Gerhart Hauptmann
Griselda
Gerhart Hauptmann

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Achte Szene

Wiederum der Gartensaal zu ebener Erde. Es sind etwa drei Wochen vergangen. Griselda, schön wie je, in der Kleidung einer Schloßherrin, steht dem Grafen Eberhard und dem Propst gegenüber.

Griselda. Also, Ihr habt meinen Brief erhalten und habt ihn besucht, Graf Eberhard?

Graf Eberhard. Ja. Er hat sich in einer Jagdhütte niedergelassen, die fast unzugänglich auf einem Felsen überm Seeufer gelegen ist.

Griselda. Ganz allein?

Graf Eberhard. Ganz allein, wie ein richtiger Einsiedelmann. Er ist vollkommen in seine sonderbare Lebensführung aus den Zeiten vor seiner Ehe zurückgefallen.

Griselda. Wißt Ihr, warum mein Gatte nicht zu mir kommt?

Graf Eberhard. Nein! Ich müßte denn in den Tag hinein lügen! – Aber ich möchte euch raten, beste Frau, noch fernerhin einigermaßen geduldig zu sein. Freilich, es stürmt schon ein bißchen lange in ihm, aber wenn Ihr Euch gegenwärtig haltet, erstlich, was Ihr bisher über ihn vermochtet – nämlich mehr als irgendein anderes Weib! –, und daß er Euch, wenn auch nicht das Kind, wie wir alle nicht ohne Rührung, ja fast mit Staunen gesehen haben, auf eine geradezu leidenschaftliche Weise liebt: so meine ich, solltet Ihr nachsichtig sein.

Der Schloßpropst. Sagt uns doch, gnädige Gräfin, bei welcher besonderen Gelegenheit der Zorn gegen Euch zum Ausbruch kam?

Griselda. Es wird mir schwer. Ich spreche nur sehr ungern davon. Ich werde mich aber überwinden. – – – Drei Wochen lang, während meines Kindbettes, hab' ich den Gatten nicht mit Augen gesehen. Doch war er, wie die Baronin mir sagte und wie die Pflegerinnen bestätigten, zuweilen, wenn ich im Schlafe lag, an meinem Bett. – Natürlich vermißte ich, als ich zu Kräften kam . . . nun ja! . . . mein Kind!

Graf Eberhard. Seid doch versichert, liebe Gräfin, daß Euer Kindchen gesund und in allersorglichster Pflege ist.

Griselda. Ich vermied zunächst, eine Frage zu tun, weil ich die schlimmste Antwort fürchtete. Allmählich bemerkte ich dann allerdings im Kreise um mich ein so sonderbares Versteckenspiel, daß ich mich immer mehr dadurch verletzt und immer weniger beängstigt fand. Ihr Herren, ich weiß noch heute nicht, was es mit diesen Maßnahmen für eine Bewandtnis hat. Ich kann sie mir immer noch nicht erklären.

Graf Eberhard. Nehmt es doch nur ganz einfach für eine Marotte mehr von ihm!

Griselda. Es wollte mir nicht gelingen, Herr Graf!

Der Schloßpropst. Warum habt Ihr Euch nicht entschlossen, gnädigste Gräfin, Euren Beichtvater ins Vertrauen zu ziehen?

Griselda. Ich weiß nicht. Vielleicht war ich, seit langer Zeit zum ersten Male wieder, wie meine Eltern es nannten: verstockt. Es war vielleicht meine alte böse Natur, die wieder zutage kam und mir, je mehr sich mein Herz zusammenzog, fast wider Willen den Mund verschloß. Freilich, dann kam der Augenblick, wo ich reden mußte.

Graf Eberhard. Wann war das?

Griselda. Als der, dem ich, ohne mich selbst zu verraten, ohne mich selbst zu erniedrigen, meine Zweifel und Ängste offenbaren konnte, wieder erschien.

Graf Eberhard. Was hat Euer Gatte erwidert, Frau Gräfin?

Griselda. Im Anfang fand ich auch ihm gegenüber die Worte nicht. Ich will nicht sagen, es kam mich etwas wie heimliches Grauen an. Wie sollte ich auch, da er mir doch mit offenen Armen entgegenschritt . . . und da er mich, glaube ich, in seine Arme nahm. – Ich hätte mich da begnügen können. Ich weiß auch, ich wollte das in dem Augenblick tun, ihr Herren! – Aber da hörte ich, fast zu meinem eigenen Staunen, jemand mit harter Stimme sagen: »Wo ist das Kind?« . . .

Der Schloßpropst. Ihr fragtet ihn also: »Wo ist das Kind?« Und . . .

Griselda. Ja – und da wandte er sich auf der Ferse um, ließ mich stehen, verließ mich ohne ein Wort und ist bis heut nicht wiedergekehrt.

Der Schloßpropst. Weint nicht, Herrin.

Griselda. Weine ich wieder?

Graf Eberhard. Gräfin, was Euren Knaben betrifft, so möchte ich Euch die Beruhigung geben . . .

Griselda. Laßt! Es ist etwas über mich gekommen . . . ich weiß nicht was! . . . etwas, das mich vielleicht auf eine sträfliche Weise gegen jede Antwort auf meine Frage von damals gleichgültig macht. So ist es, ihr Herren! Ich kann nicht heucheln! – Sagt mir dagegen, womit es Markgraf Ulrich begründen will, daß er sein Weib verlassen hat?

Graf Eberhard. Er hat mir, als ich ihn endlich in seiner Krähenhütte aufstöberte, eins seiner beliebten dunklen Worte entgegengehalten. »Wer einmal«, sagte er mir, »vom Schicksal dazu bestimmt ist, allein zu sein, der bleibe im Käfig und stelle Leimruten.«

Griselda wiederholt. »Wer einmal vom Geschick dazu bestimmt ist, allein zu sein . . .«?

Graf Eberhard. So sagte er, Herrin.

Griselda, mit grenzenlosem Staunen. Versteht ihr das?

Der Schloßpropst. Das möge mir Gott im hohen Himmel bezeugen: nein!

Griselda. Und hat er Euch sonst nichts . . . etwa für mich: nichts aufgetragen?

Graf Eberhard. Er sagte nur immer wieder: er wisse und erkenne durchaus, er stehe auf dieser Erde allein.

Griselda läutet ein kleines Glöckchen. Und jetzt braucht Ihr mir weiter auch nicht zu verheimlichen, daß mein Brief an den Markgrafen Ulrich ohne Antwort geblieben ist.

Graf Eberhard. Um bei der Wahrheit zu bleiben, Gräfin. Aber Ihr mögt Euch dennoch einer baldigen Sinneswandlung versichert halten.

Eine Kammerfrau tritt ein.

Griselda. Kammerfrau, steig hinauf in das kleine Gemach an der oberen Treppe. Dort steht eine alte Truhe aus Eichenholz. Du findest den Schlüssel dazu im Schlafzimmer, du weißt, an dem kleinen goldenen Ring. Wenn du die Truhe mit diesem Schlüssel geöffnet hast, so bediene dich dieses zweiten Schlüssels. Sie nimmt ihn samt Kettchen von der Brust, wo er verborgen war. Und nimm aus dem Fach rechter Hand ein Bündel heraus. Es ist in ein gelbes Kopftuch gewickelt.

Die Kammerfrau. Zu dienen, Erlaucht.

Griselda. Flink, gutes Mädchen, beeile dich. Die Kammerfrau schnell ab über die Wendeltreppe.

Griselda. Hätte ich Kinder, so wollte ich hierbleiben . . .

Graf Eberhard. Was heißt das, Gräfin? Wo wollt Ihr hin?

Griselda. Da aber ein Kind in meiner Hand nicht gelassen ist: was sollte mich halten? Hätte man mir mein Kind gelassen . . . Aber ich weiß nicht . . . ich bin verwirrt! Es ist keine Klarheit mehr in mir. Es ist keine Gewißheit mehr in mir. Ich kann mit den Händen nichts mehr greifen! – Ihn widert das Kind von der Bauernmagd.

Der Schloßpropst. In diesem Punkte, Frau Gräfin, sollt Ihr Euch durchaus eines Besseren versichert halten.

Die Kammerfrau bringt das verlangte Bündel.

Griselda. Was mich betrifft, so hat mir der gnädige Herr seinen Willen auf unzweideutige Weise zu wissen getan. Wißt ihr, was hier im Bündel ist? – Ich würde nackt davongehen, aber ich bin nicht nackt gekommen! So sehr hege ich noch das überflüssige Ehrgefühl einer Bäuerin. Zur Kammerfrau. Komm! – Sie nimmt ihr das Bündel ab. In diesem Bündel, ihr hohen Herren, liegt ein grobes Hemd und der erdbraune Rock, den ich anhatte, als der gnädige Herr seine Werbung tat, daheim auf dem Hof. Ich habe manchmal über diesen Kleidern gebetet seitdem. – Nun tausche ich sie – sie küßt das Bündel – wie einen gehüteten himmlischen Schatz wieder ein. – Ich ersuche euch jetzt, verziehet ein wenig! Ich wünsche Zeugen für meine Verwandlung. Griselda und die Kammerfrau treten in einen Nebenraum.

Graf Eberhard, erschrocken. Was will sie denn unternehmen, Propst?

Der Schloßpropst. Ich fürchte, sie wird dem edlen Hause Saluzza irgend etwas, ich weiß nicht was, vor die Füße werfen.

Graf Eberhard. Wenn sie etwa das Schloß verlassen will, so werde ich das . . . ich werde es niemals zugeben, Propst.

Der Schloßpropst, ironisch. Was im Interesse des guten Leumunds dieser erlauchten Familie, wenn Ihr es irgend erreichen könntet, von Vorteil sein würde.

Griselda erscheint wieder genau so als Bauernmagd gekleidet wie zu Beginn der Handlung. Sie selbst bewegt sich ganz so natürlich und edel wie zuvor, ohne, wie es scheint, die Verwandlung selbst zu bemerken.

Griselda, im selben Ton die früher unterbrochene Rede fortsetzend. Ich kann ohnmächtig sein, ihr Herren. Vielleicht führt die tiefste Ohnmacht am höchsten und nächsten zu Gottes Glück! – Aber ich kann nicht müßig sein, wenn ich tragen soll! – Seht: sonst schäme ich mich meiner Hände! – Ich muß arbeiten, wenn ich dulden muß! – Da ist ein Ring – den bringt meinem gnädigen Herrn zurück! Sie schreitet auf eine der Türen, die in den Garten führen, zu. Graf Eberhard, aufs äußerste betroffen, vertritt ihr den Weg.

Graf Eberhard. Griselda, man erkennt dich im Garten oder im Hof!

Griselda, mit zurückgeworfenem Kopf. Die Zeit ist Gott sei Dank vorüber, Herr Graf! Ich brauche mich jetzt nicht mehr zu verstecken. Sie verläßt das Schloß.

 


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