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Meinen Schwiegervater führte, wie sich herausstellte, nicht nur Sehnsucht nach seinem Enkelkind in unser Haus, sondern ebenso sehr der Wunsch, uns allen, namentlich aber seiner vielgeliebten Thekla nahe zu sein. Er fühlte sich auf Aschdorf allzu einsam und erinnerte uns an unser Versprechen, einige Monate bei ihm zuzubringen. Natürlich erging auch an meine Mutter die Bitte, sich uns anzuschließen, und als sie zögerte, wurde er nicht müde, ihr in seiner gutmütig-launigen Weise auszumalen, welche Annehmlichkeiten ihrer dort warteten. Es ward auch beschlossen, nach dem Barcaschen Gute aufzubrechen, und Thekla machte sich schon für eine längere Abwesenheit bereit. Aber mitten in den Vorbereitungen ereignete sich etwas, das nicht nur unsere Pläne aufhob, sondern unserem ganzen Leben eine andere Richtung gab.

Der kleine Detlef, unseres Hauses Sonnenschein, erkrankte so heftig, daß keine noch so sorgfältige Pflege ihm zu helfen vermochte. Die klaren Augen wurden matt, das Lächeln – ach, dieses Lächeln, das uns einen Zaubergarten von Glück geschaffen hatte – verschwand, der kleine Körper magerte ab, die Händchen wurden welk und der Atem ging schwer. Es ist mir nur allzu lebhaft in der Erinnerung, mit welchen Empfindungen ich an seinem Bettchen stand, wie meine Seele vor Schmerz aufschrie! Die Nacht vorher war schlecht gewesen. Ernst, schwermütig, oft versteckt weinend, saß meine Frau an dem Lager ihres Lieblings und horchte auf seinen Schlaf. Mitunter nahm sie mit einem verzweifelnden Ausdruck das kranke Kind in die Arme und drückte es an sich, als ob es an ihrem jungen, lebensprühenden Körper genesen könne, – als ob ihr Atem ihm neuen Odem einzuflößen im Stande sei. Erst der Morgen brachte eine Änderung. Meine Mutter löste Thekla ab, und ihrer tröstenden Zusprache gelang es, meine Frau nicht nur zu beruhigen, sondern gar zu überreden, selbst der Ruhe zu pflegen.

Der Kleine war still, schlief meistens, und es schien, als ob der Höhepunkt der Krankheit überstanden sei. Aber mit dem sinkenden Tage stellte sich abermals ein heftiges Fieber ein, und die zuversichtliche Sprache des Arztes wich einem bedenklichen Kopfschütteln.

Ich zog ihn in mein Zimmer und bat um seine aufrichtige Meinung. Auch mein Schwiegervater folgte uns voll Besorgnis, und in seinem guten runden Gesicht standen blanke Thränen der Trauer.

»Ich fürchte, der Kleine wird die Nacht nicht überleben können,« erklärte der erfahrene Mann ohne Umschweife. »Es ist mir schmerzlich, es aussprechen zu müssen, aber diesem heftigen, fast rasenden Fieber vermag der ohnehin geschwächte Körper nicht ferner zu widerstehen. Neben den angewandten Mitteln noch andere zu versuchen, hieße – wenn die Natur selbst doch noch Kraft gewinnt – ihre Wege durchkreuzen wollen.«

Herr von Barca wandte sich still ab und ging, ohne ein Wort zu sprechen, auf sein Zimmer. Mich aber trieb es in banger Seelenstimmung ins Freie; ich eilte durch den dunkelnden Herbstabend in den Park. Der Wind sauste durch die Bäume und riß das letzte gelbgefärbte Laub wie im Zorn herab. Es raschelte auf meinem Gange unheimlich in den Wegen, es rauschte versteckt im Gebüsch. Am Himmel jagten sich schwarze Wolken und kämpften mit einem aufkommenden Regen; einzelne schwere Tropfen lösten sich bereits aus der finsteren Höhe.

Als ich nach längerem ziellosen Wandern zurückkehrte, tauchte das Schloß mit seinen hellerleuchteten Fenstern nicht wie mein trauliches Heim, sondern wie ein drohendes Haus der Sorge vor mir auf. Ich sah gleichsam durch die Mauern das ernste Angesicht meiner Mutter und die verzweifelnde Miene meiner Frau. Was nützte mir all mein äußeres Glück, wenn das beste dahingehen sollte, was ich besaß, das, was mir niemand ersetzen konnte! Ich war so traurig, so bedrückt, daß mir die ganze Welt reizlos und nichtig erschien. Jenes angstvoll quälende Gefühl, wie es uns allezeit vor den Schrecken des Unabänderlichen erfaßt, erfüllte auch meine Brust, und immer von neuem beschäftigten sich meine Gedanken mit dem Los der Meinigen.

Ich gedachte der Stunden, in denen unseres Kindes sanftes Schmeicheln, oder sein übermütiges Jauchzen unser Ohr traf. Der Kleine saß auf meinem Schoß. Mit seinem aufkeimenden Verständnis wog er meine heiteren und ernsten Mienen, die ich neckend wechselte, um der Wonne seines doppelt glücklichen Lächelns wieder teilhaftig zu werden. Er zerrte, eifrig nach Knabenart, an den Knöpfen meines Rockes; ich mußte ihm die Uhr ans Köpfchen legen, und er lauschte – welch ein bezaubernder Ausdruck von Spannung erschien in dem schuldlosen Angesicht – auf das geheimnisvolle Geräusch! Ich hob ihn empor, und es flog ein halb ängstliches, halb stolzes Lächeln über sein Gesichtchen; ich schaukelte ihn auf meinen Knien, und er begehrte immer wieder, daß ich mit ihm tändelte. Seine zärtlichen Arme umschlangen meinen Nacken und lösten sich doch rasch, wenn eine einzige, seine Mutter, ins Zimmer trat. Ihr strebte er mit seinen ungeduldig süßen Lauten zu und ward nicht müde, mit seinen kindlichen Tönen zu bitten, bis sein Köpfchen da ruhte, wo für ihn der schönste Platz war: an ihrer Brust!

»Wo ist Papa?« Nun streckte er die Arme nach mir aus.

»Hast Du Papa lieb?« Sein kleiner Mund bewegte sich. Unbeschreiblich süße Musik!

Und das alles sollte ich nicht mehr hören, das alles nicht mehr sehen, solche Augenblicke reinsten Glückes in Zukunft missen?

Ich schaute empor. Mir war, als ob ich von droben Antwort auf meine stummen Fragen erhalten müsse. Aber am dunklen Himmel zogen nur unruhige schwarze Wolken; der Wind strich durch den Park und die halbdunkle Gegend hatte etwas Schreckhaftes und drang gleichsam drohend auf mich ein.

Auf den Zehen schlich ich ins Schlafgemach, das mir seinen heißen, bösen Atem entgegenschlug. Das Kindermädchen ging mit leisem Schritt, aber doch mit der alltäglichen Miene gelassener Dienstfertigkeit hin und her. Meine Frau sah eher vorwurfsvoll, als betrübt zu mir empor; meine Mutter nickte mir ernst zu. »Er schläft!« flüsterten beide. – Ich trat an die Wiege.

Da lag, schwer röchelnd, offenbar mit dem Tode kämpfend – ich sah es, und sie wußten es nicht – mein Knabe, und keine Macht der Erde konnte ihm helfen. Von wahnsinnigem Schmerz erfaßt, nur von dem Drange beherrscht, die Wange des Kindes noch einmal an der meinigen zu fühlen, beugte ich mich hinab, faßte das heiße Köpfchen in überquellender Liebe, und drückte meine Lippen auf den süßen Mund. Ein feiner Duft aus dem Bettchen, und doch der Vorbote des Todes! Noch einmal! Noch einmal! – Und noch einmal – –

Es durchrasten mich die Schauerqualen des Abschieds, ich hätte mein Blut hingeben, mein Leben austauschen mögen für mein Kind. Nun starrten mich diese matten, vor einer Weile noch lebendigen Augensterne erloschen an, für immer erloschen – – Kein Atem regte sich mehr – –

»Erbarmungsloser Himmel!« schrie es in mir. Ich trotzte im Wahnsinn der Betrübnis gegen den Schöpfer auf.

Die Frauen hatten mich gewähren lassen. Sie achteten meinen Schmerz, sie fühlten selbst zu viel von dem, was mit solchen Qualen durch meine Brust zog. Aber jetzt hatte ich nicht den Mut, nicht die Kraft, den Blick meiner Frau und meiner Mutter zu ertragen, die dieses kleine Kind mehr liebten, als alles auf der Welt. Ich blieb an dem Bettchen stehen, als ob ich das Rauschen des Todesengels nicht gehört, ich verharrte stumm, ohne äußerliche Erregung, als ob ich noch über dem Lebenden lauschte.

Zuletzt raffte ich mich gleichsam trotzig empor, wandte mich mit stummer Miene an Thekla und meine Mutter, die bei meinem Nähertreten mit ernstem Aufblick ein eben ergriffenes Buch bei Seite legte, faßte die Hände der beiden Frauen und winkte ihnen aufzustehen.

»Es ist vorbei!« zitterten die Worte aus meinem Mund. Ich begriff nicht, daß sie über meine Lippen kamen.

Meine Frau sah mich entsetzt an, ließ mich, eilte zur Wiege, stürzte über das Kind, horchte, riß es empor, horchte abermals, und schrie dann so markerschütternd auf, daß der Ton selbst die starren Wände zu erschrecken schien.

Und ich, ihre Umgebung, waren nichts für sie in den nächsten Stunden. – Nur dieser eine Laut quoll aus den Fugen ihres blutenden Herzens, keiner sonst. Sie saß wie ein Marmorbild und verkörperte den grausamen, an Wahnsinn streifenden Schmerz.

Bevor ich – spät gegen Morgen – mein Auge schloß, gedachte ich des Augenblicks, wo die ersten Quellen aufbrachen und schier überfluteten. Ich erinnerte mich der Freudenrufe, die durch das Barcasche Haus flogen. Auch in der Zukunft schimmerten goldene und silberne Bäche berechtigter Hoffnungen. – Und heute?! – Es zog ein schwarzes Gewässer an unserer Lebensbahn entlang. Ich hörte es unheimlich in der Tiefe grollen, und aus seinen schmutzig unheimlichen Wellen quollen ekle Blasen, deren Anblick mich mit Angst und Grauen erfüllte.

*

Seit acht Tagen befanden wir uns in Paris, nachdem wir Brüssel berührt und dort meine Mutter bei meiner Schwester gelassen hatten. In der unvergleichlichen Stadt der Schönheit und des Vergnügens hoffte ich für meine arme Frau durch neue Eindrücke Genesung zu finden, nicht die Genesung des Körpers, aber die des Gemüts, das nach dem Tode unseres Kindes wie gebrochen war.

Ich empfand doppelt den Verlust; oft schien es mir, als ob ich auch mein Weib verloren habe! Niemand hätte sie wiedererkannt; die Veränderungen, die in ihr nach unserer Verheiratung vor sich gingen, waren eingreifende gewesen. Was meine Mutter vorausgesagt, hatte sich erfüllt. Thekla war eine pflichttreue, liebende, wenn auch keine äußerlich zärtliche Gattin, eine musterhafte Hausfrau, das Vorbild einer trefflichen Mutter.

Sie war das alles nach jenem traurigen Ereignis auch geblieben, aber sie erfüllte ihre Pflichten wie etwas Unabänderliches. Jeder Sonnenschein war aus ihrem Auge, aus ihren Mienen gewichen. »Unersetzlich fürs ganze Leben!« erwiderte sie auf alle Tröstungen, auf jeden Zuspruch. Selbst meine leisen Hoffnungsworte, daß der Himmel uns vielleicht einen Ersatz gewähren werde, ließen sie unempfindlich. Ja, sie schüttelte fast unwillig den Kopf, als ob ich etwas Unheiliges geäußert habe.

Sie erschien mir wie eine Pythia, der alles Zukünftige vor Augen stand. Einige Male fand ich sie, zufällig ins Zimmer tretend, verzweiflungsvoll weinend vor dem Bilde ihres Kindes. Wir besaßen eine kleine Federzeichnung, die ich einst selbst angefertigt hatte, als der Kleine in der Wiege eingeschlummert war. Nun war die Arbeit weniger Augenblicke, das, was ich auf einen Streifen Papier mit flüchtigen Strichen hingeworfen hatte, das teuerste, was sie besaß. Nun trat vor dieser toten Erinnerung alles andere zurück, was sie umgab! Ich verdoppelte meine Aufmerksamkeiten. Ich holte nach, was ich in der Alltäglichkeit verträumt hatte; mein Mitleid erhöhte meine Zärtlichkeit. Die alten, mit sanfter Leidenschaft vermischten Gefühle der ersten Zeiten durchzogen meine Brust, und ich warb noch einmal wie ein Bräutigam um ihr Lächeln und ich bangte mich in Zweifel um die Gewißheit ihrer Gegenliebe. Sie war zu edel, um mir diese Beweise meiner Zärtlichkeit nicht durch dankbare Blicke zu lohnen, aber sie duldete mehr, was ich ihr entgegentrug, als daß sie es erwiderte, und aus meiner Trauer darüber entstand allmählich ein brennender Schmerz. – –

Einmal, mehrere Wochen nach dem Begräbnis – die Natur hatte den Tag über in jenem golddurchfluteten Gepränge ihres letzten feierlichen Abschiedes gelegen, der den Herbsttagen einen so wunderbaren Zauber verleiht, während um die Tagesneige eine stille, durchsichtige, aber scharfkalte Luft sich fühlbar machte – saßen wir im Wohngemach allein neben einander. Noch durchwehte der feine Duft des Thees, den Thekla mir eben gereicht hatte, das Gemach; drüben summten die geheimnisvollen Geister im Kessel ihre stillen Lieder. Eine sanfte, reizvolle Behaglichkeit ward gleichsam sichtbar an den Dingen, und eine wohlthuende Wärme durchströmte den durch dichte Vorhänge von der Außenwelt abgeschiedenen Raum. Und da erhob sich meine Frau langsam, trat an meinen Stuhl und sagte:

»Bist Du mir gut, Detlef? – – Ja, denn Du bist selbst gut! Oft dachte ich, das sei nichts, gut zu sein! Und doch ist's das Höchste! Habe Nachsicht mit mir! – Ich liebe Dich unaussprechlich, und wenn ich Dich nicht zum Trost hätte – –« Plötzlich brachen die Schleusen ihres Innern gewaltsam auf. Sie ließ sich auf den Fußboden gleiten, umfaßte meine Knie und weinte.

»Meine einzige Frau!« flüsterte ich, küßte sie und streichelte sie sanft. Mein Herz schwoll auf in unerklärlichen, heiligen Schauern – –

Aber solche Aeußerungen ihres Gefühlslebens waren selten; oft, nur zu oft, ward ich von ihrer Kälte berührt, ohne daß ich immer die Selbstbeherrschung gewann, sie wie eine Kranke zu betrachten und danach zu handeln.

»Wie denkst Du Dir denn die Zukunft, und welche Erwartungen knüpfst Du an unser späteres Leben?« fragte ich eines Tages. »Wie rasch hast Du die fröhlichen Farben, mit denen Du Dein Wesen schmücktest, gegen das starre Grau früherer Tage vertauscht! Welcher Ton wird später zwischen uns herrschen, wenn schon nach Verlauf einiger Jahre die Gewohnheit des Zusammenlebens solche Härten zeitigt? Was sind Verstand, Herz und Gemüt, wenn sie nicht lebendige Blüten treiben? Sogar der Diamant kann nur strahlen, wenn ihn eine kunstgerechte Hand schliff, und selbst seine Schönheit läßt sich durch die Fassung noch erhöhen. Ist allzugroße Hingabe an den Schmerz nicht Selbstsucht! Hast Du nicht Pflichten gegen Deine Mitmenschen? Was gelobtest Du mir in unzähligen Stunden der Hingebung, und was hältst Du mir, wo das Leben Dich prüft?«

»Wenn Du an mir zweifelst«, erwiderte meine Frau, »war unser Bündnis ein Irrtum! Wenn Du mir aber vertraust, so mußt Du wissen, daß mein äußeres Wesen mit meinen Gefühlen für Dich nichts gemein hat. Haben Schmerz und Kummer solche Rückwirkungen, so betrachte sie als Krankheitserscheinungen, die ich ebenso wenig in meiner Gewalt habe, zu bannen, wie der Leidende das Fieber. Du sprichst nur von meinen Pflichten gegen Dich! Bist Du der Deinigen entbunden? Ist's für den Gesunden nicht leichter, nachsichtig zu sein, und liegt es ihm nicht näher, Rücksichten zu üben, als dem, welchen die erschlaffte Natur willenlos macht? Was ich von der Zukunft denke, Detlef? Mir bleibt Freude am Leben genug, wenn Du mich liebst und mir die Unsrigen erhalten bleiben, aber die Sonne meines Daseins ging dahin; ich kann mein süßes Kind nicht vergessen!«

Solchen Erwiderungen trat ich oft genug entgegen, aber unsere Gespräche endeten mit einer sanften Versöhnung, deren Inhalt die gegenseitige Beteuerung unserer unveränderten Zuneigung war. Der nächste Tag jedoch, der mir abermals nur finstere Wolken, kein freundliches Lächeln auf dem Angesicht meiner Frau zeigte, trieb mir von neuem den Groll der Enttäuschung ans Herz und verwandelte meinen Schmerz allmählich in Bitterkeit.

Oft prüfte ich mich! Lag noch etwas anderes vor, das sie mir verheimlichte? War sie vielleicht doch nicht glücklich? Ich fand aber keine Gründe für eine solche Annahme, denn erst seit dem Tode unseres Kindes zeigte sie ein solch dauernd verdrossenes Wesen, nicht nur gegen mich, nein, gegen jedermann.

Ein einziges Mal redete ich mit meiner Mutter über meine Frau. Ich hatte mir seit unserer Verheiratung das Versprechen gegeben, alles zu vermeiden, was ihr nur den geringsten Anhalt zu einer Einmischung in unsere Angelegenheiten bieten konnte, jetzt aber drängte es mich zu einer Mitteilung. Ich klagte ihr, daß mein Inneres unausgefüllt sei, und daß ich mit schwerer Besorgnis an die Zukunft denke. Aber meine Mutter stellte sich auf Seiten Theklas und erinnerte mich an dieselben Pflichten, deren Vernachlässigung ich ihr vorgeworfen hatte. – »Du bist eine andere Natur«, sagte sie, »Du vermagst Dich in die Dauer eines solchen Zustandes nicht hineinzuversetzen! Bedenke, daß Deine Frau heute vielleicht noch denselben Schmerz empfindet, wie an dem Todestage Eures Kindes! Wenn Du Dir diesen und Deinen damaligen eigenen Zustand vergegenwärtigst, wirst Du zu einer milderen Beurteilung gelangen, wirst fortfahren, ihr durch Zärtlichkeiten zu ersetzen, was sie verlor! – Glaube mir, um so eher wirst Du sie zurückgewinnen, wie sie war, und um so fester wird sie sich an Dich schließen. Vielleicht ist es ihr ebenso unverständlich, daß Du den Kummer so rasch abzuschütteln vermochtest.«

Ich fand viel Wahres in den Worten meiner Mutter, aber es lag nicht in meiner Natur und in meinem Vermögen, durch die Umstände alle Thatsachen zu entschuldigen. Ich hatte mir mein Glück anders ausgemalt. In einem harmonischen Zusammenleben, in der Poesie der Fröhlichkeit, im lebendigen Genießen alles Schönen und Guten, was die Erde bot, hatte ich es gesucht und zu finden gehofft, nicht in der wortkargen Verstummung und finsteren Pflichterfüllung.

Oft verstand ich auch meine Mutter nicht. Auf ihrem Angesicht lag ein friedlicher Sonnenschein. Wenn sie auch von dem Tode ihres Enkelkindes aufs Tiefste ergriffen worden war, so hatte sie doch ihr Inneres bald wieder ins Gleichgewicht gebracht. Ahnte ihr garnicht, daß ich unglücklich sei?

Ja, war ich denn unglücklich?

Dieser Gedanke beschäftigte mich quälend. Was hieß Glück? Ich deutete es mir in der Zufriedenheit mit dem Schicksal, ohne den Wunsch einer Veränderung oder gar Verbesserung. Aber gab es dergleichen überhaupt in der Welt?

Ich überlegte, was geschehen könne, um günstig auf Thekla einzuwirken. Ich beriet mit dem Arzt und machte meiner Frau den Vorschlag, zunächst meine Schwester in Brüssel zu besuchen, und dann einen längeren Aufenthalt in Paris zu nehmen. Sie stimmte mir zu, und nachdem ich alles vorbereitet, reisten wir im Beginn des Märzes ab. –

Bei uns hatte noch Schnee auf den Feldern gelegen, aber im Park von Monceau knospeten schon die ersten Rosen. Vogelgezwitscher zitterte durch die Luft, und ein feiner Frühlingsduft drang aus Blumen und Büschen. Wir bewohnten im Grand Hotel zwei geräumige Zimmer, in denen wir uns häuslich eingerichtet hatten. Ausflüge in die Umgegend, Theaterbesuche, Sehenswürdigkeiten und Geselligkeit nahmen uns so sehr in Anspruch, daß unsere Gedanken sich oft Tage lang nicht nach Hause richteten.

Meine Frau lebte in der That auf. Mir kam die Veränderung zwar zunächst weniger zu gute, denn nur draußen erfaßte sie ihre alte Lebhaftigkeit, und als einmal wieder das harmlos fröhliche, reizende Lachen durch ihre schneeweißen Zähne glitt, war's der Komiker eines kleinen Theaters, der es hervorrief. Malte sich freudiges oder begeistertes Erstaunen auf ihrem Gesicht, oder leuchtete ihr Auge auf, so war's ein Gemälde, oder – wie an einem der ersten Tage – das Grab Napoleons mit seiner erhabenen Würde. Sobald wir ins Hotel zurückkehrten, sobald wir unter uns waren, lag der alte herbe Zug in ihren Mienen, und nur das nothwendigste kam über ihre Lippen.

Eines Tages bot man uns Karten für die Besichtigung der Katakomben an. In Begleitung eines Lohndieners stiegen wir in die Einsamkeit der unterirdischen Gänge hinab, und noch sehe ich Theklas überraschtes und anfänglich furchtsames Gesicht, als wir zwischen den unzähligen Todtenköpfen einherschritten. Als einmal beim Weiterwandern der Aufsichtsbeamte voraus und um die Ecke gebogen war, blieb sie vor einem Schädel stehen, der ihre ganze Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. In demselben Augenblick wandte sich auch einer der Vorangeschrittenen zurück, den dieser große starkbestirnte, noch jetzt ausdrucksvolle Kopf mit wohlerhaltenen Zähnen gefesselt haben mochte.

Ich erhob bei seinem Nähertreten arglos das Auge und erkannte – Unzer.

»Wie, Du hier?« rief ich. »Welch seltsam glücklicher Zufall?« – und in einem kräftigen Händedruck drückten sich die Gefühle unserer alten Zuneigung aus.

Von diesem Tage an waren wir von Unzer unzertrennlich, und da ihn dieselbe Absicht nach Paris geführt hatte, wie uns, so ward in der Folge alles gemeinschaftlich unternommen.

Die früheren Vorfälle wurden nur sehr oberflächlich berührt. »Lassen wir, was hinter uns liegt!« äußerte mein Freund. »Seien wir froh, daß Zeit und ruhige Erwägung uns andere Gedanken schafften. Wer weiß, wozu es gut war, daß die goldene Schlange sich mir entwand!?«

Und nach einer kurzen, nachdenklichen Pause, in der die Erinnerungen stärker auf ihn einzustürmen schienen, er schaute einen Augenblick wie abwesend ins Leere, fuhr er plötzlich fort:

»Wie reizend ist Deine Frau, Rauch. Ich bin entzückt von ihr. Glücklicher Mensch, eine solche zu besitzen.«

Freilich schien Unzer meiner Frau keineswegs in gleicher Weise sympathisch. Sie war höflich und zuvorkommend gegen ihn, ja, sie hörte mit sichtlichem Interesse zu, wenn er in seiner lebendig-geistvollen Art sich gab, aber sie schwieg, wenn ich von ihm sprach, und pflichtete meinen Lobsprüchen niemals bei.

Eines Tages nach dem Frühstück ließ ich beide in dem Lesezimmer des Grand Hotel zurück, um einige lang verschobene Besorgungen zu machen, und hörte noch, wie meine Frau mir zurief: »Aber bleibe nicht zu lange, Detlef! Wir erwarten Dich hier.«

Meine Rückkehr verzögerte sich jedoch, und als ich heim kam, bestellte mir der Portier bereits im Vorhofe, daß die beiden fortgegangen seien. Ich begab mich auf mein Zimmer und schrieb einige Briefe, und nach deren Beendigung, schaute ich auf die Uhr. Es waren schon anderthalb Stunden verflossen. Für unseren Ausflug nach Fontainebleau war es doch nun zu spät geworden. Ungeduldig und verstimmt ging ich hinab und setzte mich ins Konversationszimmer. Allein abermals verstrich eine lange Zeit, ohne daß sie erschienen.

Ich wurde zuletzt besorgt, und umsomehr, als sie vorher keinerlei Absicht geäußert hatten, das Hotel zu verlassen.

Endlich, kurz vor Tisch, kehrte meine Frau zurück. Sie war hinaufgeeilt, und als ich ins Zimmer trat, stand sie bereits vor dem Spiegel und wechselte ihr Kleid.

»Ah, da bist Du«, sagte sie, ohne sich umzusehen.

»Ja, da bin ich«, erwiderte ich ziemlich gereizt. »Aber wo wart Ihr? Seit Stunden warte ich, ohne daß Ihr zurückkehrtet. Wir wollten nach Fontainebleau, wie Du Dich erinnern wirst. Ich saß hier in größter Sorge. Wo ist Unzer?«

Sie wandte sich um und sah mich mit ihrem stolzen Blick an. »Wo Unzer ist, weiß ich nicht, denn er verließ mich, nachdem er mir einen Wagen besorgt hatte. Ich war bei Madame Gonzales und bin dort zurückgehalten worden.«

»Nun?«

»Blanche hat sich verlobt; sie ließen mich nicht fort –«

»Und Du dachtest nicht daran, daß ich wartete, fünf Stunden wartete? Es gab keinen Boten in ganz Paris, durch den Du mich benachrichtigen konntest? Sonderbare Dinge das, in der That – fast auffallend!«

Meine Frau schritt mir schon entgegen, um mich durch eine freundliche Berührung zu versöhnen; als sie aber die letzten Worte hörte, trat sie ans Fenster und schaute, ohne ein Wort zu erwidern, auf die Straße.

Als sie in dieser Schweigsamkeit verharrte, nahm ich meinen Hut und sagte: »Ist es Dir gefällig, daß wir zu Tisch gehen?«

»Ich danke, ich werde heute nicht speisen und auch das Zimmer nicht verlassen –«, erwiderte sie, knöpfte gelassen ihr Kleid auf, nahm Spitzen und Schmuck ab, und that, als ob damit die Sache erledigt sei.

»Ich bitte aber doch, daß Du mich begleitest!« erklärte ich schroff. »Ich weiß nicht, welchen Nutzen diese Launen haben sollen. – Jeden Augenblick eine neue; und nun thust Du sogar, als ob dieser unbegründete Entschluß etwas Selbstverständliches sei?«

»Was bezwecktest Du vorher mit den letzten Worten?« fragte sie mit ihrem eisigen Blick, ohne auf das einzugehen, was ich eben berührt hatte.

»Ich wünsche mich keiner Inquisition auszusetzen und spreche Dir durchaus das Recht ab, die Verletzte zu spielen«, rief ich mit schlechtverhehlter Erregung.

Sie sah mich abermals, jetzt fast traurig, an, und sagte: »Wie wenig weißt Du Dich doch häufig zu beherrschen, Detlef –«

»Es steht Dir schlecht an, von oben herab mit mir zu reden, als sei ich ein Schulknabe«, unterbrach ich sie. »Wohlan, ich mag oft gereizt sein und finde dann nicht den richtigen Ton. Aber ich bin es nur, wenn Du mir Veranlassung giebst. Ich erkläre Dir, daß ich mich um Dich geängstigt, sehr geängstigt habe, und daß ich es nicht einmal als eine besondere Freundlichkeit, sondern als eine natürliche Pflicht Deinerseits angesehen hätte, ein Wort der Entschuldigung zu sagen. Jetzt bist Du sogar die Gekränkte. Eine seltsame Verschiebung! Mir liegt daran, daß niemals ein Mißton zwischen uns ist; ich mühe mich seit langen Monaten, Dir zu zeigen, wie ernst es mir um unser Glück ist, Du aber zeigst nur mürrische Gesichter und läßt alle Rücksichten fallen.«

Meine Frau schaute vor sich nieder. Ich sah, sie hatte etwas auf dem Herzen; ich kannte dann ihren Ausdruck, aber sie unterdrückte, was sie sprechen wollte. »Nein, jetzt nicht« – flüsterte sie vor sich hin, brach ab, machte hastig Toilette und sagte, ihre vornehme Gestalt noch einmal in dem Spiegel musternd, kurz und tonlos:

»Wohlan! Du magst Recht haben! Komm! Gehen wir!« – Und wir gingen. –

Unzer zeigte sich an diesem Tage nicht mehr. Aber am folgenden erschien er schon in der Frühe, entschuldigte sein gestriges Fortbleiben durch ein leichtes Unwohlsein, und entwickelte uns in seiner lebhaften Art nicht nur Vergnügungspläne für die nächsten Wochen in Paris, sondern auch für die Weiterreise.

Er hatte seinen gewohnten Sarkasmus abgestreift, war einfach und zuthunlich wie nie, und zeigte im Verlauf unseres Zusammenseins jene behagliche Liebenswürdigkeit, die sowohl die eigene Person in den Hintergrund stellt, als auch durch Gespräche ernsteren Inhalts den eigentlichen guten, wertvollen Menschen herauskehrt.

Zum ersten Male sprach er auch eingehender über sich, seine gegenwärtigen Verhältnisse und seine Zukunft.

»Es ist ja nicht gerade sehr geschmackvoll,« hob er in seiner ironischen Weise an, »wie man lebt und was man treibt. Im Grunde ein trauriges Verdienst, nichts weiter zu thun, als die Zinsen eines ererbten Kapitals zu verzehren und auf einen möglichst großen Zuwachs dermaleinst zu hoffen! Ich nütze niemandem auf der Welt, höchstens meinen Lieferanten, meinem Barbier, meinem Schneider und dergleichen Leuten, ja, ich erfreue nicht einmal! Meine nächste Umgebung, meine aristokratische Mutter, sucht meinen Ehrgeiz anzufachen, drängt mich zu einer erfolgreicheren Thätigkeit. Ihre Liebe für mich würde mit diesem Erfolg wachsen. Sie ist ehrgeizig, voll Eifersucht auf meinen Ruhm! Nach ihrer Ansicht müßte ich längst einen einflußreichen Posten bekleiden, eine bedeutende Rolle in der Welt spielen! Und nun bin ich nichts als ein simpler Landjunker mit allerlei Passionen für Natur, Jagd, Musik, amüsante Menschen, französische Lektüre und schöne Frauen.«

Bei den letzten Worten verbeugte er sich gegen Thekla, die aufschauend lächelte und sanft errötete. Es war das erste Mal, daß sie dergleichen Artigkeiten meines Freundes Beachtung schenkte. Bisher setzte sie ihnen eine Gleichgiltigkeit entgegen, die peinlich berührte, und mir schon Veranlassung gegeben hatte, manches entschuldigende Wort fallen zu lassen.

»Steht ihr ja gerade reizend, bester Rauch!« rief Unzer lachend, drehte den Schnurrbart und warf ein Paar neue, an der Naht gerissene Handschuhe in die Ecke. »Nichts ist bezaubernder, als solches Schmollen bei Frauen! Wenn sie sich einmal in ihrer künstlichen Würde vergessen, wenn ihre eigentliche Natur mit ihnen davonläuft, dann eröffnen sich ja wahre Himmel auf ihren süßen Gesichtern.«

Ich freute mich dieser Aeußerung; einen Ausdruck vorhandener oder steigender Zuneigung zwischen Unzer und meiner Frau betrachtete ich als ein besonderes Geschenk, weil ich sie beide liebte und den lebhaftesten Wunsch hatte, daß auch sie sich immer enger befreunden möchten.

In der That verlebten wir die folgenden Wochen im ungestörten Zusammensein. Kein Mißton trübte unseren Verkehr. Die Stunden flogen in den angenehmsten Zerstreuungen dahin. Thekla war ganz die Alte, schien auch an Unzer, der in amüsanten Geschichten und witzigen Bemerkungen unerschöpflich war, großes Gefallen zu finden. Die Personen, mit denen wir unterwegs in Berührung kamen, behandelte er mit sarkastischer Höflichkeit und alles übrige mit jener ihm eigenen, allerdings auf seine eigenen Verhältnisse niemals angewandten Verstandesreife, die ihn als Mensch so interessant und als Gesellschafter so unwiderstehlich machte. – Und doch sah mich Thekla eines Morgens, als ich mich gerade in Lobeserhebungen über ihn erging, mit einem ihrer sonderbaren Blicke an, trat mir näher und sagte: »Aber den übrigen Teil der Reise bringen wir doch allein mit einander zu? Nicht wahr, lieber Detlef?«

»Wie? Unzer ist Dir lästig?« stieß ich in höchstem Erstaunen und äußerst gereizt heraus, daß offenbar abermals eine Laune bei ihr zum Vorschein kam.

Statt zu antworten, blieb ihr Blick mit einem ängstlichen Ausdruck auf mir haften. Ernst, fast flehend, sah sie mich an. Es war, als ob sie etwas beunruhige, dessen sie nicht Herr werden könne.

»Nun, was ist's? Schon wieder eine Caprice?« wiederholte ich in einem ungeduldigem Tone, ging auf und ab, bückte mich, um einige auf den Teppich gefallene Papierstreifen aufzuheben, öffnete das Fenster, drückte es ungestüm ins Schloß, ordnete an meinem Schreibtisch, und wandte mich endlich, als abermals nichts erfolgte, zu ihr.

Sie saß am Fenster, hatte den Kopf in die Hand gestützt und starrte hinaus. Ich ging ins Nebenzimmer, ergriff Hut und Handschuhe und öffnete mit einem kurzen Adieu die Thür. Auf dem Korridor zögerte ich, weil ich erwartete, daß sie mich zurückrufen werde.

Ich wußte kein anderes Mittel, sie zum Sprechen zu bringen, und fand auch im Augenblick kein geeigneteres, meinem Unmut Ausdruck zu geben.

»Ewige, rätselhafte Laune«; flüsterte ich vor mich hin und eilte die Stufen hinab.

In diesem Augenblick kam Unzer in raschem Schritte die Treppe herauf, sah mich überrascht an und sagte:

»Nun, wohin? Schon so früh? Wird nichts aus unserer Partie?«

Ich ließ ihn meinen Unmut nicht merken, erklärte, gleich wieder zurückkehren zu wollen und bat ihn, sich hinaufzubegeben.

»Ist Deine Frau im Zimmer?«

Ich bestätigte, und er eilte mit einem: »Also, bleib nicht zu lange!« die Treppe hinauf.

Ich empfand eine Art boshafter Befriedigung in dem Gedanken, daß die Thür sich öffnen, und meine Frau gerade denjenigen vor sich sehen werde, den sie jetzt sicher am wenigsten zu erblicken wünschte. Im übrigen aber nahm ich mir vor, aus diesem Zwischenfall nicht abermals einen Anlaß zu neuer Verstimmung herzuleiten, vielmehr nach meiner Rückkehr mich zu geben, als sei nichts vorgefallen.

Während ich über die Boulevards schlenderte, – ich beschloß, für Thekla einen kleinen Einkauf zu machen und sie durch diese Aufmerksamkeit zu erfreuen – gingen allerlei Gedanken durch meinen Kopf. Was mochte meine Frau gegen Unzer haben? Weshalb drang sie in so rätselhafter Weise auf Alleinsein mit mir, während neuerdings kein Wort und keine Miene verraten hatten, daß Unzer ihr unbequem oder gar lästig sei?

Ich fand auf meine Fragen keine Antwort.

Einige Tage später erklärte Unzer zu meiner großen Ueberraschung, daß er zufolge empfangener Briefe, Paris schon in den nächsten Tagen verlassen müsse. Es ward noch mancherlei hin und her geredet. Aber er blieb bei seinem Entschluß, und ich fand es, müde der Launen meiner Frau, schließlich auch richtig, nicht weiter in ihn zu dringen.

Am Morgen seiner Abreise besuchte ich ihn noch einmal auf seinem Zimmer. Wir sprachen anfänglich über gleichgültige Dinge und kamen dann – ich erinnere mich nicht mehr, durch welchen Zufall – auf vergangene Zeiten. Da fragte Unzer, der von mir abgewendet, mit dem Schließen des Koffers beschäftigt war, plötzlich: »Hast Du Deiner Frau eigentlich jemals etwas von der – von der – Affaire mit – Manja Sternberg – mitgeteilt?«

»Nein! Wieso?« erwiderte ich befremdet, daß er diese Angelegenheit jetzt und so ganz unvermittelt berührte.

In diesem Augenblick öffnete der Kellner hastig die Thür und meldete, daß der Wagen vorgefahren, und daß es höchste Zeit zur Abfahrt sei.

»Ich bin fertig! Ich bin fertig! Senden Sie nur rasch den Hausdiener für das Gepäck! – Na, Rauch, lebe wohl! Nimm Dank für alle Freundlichkeit. – Hoffentlich sehen wir uns bald einmal wieder! – Schreibe auch einmal –!« Und dann, mich rasch umarmend, und ohne mir Zeit und Gelegenheit zu geben, weitere Aufklärungen über seine lebhafte, ja sogar höchst beunruhigende Frage einzuholen, eilte er mit dem Zuruf: »Herzliche Grüße an Deine Frau! Beinahe hätte ich die Hauptsache vergessen!« in solcher Eile die Treppen hinab, daß ich nur noch vom Wagen aus einige Handgrüße von ihm erhielt.

* * *

 


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