Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

»Sind Sie wiederhergestellt? Ei, das ist mir außerordentlich erfreulich! Ich danke, ich danke, lieber Herr Graf. Ja, nicht wahr? Auch Sie waren überrascht, – aber, Hand aufs Herz, kann man einem so trefflichen Wesen widerstehen, wie es meine Braut ist?«

Aus diesen Worten des Obersten ging für mich von neuem hervor, welch vornehme Gesinnungen meine Freunde in der Villa beseelte.

Obgleich sie, wie ich erkannte, mein Fortbleiben nur zu sehr beschäftigt hatte, war offenbar kein Laut der Rüge oder des Mißfallens über ihre Lippen gekommen, vielweniger hatten sie einen Vorwurf gegen mich erhoben. Selbst der Verlobte Julias deutete auf eine Krankheit hin, welche mich zurückgehalten haben sollte, und mit zarter Verschwiegenheit hatte man gegen den Näherstehenden die Vorfälle behandelt.

Eben solche, höchster Herzensbildung entspringende Züge waren es, welche mich magnetisch zu der Familie hinzogen. Überall fand ich in der Welt den Mangel eines nachahmungswerten Gleichgewichts, überall verderbliche Leidenschaften und die Unfähigkeit, derselben Herr zu werden. Als Folge dieser Thatsachen beobachtete ich die allgemeine Unzufriedenheit mit dem Schicksal. Selten jene strenge Pflichterfüllung, aus der immer gesunde und glückliche Verhältnisse hervorwachsen! Überall nur Pflichtverletzung, Überhebung und atemloses Suchen nach etwas Neuem und vermeintlich Besserem, als was das Schicksal dem einzelnen in den Schoß gelegt hatte.

Drüben aber, wo dieses reizende Geschöpf mit sanftem Schritt durch die hellen Räume wandelte, denen sich unsichtbar ein Teil ihres besonderen, selten gearteten Wesens mitgeteilt hatte, fand ich alles, was mir gegeben werden konnte, um meinem Dasein dereinst einen vornehmen Inhalt zu geben.

Nie drang ein hartes Wort über Nebenmenschen aus dem Munde jener milde denkenden Naturen. Es gab andere Dinge, die Herz und Sinn beschäftigten, als das ewige Lied der neidisch-hämischen Kritik.

Kam das Gespräch auf unbekannte Personen, welche von sich reden machten, so lenkten sie die Unterhaltung unmerkbar auf etwas anderes, und wurden die Verhältnisse Näherstehender berührt, so wog man Licht und Schatten vorurteilsfrei ab, ohne bei den letzteren allein mit der Freude am Tadel stehen zu bleiben.

Nirgend fand ich eine so vollkommene Harmonie im Denken, Fühlen und Handeln wie dort, und gerade Columba mit ihrem ausgeglichenen Wesen und ihrem sanften Ernst, mit ihrem nur dem Einfachen und Guten zugewandten Sinn, trat wieder so lebhaft vor meine Seele, daß ich von einem schier verzehrenden Wunsche erfüllt ward, in ihre Nähe zu gelangen. –

Sie liebte mich ja, und sie liebte mich, weil sie mich zugleich achtete. Konnte sie denn auf die Länge zürnen? War nicht eben das innerste Wesen der Liebe jene grenzenlose Barmherzigkeit, die der milden Nachsicht und dem opferfreudigen Selbstvergessen entspringt? Ja! und deshalb setzte ich das höchste bei ihr voraus, und so fest glaubte ich an ihre Vollkommenheit, daß ich annahm, sie müsse mir wie ein gütiger Gott meine Verirrung vergeben.

Von Julias Verlobten hatte ich erfahren, daß bereits eine Einladung an mich abgesandt sei, und in der That fand ich, abermals von einigen gütigen Zeilen begleitet, ein Schreiben von Frau von Zylitz in meiner Wohnung vor. –

Am festgesetzten Tage betrat ich die Villa, in der sich eine größere Gesellschaft zusammengethan hatte, beglückwünschte die Braut, die mit strahlendem Gesicht, völlig unbefangen, mir entgegentrat, suchte mit Verzeihung erflehendem Auge die andern beiden Schwestern auf, die mich in alter Herzlichkeit begrüßten, und näherte mich endlich Columba, die in der Garten-Veranda den Thee bereitete und mir eben den Rücken zuwandte.

Das Gemach war dicht verhängt und erhielt durch seine Abgeschlossenheit, seine Einrichtung und durch eine Fülle von herrlichen grünen Gewächsen und still duftenden Blumen etwas die Sinne so märchenhaft Berückendes, daß sie, die hier beschäftigt war, mir auch wie ein Wesen aus einer anderen Welt erschien.

Columba trug ein Kleid von hellgelber Seide, und einige weiße Rosen quollen aus ihrem dunklen, glattgescheitelten Haar. Nie schien sie mir anmutiger und liebreizender, nie unnahbarer. Es erfüllte mich mit eifersüchtigem Herzklopfen, daß sich ein fremder Arm jemals um diese schlanke Gestalt legen, oder gar ein anderer die bezaubernden Schönheiten dieses feingebildeten Kopfes berühren könne. Es gab nichts in der Welt, was sich mir begehrenswerter darstellte, als ihr Besitz; jeder Augenblick war verloren, in dem ich zögerte, mit ihr in Berührung zu gelangen.

Vom großen Empfangssalon schwirrten die Stimmen der Sprechenden zu uns herüber; der warme, parfümierte Gesellschaftsduft, dem ich mich eben entwunden hatte, wich dem sanften Atem der Blumen, der das Gartenzimmer erfüllte. Im Durchgangsgemach standen nur zwei ältere Herren, eifrig miteinander schwatzend, und der Diener Bernhard war eben fortgeeilt, um einigen Angekommenen Thee zu präsentieren. Wir befanden uns hier fast allein, trotz des nahen Gewühls und des summenden Wirrwarrs.

Columba schrak jäh zusammen, als sie mich erblickte. Angstvolle Röte durchflutete ihre südlich dunklen Wangen. Ihre graziöse Gestalt erbebte, und ihre Kinderhändchen griffen verwirrt in die Seide des Kleides.

Und als sie nun so in ihrer bezaubernden Holdseligkeit vor mir stand, schwollen und sprangen die Adern meines Herzens, und unter der Gewalt der lang zurückgedrängten Empfindungen eilte ich auf sie zu, ergriff ohne eine zuvorkommende Bewegung von ihrer Seite die heißbegehrte Hand, suchte zärtlich ihren Blick, den alten liebevollen Blick, bei dem in jenen glücklichen Zeiten alle Wonnen in mir aufgestiegen waren, und rief leidenschaftlich und erregt ihren Namen.

Aber als ich nun gleichzeitig ihr Gewand streifte, als ich ihre Gestalt, wenn auch nur sanft, berührte, fühlte ich, daß ein bebender Schauer durch ihren Körper flog. Und da ich nun trotzdem nicht abließ, da ich sie zwang, mich anzusehen, weil ich gleichsam ertrotzen wollte, was ich seit langem in Tages- und Nachtstunden qualvoll ersehnt und in halb süßen, halb ängstlichen Vorstellungen vor meine Seele gestellt hatte, traf mich ein scheuer, fast feindseliger Blick, und meine Hand – es war mir, als ob mein Herz aufschreien müsse in dem furchtbaren Schmerz der Enttäuschung – glitt ohne Gegendruck von der ihrigen zurück.

Es raste durch meine Sinne! Ich hatte sie verloren! Es flüsterten mir die Wände zu, ich sah es in den Mustern der Tapete, die blankfunkelnde Theemaschine erhielt ein Gesicht, das mich höhnend angrinste, und die Blumen strömten süßes Gift aus, das meine Sinne umnebelte. Aus dem Geräusch der Nebenzimmer erklang es mir wie schadenfrohes Lachen, ja, die Erscheinung des Mädchens, in dessen Mienen ein Ausdruck stolzer, fast drohender Abwehr erschien, verwandelte meine Liebe in eine rachsüchtige Leidenschaft! Ohne zu wissen, was ich that – gereizt durch die lange Buße – verließ ich alle Pfade der Mäßigung. Ich sprach erregt auf sie ein, berührte unser ganzes Verhältnis seit Beginn unserer Bekanntschaft, tastete an Dingen, die ich nie hätte erwähnen dürfen, und machte ihr in den heftigsten Worten Vorwürfe. Ich war krank! Es tobte durch mein Gehirn! Ich hätte dieses ruhige, blasse, kalte und hochmütige Weib töten können, weil sie sich mir nicht fügte, weil sie, den letzten Schein von Wohlwollen aus ihren Zügen verbannend, mit empörtem Gefühl vor mir stand.

Und nun stützte sie sich an den Tisch, richtete sich empor und sagte, offenbar alle Kraft zusammennehmend, mit vornehmer Würde und festen Tones:

»Sie waren mir wert, Herr Graf, seit unserer Bekanntschaft, und ich danke auch Ihnen für das Interesse, welches Sie für mich an den Tag legten. Sie irren sich aber, wenn Sie voraussetzen, daß ich mich irgendwie mit Ihren Launen oder Ihrer Buße beschäftigt habe. Nichts von alledem ist der Fall, und da Sie mir versichern, daß Ihr Glück oder Ihr Dasein – ich erinnere mich nicht genau, wie Sie sich äußerten – von meinen Empfindungen gegen Sie abhängt, so will ich Ihnen erklären, daß ich die Ihrigen nicht teile. Alles, was in diesen Minuten sich zwischen uns ereignete, verstärkt in mir die Überzeugung, daß zwischen uns – –«

Aber nun war es mit der künstlichen Fassung, mit dieser, ihrer feinen und gütigen Seele sonst so fremden, herzlosen Sprache zu Ende, – sie brach plötzlich ab. Ihr Haupt neigte sich. Unheimliche Blässe trat auf die Stirn, und schwere Thränen drängten sich unter ihren Wimpern hervor. Von Schmerz, Reue und Mitleid ergriffen, wollte ich mich ihr abermals nähern, wollte ich sie stützen, – aber sie hatte die Kraft, mir abzuwinken. Noch einmal – schien es mir, blitzte etwas von der alten zärtlichen Liebe in ihren seelenvollen Augen auf, vielleicht, weil sie die Qualen meines Innern auf meinem Antlitz sich wiederspiegeln sah, dann aber kam einer der Gäste, und die nächsten Sekunden trennten uns – – –

Kurze Zeit nach diesem Vorfall hatte ich die Gesellschaft, wie betäubt, verlassen und befand mich im Freien. Es war klingende Kälte; widerspenstig knarrte der Schnee unter meinen Tritten; öde, kalt, mitleidlos und tot starrte mich alles an. An den niedrigen Dächern der kleinen Landhäuser hingen Eiszapfen, die sich in dem matten Schein der Weglaternen spiegelten; auf den Feldern lag der gleichsam unbeweglich schlafende Schnee, der Himmel hatte das schmutzige Grau einer Totengruft, und die kleinen Zweige und Äste der Bäumchen, an denen ich vorüberstreifte, ertrugen wie in fröstelndem Schmerz die unabänderliche Wirkung der Jahreszeit.

Noch einmal wandte ich mich um. Das lichterfüllte Haus lag unter dem Schneesilber der Mondnacht. Da tauchten die hohen stolzen Bäume auf, welche neben dem Hauptgebäude standen, die ich früher wie liebe Bekannte begrüßt hatte. Plötzlich sah ich alle Wege und alle Stege des Gartens vor mir; den runden Tisch im Wohnzimmer, an dem ich in glücklichen Zeiten neben den teuren Menschen gesessen! Die stille Behaglichkeit, der sanfte Friede, die liebenswürdige, beschämende Unterordnung der Familienmitglieder unter meine Wünsche und kleinen Launen traten in mein Gedächtnis. Columba sah ich vor mir in den holden Zeiten unserer stummen Liebe, ihr aufleuchtendes, dankbares, oder auf meine Vorzüge stolz erglühendes Auge. Sie versteckte die kleine Handarbeit, an der ihre fleißigen Hände für mich sich rührten. Alles, alles trat folternd vor mir auf, und ich schrie durch die kalte Natur aus meiner trostlosen Seele: Columba! Columba!

Nach unruhigen Nachtstunden überlegte ich am nächsten Tage noch einmal die Vorgänge des vorhergehenden Abends. Welch bittere Vorwürfe machte ich mir, daß ich mich so hatte hinreißen lassen! Ich schob auf meine leidenschaftliche Sprache und mein unzartes Begegnen die Schuld, daß Columba mich so kalt zurückgewiesen! Aber wenn dem so war, hatte sie es nicht hervorgerufen? Es tauchte der fremde, feindselige Blick vor mir auf, als ich ihre Hand faßte und ihr Auge suchte. Gab nicht also sie den ersten Anlaß zu einer Entfremdung? That ich ein Unrecht, war es nicht menschlich, natürlich, daß ich mich nach allem, was vorgegangen, ihr in wärmerer, vertraulicherer Weise näherte? Ich schalt sie der Prüderie und der Kälte und suchte mir einzureden, daß sie mich trotz meiner ehrlichen Reue und meiner besten Vorsätze zurückgewiesen habe.

Aber bald sagte mir meine innere Stimme, daß ich kein Recht habe, Vorwürfe gegen sie zu erheben oder sie gar zu schelten. Der Zauber ihrer Erscheinung hatte mich hingerissen, etwas Leidenschaftliches war in mir aufgewirbelt, hatte sich meinem Empfinden beigemischt, und sie war verletzt, mit Recht verletzt durch den Mangel an Ehrerbietung, die ich um so weniger außer Acht lassen durfte, als ich mir ihre Achtung erst von neuem verdienen sollte.

Ach! sicher würden meine späteren Worte den ungünstigen Eindruck verwischt haben, wenn sie sich in anderen Grenzen bewegt hätten! Was hatte ich alles gesprochen! Wie sehr hatte ich mich hinreißen lassen! Ich holte den Wind und den Sturm, um einen aufglimmenden Funken zu löschen, statt besonnen die Keime der Glut zu erdrücken. Der Ausdruck in ihren Mienen, den ich tadelte, und der mich gereizt hatte, war vielleicht nur Überraschung, vielleicht nur seelische Hilflosigkeit gewesen! Und ich deutete ihn, ohne sie zu hören. Gewiß! was sie sagte, entsprang dem Stolz und der Enttäuschung, daß ich keine zarteren Mittel fand, mich ihr abermals zu nähern; ja, vielleicht war im Augenblick der Verdacht in ihr emporgeschossen, ich wolle ihr begegnen mit der unehrbaren Zudringlichkeit, mit der ich – ihrer vergessend – mich an eine andere gedrängt hatte! Ja, so war es! Sie empfand alles, als ob ich ihr gebeichtet habe! –

Wie es Gräser giebt, deren Blüten schon bei dem leisesten Lüftchen in eine schwankende Bewegung geraten, so war auch sie ein so feines Gebilde, daß ihre Seele bei dem geringsten Anstoß in Mitleidenschaft gezogen ward, und doch hatte sie solche Macht über sich selbst, daß ihre Handlungen davon niemals Zeugnis ablegten.

Trotz der vielen Widersprüche in allen diesen Überlegungen schöpfte ich noch einmal die schwache Hoffnung, daß in ihr nur die augenblickliche Erregung die Oberhand behalten habe. Ich redete mir ein, daß doch noch alles gut werden könne, bis ich diese Gedanken wieder als thöricht verwarf und tagelang in eine selbstquälerische Stimmung verfiel, der ich mich mit einer wilden Wollust so lange hingab, bis ich, körperlich und geistig gemartert, in einen solchen Zustand verfiel, daß mein Diener es für angezeigt hielt, zu einem Arzte zu senden. Dieser riet mir dringend sofortigen Luftwechsel und neue Eindrücke. Er bezeichnete meinen Zustand als nicht ungefährlich und bestand umsomehr auf dieser Veränderung, als ich nur so die mir notwendige Energie zurückgewinnen könne, und den an halbe Geistesverwirrung streifenden Zustand zu überwinden, im Stande sein werde.

Ich folgte seinem Rat. Bevor ich aber H. für immer verließ, schrieb ich an Frau von Zylitz einen langen Brief, in dem ich alles darlegte, was in dieser Zeit in meiner Seele vor sich gegangen, in dem ich ausdrückte, wie teuer sie und die Ihrigen mir seien, und unter welchen Empfindungen ich ihr Haus wieder betreten und die letzten Wochen verlebt habe. Ich sagte ihr auch alles, was Columba über mich denken werde, suchte ihre Vorwürfe aber nicht zu widerlegen, da ich mich schuldig bekenne, ihr ein einziges Mal, wenn auch nur für Tage und Stunden und unter den seltsamsten Umständen, mein Herz abgewandt zu haben.

Ich überließ es der Mutter, Columba diese Zeilen mitzuteilen, und schloß in der Hoffnung, wenn ich auch das Teuerste auf dieser Welt verloren habe, daß sie mir ihre Achtung und Freundschaft nicht entziehen würden.

Ihre Antwort empfing ich auf unserem Gute. Frau von Zylitz dankte mir und erklärte, daß keine Bitterkeit mehr bei ihr und ihren Töchtern vorhanden sei, die mich wie einen Bruder grüßen ließen.

Niemand könne schmerzlicher empfinden, daß alles so gekommen, wie sie; auch Columba, die erst nach langen Tagen furchtbarsten Seelenleidens einigermaßen die Fassung zurückgewonnen, zürne mir nicht und habe mein Schreiben mit tiefster Rührung gelesen. Aber ich sei im Recht! Bei meinem Anblick, nicht durch die Begegnung allein, habe sich vor ihre Seele gestellt, daß ich zu ihr zurückkehre, nachdem ich einer anderen überdrüssig geworden oder sie abgestreift, und der Gedanke, auch nur für einen Augenblick der Spielball einer Laune desjenigen gewesen zu sein, für den sie seit Jahresfrist gleichsam nur geatmet und gelebt, ohne den das Dasein ihr als eine Unmöglichkeit erschienen, habe ihr doch eine Kluft gezeigt, die für sie nicht zu überschreiten sei. Sie verstehe sich selbst nicht, denn in schlaflosen Nächten habe sie nur der eine Gedanke an mich beschäftigt, aber an jenem Tage, an dem ich wieder vor ihr gestanden, habe sie ein leiser Schauder, – ja eine bange, nicht zu bekämpfende Vorahnung erfaßt, der sie auch in der Folge nicht Herr geworden sei.

»Columba,« hieß es am Schluß des Briefes, »steht neben mir und läßt Ihnen sagen, sie hoffte, Sie könnten ihr vergeben, daß sie Ihnen so hart begegnet sei, ja das arme Geschöpf weint herzzerreißend und spricht mir unter Thränen vor: ›Schreibe ihm, Großmama, er möge mir eine Buße auferlegen, wenn ich sein Leben ihm trübte, und sage ihm, daß ich erst wieder Freude am Dasein zurückgewinnen würde, wenn ich wüßte, daß er doch noch einmal ohne mich glücklich geworden sei.

Um ihm aber zu beweisen, welche ernste Empfindung aus mir spricht, um ihm begreiflich zu machen, wie unaussprechlich ich ihn geliebt habe, lasse es ihn wissen, daß ich auch nie die Gattin eines anderen Mannes werden will!‹«

»O Columba! Columba!« entrang es sich meiner Brust, und immer von neuem irrten meine Blicke über die teuren Schriftzüge, deren Schluß fast verwischt war, weil zu viele Thränen aus den Augen der Alten darauf gefallen. –

*

Ich saß in dem stillen, reizvollen und wohnlichen Gemach meiner Mutter, die noch immer eine schöne, junge und lebhafte Frau war, obgleich sie schon in ihrer Jugend der Ernst des Lebens gestreift hatte und ihre Ehe mit meinem verstorbenen Vater keine glückliche gewesen war. Ich hatte eine einzige Schwester, die sich vor einigen Jahren mit einem der Diplomatie angehörigen Adligen verheiratet hatte und in Brüssel lebte.

Zweck und Inhalt des Lebens meiner Mutter waren wir beiden Kinder, namentlich war ich von jeher ihr Liebling gewesen, und als ich eine lange Krankheit zu überwinden hatte, ein Zwischenfall, der auch bewirkte, daß ich sehr spät die Universität besuchte, stand sie wie ein menschlicher Engel an meinem Bette, und ich glaube, daß ihre zärtlichen und besorgten Augen, die über mir mit einer ruhelosen Aufopferung wachten, mich genesen ließen.

Sie hatte sich zurückgelehnt und sah mich mit ihren klugen und doch so unendlich guten Augen an, während ich ihr alles erzählte, was ich erlebt hatte. Mit einem Schmerzensschrei war sie an meine Brust geflogen, als ich blaß und krank dem Wagen entstiegen war und mit eingefallenen Wangen die Treppen unseres Hauses hinaufschlich.

Immer von neuem mußte ich berichten, Columba und Manja beschreiben, und alle meine Erinnerungen herbeiholen, um ein treffendes Bild von ihnen zu entwerfen. Seltsamerweise beschäftigte sich meine Mutter mehr mit der letzteren. Bei der Wiederholung unserer Gespräche kam sie immer wieder auf Manja zurück.

Sie verstand zwar an sich, daß eine so feinbesaitete Natur, wie die Columbas, zu einem Verzicht gelangt war. Aber da selbst bei den vorurteilsfreiesten Frauen, sobald das Interesse ihrer Kinder in Frage kommt, das Herz lauter spricht, als der Verstand, so vermochte meine Mutter weder einen gewissen Unmut gegen das junge Mädchen, noch als Kennerin menschlicher Herzen die Vorwürfe gegen Frau von Zylitz zu unterdrücken, die ihrer Auffassung nach der Lebensunerfahrenheit Columbas zu wenig entgegengetreten sei.

Ich widersprach; ich gab ihr zu bedenken, wie gerade ein junges, feinfühlendes Wesen ein solcher Vorfall berühren mußte.

»Ganz recht,« erwiderte meine Mutter in ihrer energischen Weise. »Aber es war Sache der alten Dame, die doch das Welttreiben und die Gefahren kennt, denen die Jugend ausgesetzt ist, den Vorfall in einem anderen Lichte, unter anderen Gesichtspunkten darzustellen. Wenn es meine Enkelin gewesen wäre, hätte ich ihr gesagt: Sieh, mein Kind, freue Dich, daß Dein künftiger Gatte dasjenige vor der Ehe abstreifte, dem die Männer schon deshalb eher ausgesetzt sind, als die Frauen, weil das Leben ihnen eine andere Stellung anweist. Sei von Dank erfüllt, daß Dein Verlobter so rasch sich aus einer Verirrung löste, der manch stärkere Natur nicht gewachsen gewesen wäre, und sieh den Vorfall nicht als einen Treubruch, sondern als eine Erscheinung an, die das Glück Eurer Ehe um so mehr befestigen wird. Sein Herz war immer bei Dir! Waren seine Sinne verwirrt, so übe die Nachsicht, die wir einem Kranken erweisen. Er wußte nicht, was er that!«

Ich schwieg, denn mir klang dies nur als die süße Sprache aus Muttermund, nicht als eine Rede der Wahrheit. Ich überlegte, daß zwar jedes menschliche Vergehen schon aus den Gründen eine milde Beurteilung verdiene, weil niemand fehlerfrei handelte, aber ich sagte mir auch, daß jeder gewärtig sein müsse, zu büßen, was er verschuldet habe. Dies sei eine Folge jener unsichtbaren Gesetze, denen wir alle unterworfen seien.

»Gerade deshalb,« ergänzte meine Mutter, »weil der einzelne immer zu große Ansprüche an seinen Nebenmenschen erhebt, sein eigenes Thun ihm aber aus dem Spiegel der Selbstbetrachtung in sanfteren Farben zurückstrahlt, ja, den meisten die tausend Teufelchen ihres Innern sogar zuflüstern, das, was sie selbst versahen, sei entschuldbar, – deshalb befinden sich die menschlichen Verhältnisse auf so schiefer Ebene.

Was uns die Moral der Kinderstube lehrt, kann im späteren Leben nur als Grundlage für die Unterscheidungen zwischen Recht und Unrecht dienen. Wir können unsere Kinder nicht lehren: Seid klug wie die Schlangen! Und doch brauchen sie dieses Bibelwort, wenn sie in die Welt hinaustreten, so gut wie die Vorschriften der zehn Gebote.

Deine Verirrung, mein Sohn, war keine Schlechtigkeit, wenn sie auch als eine Schwäche zu tadeln ist. Diese Unterscheidung aber fordere ich, und so hätte ich es unter gleichen Verhältnissen für meine Pflicht gehalten, zwei Menschen, die sich liebten und die für einander geeignet schienen, zu vereinigen, statt einer etwas überreizten Empfindsamkeit nachzugeben.«

Und dann kam sie abermals auf Manja. Ich mußte ihr Bild zeigen, und meine Mutter ließ mich die Briefe herbeiholen, die ich aufbewahrt hatte. Nicht nur des Mädchens Photographie, auch ihre Handschrift erregten meiner Mutter Interesse im höchsten Grade. Sie schaute sie immer von neuem an und war entzückt von diesen kräftigen und vornehmen Zügen. Es erfüllte mich mit stillem Glück, sie so reden und diejenige loben zu hören, der sich meine junge Natur mit so starker Leidenschaft genähert hatte. Ja, ihr Lob erhöhte Manjas Wert in meinen Augen und ließ sie mir in einem fast günstigen Lichte erscheinen. Ach, wenn Manja hätte hören können, wie meine Mutter sich über sie ausließ! Ich malte mir das Entzücken der Verlassenen aus, das danküberströmende Gefühl derjenigen, deren heißbegehrliches Inneres, gleich dem meinigen, nach Verständnis, Zärtlichkeit und Liebe dürstete.

Aber es erhoben sich andere Fragen über sie von seiten meiner Mutter, auf die ich zwar nur nach meinen Eindrücken Antwort erteilen konnte, die aber doch bewirkten, daß sie mit einem sanften Ausdruck des Verzichtes das Bild des schönen Mädchens aus der Hand legte. »Armes Kind, du hättest ein besseres Schicksal verdient,« sagte sie, wie mit sich selbst redend, und unterdrückte dadurch Gedanken, die auch in mir unausgesprochen schlummerten.

Als ich an einem regnerischen Tage, an dem meine Mutter stets zu einer gewissen nachdenklichen Schwermut neigte, die selbst meine Gegenwart nicht zu bannen vermochte, von einem Ausfluge zurückkehrte, fand ich sie mit ernster Miene an ihrem alten Platz am Fenster sitzen, und vor ihr, auf dem Nähkorb, lag Manjas Portrait.

Es schmeichelte ihr offenbar, oder es erregte immer von neuem ihr Interesse, daß ein weibliches Wesen ihren bewunderten Sohn so leidenschaftlich liebte. Es erfüllte sie mit stolzer Befriedigung, daß es ein Mädchen gab, das um seinetwillen die Hand eines trefflichen, in den besten Verhältnissen lebenden Mannes ausgeschlagen hatte, alle Leiden der Abhängigkeit erduldete und sogar zu Gunsten einer Nebenbuhlerin verzichtete. Sie sprach ähnliches auch aus, und als ich dann berichtete, daß ich nicht einmal Manjas letzten Brief beantwortet habe, erklärte sie mit einer fast heftigen Parteinahme:

»Schreiben mußt Du ihr unter allen Umständen, Detlef. Wenn ich mich hineinversetze, wie dem armen Mädchen zu Mute sein muß, daß auf einen so glühenden, von den zärtlichsten Empfindungen erfüllten Brief nicht einmal eine Erwiderung erfolgte, daß Du kein Wort des Dankes, keine Silbe des Bedauerns nach allem, was zwischen Euch sich ereignete, geäußert hast, dann ist es mir beinahe, als ob Du ein kaum zu sühnendes Unrecht begangen hättest.«

Sie brach ab und mied meinen Blick. Sie wußte ohne diese Erwiderung, daß ich fühlte wie sie, denn ich war ja ein Teil von ihr. Unsere Gedanken begegneten sich stets; ihr Blut floß in meinen Adern. Das Herz, unter dem ich einst geruht, teilte mir seine Pulsschläge mit, und ein starkes Empfinden für alles Menschliche und Natürliche war uns gemeinsam.

Im übrigen hätte meine Mutter eine Verbindung mit einer Adligen gern gesehen, obschon sie aus bürgerlichem Stand war und man annehmen durfte, daß sie, zumal bei ihrer sonstigen Unbefangenheit der Lebensauffassung, auf solche Äußerlichkeiten keinen Wert legte. Sie würde diese Thatsache vielleicht nie zugestanden haben, aber es verhielt sich so.

Durch solche Gespräche aber regte sich neben dem Mitleid, jener gefährlichen Schwester der Liebe, das alte Gefühl der Zuneigung zu Manja in mir. Oft schämte ich mich meines Schwankens und meiner Unbeständigkeit und sprach mich gegen meine Mutter darüber aus. Dann antwortete sie mir: »Nur die Bücher zeigen uns fehlerfreie Menschen. Das wirkliche Leben weist andere Gestalten auf. Arbeite an Dir, Detlef, Deinen Charakter zu stählen, aber denke nicht, daß Deine schwankende Gesinnung Dir allein eigen sei. Die Menschen geraten dadurch in einen gefährlichen, weil thatenlosen Zustand, denn es rauben solche Vorstellungen das Selbstvertrauen und die Energie. Die guten Vorsätze pflastern in der That die Wege zur Hölle, weil sie unser Thun erlahmen. Handle, wie Du es mit Deinem Gewissen und Deiner Ehre in Einklang zu bringen vermagst. Was die Welt sagt, ist nicht maßgebend; sie schilt Dich doch, Du magst Dich einrichten wie Du willst!«

Als ich einige Zeit später einmal mit meiner Mutter einen Spaziergang durch den Park machte, wortkarg neben ihr herschritt oder einsilbig antwortete, stand sie still, streichelte mir, wie in meinen Knabenjahren, die Wangen und sagte:

»Nun, mein Detlef, was beschäftigt Dich denn heute so sehr?« Sie schaute mich freundlich und mit einem Anflug von schelmischem Lächeln an, vielleicht um mir durch den geminderten Ernst die Ausschüttung meines Herzens zu erleichtern. Und ohne meine Antwort abzuwarten, fuhr sie fort: »Denkst Du noch immer an Columba, Detlef? Kannst Du sie nicht vergessen?«

Ich neigte das Haupt und drückte ihr die Hand.

Plötzlich sagte sie: »Hast Du Dir denn klar gemacht, armer Junge, welche Du eigentlich von beiden liebst. Ich weiß, ich weiß, was Du erwidern wirst. Es ist nur eine Person, an der Dein Herz hängt: Columba. Manja riß Dich hin, weil ihr Geist und alles das Dich anzog, was Deinem eigenen Naturell verwandter ist. Die feineren Züge: das Edlere, das durchaus Nachahmungswerte fandest Du in der Südländerin. In dieser sahest Du die wahre Weiblichkeit verkörpert, die andere riß Deine Sinne fort durch ihre lebhafte Genialität. Da Du beides begehrst, da Du nicht in einer Person die Vereinigung dessen fandest, was Du ersehnst, was Dich mit einer kräftigen und unerschütterlichen Liebe zu erfüllen vermochte, war es vielleicht ein Glück, daß – –«

»O, Mutter, Mutter!« – unterbrach ich ihre Rede, denn es erschien mir wie eine Entheiligung, einen Mangel an Columba zuzugeben.

»Ich verstehe Dich, Detlef,« fuhr sie fort. »Du verzichtest auf die Gaben des Geistes, sofern sie die tadellose Gesinnung in den Schatten stellen und giebst auch nicht zu, daß Deine Wahl Dich jemals hätte gereuen können. Und doch halte ich es nicht für unmöglich!

In meinen Augen steht freilich das Weib am höchsten, das wie ein sanfter Stern an einem von allem Unreinen freien, hohen, ruhigen Himmel erscheint und inmitten dieser Umgebung um so herrlicher strahlt. Aber Deine Natur wird vielleicht nicht zufrieden sein, wenn Deine Frau nur freundlich und gewissenhaft ihre Pflichten erfüllt.

Es giebt Männer, deren Liebe erlischt, wenn ihre Frauen nicht zu ihrem Ansehen und ihren äußeren Ehren beitragen, und wenn ich mir auch Deinen Ehrgeiz künftig nicht auf verkehrten Pfaden denke, glaube ich doch, daß Du einer Frau bedarfst, die Dich anregt, – die auch anderen gefällt, ohne gefallsüchtig zu sein, und die durch hervortretende Eigenschaften Deine Bewunderung in immer neue Liebe verwandelt.

Manja fehlt offenbar der stetige Sinn, und ihr Vorleben erscheint doch zu ungeregelt, als daß zu erwarten stände, sie werde diesen Hang abstreifen. Columba aber hat die Natur einer Vestalin, und ihre allzu besonnene, fast rauhe Tugend würde Dir – in der Furcht, sie durch irgend etwas zu verletzen – Hemmnisse auferlegen, die Deine Entwicklung beeinträchtigt, ja, sie würde vielleicht eine nüchterne Langeweile zwischen Euch legen, die fast der schlimmste Feind der Ehe ist. Verstehe mich recht. Ich kenne beide garnicht, und doch regen sie nach Deinen Mitteilungen mein Interesse so sehr an, daß sie mir wie ein edler Schatz willkommen gewesen wären, wenn Du eine von ihnen als Schwiegertochter in mein Haus gebracht hättest. Aber jemehr ich ruhig überlege, destomehr drängt sich mir der Gedanke auf, es sei vielleicht Dein Glück, daß sich alles so gewendet hat. Die Zeit und abgeklärte Empfindungen werden Dich manches anders beurteilen lassen, und wer weiß, ob Du mir nicht einst Recht geben wirst.

Wenn wir nun –«; meine Mutter stockte und ich merkte, daß sie eine kleine Intrigue zu verbergen suchte, deren Zauber die beste Frau sich nicht entziehen kann.

»Nun, Mutter?«

»Ich meine – wenn wir nun – verstehe wohl! Nach geraumer Zeit, nicht jetzt! – uns einmal umsähen, ob auf dieser großen Gotteserde nicht ein anderes Mädchen zu finden wäre, das – wenn auch mit weniger ausgeprägten Eigenschaften, als bei jenen – beider Vorzüge in sich vereinigte?«

Ich verstand. Meine Mutter hielt den Zeitpunkt gekommen, ihrer Lieblingsidee zum Ausdruck zu verhelfen, die darauf ausging, mich mit der einzigen Tochter eines in unserer Nachbarschaft lebenden angesehenen und vornehmen Gutsbesitzers, des Generals von Barca, zu verloben. Thekla von Barca war ein gescheites, sehr schönes, aber emancipiertes Mädchen. Sie trieb allerlei Dinge, mit denen sich sonst nur Männer zu beschäftigen pflegen. Wir kannten uns zwar schon von Jugend auf, waren uns aber während der letzten Jahre fremd geworden, und ich hatte mich, trotz des Drängens meiner Mutter, bisher noch nicht einmal entschließen können, der Familie einen Besuch zu machen.

Es war mir wohl bekannt, daß der General es nicht von sich gewiesen hätte, mich seiner Tochter zu vermählen, aber gerade dieser Umstand raubte mir – ganz abgesehen von der Unlust, in dieser Zeit mit Menschen zu verkehren – die Unbefangenheit und das Behagen, das Barcasche Haus aufzusuchen. Ich hatte zudem eine ausgesprochene Abneigung gegen solche Frauen. Sie erschienen mir wie Centauren, deren Bilder mich schon als Knabe abgestoßen hatten.

Ich konnte es nicht unterdrücken, auch einer anderen Empfindung Worte zu verleihen, die mich bei den Plänen meiner Mutter beherrschte, und indem ich deshalb gerade auf das Ziel zuschritt, sagte ich:

»Du magst Recht in dem haben, was Du vorher äußertest, Mutter. Vielleicht war's bisher nicht die rechte Wunderblume, die ich fand, da mich der Duft zweier so verschieden Gearteter zu gleicher Zeit anzog. Aber die eine wandte ihr Haupt von mir, und die andere ließ ich im Schatten stehen, während sie, gleichwie zum Lichte, ihre Blätter und Blüten sehnsüchtig nach mir ausstreckte. Es widerstrebt mir eine abermalige Annäherung so sehr, daß ich das Gefühl habe, ich müsse ganz verzichten, oder die pflücken, die nur für mich auf dieser Erde blühen will und die wartet, daß ich mich ihr nähere. Und nun gelange ich zu einer Frage, die mich vielfach lebhaft beschäftigte, und die es mich drängte, Dir schon lange vorzulegen: Habe ich nicht Pflichten gegen Manja von Sternberg?«

»Darüber vermagst Du nur allein zu entscheiden, Detlef,« erwiderte meine Mutter. »Ist Manjas Vorleben – wenn's auch abenteuerlich war – fleckenlos, zieht Dich eine aufrichtige Neigung zu ihr hin, so wirst Du bei mir keinen Widerstand finden, um so weniger, als ich glaube, daß gerade Du in der Ehe abstreifen wirst, was noch Unfertiges Dir anhaftet. Ist ersteres aber nicht derart, so unterliegt es wohl keinem Zweifel, daß Du ein Recht und sogar die Pflicht hast, Deine Gedanken von ihr abzuwenden. Was hat sie Dir selbst mitgeteilt und in welchem Umfange glaubst Du, daß Manjas Absichten ihre Offenherzigkeit beeinflußten?«

»Wenn ich einen Zweifel über ihre Makellosigkeit haben könnte, hätte ich die Frage nicht aufgeworfen –«, erwiderte ich ernst, aber indem ich so sprach, hatte meine Mutter doch nur Dinge in mir wachgerufen, die mich bereits allzu sehr beschäftigt hatten.

Sie aber sagte: »Ich glaube Dir, Detlef; ich hoffe es auch, da ein Mann, wie Baron Unzer, Manja seinen Namen schenken wollte. Aber oft deckt die lauernde Zeit mit ihrem neidischen Hange, in das Wohlergehen der Menschen einzugreifen, Dinge auf, welche die Scham verschwieg, und deren Unkenntnis gerade das Lebensglück der Personen bestimmte. Fürchtest Du nichts Ähnliches, und ist die Beschäftigung mit einer Frau, deren Vorleben man prüfen sollte, nicht überall mehr als bedenklich, wenn nicht ausgeschlossen? Du wirst, Du kannst mich nicht mißverstehen, weil Du weißt, daß nicht dasjenige, was der Mensch thut, sondern wie und unter welchen Umständen er handelte, für mich maßgebend ist, ich denke nur an Dein zukünftiges Glück und das zwingt mich, Dich zur Vorsicht zu mahnen."

Bevor wir unser Gespräch schlossen, kam ich noch einmal auf Manjas Schreiben zurück. »Und wie rätst Du mir also, daß ich mich zu Ihrem letzten Briefe verhalte? Jeder Tag, an dem ich mit der Antwort zögere, drückt mir als eine stärkere Unterlassung auf der Seele. Was soll ich erwidern, und – soll ich ihr den Bruch zwischen Columba und mir mitteilen?«

»Schreibe ihr lieber noch nicht, Detlef, oder umgehe jedenfalls einstweilen den letzteren Punkt,« entschied meine Mutter. »Trägst Du Dich wirklich mit der Absicht, Dich ihr abermals zu nähern, so habe ich Dir einen Vorschlag zu machen. Doch davon später.« –

*

Dennoch unterblieb in der Folge ein weiterer Austausch über diese Angelegenheit zwischen mir und meiner Mutter. Ich gelangte trotz meines ursprünglichen Dranges, Manja zu schreiben, nicht zu einer Entscheidung, und zuletzt ließ ich den Gedanken überhaupt fallen. An jenem Tage, beim Abschied im Försterhause, hatte ich ihr für immer Lebewohl gesagt und sie gebeten, mir zwar stets Nachricht zu geben, wenn sie meiner Hilfe in irgend einer Weise bedürfe, sie aber beschworen, alles andere der Vergessenheit zu überliefern. Dieser Umstand rechtfertigte schon, ihre Zeilen unerwidert zu lassen, noch mehr aber trieb mich meine Pietät für Columba, Beziehungen zu lösen, die mein Andenken an sie stören und meine Buße irgendwie beeinträchtigen könnten. Weil ich infolgedessen eine Scheu hatte, an dem einmal in mir Befestigten zu rütteln, auch immer noch Mahnungen und leise Zweifel in meinem Innern zurückblieben, die ich nicht von neuem Kraft gewinnen lassen wollte, vermied ich jede Anknüpfung an die früheren Gespräche, ja, selbst Columbas Name kam nicht mehr über meine Lippen.

Ich vergrub mich in meine Arbeiten und lebte – abgesehen von dem innigen Verkehr mit meiner Mutter – wie ein Einsiedler. Die Jahreszeit förderte, wozu meine Gedanken und Empfindungen neigten. Der Winter war rauh und stürmisch und hüllte die Gegend Monate lang in Schnee und Eis ein. So ernst und düster, wie es in mir selbst war, erschien die Natur draußen.

Was meine Mutter ersann, erriet ich nicht, aber was sie veranlaßte, auch die Ereignisse des verflossenen Jahres nicht mehr zu berühren, wußte ich wohl und dankte es ihr von Herzen. Es leitete sie zarte Rücksicht. Sie sah, daß die Wunde noch keineswegs geschlossen war; sie wußte, daß man sie langsam narben lassen mußte.

Besser denn, nicht daran zu rühren und dem Wunderbalsam der allmächtigen Zeit die gänzliche Heilung zu überlassen!

Wie köstlich waren diese Tage in dem Verkehr mit einer Frau, deren Art und Wesen ich bisher nur in dem Sinne gewürdigt hatte, als ich bei ihr allezeit Verständnis, Teilnahme und Liebe gefunden hatte. Es war mir nie der Gedanke gekommen, daß es anders sein könne, und so hatte ich alle die köstlichen Gaben als etwas Selbstverständliches hingenommen.

Halb unbewußt war ich von ihrem Werte durchdrungen gewesen, während ich jetzt erkannte, welche ungewöhnlichen Verstandes- und Herzenseigenschaften sie auszeichneten, jetzt, wo ich nicht mehr träumend durch die Welt ging, vielmehr den Drang hatte, Personen und Dinge mit meinem eigenen Urteil zu messen, und alles nach seiner Entstehung, seinem Bestande und seiner Wirkung vor mir aufsteigen zu lassen. Sie ließ mich ruhig meine Wege gehen und suchte mich in allen Dingen so wenig zu beeinflussen, daß ich fast versucht ward, sie aus falschverstandener Liebe einer Schwäche zu zeihen. Aber wenn wir uns dann gegenüber saßen, und ich bei sich bietenden Gelegenheiten gerade in ihrem Schweigen eine Rücksicht oder ein kluges Überlegen erkannte, um dadurch meine Gedanken eher hervorzulocken oder meine Ansichten leichter ohne Widerspruch zu beeinflussen, bat ich ihr alles ab und pries mein Glück, eine solche Mutter zu besitzen. Indem sie in ihrer Weise und in bester Art unsichtbar auf mich einwirkte, gewann ich an Einsicht und bedächtigem Handeln, und indem ich meine Pflichten ernster nahm und in Eifer und Arbeit mich stählte, verwischten sich die Neigungen zu tändelnder Liebe, die mein Inneres nur zu sehr ausgefüllt hatten. Meine unbefangene, natürlichem Frohsinn und heiterem Lebensgenuß zugewandte Natur begann sich wieder zu regen. –

Die langen Winterabende, voll ernster Anregung, bald der Musik, der Plauderei, der Lektüre oder einem harmlosen Spiel gewidmet, verloren endlich an dunkler Kraft. Die Jahreszeit drängte zum Licht, die Luft ward heller, wärmer, der Schnee zerschmolz, die Sonne ward mächtiger, und eines Tages brach mit gleichsam stürmisch frohlockendem Übermut der Frühling ins Land. Und da schwoll auch die alte Lebenslust vollends in meiner Brust auf. Es war mir, als sei ich aus einem stillen Winterschlaf zu neuem Dasein erwacht, und in meinem überströmenden Gefühl drückte ich an einem Morgen meine Mutter ans Herz und rief: »O, Du Herrliche, Du hast es verstanden, mich mir selbst zurückzugeben. Dir verdanke ich die Zurückgewinnung meiner alten Natur, die für alles, selbst für das kleinste empfänglich war. Sie vergoldete schon meine Kinderjahre und verschönte meine Jugend; sie wird auch ferner mein Begleiter sein, und doppelt werde ich die kommenden Zeiten genießen, da Du mich harmlos und fröhlich wie einst genießen, aber auch den Ernst des Lebens kennen und schätzen lehrtest!«

Bei solcher Veränderung meiner Stimmung war es für meine Mutter nicht schwer, mich nun endlich neben anderen Besuchen in der Nachbarschaft auch zu einem solchen bei Barcas geneigt zu machen.

»Lerne doch Thekla kennen, sie ist eine ganz andere geworden!« hob sie eines Tages an. »Wir wollen morgen einmal hinüberfahren und der Familie uns wieder zeigen! Daß ich dieses liebe Mädchen allezeit für Dich im Auge hatte, hast Du, wie ich vermute, verstanden –«

Sie lächelte, und ich drohte ihr mit dem Finger.

»Ist es Dein Wunsch, so bin ich bereit, liebe Mutter!« erwiderte ich. Und dann ernst: »Aber ich bitte, ich verlange, daß Du dem General keine Hoffnungen machst. O, o, ich weiß«, fuhr ich fort, als sie mich unterbrechen wollte, »wie Theklas Vater mit allem, was er auf dem Herzen hat, herauspoltert, und wie Du gerade in diesem Falle bereit bist, aus Deiner Zurückhaltung herauszutreten. Ich bin im übrigen sicher, daß unser Besuch nicht das Resultat haben wird, das Du damit verbindest! Aber wohlan! Warten wir ab! Für mich wird diese Begegnung jedenfalls den Wert haben, Dich endgültig über meine Absichten aufzuklären!«

»Nun gut, so sei es!« erwiderte meine Mutter.

* * *

 


 << zurück weiter >>