Gerhart Hauptmann
Griselda
Gerhart Hauptmann

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Zwölfte Szene

Wiederum die Treppenhalle. Sie ist reich mit Blumen ausgeschmückt. Durch eine geöffnete Rundpforte auf dem Treppenabsatz blickt man in die Schloßkapelle. Der Haushofmeister und einige Diener geben der dreizehnten Treppenstufe durch Purpur und Goldbrokat einen auserlesenen Schmuck. Der Propst im Ornat, Graf und Gräfin Eberhard in Feierkleidung kommen aus der Kapelle.

Der Schloßpropst. Wer wird den kleinen Ulricus Franziscus Heliodor eigentlich über die Taufe halten?

Graf Eberhard. Ihr stellt sonderbare Fragen, Herr Propst. Glaubt Ihr, mein Neffe wird es sich nehmen lassen?

Gräfin Eberhard. Wer sagte mir doch, daß es der Markgraf selber sich ausdrücklich vorbehalten hat? Heilige Mutter Anna! ich glaube, er hat es mir selber gesagt. Früher, wißt Ihr ja, hab' ich mich kaum zwei Worte mit ihm zu reden getrauen dürfen, so daß mir der neue Zustand noch immer förmlich unfaßlich ist.

Graf Eberhard. Habt Ihr nun auch die richtige Stufe abgezählt?

Der Haushofmeister. Jawohl! Es war die dreizehnte Stufe.

Graf Eberhard zählt nach. Eins, zwei, drei, fünf, sieben, acht, neun . . . Jawohl. Sie ist's.

Der Schloßpropst. Glaubt mir, sooft ich die Treppen gehe, vermeide ich immer noch, obgleich es mir schwer wird, zwei Stufen mit einem Schritt zu nehmen, diese geheiligte Stufe zu betreten, auf der die Gräfin Griselda mit dem Kinde im Arme zusammengebrochen ist.

Graf Eberhard. Es ging mir das eine Mal beinahe wirklich ebenso, lieber Propst, ich wäre beinahe darüber gestolpert.

Gräfin Eberhard. Was haltet Ihr von der Zahl Dreizehn, Propst?

Der Schloßpropst. Genau das, was ich von dieser dreizehnten Stufe halte. Sie war eine Unglücksstufe und zugleich eine Stufe unendlichen Glücks. Hier sank die gemarterte Gräfin nieder, und hier läuterte Gott für immer dem Fürsten sein allzu verstocktes Herz.

Gräfin Eberhard. Versteckt oder offen, lieber Propst: es ist immer ein harter Kampf zwischen Mann und Weib! Oder meint Ihr nicht?

Der Schloßpropst. Ich weiß das sehr gut aus der Ohrenbeichte. Wir unterstützen meistens das Weib.

Gräfin Eberhard, launig. Solltet Ihr nicht auch manchmal den Mann unterstützen?

Der Schloßpropst, launig. Auch wenn wir das tun, helfen wir immer den Frauen zu ihrem natürlichen Recht.

Gräfin Eberhard lacht. Freilich, solange Ihr jung seid, Propst.

Alle drei und auch der Haushofmeister lachen herzlich.

Der Schloßpropst. Gott hat Großes an diesen Menschen getan.

Gräfin Eberhard. Habt Ihr dies alles eigentlich gar so schwer genommen?

Graf Eberhard. Es hat doch Augenblicke gegeben, Kind, wo auch mir, einem durchgesottenen Ehemann, beinahe jeder Hoffnungsfunke erloschen schien.

Gräfin Eberhard. Nach den Flitterwochen die Zitterwochen! Ich rechne dies alles bei Licht betrachtet noch in die Kindeswehen der Ehe hinein. Nun aber, wo sich der Kampf und der Sieg gewissermaßen entschieden hat, blicke ich ruhig in die Zukunft.

Der Schloßpropst. Ein edles, bewunderungswürdiges Weib. In einem gewissen Betrachte jenen nicht unähnlich, die später die Kirche zu Heiligen machte, mit einer Stärke der Seele und Willenskraft ohnegleichen begabt, gleich groß im Dulden wie im Handeln.

Gräfin Eberhard. Und, Propst, nicht ohne Gerissenheit.

Graf Eberhard. Instinkt, Instinkt!

Gräfin Eberhard. Oder Bauernschläue.

Der Schloßpropst. Ich vergöttere sie! Ich verehre sie hoch!

Gräfin Eberhard. Jedenfalls hat sie meinen Mann wie einen lästigen Enterich vor das Hoftor gesetzt und ihren Herrn Ulrich platt auf die Erde.

Vater und Mutter Helmbrecht, sonntäglich gekleidet, kommen durchs Portal.

Vater Helmbrecht. Wir wollten einen schönen guten Morgen hiermit geboten haben.

Der Haushofmeister. Du hast dich verlaufen, Bäuerchen.

Gräfin Eberhard, in Betrachtung der Mutter Helmbrecht. Schau, das ist eine hübsche Tracht. Das ist hundert Jahre und länger her, daß die Leute solche Kleider getragen haben. Sag mal, Alterchen, willst du mir deine ganze Robe, die du anhast, verkaufen? Ich zahle gut.

Mutter Helmbrecht. Nein, du kurioses Grafenweib, ich kann dir die Kleider vom Leibe nicht verkaufen. Denkst du, ich sollte, sechzigjährig, wie Gott mich gemacht hat, zur Taufe gehen?

Graf Eberhard. Du bist gescheit, meine Liebe. Das ist ja die Großmama und der Großpapa! Wie geht's, lieber Großpapa? Wie geht's, liebe Großmama? Seid ihr jetzt etwas umgänglicher geworden?

Vater Helmbrecht. Je nachdem!

Graf Eberhard, halblaut zum Propst. Glaubt mir, wir werden im Laufe der Zeit, bei der neuerlichen ehelichen Gewichtsverteilung, manches von diesen beiden Alten zu schlucken bekommen.

Der Schloßpropst. Ad maiorem Dei gloriam! Ich gebe zu, daß die Aspekten für diese Kinder der Einfalt jetzt günstiger sind.

Aus einer Tür treten unten in die Halle Graf Ulrich, Graf Heinz und die Baronin, alle drei frisch und lebhaft.

Graf Ulrich. Kleine Baronin, du bist eigentlich eine recht gute Haut. Ich hätte dich früher kennen sollen. Übrigens auch noch ganz hübsch, wenn die Sonne dein rötliches Haar bescheint. Du mußt dir den Zopf wie Griselda stecken. Übrigens ganz famos, wie du laufen kannst. Herrgott, ich sehe überhaupt auf einmal alle Krähen für Nachtigallen an.

Die Baronin. Ihr seid in der Tat so scharmant, Erlaucht, daß man auf den Gedanken kommen könnte, man hätte es mit einem jüngeren Bruder von Euch zu tun. Es ist wie auf einem grünen Saatfelde ein ständiges Jubilieren um Euch.

Graf Ulrich. Baronin, ich habe Lerchen gefrühstückt! – Lieber Heinz Eberhard, heirate doch! Ich schwöre dir, lieber Heinz, du mußt heiraten! – Teufel nochmal, warum heiratest du nicht?

Graf Heinz. Das geht nicht über Hals über Kopf.

Graf Ulrich. O doch: es geht über Hals wie ein Halseisen und wie eine Nachtmütze über Kopf. Doch Scherz beiseite, ich fühle mich wahrhaft göttlich heut. Ich bin so gestimmt, daß ich das Ba-ba eines Kindermäulchens dem Muh-muh eines Ochsen mit Bœufchen bei weitem vorziehe. Selbst das herrliche Brausen der grünen Orgel des Waldes ersetzt mir nicht ein von der Amme meines Jungen miserabel gedudeltes Kinderlied: »Hulli Hulli Gänschen, die Wurst hat zwei Schwänzchen«. Propst, könnte da nicht der Kantor vielleicht eine große Fuge mit Pauken, Orgel und Posaunen daraus machen? – Nichts? Nun, der Taufzug wird also feierlich diesen Gang heraufkommen, hier einbiegen und die Treppe emporsteigen. Vor der dreizehnten Stufe wird haltgemacht. – Wir steigen langsam von Stufe zu Stufe unter Musik einer Kindertrompete und Kindertrommel bis in die himmlische Kinderstube, wollte sagen, bis in die Schloßkapelle hinein.

Der Schloßpropst. Und Ihr führt Eure Gattin von Stufe zu Stufe, stützt sie, tragt sie auf Händen, wenn es sein muß . . . nicht wahr? . . .

Graf Ulrich. Ich werde von der Einförmigkeit meiner uniformen Liebe, Verehrung, Neigung, Dankbarkeit, Ergebung und Leidenschaft, auch meiner Reue nicht zu vergessen, fortan nicht mehr zollbreit abweichen, bis wir beide, mein Weib und ich, zwei eingekampferte Schlafröcke sind.

Graf Eberhard. Wovor ich einstweilen noch keine Furcht habe. Ulrich, ich bin kein junger Mann, aber ein Blick auf dein junges Weib macht Alte jung oder macht sie unglücklich.

Graf Ulrich. Was würdet Ihr sagen, wenn Ihr sie einmal à la Veronese oder à la Tizian serviert sehen könntet! Doch pst! Ich glaube, das schickt sich nicht. Es ist in der Tat zum Verrücktwerden.

Graf Eberhard. Du schläfst doch gut, lieber Ulrich?

Graf Ulrich. Warum?

Graf Eberhard. Du hast solche Ränder um die Augen.

Graf Ulrich. Gott! . . . Bei der Lampe . . . die Ehe ist ein schwieriges Studium.

Der Schloßpropst. Ich wüßte aber kein anderes so lohnendes.

Graf Ulrich. Wißt Ihr auch, wie man ein Kind beruhigt und aus nassen Windeln in trockene legt?

Der Schloßpropst. Gott sei Dank, das verlangt unsere heilige Mutter Kirche von uns nicht.

Graf Ulrich. Aber Mutter Griselda verlangt es. Solange Ihr das nicht begriffen habt, wißt Ihr auch von dem Bric-à-brac lohnender ehelicher Resultate nur so wenig. Aber schließlich ist mir die Perle im Golde aufgegangen bei dieser Gelegenheit: Ulricus Franziscus Heliodor – le roi est mort, vive le roi! – Saluzzae princeps, dominus, rex.

Graf Eberhard umarmt und küßt Ulrich. Junge, nun bist du doch noch, und zwar auf strahlende Weise, vernünftig geworden.

Graf Ulrich. Das kommt davon, weil ich jetzt erst in der richtigen Schule bin. Ich bin auch übrigens gleich avanciert. Ich darf ein Bändchen am Steckkissen halten. Ich darf dem regierenden Herrn die Klapper reichen, auch wohl gelegentlich etwas vorklappern. Im übrigen freilich geht es gehörig strenge zu. Und das ist gut, denn ich hatte mir wirklich das unnütze Schwatzen angewöhnt: jetzt schreit dafür oder klappert der Prinz oder wird beschrien und beklappert. Ich habe den Mund kaum mehr aufzutun. Ist aber wirklich etwas zu sagen, so nimmt es mir neuerdings meine Frau gewöhnlich noch ab. Sie ist tatsächlich gesprächig geworden. Das macht, sie hat ein strampelndes Thema bekommen, das geradezu unerschöpflich ist.

Graf Heinz. Man merkt es dir an, daß du lange die Schleusen der Sprache nicht ordentlich mehr geöffnet hast. Du überschwemmst uns ja sturzbachartig.

Gräfin Eberhard. Sollte es nicht noch hie und da Schulpausen geben, bester Graf?

Graf Ulrich. Gott sei Dank, hie und da gibt es Schulpausen.

Gräfin Eberhard. Griselda, Eure Mitschülerin, wird doch schließlich auch außer der Schule für Momente zu sprechen sein.

Graf Ulrich. Solche Momente leugne ich nicht. Aber, dieser Tyrann des Hauses gibt ganz verteufelt acht auf mich. Ich muß mir dergleichen Freuden erschleichen. Wodurch sie denn in der Hauptsache von der anderen Seite manchmal etwas gedankenlosen Sukkurs erhalten, aber auf meiner Seite immer noch recht passabel ausschlagen. Propst, meine Frau ist ein solches Geschöpf . . . Ihr würdet Eure Soutane ablegen, wenn Ihr nur einen Begriff von den blonden Schätzen . . . pst! . . . von ihrer unsterblichen Seele hättet. – Ah! Der Schwiegerpapa und die Schwiegermama. Er begrüßt beide freundlich, aber beiläufig. Haushofmeister, führe die Leutchen zur Gräfin hinauf! Der Haushofmeister mit Vater und Mutter Helmbrecht ab. Dies also hier war die Stufe, wo ich Griselden wiederfand. Ich scheue mich nicht, es zu sagen, daß auf dieser Stufe Blut aus dem Herzen Griseldens in das Blut meines Herzens gedrungen ist. Nicht durch Euch, guter Propst, sondern hier erst auf dieser zärtlich geliebten Stufe ist eine Ehe geschlossen worden.

Man hört Musik in der Kapelle.

Der Schloßpropst. Sie sei gesegnet. – Wir sind bereit.

Graf Ulrich hat sich auf der dreizehnten Stufe niedergelassen, diese zärtlich streichelnd. Der Schloßpropst wird von zwei Mönchen in die Kapelle geholt. Leiser Orgelklang nimmt zu. Der Haushofmeister kommt wieder.

Der Haushofmeister. Ich habe zu melden, daß der Täufling, die gnädige Gräfin und der Zug der Gäste geordnet sind.

Graf Ulrich, die Stufe streichelnd. Ach, Baronin, ach, es ist doch recht schade, Heinz! Es ist doch recht jammer-, jammerschade.

Graf Heinz. Was meinst du denn, das nun auf einmal wieder, lieber Ulrich, so schade sein sollte?

Graf Ulrich. Ach! Oh! Daß diese Stufe nun doch überschritten ist! – Er springt mit Entschluß auf und steigt die Treppe herab, einige schmachtende Kußhände werfend. – Leb wohl, liebe Stufe! Ade, liebe Stufe! Du schöne, bittere, böse Stufe, ade, ade.

Ein Glöckchen beginnt zu läuten. Aus der Kapellentür tritt, voran der Propst, die Geistlichkeit bis an den oberen Treppenrand, um hier den Taufzug zu erwarten. Unten erscheint bald darauf dieser Zug: an der Spitze Pagen mit Lichtern, eine Edelfrau, die den Täufling trägt. Griselda an der rechten Seite führt den Markgrafen. Das Ehepaar Helmbrecht, hernach eine kleine Anzahl Männer und Frauen, worunter Graf und Gräfin Eberhard, Graf Heinz sowie die Baronin sind. Der Haushofmeister bringt auf der Mitte der Treppe den Zug zum Stehen, so daß Graf und Gräfin Griselda die zwölfte Stufe innehaben.

Graf Ulrich. Erlauchte Gattin, gnädigste Gräfin, hört mich an. Wir stehen vor der dreizehnten Stufe. Nur wenigen außer uns ist der Sinn dieser festlich geschmückten Stelle bekannt. Das Holz dieser Stufe wird aufbewahrt, und zwar als Reliquie unseres Hauses, in einer Nische unserer Schloßkirche in einem kunstreich aus Bronze gegossenen Schrein . . .

Griselda. Ulrich, bitte, beeile dich! – Oder wirst du noch lange reden?

Graf Ulrich. Dafür wird hier eine Stufe aus purem Golde eingelegt zu einem Gedächtnis auf immerdar. Man wird alljährlich an einem bestimmten Tag, den wir beide kennen, hier zur Erinnerung Messe lesen.

Griselda. Ich danke dir, Ulrich! Es genügt! Du merkst es ja wohl, das Kind wird unruhig . . .

Graf Ulrich. Wir wollen uns zu Gemüte führen . . . wir wollen uns zu Gemüte halten . . . wir werden . . . wir würden . . . wir waren . . . die Glorie . . . oder Gloriole . . . zum Kuckuck, Griselda, was hast du denn?

Griselda. Ulrich, ich weiß, was du sagen willst. Das Kind . . . der Kleine . . . er kann es nicht aushalten . . . Wir müssen hintereinander weg an den Taufstein und wieder ins Bett mit ihm. Der Graf sieht seine Gattin verständnislos an. Der Zug geht weiter.

 


 


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