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Als wir eines Mittags nach einem üppigen Diner mit auserlesenen Speisen und Champagner uns ins Nebengemach zurückziehen wollten, empfing Unzer eine Depesche von seiner Mutter, in der sie ihn, gelegentlich einer Badereise, auf einer in der Nähe gelegenen und mit der Eisenbahn in wenig Stunden zu erreichenden Station um eine Zusammenkunft bat, und ihn aufforderte, sogleich abzureisen.

Er geriet in eine große Aufregung. Die Nachricht war ihm überraschend; auch mußte er, um den Anschluß nicht zu versäumen, sogleich aufbrechen. Aber das war das geringste; was ihn besonders beschäftigte, war das Ausbleiben sonstiger Nachrichten von seiner Mutter, die er von seinen Absichten rücksichtlich Manjas unterrichtet hatte, und die, aus ihrem bisherigen Schweigen zu schließen, sein Pläne mißbilligte.

Endlich beruhigten wir ihn; er übergab seine Braut meiner Obhut und fuhr, von uns zum Bahnhof begleitet, ab. Die übrigen Freunde verabschiedeten sich dort, ich aber folgte der anfänglich stummen, dann aber durch Händedruck und leise Frage zum Ausdruck gelangenden Bitte Manjas, sie an dem heutigen Abend nicht zu verlassen.

Gleichzeitig von demselben Gedanken und dem gleichen Entschluß getrieben, nahmen wir beim Nachhausegehen nicht den Weg durch die Hauptstraßen, sondern beschritten eine neben der Stadt hinlaufende Promenade. Als wir jedoch – von dem schönen Abend und von der Einsamkeit angelockt – unsere Wanderung bald unterbrachen und uns auf einer Bank niederließen, um hier die letzten Ereignisse zu besprechen, wurde die eben begonnene Unterhaltung durch einen Zwischenfall gestört, der mich so lebhaft beschäftigte, daß ich kaum äußere Fassung behielt, viel weniger meine innere Unruhe zu bemeistern vermochte. Ich hörte, während ich mit Manja eifrig schwatzte, plötzlich eine bekannte Stimme hinter mir, und als ich mich umwandte, erblickte ich Columba mit den Töchtern des Zylitz'schen Hauses, die, von einem Spaziergange heimkehrend, den Weg in ihre Villa nahmen. Mehr als eine Woche hatte ich meine Freunde bereits vernachlässigt, aber statt der verständigen Überlegung zu folgen und meine Unterlassung nachzuholen, blieb ich, gleichsam als Liebes-Adjutant, in Unzers Nähe und beschäftigte mich ausschließlich mit seinen Angelegenheiten und mit – Manja. Als ich nun Columba plötzlich vor mir sah, erschrak ich so heftig, und mein Schuldbewußtsein machte mich so unsicher, daß ich den mit befremdlichen Ausdruck in den Mienen vorüberschreitenden Damen nicht mehr nachzueilen wagte.

Aber ich sah meines holden Engels Blick, in dem eine so tiefe Trauer schwamm, daß mich nur der eine Gedanke beherrschte, rasch in ihre Nähe zu gelangen, um alles aufzuklären. –

Ich schilderte Columba als sehr schön. Es war mir, der ich den weiblichen Charakter zu kennen glaubte, deshalb auch nicht auffallend, daß Manja mich scharf beobachtete, mich eindringlich ausfragte und mit unverkennbarem Anflug von Eifersucht so lange in mich drang, meine tieferen Beziehungen zu jener einzugestehen, bis ich dies widerwillig, und gleichsam eine Entheiligung darin erkennend, es ihr, gerade ihr offenbaren zu müssen, endlich zugab.

Und nun entwickelte sich eines jener Rätsel des Seelenlebens, auf die wir erst aufmerksam werden, wenn ein Ereignis eintritt, daß sie weckt. Es reizte sie von dieser Stunde ab, mir zu gefallen, und in dem Widerstreit von Liebe zu ihr, die ich vergeblich zu bekämpfen suchte, und in dem Trotz, daß sie mich von dem reinen Bilde entfernte, das mein Inneres erfüllte, suchte ich bald nach einer Befriedigung meiner Leidenschaft, die mich ernüchterte und mich zu Columba zurückführte, bald von neuem nach Beweisen, daß Manja meiner Zuneigung nicht wert sei.

»Also Sie lieben dieses außerordentlich schöne Mädchen?« hob meine Begleiterin an. »Wer ist sie?«

Ich wich aus. Teils wirkte das Unbehagen über die Enthüllung meines Geheimnisses nach, teils trieb es mich, durch Bewahrung desselben Columbas Wert zu erhöhen.

»Kennt Unzer sie – die Familie?« fuhr sie beharrlich fort.

»Nein!«

»Sie scheinen die Dame mit einem besonderen Geheimnis umgeben zu wollen –«

»Nicht doch, Comtesse –«

»Nun, dann erzählen Sie mir ein wenig, Sie Böser! Es ist doch nur mein Interesse für Sie, was mich darum bitten läßt –«

»Sie haben Interesse für mich, Comtesse?«

»Sie zweifeln daran?«

»Als ich Sie an jenem Abende nach Hause geleitete, begegneten Sie mir auf meine Frage, ob ich Sie Wiedersehen dürfe, so abweisend, daß ich kaum glauben darf –«

»Ich finde, daß mein Benehmen am Tage unserer Bekanntschaft durchaus den Vorschriften der guten Sitte entsprach. Daraus einen Schluß auf meine Empfindungen zu ziehen, scheint mir – nun, Sie wissen schon, was ich sagen will –«

»Nein, in der That nicht, Comtesse –«

»Nun gleichviel! Also erzählen Sie mir von den Damen, von Ihrer Braut. – Es ist doch Ihre Braut?«

»Nein! Bleiben wir, ich bitte, bei unserem Thema! Lassen Sie mich wissen, daß ich Ihnen nicht gleichgültig bin –«

»Ich bewies es Ihnen bereits, obschon es im Grunde keinen Wert für Sie hat –«

»Keinen Wert, obgleich ich mich fortwährend bemühte, ihre Gunst zu erwerben?«

Sie sah mich einen Augenblick forschend und mit jenem verführerischen Lächeln an, das sie so gefährlich machte, und sagte dann übermütig und herausfordernd:

»Welchen Zweck sollte eine Neigung zwischen uns haben? Wir sind beide verlobt, gleich bei Seite gestellten, nicht mehr duftenden, wenn auch noch in einigen matten Farben prangenden Blumen, – denn so erscheinen mir stets die Verlobten – aber meine schwesterliche Liebe haben Sie, und die bleibt Ihnen« – schloß sie mit ironischem Pathos.

»Wissen Sie, Komtesse, daß ich Ihnen überhaupt mißtraue?«

Ich bereute diese Worte, so wie sie verklungen waren; sie aber blickte mich abermals rasch und forschend an und sagte, langsam und verächtlich das Haupt bewegend, während eine plötzliche vorübergehende Blässe ihre Wangen bedeckte:

»Sie sagen mir nichts Neues, und deshalb hielt ich auch Ihre Beteuerungen, daß ich Ihnen wert sei, für Phrasen –.

Ah – warten Sie!« fuhr sie, als ich eine Bewegung zum Sprechen machte, in einem fast herrischen Tone fort, – »ich will Ihnen alles sagen, was Sie denken, und ich will Ihnen auch auf alles antworten. Es ist gut, daß es einmal geschieht, es war schon lange meine Absicht."

»Ich höre, Komtesse« – sagte ich, und lehnte mich, wie zufällig, zurück, damit ich ihr, aber sie nicht mein Gesicht sehen konnte.

»Ich habe wohl an jenem ersten Abende bemerkt, daß Sie sich für mich interessierten, und – offen gestanden, Sie waren unter der wüsten Gesellschaft der einzige, der mir nicht gänzlich mißfiel. Am unerträglichsten war mir Unzer mit seinem Selbstgefühl und seiner hochmütigen Weisheit –«

»Hm!« machte ich.

»Sie meinen?«

»Nichts, Komtesse. Ich bitte sehr, daß Sie fortfahren!«

»Aber ich wußte auch, daß sich Ihre Gedanken nur mit mir in dem Sinne beschäftigten, daß ich Ihnen in einer vorübergehenden Laune die Zeit vertreiben solle, und ich habe Ihnen wiederholt erklärt, daß ich, wenn ich auch in diese, meinem Stand und meiner Erziehung entgegenstehenden Verhältnisse geriet, keine Abenteuerin bin und das Recht für mich in Anspruch nehmen darf, daß man mir wenigstens so lange mit aller Achtung begegnet, bis sich zeigt, daß ich eine solche nicht verdiene.«

»Aber ich bitte, kommt –«

»Erlauben Sie, daß ich ausspreche, daß ich überhaupt jetzt rede. Später werde ich Ihnen zuhören, mein Herr!

Sie sahen mich an, wie eines jener leichtsinnigen Geschöpfe, – gewiß, ich befand mich in dieser Gesellschaft, und der Gedanke lag an sich nahe, – mit denen die Männer einige süße Stunden verleben, und denen sie dann überdrüssig den Rücken wenden. Ich zeigte Ihnen allen, daß ich anders beurteilt zu werden ein Recht hatte, aber Sie nahmen trotzdem an, was Ihnen gefiel, Sie dekretierten gleichsam, daß ich nur eine Maske vorgesteckt habe.

Ich weiß, was Sie mir einwenden wollen. Ich bewies, als ich den Brief getauscht hatte, daß ich Komödie gespielt hab', und dieser Umstand machte mich in Ihren Augen verdächtig. Die Wahrheit ist nun, daß das, was ich that, nicht aus einer reiflichen Überlegung geschah, sondern daß ich einem plötzlichen Einfall folgte, mit dem ich freilich – wie ich zugestehen will – einen bestimmten Zweck verfolgte –«

»Einen bestimmten Zweck?«

»Nun ja! obgleich es thöricht und im Grunde nutzlos ist. es auszusprechen. Es geschah, um Ihnen, gerade Ihnen, zu zeigen, mein Herr, wie sehr Sie sich über meine Person täuschten. Daß die Wirkung eine andere war, als ich im Verfolg meines Handelns als möglich – als wünschenswert voraussetzte, ist eine jener Zufallsfügungen, die wir niemals in unsere Berechnungen ziehen, und so gewann ich denn –«"

»Den besseren Teil! Unzer! Meinen Freund, den trefflichsten Menschen, den die Erde trägt«, schaltete ich lebhaft ein und beobachtete den Eindruck meiner Worte.

Sie aber zuckte fragend die Achseln.

»Wie, Komtesse? Sie stimmen mir nicht bei? Sie lieben Unzer nicht?" rief ich, halb von wirklicher Überraschung, halb von meiner Eitelkeit fortgerissen.

Zu meinem größten Erstaunen fuhr sie, ohne meine Frage zu beantworten, fort:

»Jetzt wieder – selbst in diesem Augenblick – mißtrauen Sie mir. Ich weiß es, ich wußte es von Anfang an, ich wußte es an jenem ersten Abend, wo meine Erscheinung Sie anzog und Sie mich, wie verzaubert, anstarrten. Und so erfüllt sich abermals –«

Sie vollendete den Satz nicht. Was sie jetzt leiser, empfindsamer gesprochen, schien mir ehrlich, echt, unverfälscht.

Und während wir beide schwiegen, schaute ich vor uns in die Gegend. Aus den Wiesen erhob sich ein feiner Dampf. Der Abend legte seine friedlichen Rauchfeuer an und umhüllte die Ferne. Alles war still ringsum, nur einmal ertönte aus den nahgelegenen Gärten das verhallende Lachen spielender und den Häusern zueilender Kinder. Schon war es nicht möglich, genau die Gesichtszüge derjenigen zu erkennen, die eben gesprochen hatte.

»Manja!« – flüsterte ich endlich. Sie saß unbeweglich da und schaute, gleich mir, in die dämmernde Ferne; sie hörte nicht, was ich sprach, die Vergangenheit schien sie zu beschäftigen und eine tiefe Trauer ihr Inneres zu bewegen.

»Manja!« – Ich faßte ihre Hand, die sie mir ließ. »Ein böser Zauber liegt zwischen uns, aber er läßt sich nicht bannen. Sie haben Recht, ich habe Ihnen abzubitten. Ich thue es. Aber, da Sie mir so offen begegneten, sagen Sie mir alles: – Wer sind Sie?« –

Keine Antwort. Eine lange Pause trat ein, in der sie einige Male tief aufseufzte.

»Komtesse! ich bitte« – hob ich endlich an, »sagen Sie mir wenigstens, daß Sie Unzer lieben. – Ist dem aber nicht so, offenbaren Sie sich ihm bei Zeiten, um einen größeren Schmerz zu verhindern. Mein Freund steht zu hoch, ist zu edel, um ihn zu täuschen. –«

Aber nur Selbstsucht und Eitelkeit ließen mich sprechen. Mich trieb kein Gedanke für ihn, dessen ich mich so warm annahm. Ich wollte sie locken, mir zu beichten; ich heuchelte und nahm sein Schicksal zum Vorwand.

Ja, sie sollte beichten, weil es mich reizte, daß sie mich liebte; ich wollte es hören, daß ich ihr teurer sei, als Unzer, und das hingebende Vertrauen, das mir ihre Unwürdigkeit mitteilen würde, wollte ich benutzen, um einen Vorwand zu finden, mich von ihr abzuwenden. Columbas Bild tauchte vor mir auf, und ihre rufende Stimme drang an mein Ohr. Aber Manja durchschaute mich und sagte:

»Sie fragen, ob ich Unzer liebe? Ich glaube es nicht! Auch weiß ich nicht, ob ich ihn lieben könnte, wenn ich seine Frau würde. Ich werde es aber nie werden; auch dies steht fest in mir, und ich betrachte diese Zeit nur als einen neuen Zwischenakt in dem großen Drama meines Lebens.

Sie wollen, ich weiß es, jetzt hören, daß ich Ihnen zugethan bin, obgleich Ihr Herz einer anderen gehört. Grausamer Egoismus! Aber wohlan denn, ja! Und so sträflich es sein mag, es auszusprechen, ich hoffte, daß –

O Mann! Mann! Was machen Sie aus mir, und wie furchtbar ist ein Geständnis, wo man weiß, daß es nur dem befriedigten Triumphe dient!

Ach! seit einigen Stunden hat sich ja bestätigt, was mir mein ahnendes Gefühl immer zuflüsterte, und was ich – selbst als Verlobte eines anderen – in thörichter Hoffnung doch noch mir auszureden trachtete – daß jene unverrückbar zwischen Ihnen und mir steht – –

Und nun noch eins: Sie fragen mich: Wer sind Sie? – Ich bin ein armes, durch seinen Charakter verführtes, krankes Geschöpf! In mir kocht, trotz meiner äußeren Sicherheit und scheinbar überlegenen Ruhe, ein Heer von widerstreitenden Empfindungen. Die Natur gab mir alles, Verstand, Talente, und die Fähigkeit, das Gute zu lieben und zu üben, aber ein unbezwinglicher Leichtsinn hat mein Leben zerstört, zerstörte es tiefer, als ich es Unzer und Ihnen gestand und verhinderte, was ich mit allen Fibern seit Jahren ersehnte: die Frau eines braven Mannes zu werden, eines Mannes, den ich achte und liebe.«

Und nach diesem Geständnis brach sie in Thränen aus.

»Armes, liebes Mädchen – Manja – " flüsterte ich, hingerissen von ihrer Trauer und nun ohne Nebengedanken, nur beschäftigt mit dem schönen Wesen, das alles offenbarte, alles aus seinem geheimsten Innern löste, was darin verborgen lag.

»Aber Ihr Wort, daß Sie mein Verschweigen Unzer verheimlichen. Was werden soll, geschieht doch – Kismet! – Und nun kommen Sie! Geleiten Sie Manja Sternberg nach Hause, denn ich bin, obgleich Sie selbst dies anzweifelten, Manja, Gräfin Sternberg.« –

Und ich nahm mit ihr den Heimweg, und sie umfing mich beim Abschied mit ihren zärtlichsten Armen, denen ich keinen Widerstand entgegen zu setzen vermochte. Ihre Sprache, ihre Beteuerungen waren so süß, daß ich um die Reinheit ihrer Gesinnungen jeden Kampf aufgenommen haben würde. Aus ihren Augen zuckten langverhaltene Funken unterdrückter Leidenschaft, und diese war so glühend, daß ich in einen besinnungslosen Zustand von Glück und Wonne versank. Und doch legte sie ihre Seele so demütig vor mich hin, daß das sanfte Schmeicheln eines Kindes, das um Liebe fleht, nur wie ein matter Abglanz erschien.

Sie erklärte, auf mich verzichten zu wollen, aber nicht die Kraft dazu in meiner Nähe finden zu können, schalt sich wegen der Aussichten, die sie Unzer eröffnet hatte und fand doch nicht den Mut zu einem Widerruf, und so schwankte sie zwischen Leidenschaft und Pflicht hin und her, ohne sich zu einem Entschlüsse aufzuraffen.

Aber ihr ehrlicher Kampf war eben das verderbliche Züngeln einer paradiesischen, einer ›goldenen Schlange‹, wie Unzer sie genannt hatte, ohne zu ahnen, wie tief die Bedeutung wenigstens für mich sein werde.

*

Als ich am nächsten Tage zur Besinnung gelangte, befand ich mich in einer unbeschreiblich gedrückten Stimmung. In erster Linie warf ich mir den Treubruch gegen Unzer vor, der seine Braut unter meine Obhut gestellt, und dessen Vertrauen ich so nichtswürdig getäuscht hatte. Aber auch Columba stieg vor mir auf, und ich sah jenen schmerzlich verzichtenden Blick in ihren Augen, der mein Inneres mit allen Qualen der Selbstanklage erfüllte. – Zuletzt überlegte ich die Zukunft! Was sollte aus alledem werden? War es nicht meine Pflicht, Unzer über Manja aufzuklären und ihm dann die Entscheidung zu überlassen? Aber durfte ich ihm verschweigen, daß meine Leidenschaft mich hingerissen, daß ich mich beim Abschied ihren zärtlichen Armen nicht entwunden hatte? – Und ich ging tiefer in mein Inneres; ich überlegte.

Wer verdiente in meinen Augen die Bezeichnung eines ehrenwerten Mannes. Derjenige, der nach Grundsätzen handelte, der namentlich die Rechte anderer achtete und immer so verfuhr, daß auch seine verborgensten Schritte keinem gerechten Tadel begegnen konnten! Und was hatte ich gethan? Ich verriet diejenige, die mich liebte und die einen Anspruch an meine Treue erheben konnte, wenngleich die äußeren Zeichen unseres Bundes fehlten; ich hinterging meinen arglosen engsten Freund und unterstützte die Verirrung und die Zweifel eines Weibes, die ein Mann, wie er, zu seiner Gattin erheben wollte; endlich und zuletzt aber sündigte ich gegen mich selbst, denn die Äußerungen meiner Zuneigung gegen Manja verpflichteten mich zu einer Hehlerei, die mich entwürdigte, und deren Folgen ich nicht absehen konnte. Es gab nur eins! Manja meine Verirrung abzubitten, sie zu beschwören, Unzer offen zu begegnen, und um eine große Erfahrung reicher, nämlich um die Erkenntnis, wie wenig gestählt mein Charakter noch sei, und wie viel mir noch fehlte, um die Achtung zu verdienen, die ich stillschweigend bisher von anderen gegen mich in Anspruch genommen hatte, zu Columba zurückzukehren. Ich machte in der That am nächsten Tage den Versuch. – Unzer hatte mir depeschiert, daß er erst am kommenden Morgen zurückkehren werde, und ich begab mich – unter solchem Vorwände eher entschuldigt – in Manjas Wohnung. Als ich die Thür öffnete, flog sie mir noch unter den Nachwirkungen der Eindrücke des vergangenen Abends mit leidenschaftlicher Zärtlichkeit an die Brust und verstand nicht, daß ich den Versuch machte, sie sanft abzuwehren. »Was ist's, bist Du nicht wohl?« rief sie besorgt, während mir schon bei dem vertraulichen Du das Herz erbebte.

Ich wich aus und zeigte ihr Unzers Depesche.

»Nun, dann habe ich Dich noch einen Tag, und wir wollen ihn genießen! Komm, Lieber, setze Dich! Erzähle mir, wie Du geschlafen – nein, sage mir das nicht. Beichte, daß Du, wie ich, die ganze Nacht, halb im Schmerz der Trennung, halb in süßer Traumseligkeit wach gelegen, und nur ein einziger Gedanke Deine Seele erfüllte: Manja liebt mich!?«

Und sie warf sich abermals an meine Brust, legte ihre Wange an die meinige, umfing mich mit ihren Armen, ließ mich, kniete nieder, küßte meine Hände, und schaute mich mit ihren unwiderstehlichen Blicken an.

Und dabei lag ein Anhauch der durchwachten Nacht auf ihrem Antlitz, der dieses verschönte, verfeinerte, der ihre vornehmen Züge noch reizvoller machte, der mich mit heißem Beben zu ihr hinzog und mein Blut in eine Gährung versetzte, daß mein Herz zu zerspringen drohte. Ich erhob mich und ging unruhig auf und ab, aber sie war an meiner Seite und schmiegte sich zärtlich an mich, sie umfing mich abermals, rief stürmisch: »Küsse mich! Küsse mich! Sag' mir, daß Du mich lieb hast! Rasch, rasch, – damit ich nicht sterbe. – Ich muß es immer, immer wieder hören; ja, höre es, ich kämpfe gegen alles, was Dich heute von mir abwenden könnte, ich weiß es, sie, sie ist wieder da und zieht Dich mit tausend Fäden zu sich herüber! – Aber ich lasse Dich nicht, ich frage nichts nach allem, was man Sitte, Recht und Tugend nennt, ich will Dich – Dich! Sieh, ich liege hier und bitte Dich, sei mir gut, – –! Thu alles was Du willst – morgen im Sonnenschein – ach, später, später –« sie weinte, sie schluchzte, – »nur heute noch lasse mir mein Glück, heute nur, – einmal nur in meinem zerrissenen Dasein gönne mir, daß mein Herz einen Fasttag hat, daß es einmal aufjubeln darf, einmal genießen – ja, genießen, was das gnädige Schicksal jedem zu gewähren bereit ist, der es zu erhaschen im Stande ist! Hörst Du mich, mein Geliebter – –?

Um meiner Liebe willen bin ich es wert, daß Du die süße Stunde nicht von Dir stößt, – um des Mitleids willen vergiß, daß draußen ihr Herz Dir entgegenschlägt, – ach! sei gut und mitfühlend und gewähre mir diese Stunden ungeteilt. – Frage nicht nach Deinem Freunde, nicht nach Deinen stillen Schwüren, lausche nur meinen Worten und lasse nur jetzt mir den schönen Wahn, daß Dein gutes, großes Herz ganz mir gehört!

Ich gebe Dich ja frei – o, welch ein Wort der Qual! – ja, ich gebe Dich frei – aus Liebe – – Dachtest Du, daß ein Weib Dir je so zugethan sein könnte? Weißt Du, ob die, um die Du wirbst und die die großen Mauern zwischen uns aufbaute, imstande ist, Dir so zu sein, wie ich? Hat sie ein so empfängliches, warmes, leidenschaftliches Herz? Ich habe es, Teurer! Du siehst es; ich kann aus Liebe zu Dir verzichten, sie vermag es nicht – –. In ihren Augen brannte schon Zorn und Vernichtung, als sie Dich an der Seite eines fremden Weibes fand, sie verurteilte Dich – ich sah es – ohne Deine Verteidigung zu hören, und ich – hörst Du mich? wende Dich nicht ab, – nein, nein, neige Dich zu mir, damit ich mit meinen Küssen sanft ersticke, was Dein Gewissen quält, – ich litt alle Schmerzen unerwiderter Neigung und bin zufrieden mit den armseligen Stunden eines rasch dahin fliegenden Tages. – Denke, was Du willst, beschuldige, verdamme, – hasse mich, wende Dich für immer von mir, aber heute, heute sei mein!«

Und sie riß mich an sich und ließ den leidenschaftlichen Hauch ihrer Seele über mein Angesicht wehen, bettelte in rührenden Tönen um einen zärtlichen Blick. – Wag's einer zu sagen, der einst jung war, in dem gährte, was die Natur seinem Blute vermischte, was nach Erlösung rang und mit hämmernden Pulsen einen Ausweg suchte, dem ein solches Weib zu Füßen sank, das mit seinen verschwenderischen Reizen einem Marmor hätte Leben einflößen können, ob er widerstanden hätte? Ach, just wenn er widerstand, wird er um so weniger wagen, mich zu verdammen! Es giebt eine Leidenschaft, die verwandt ist dem Wahnsinn, mit dem ein Mensch sich an dem Leben eines anderen vergreift. Er muß es thun, es zieht ihn eine unsichtbare teuflische Macht, der er machtlos verfallen ist, und wenn's geschehen ist, verurteilt er sich selbst wie der nüchternste Eiferer, dem solche Gedanken soweit fern liegen, wie die That.

Die doppelte Natur – jede für sich – will ihr Recht! Wer will verdammen, der nicht den Grad des Feuers kennt, der unsere Seelen in solchen Augenblicken versengt? Ich sank, wie einst der olympische Gott, gleich einem schmeichelnden Schwan, zu den Füßen des Weibes, das noch eben vor mir gekniet und um Gegenliebe gefleht hatte. – Meine Sinne waren verwirrt, und zuletzt vermochte mein von süßen Schauern gepeinigtes Inneres nur noch eins zu fassen, und mein Mund nur eins zu sprechen: Manja!

*

Als die Sonne mir am kommenden Tage spät morgens ins Zimmer schien und ich erwachte, sprangen die Erinnerungen mit folternden Vorwürfen in mir auf. Inmitten dieser erschien verführerisch, alles zurückdrängend, Manjas Erscheinung, und als ich mich endlich erhob und den Versuch machte, meine Gedanken zu ordnen, und Vernunft und Leidenschaft trennend, einen Entschluß zu fassen, der mir die Achtung vor mir selbst zurückgab, versank ich doch wieder in ein unruhig thatenloses Brüten, bis der Mittag mich mahnte, daß ich an den Bahnhof eilen müsse, um Unzer abzuholen.

Die Schamröte schoß mir die Wangen, als ich mir vorstellte, wie ich seine Fragen nach Manja beantworten solle, und noch größere Pein durchzuckte mich, wenn ich daran dachte, daß ich Zeuge der ersten Umarmung beider sein werde.

Während ich noch unschlüssig überlegte, was eigentlich beginnen, klingelte es draußen, und die Aufwärterin brachte mir einen Brief. Ich riß ihn in ungeduldiger Erregung auf und fand darin die folgenden Worte:

»Mein heißgeliebter Mann! Unzer telegraphirt mir soeben, daß er aus Gründen, die unser Glück (?) betreffen, sich entschließen müsse, noch einen Tag bei seiner Mutter zu bleiben. Er trifft erst morgen ein und ersucht mich, Dir dies mitzuteilen. O, wie gut ist dieser Himmelssohn Amor! Ich bitte Dich, mir eine Marmorbüste dieses barmherzigen Gottes mitzubringen, damit wir wenigstens vor seinem Ebenbilde niederknieen und ihm danken, daß er uns noch einen – einen Tag ungestörten Zusammenseins schenken will.

Der Bote soll Antwort zurückbringen. Wenn aber in Deinen Zeilen nicht zugleich die drei ewigen Worte stehen: Ich liebe Dich, – ich rufe sie ja auch Dir zu, indem ich sie Dir vorschreibe – so bedenke, daß ich durch Deine Schuld Qualen erleide, die ein guter Mensch selbst seinem Feinde wissentlich nicht zufügt. – Heute scheint die holde, Schönheit spendende Sonne! Siehe, sie ist verschwindend mit ihrer allmächtigen Güte gegen diese weite Erde im Vergleich zu der Zärtlichkeit, die ich für Dich empfinde; und eines Schiffbrüchigen Sehnsucht nach einem nahenden Segel erscheint ein armer Vergleich gegen das Gefühl, das mich beherrscht, bis ich Dich mit meinen Armen umfange. Eile, eile es mir zu sagen, daß Du mein bist, teurer, unaussprechlich geliebter Mann.« –

Verbotene Liebe! Welch ein süßes und welch ein furchtbares Wort! Unsere Einbildungen wachsen unter ihrem Scepter zu Riesen, sie wird der Henker unserer Moral, sie schrumpft unsere Vernunft zu einem Zwerge herab und weckt in unserem Gehirn einen Bienenschwarm von Verschlagenheiten, Ränken und Listen zur Erreichung unserer Zwecke.

Nachdem ich Manjas Brief gelesen, ging ich ruhelos in meinem Zimmer auf und ab, und marterte mich, um zu einer Entscheidung zu gelangen. Noch war es Zeit! Ich fühlte es, ich wußte es, daß dieser Tag für mein Glück und meine Ehre bestimmend sein werde, sofern diese Unzer gegenüber noch zu retten war. –

Endlich faßte ich den Entschluß, abzureisen und dadurch mit einem Schlag allen Zweifeln und meiner Schwäche ein Ende zu machen. Ich fertigte den Boten ab, packte meinen Koffer, traf eine Reihe notwendiger Anordnungen und stand zum Fortgang bereit. In diesem Augenblick trat der nämliche Bote in mein Zimmer und überreichte mir ein zweites Schreiben von Manja. Ich wollte es nicht lesen, ich hatte es schon bei Seite gelegt, ich hatte unter dem Vorgeben, den Inhalt zu kennen, bereits den Überbringer abermals abgefertigt, als mich der Duft, der dem Brief entströmte, jener Duft, der auch Manjas Räume und Kleider durchwehte, plötzlich wieder ihr näher rückte. Ich konnte nicht widerstehen. Ich öffnete und las:

»Da meine Seele mit Dir verwachsen war seit jenem ersten Augenblick, wo Du in das Jahrmarktszelt tratest, so weiß ich auch jetzt wieder, was in Dir vorgeht. Du willst mir entfliehen und hast beschlossen, mich fortan zu meiden, ungeachtet Deiner gestrigen stummen Schwüre, trotz meiner heißen Bitten.

Wenn Du je Deine Mutter liebtest und mit zärtlichen Gedanken Dich zu ihr wandtest, wenn Du je Dir vorstelltest, welche Qual sie ertragen würde, wenn sie erführe, daß sie Dich unabänderlich verlieren müsse, dann hast Du den Abglanz einer Vorstellung, wie mir schon in der Ungewißheit zu Mute ist. Wenn Du Liebe, nein, Mitleid, nein, Erbarmen mit einem verlassenen, irrenden Geschöpf hast, das zum ersten Male in seinem Leben liebt, so heiß liebt, daß die Meere mit ihren Wassern zu klein erschienen, die Wüsten mit ihren unendlichen Flächen zu gering, um die Unermeßlichkeit solcher Empfindungen ihnen gegenüber zu stellen, – o lächle nicht, selbst in der Sünde bleibt die Liebe etwas Heiliges, etwas über allem, über Zeit und Raum stehendes, – dann komme, da ich Dich rufe!

Und noch eins! Soll's das letzte Mal sein, dann schwöre ich Dir bei meiner Liebe, – weißt Du, daß kaum je ein Schwur geleistet ward unter einer so erhabenen Anrufung, – daß ich Dich freigebe, aber da der Zufall oder ein gnädiges Geschick uns diesen Tag noch schenkte, – widme die heutigen Stunden noch

Deiner
armen, Dich grenzenlos liebenden Manja.

Als ich die letzten Worte gelesen hatte, war ich besiegt. Unsichtbar züngelte die goldene Schlange, und wenn sich undurchdringliche Wolken aufgetürmt hätten, wenn Felsengebirge sich zwischen uns geschoben haben würden, ich wäre zu ihr geeilt, um ihre Verzeihung zu erflehen, daß ich nur eine der köstlichen Sekunden hätte dahinfließen lassen, in denen es mich immer und immer wieder zu hören begehrte, daß sie mich liebe.

*

Noch heute glaube ich den Freudenschrei zu hören, mit dem mich Manja empfing. Sie warf sich an meine Brust und flehte in den rührendsten Ausdrücken, ihr zu vergeben.

Nachdem sich ihre Aufregung gelegt hatte, bat sie mich, niederzusitzen, und die Pläne zu hören, die sie entworfen hatte.

»Ich habe mir ausgedacht, daß wir heute nicht in der Stadt bleiben,« begann sie. »Ich bin entschlossen, abzureisen, und ich schlage Dir vor, daß Du mich auf einem Landumwege bis zur nächsten Bahnstation begleitest.«

»Du willst abreisen? Und Unzer?« – fragte ich erstaunt.

»Nun, das ist's ja eben! Ich kann ihn nicht betrügen. Nach dem, was zwischen uns sich ereignet hat, bin ich ihm die Erklärung schuldig, daß ich auf eine Verbindung verzichte.«

»Und wohin willst Du Dich wenden?« – fragte ich, vorläufig über ihren Entschluß noch keine Meinung äußernd.

»Ich weiß es noch nicht, und ach! das ist ja das Furchtbare dieses Entschlusses. Was wird aus mir –?«

Sie stand auf, trat ans Fenster und drückte die Stirn an die Scheiben. Ich hörte sie unterdrückt schluchzen; ich sah, wie sie verstohlen nach ihrem Tüchlein griff, um ihre Thränen zu trocknen.

Und während mein eigenes Herz bei ihrem Kummer in Qual verging, fiel mir zugleich auf die Seele, welches Unheil ich durch meine Handlungsweise angerichtet hatte. Es unterlag keinem Zweifel: eine Verbindung mit Unzer, ja selbst eine einzige Zusammenkunft, es sei denn, daß diese den Zweck hatte, das kaum geschlossene Verhältnis zu lösen, war nach all diesen Vorgängen unmöglich.

Ich konnte ihren Entschluß, wenn auch die Form noch einer Überlegung bedurfte, nicht mißbilligen. Aber was dann? Was sollte aus dem armen Mädchen werden, das um meinetwillen sich abermals den Zufälligkeiten des Lebens aussetzen wollte? Ergaben sich nicht Pflichten für mich, und war ich imstande, diese zu lösen!?

Die Folgen meines grenzenlosen Leichtsinns traten mir vor die Seele und ließen mich fast verzweifeln.

Aber es war, als ob dieses rätselhafte Geschöpf jeden meiner Gedanken erriete, als ob sie alles mir von der Stirn lese, was in meinem Innern vorging, denn plötzlich wandte sie sich um, eilte auf mich zu, umarmte mich stürmisch und rief: »Ach, vergiß! vergiß! Küsse mich! Küsse mich! Denke nicht an mich! Gräme, quäle Dich nicht! Ich habe alles vorher bedacht, und um so schlechter war es, daß ich mich vergaß und Dich weichmütig machte. Sieh, Detlef, ich will Dir sagen, wie ich mir's zurechtgelegt habe. – Ich schreibe jetzt gleich einen Brief au Unzer, in dem ich ihm für seine Gesinnung danke und durch das offene Bekenntnis, daß ich ihn nicht in dem Maße zu lieben imstande sei, um seine Frau zu werden, auch nachsichtige Empfindungen in ihm hervorzurufen suche. Ich werde ihn erinnern, daß ich ihn keineswegs ermuntert habe, vielmehr bis zum letzten Augenblick meine Bedenken äußerte, ob dieser Schritt ein heilsamer sein werde. Ich werde ihm erklären, daß ich mich leise fortgeschlichen habe, um uns beiden die Trennung zu erleichtern, ihm den Schmerz, mir das Peinliche einer nochmaligen Begegnung. Ich werde endlich noch hinzufügen, daß ich auch Dich getäuscht habe; daß ich unter dem Vorgeben, die Umgegend kennen lernen zu wollen, Deine Begleitung erbeten und auf dieser Fahrt mich heimlich von Dir entfernte.«

Ich sann bei Manjas Worten nach, ja, ich dachte in diesem Augenblick nur an mich, und die Lüge hatte keine Schrecken gegenüber der Furcht einer Entdeckung des wahren Sachverhaltes. Aber ich verwarf doch alles und bat sie, seine Rückkehr abzuwarten.

»Bleibe hier, Manja!« riet ich. »Sprich lieber offen mit ihm, statt zu schreiben. Eine heimliche Flucht wird Dich in seinen Augen herabsetzen, während eine unumwundene, ehrliche, mündliche Erklärung einem Manne, wie Unzer, um so größere Achtung abnötigen wird. Thu's auch um Deiner Zukunft willen! Es widerstrebt mir, hinter seinem Rücken für Dich zu sorgen, bis Du unserer nicht mehr bedarfst. Alles, was zwischen uns geschehen ist, erweckt auch weniger Verdacht, wenn Du hier bleibst. Kann's nicht anders sein, vermagst Du Dich nicht zu überwinden, so werde ich, statt Deiner, sprechen und Eure Trennung für Dich so wenig peinlich zu gestalten suchen, wie es bei der außerordentlichen Sachlage möglich ist.«

»Wenn Du nur eines nicht erwähnt hättest«, entgegnete sie in einem bitteren Ton.

Ich sah sie fragend an. »Was ist's Manja? Sprich« –

Aber sie blieb stumm. Ich überdachte, was sie verletzt haben könne, aber ich fand es nicht. Endlich brach sie auf meine abermaligen Bitten das Schweigen, erhob sich stolz und sagte trotzig:

»Glaubst Du wirklich, ich werde von Unzer, – von Dir Wohlthaten annehmen – –?«

»Ich verstehe Dich nicht, Manja« – -

»Nun, dann brechen wir ab. – Ach, lassen wir überhaupt alles ruhen! Ich muß mich betäuben! – Ich darf nicht mehr denken. – Es kommt doch, wie's kommen soll! Und nun, Detlef, rüste Dich, wir fahren über Land. – Mein Plan, wie wir den Tag verleben wollen, ist fertig. Der Himmel ist heute für Romeo und Julia –« hier schaute sie mich mit ihrem verführerischsten Lächeln an – »wie geschaffen. Sieh, die Sonne zog ihren strahlendsten Panzer an, die Luft ist so durchsichtig und rein, daß wir unsere armen Seelen gesund baden werden, die Vögel zwitschern, – ich lehrte sie über Nacht Liebeslieder, die sie uns vorsingen sollen, – die Quellen springen, die Berge schauen in schönster Majestät auf uns herab, und unsere Rosse stampfen schon ungeduldig mit den Hufen.«

Wirklich hielt in diesem Augenblick ein offener Wagen vor der Thür, und sie erklärte, ihn für uns bestellt zu haben.

Ich schwankte. Immer größer wurde das Schuldbuch, in dem sich meine Sünden eingruben, immer vorwurfsvoller nagte es an mir, immer verächtlicher erschien ich mir, meine Energie nicht zurückfinden, mich nicht mit eisernem Entschluß ihren verführerischen Umarmungen entziehen zu können.

»O, über Euch Männer!« – rief Manja, mein Zaudern bemerkend und vornehm das Haupt zurückwerfend. »Alles thut Ihr halb! Nun hast Du ein Weib – Schau mich an; – hat mich die Natur so vernachlässigt?« – sie schlug den Mantel, den sie schon umgelegt hatte, zurück und ließ ihre junonische Gestalt vor mir aufsteigen – »und Du zauderst, mir noch einige Stunden zu schenken? Was ist ein wenig mehr in dem süßen Rausch der Sünde?

Half ich nicht, Detlef« – fuhr sie sanfter fort – »alles von Dir abzuwälzen? Nehme ich nicht jede Schuld, alle Folgen, – alle kommende Qual auf mich? Zahl ich nicht den goldenen Tag, der uns winkt, zahl ich ihn nicht teurer, als Dich die Wohlthaten drücken werden, mit denen du mich in Zukunft zu beglücken trachtest?«

»O Manja, Manja! Wie konntest Du mißverstehen?« rief ich, nun begreifend, was vordem ihr Mißfallen erregt hatte. Aber sie unterbrach mich rauh und sagte:

»Nur meine grenzenlose Liebe zu Dir hat mich vergessen lassen, was Du vorhin anbotest. Sieh, Detlef, das ist der Unterschied zwischen Dir und mir, der Du Dich – ich weiß es, unterbrich mich nicht, – besser dünkest, als ich. Ich, Detlef, verzichte auf Dich, obgleich mein Herz in Wehen verbluten wird. Ich löse um Deinetwillen ein Verhältnis, zu dem die Vernunft mir rät – denn, sind Ehen glücklich, die anders aufgebaut werden? Zerreißt nicht die blinde Liebe, die als Herold voranschreitet und mit volltönenden Worten das Glück verkündet, nur zu bald die durchsichtigen Schleier? – und Du, Detlef, kannst nicht einmal den Gedanken fassen, um meinetwillen etwas aufzugeben – ach! nicht einmal meiner Laune etwas zu gewähren, weil Dein Verstand und Deine Vorsicht Dich immer an die Folgen denken lassen. –

Das ist's, was die Männer meistens so erbärmlich macht. Sie schwelgen in den Schätzen, die ihnen die Frauen an Zärtlichkeit, Treue und Tugend, ja an ihrer eigenen Ehre zu Füßen legen, und zuletzt glauben sie, Edelleute und Ehrenmänner zu sein, wenn sie ihre Börse ziehen –«

»Höre auf, Manja, – ich befehle es Dir!« – rief ich verletzt durch ihre kaltherzigen Vorwürfe, die ich, da ich noch jung war und mit den Erscheinungen des Lebens unerfahren, nicht verstand, und, da ich sie nicht einmal verstand, auch in der That nicht verdiente. »Sobald Du tiefer auf unser Verhältnis eingehst, das auf den höchsten Höhen des Leichtsinns steht, und jeglicher Moral schnurstracks zuwiderläuft, giebt es nur eins: ich fliehe Deine Thür und greife nach einer Waffe, die solche gegen ihr Herz richten, die ihre Ehre und somit alles verloren haben.

Es giebt nur eine Entschuldigung für alles das, was uns verkettet: daß Du in der That Unzer nicht liebst. Aber das verlieh uns beiden nicht das Recht, einen Blick früher auszutauschen, als bis er Dir Dein Wort zurückgab. Du fandest die Lösung, die allein eine Lösung und eine Sühne ist. Immer aber bleibt eines bestehen, ewig, und keine Zeit wäscht es ab, es ist unser Treubruch gegen Unzer. Und nun – keine Betrachtungen, keine Reue, keine Erörterungen mehr, – ich bitte Dich! Ich werde zuletzt noch an ein mehr erinnert, an etwas, was mein Herz noch furchtbarer martert. – Ach, Manja! ich werde erinnert an die Lösung eines Schwurs, den ich zwar nur mir selbst geleistet habe, der aber weit –«

Aber ich sprach nicht aus. Sie fiel vor mir auf die Knie, umklammerte sie und rief: »Nenne keinen Namen, es friert mein Inneres schon bei dem Gedanken; es rieseln mir kalte Schauer über den Körper, wenn ich mir nur vorstelle, daß Dein Auge so zu ihr emporschauen konnte, wie es mich anblickte. Vergieb, verzeih! – Ich bitte Dir alles ab. Ich war unbesonnen, heftig, leidenschaftlich, ungerecht! O, suche nach Namen und Bezeichnungen, um mich besser zu strafen. Sag', was ich thun soll, um zu sühnen, – Detlef! Detlef! höre mich! Verlaß mich nicht! Nur heute nicht! – Ich will ja wieder in die Welt hinauswandern und unglücklich sein. Ich will ja um Teilnahme, Brot und Liebe betteln, alles um das Glück dieses einzigen Tages, aber in diesen Stunden, diesen wenigen noch, sei ganz mein! Löse alles von Dir ab, was sich nicht auf mich richtet, was heute nicht mir gehört!«

Sie sprang empor. In ihren Augen brannte ein verzehrendes Feuer, sie umschlang mich, und während sie mich schier unter ihren Küssen erstickte, flüsterte sie:

»Heute gehöre ich Dir, heute ist der Frühlingstag unserer Liebe, in der es keinen schwermütigen Herbst giebt – und dann – geht Manja wieder betteln!« – – –

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