte trotz aller Zuvorkommenheit im Verkehr doch eine gewisse ernste Zurückhaltung, und ich sah deshalb keine rechte Gelegenheit, ihn um seinen Namen zu bitten, oder ihm den meinigen zu nennen.

Daß es Columbas Vater sei, schien mir erwiesen, aber da neugieriges Ausforschen mir nicht eigen war, blieb ich zunächst noch im Ungewissen.

Endlich löste ein Billet, das ich empfing, meinen Zweifel. Ein junger Bursche, der bei meiner Wirtin nach mir gefragt, hatte es gebracht.

Eine seltsame Unruhe bemächtigte sich doch meiner, als ich den Namen Zyritz las, und sie nahm zu, als ich den Inhalt des Briefes durchflog, der also lautete:

»Geehrtester Herr! Ich bedaure aufrichtige Ihnen absagen zu müssen. Meine Tochter, die seit einigen Tagen das Bett bereits verlassen hatte, ist heute Nacht erkrankt. Ich hoffe, Ihnen noch im Laufe des Tages persönlich aufzuwarten und, so Gott will, auch Besseres berichten zu können.«

Ich machte mich sogleich nach der Wohnung auf, um durch Abgabe einer Karte meine Teilnahme an den Tag zu legen. Zugleich leitete mich der Drang, etwas Näheres über Columba zu erfahren, deren Krankheit mich sehr beschäftigte und beunruhigte.

Es gelang mir, Herrn Dr. von Zylitz zu sprechen, und fortan war ich, zumal der Kranken Zustand sich nicht verbesserte, täglich in seiner Nähe. Ich eröffnet mich ihm an jenem Tage, und wir wurden nach kurzer Auseinandersetzung Freunde und Vertraute.

Er war nach Europa gekommen, um Columba zu sehen, und mit ihr zur Stärkung ihrer angegriffenen Gesundheit eine längere Erholungsreise anzutreten. Von neuen Eindrücken, von veränderter Luft und anderer Lebensweise erhoffte er das Beste. Nun hatte sich seine Tochter, der es bereits besser zu gehen schien, in der kalten Atmosphäre einer Bergpartie eine starke Erkältung zugezogen, und neben Fieber trat ein ängstlicher Husten auf, der den Vater mit großer Sorge erfüllte.

Wir überlegten, ob Columba mich bei ihrem Zustande überhaupt sehen dürfe. Mein wohlwollender Freund entschied sich dafür, nachdem er seine Tochter auf meinen Besuch vorbereitet hatte. Und ich sah sie, ich sah sie noch einmal wieder. In einem luftigen, sauberen Gemach der Pension lag sie, der ich mich nach langen Jahren wieder zu nähern, so sehr gesehnt hatte. Draußen schlief heißer, regungsloser Sonnenschein. Durch das geöffnete Fenster schaute ich in den Garten, in dem die Obstbäume, – gleichsam ausruhend nach dem schwellenden Drängen, das ihre Knospen durchbrochen hatte, – in verzauberter Trägheit schliefen. Reizvoll hoben sich ihre schneeigen Gewänder von dem übrigen Grün und dem Blau des Himmels ab.

Ein sanfter Hauch drang herein; am Fenster zwitscherte ein kleiner vergnügter Vogel; das Summen der Bienen erfüllte die Luft, und allerlei unsichtbare Musik aus der heißen Stille draußen ließ das schattige, durch helle Tapeten, und weiße Vorhänge mit sanfterem Licht erfüllte Gemach wie einen heiligen Raum erscheinen.

Als ich ins Zimmer trat, schlug Columba, die auf einem Sopha gebettet war, die Augen empor. Ihre hektischen Wangen röteten sich stärker, aber sonst machte sich keine Erregung bemerkbar.

Sie streckte die Rechte aus, richtete einen fast überirdischen Blick ihrer glänzenden Augen auf mich und sagte mit ruhiger Stimme, ohne Ueberraschung:

»Willkommen, Graf Rauch! Herzlich willkommen! Wie freue ich mich, Sie wiederzusehen, zu erfahren, wie es Ihnen geht nach all dem furchtbaren Leid, das über Sie gekommen, und von dem mir mein Vater erzählte –«

Ich neigte mich herab und küßte ihre Hand. Ich begriff nicht, daß sie so ruhig zu sprechen vermochte. Fast unnatürlich schien es mir nach allem, was zwischen uns lag, nach Dingen, die ihr ganzes Lebensglück beeinflußt hatten. Ich sah sie an, während wir redeten. Ja, die Jugend war dahin, aber nicht die bezaubernde Holdseligkeit! Eine stille Blässe lag auf ihrer Stirn, und noch mehr auf diesen kranken, schmalen Händen. Alles war durchsichtig und zart; und noch immer fand ich in ihren Mienen denselben Ausdruck von sanftem Ernst und rührender Bescheidenheit.

Ich nahm einen Stuhl und setzte mich ihr gegenüber, wiederholte, anfangs nur allzu befangen, Fragen, die ich bereits an ihren Vater gerichtet hatte, und ließ mir zuletzt von der Reise und von den auf dieser gewonnenen Eindrücken erzählen. Als wir Dinge und Gegenstände berührten, die uns beide interessirten, als sich dabei ihre Stimme hob und sie durch größere Lebhaftigkeit ihren Empfindungen Ausdruck verlieh, winkte Herr von Zylitz, der stumm neben uns gesessen und mit einem wehmütigen, fast traurigen Blick uns zugeschaut hatte, seiner Tochter, sich nicht zu sehr zu erregen.

»Du darfst nicht so viel sprechen, Columba – Sie verzeihen, Herr Graf –«

Ich wollte mich erheben, aber sie bat mit einem sanften Blick, daß ich noch bleiben möge.

»Wer weiß, Graf Rauch, wie bald wir uns einmal wiedersehen – und noch hörte ich nichts von Ihnen – Ich sprach nur von mir – von gleichgiltigen Dingen – Haben Sie – etwas bessere Nachrichten von Ihrer Frau –«

Sie überwand die Qual, die ihr die Frage bereitete.

Mit ihrer Selbstlosigkeit drängte sie alles zurück, was mich durch Verschweigen hätte peinlich berühren können, was vielleicht den Gedanken in mir aufsteigen ließ, als habe sie nicht längst vergeben, als beschäftige sie etwas anderes denn mein Schicksal.

»Die Berichte lauten leider immer gleich traurig«, sagte ich. »Die Hoffnungen, die der Arzt an die Wiedergenesung meiner Frau knüpft, sind so verschwindend, daß er sie mir gegenüber nur zum Troste ausspricht. Ich habe mich in mein Schicksal gefunden, ich muß mich ja darin finden –«

Wir schwiegen beide eine Weile.

»Und trat dieser traurige Zustand ganz plötzlich ein, Graf Rauch?" hob sie nun vorsichtig, gleichsam tastend sprechend, an, um durch sanfteren Uebergang mir die Erinnerung weniger fühlbar zu machen. »War es der Tod des kleinen Knaben?«

Während sie fragte, trat Manja vor meine Seele, sie, die unser friedliches Glück zerstört hatte, durch deren Eintritt in mein Leben alles sich gewandelt und das Schicksal so unerwartete, seltsame Wege eingeschlagen! Wenn Columba geahnt hätte, was alles geschehen – –

Es flog durch meine Gedanken, bevor ich ihr antwortete, dann neigte ich den Kopf und bestätigte durch diese Bewegung ihre letzte Frage.

Und da wohl ein sehr ernster Ausdruck auf meinem Gesicht lag, traf mich ihr mitfühlender, ihr inniger Blick, der mein Inneres erbeben machte.

Ich erhob mich.

In demselben Augenblick färbte eine unheimliche Blässe ihre Wangen, und sie sank, trotz sichtlichen Widerstrebens, auf die Kissen zurück.

»Verzeihen Sie,« flüsterte sie, »daß ich so willenlos bin – mich so gehen lassen muß – Vergeben Sie, daß ich Ihnen durch meinen Anblick nun auch – auch noch Kummer bereite – –«

Diese leise gesprochenen Worte klangen so rührend, und die silbernen Punkte, die sich nun in ihre Augen stahlen, erfüllten mein Herz mit so heißem Beben, daß ich, überwältigt von dem Adel ihrer Seele, mich herabneigte und einen zärtlichen Kuß auf ihre Hand drückte. Zu sprechen vermochte ich nicht. –

Noch einmal traf mich das Auge dieses Engels, dann wandte ich mich in Begleitung ihres Vaters zur Thür und sah sie nie wieder. – –

*

Seit jenem Tage sind viele, viele Jahre verflossen. Wie die Vorgänge in meiner Erinnerung stehen, habe ich sie niedergeschrieben, nichts verhehlt, nichts entschuldigt, am wenigsten meine eigenen Handlungen. Was in mir emporstieg während jener Zeit, und wie es sich in meinen Gedanken und Empfindungen gestaltete, versuchte ich wiederzugeben.

Früh ward mein Haupt grau, früh mein Sinn ernst, früher als die meisten erkannte ich, daß nur strengste Pflichterfüllung den Menschen glücklich zu machen vermöge.

Meine Frau fand nie ihr klares Bewußtsein wieder; ihre Seele blieb umnachtet; mein Schwiegervater unterlag erst in späteren Jahren den Gesetzen der Natur, aber legte sich mit dem Stachel des unvernarbten Schmerzes aufs Totenbett. Nur meine Mutter, selbst trostbedürftig, faßte sich mit ihrem starkem Geist und spendete mir alle Liebe und Teilnahme, die in ihrem unerschöpflichen Herzen Raum hatten. Selbst ein Mensch, verstand sie alles – Menschliche. Ich ward ein einsamer stiller Mann und bin es geblieben. Auch ich entschied durch meinen Charakter mein Schicksal.


 << zurück