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Das Höfchen des Bauern Helmbrecht. Helmbrecht, Mutter Helmbrecht und Griselda. Alles ist genauso wie in der ersten Szene.
Vater Helmbrecht. Nu jeja, man wird alt. Vor zehn Jahren war ich noch jünger, Mutter.
Mutter Helmbrecht. Je schwächer der Bettler, je stärker die Krücke.
Vater Helmbrecht. Betteln und arbeiten ist noch immer zweierlei, Mutter.
Mutter Helmbrecht. Beeil dich, Griselda, du mußt hernach pünktlich den Leibschilling unten auf die Abtei bringen.
Griselda. Ich hab' bloß zwei Hände, Mutter. Sie bringt einen Arm voll Gras in den Stall.
Vater Helmbrecht. Hab du ein Auge auf unser Mädel, Mutter.
Mutter Helmbrecht. Das tut nicht not, die rackert, ob einer hinsieht oder nicht.
Vater Helmbrecht. I, ja, von dem sprech' ich woll nich. Das sind andere Ängste.
Mutter Helmbrecht. Hm.
Vater Helmbrecht. Kann sein, der gnädige Herr hat ihr was angetan.
Mutter Helmbrecht. In neun Monaten werden wir's merken.
Vater Helmbrecht. Nu, und was dann?
Mutter Helmbrecht. Dann werden wir einen Esser mehr haben auf unserem Hof.
Vater Helmbrecht. Kotzdonnerschlag ja, das sagst du so ruhig?
Mutter Helmbrecht. Ja, Vater. Und könnte doch eher schreien wie du, denn wir Weiber haben ja doch die Mühe davon.
Vater Helmbrecht. Mutter, ich laufe runter zum Ortsrichter.
Mutter Helmbrecht. Nu. Sachte! Heda!
Vater Helmbrecht. Recht bleibt Recht! Soll der unser Mädel zuschanden machen?
Mutter Helmbrecht. Hab du doch recht! Damit flickst du doch nicht deine alte lederne Hose aus.
Vater Helmbrecht. Ich sag' dir . . . ich bin ein ehrlicher Mann . . . wenn hier so was in meinem Hause vorgehen soll, da mag doch das Mädel sehn, wo sie bleibt! . . .
Mutter Helmbrecht. Mann, nimm du dich bloß mit solchen unnützen Reden in acht. Du bist auf das Mädel angewiesen. Und wenn du Zeug schwatzt, so sieh dich vor, daß nicht etwa eines Tages das Mühlrad beim Wassermüller ins Stocken kommt: Griselda ist vielleicht in den Mühlteich gegangen.
Vater Helmbrecht. Das hat schon manche gedroht, die's nachher gelassen hat. Griselda kommt aus dem Schuppen mit einem Korbe und einer kleinen Leiter. Sie stellt die Leiter an den Apfelbaum und steigt, den Korb auf dem Kopf, einige Sprossen. Griselda!
Griselda. Ja, was gibt's?
Vater Helmbrecht. Hat dir der gnädige Herr dazumal, bei der Tollheit im Haus und nachher auf dem Getreideboden, Schaden getan?
Griselda. Wenn ich den Schubiack und Schurken je wieder treffe, werde ich ihm mit diesem Kälbermesser die Gurgel durchschneiden!
Mutter Helmbrecht. Nu, jaja, du wirst die Welt schon gleich einreißen.
Griselda. Pfui Teufel, Kinder von einem wilden Tiere mag ich nicht!
Graf Heinz und der erste Baron in Jagdanzügen treten von der Straße aus an den Zaun.
Graf Heinz. Bauer, hast du Schweine drüben im Wald auf Eichelmast?
Vater Helmbrecht. Ich habe auch Grütze im Topf, wenn Ihr hineingucken wollt.
Graf Heinz. He, Mistfink, was bist du denn so mit der Gusche voran? Wenn du doch lieber Grütze im Kopf statt im Topf hättest: die Hunde haben zwei Schweine zerrissen im Wald! Halt dich dazu, wenn es deine sind.
Vater Helmbrecht. Wenn der Hackelbärend umgeht, heißt es: duck dich, Bäuerchen, oder verrecke.
Graf Heinz. Oho! Warum bist du denn so entsetzlich ungemütlich, Väterchen? Wir sprechen doch wohl ganz menschlich mit dir. Was ist dir denn über die Leber gelaufen? Zum Baron gewendet. Da habt Ihr's: jeden von diesen Swinegeln möchte der Markgraf Ulrich in Gold fassen, und sie schimpfen ihn Hackelbärend dafür.
Graf Eberhard im Jagdhabit kommt, sehr geschäftig und mit lebhaften Gesten.
Graf Eberhard. Bist du der alte Helmbrecht, Bäuerchen? Oder sage uns, wo des alten Helmbrecht Anwesen ist?
Vater Helmbrecht. Da braucht Ihr bloß Eure Augen aufzutun!
Graf Eberhard. Bist du der alte Helmbrecht?
Vater Helmbrecht. Wird wohl so sein.
Graf Eberhard. Du sollst eine schöne Wiesenlehne haben, von der aus man bis zum Ortler und bis Bergamo sehen kann. Hast du Köche bemerkt mit Körben und Mauleseln? – Guten Morgen, ihr Herren! Nämlich der Markgraf hat die sonderbare Marotte festgehalten, grade auf dieser Wiese zu frühstücken.
Graf Heinz. Es wurde mir an der Seite des guten Ulrich auf meinem Gaule nachgerade reichlich unheimlich. Ich mag ihn noch lieber, wenn er dreinwettert, als wenn er stundenlang sein kondottieremäßiges, eingefrorenes Lächeln um die Lippen hat und immer bleicher statt röter wird.
Graf Ulrich, inmitten seiner Jagdgesellschaft von Herren, erscheint.
Graf Ulrich. Immer voran, meine Herren. Was steht ihr dort?
Graf Heinz. Mein guter Papa hat Appetit auf frische Äpfel bekommen, sonst ist's weiter nichts.
Graf Eberhard, der sein Auge nicht von Griselden, die noch in der Baumzwiesel steht, abwenden kann. Ich wünschte, mein übermütiger Freund Teobaldo Goffino, der Maler, wäre hier, diese appetitliche Eva auf dem Baum der Erkenntnis abzumalen.
Vater Helmbrecht. Geh ins Haus, Mutter. Schließ dich von innen ein! Mach die Tür und die Läden zu!
Graf Ulrich ist neben Eberhard getreten, blickt und ruft in den Baumwipfel. Heda, kann man bei euch einen Schluck Wasser haben?
Griselda, ohne sich stören zu lassen. Dort hat's Wasser genug.
Graf Ulrich. Warum so von oben herab, schöne Roggenmuhme? Kann man bei euch eine Topfscherbe haben, um daraus zu trinken, erhabene Kuhprinzessin?
Griselda. Du magst vielleicht ein Kuhprinz sein!
Graf Ulrich. Gut geantwortet! – Wie alt bist du?
Der alte Helmbrecht hat seine Frau ins Haus geschoben und steht noch, die Hand an der Klinke, scharf beobachtend, vor der Tür. Die Antwort Griseldens ist zuerst mit Staunen, dann mit Entsetzen, schließlich mit einem Lachausbruche von den Herren aufgenommen worden. Inzwischen ist, die Baronin voran, eine glänzende Gesellschaft schöner Damen auf der Straße von rechts gegenüber erschienen.
Graf Eberhard. Vergebens. Sie würdigt uns weiter keiner Antwort, glaubt es mir! Solche Enakskinder haben manchmal den Hochmut von dreißig Ahnen im Leib.
Graf Heinz. Und zwar, notabene, Papa, in was für einem!
Graf Ulrich trällert. »Es spielt ein Ritter mit einer Magd . . .« Tretet näher heran, meine Damen und Herren!
Die Baronin. Da sind wir. Kann mir nicht jemand sagen, was es eigentlich, außer den vielen Schafsnasen, auf dem Baume noch Wunderbares zu sehen gibt? Warum glotzen die Herren denn alle in die Zweige hinein?
Graf Heinz. Es scheint doch, dieser und jener unter ihnen hat Appetit auf einen frischen Apfel bekommen.
Die Baronin nimmt einen Apfel und beißt hinein. Auf diesem Baum sind nur saure Äpfel.
Graf Ulrich. Mich dürstet. Zu Helmbrecht. Sage doch deiner Tochter Griselda, sie soll mir in irgendeiner Scherbe ein wenig Trinkwasser reichen.
Vater Helmbrecht. Griselda, reiche dem gnädigen Herrn Markgrafen Wasser, im Augenblick!
Griselda. Wer trinken will, mag sein Maul an die Röhre halten.
Graf Heinz. Dirne, weißt du, mit wem du sprichst?
Graf Ulrich. Oh, nur immer Geduld, meine Damen und Herren! Diese Milchmagd wird sich noch ganz andere Dinge herausnehmen mit der Zeit. Baronin, ist sie nicht köstlich gewachsen?
Die Baronin. Ich werde darüber urteilen, wenn man ihr vorher das ziemlich vorlaute Mundwerk unter Schloß und Riegel gelegt haben wird. Übrigens, wenn Ihr an Bauernbissen Interesse nehmt, dergleichen Prinzessinnen gibt es in unseren Waschküchen dutzendweise.
Graf Ulrich. Sonst findet Ihr nichts Besondres an ihr?
Die Baronin. Oh, das will ich nun grade nicht sagen. Sie könnte vielleicht, wenn man sie gründlich reinigt, immerhin mit der Zeit eine leidliche Kammerfrau abgeben. Warum nicht?
Der Korb Griseldens ist mit Äpfeln gefüllt. Sie hebt ihn auf den Kopf und steigt langsam die Sprossen der Leiter abwärts. Als sie auf festem Boden steht, hat ihr Graf Ulrich den Weg vertreten und starrt sie an.
Graf Ulrich, nach kurzem Stillschweigen.
Weine nicht, weine nicht, feines Mädelein!
Ich will dir alles bezahlen:
Ich will dir geben den Reitknecht mein,
dazu dreihundert Taler.
Einige Jäger singen. Viderum, viderum, viderallala.
Griselda. Geht aus dem Wege, Herr.
Graf Ulrich. Nein! – Griselda, weißt du schon: ich muß heiraten!
Griselda hält mit der linken Hand den Korb auf dem Kopfe, hat mit der Rechten ein Messer aus dem Busen genestelt. Und ich habe ein Kälbermesser in meiner Hand.
Graf Ulrich. Griselda! –
Griselda. Drei Schritt vom Leibe!
Lachausbruch der Jagdgesellschaft.
Graf Ulrich. Wohlan! Wem unter euch Männern es gelingt, dieser Magd einen Kuß zu rauben, dem schenke ich mein Vorwerk Schönbuche.
Zweiter Baron tritt vor, mustert Griselda, schneidet ein Gesicht und wendet sich indigniert ab. Schönbuche könnte mich reizen!
Lachausbruch der Gesellschaft.
Graf Ulrich. Wohlan!
Dritter Baron, wie der zweite. Wir wollen in vierzehn Tagen wiederkommen, denke ich, und wenn sie gekämmt und gebürstet und täglich zweimal gebadet ist in der Zwischenzeit – nicht zu vergessen: man soll keine grüne Seife sparen und sie immer gehörig in die Sonne hängen, an die Waschleinen! –, dann wollen wir über Schönbuche weitersprechen.
Graf Ulrich. Griselda, ich schenke dir Schönbuche!
Griselda. Ich habe Euch nicht darum gebeten, Herr Graf!
Graf Ulrich. – Aus solchen macht man die echten Herzoginnen, sage ich euch!
Die Baronin. Träfe dies zu, so müßten wir, meine Damen, das Holz für auserlesene Stallmägde abgeben.
Erster Baron. Schönbuche, Erlaucht? – Ich versuch's!
Graf Ulrich. Gut. Aber sie hat ein spitzes Messer in ihrer Hand, das wird sie gebrauchen.
Griselda erwartet den Angreifer mit Wut und Tränen. Der Baron nimmt einen Anlauf. Vor ihrem gewaltigen Messerhieb biegt er zur Not aus, taumelt, wird von Umstehenden aufgefangen.
Erster Baron. Hoho!
Lachausbruch der Jagdgesellschaft.
Graf Ulrich. Bravo, Griselda! Zeige du diesen Zierbengeln, daß du für andere Leute geschaffen bist! – So müßt ihr's anfangen! – Er umfaßt, ehe sie sich dessen versieht, blitzschnell Griselden, schüttelt das Messer aus ihrer Hand, so daß es weit fortfliegt, und küßt sie trotz ihres Sträubens. Griselda, sage, ergibst du dich mir?
Griselda. Ich will nicht! Ich mag nicht! Du sollst mich loslassen.
Graf Ulrich. Ergib dich, Griselda!
Griselda. Du sollst mich freilassen!
Graf Ulrich. Frei warst du, Griselda, jetzt bist du mein!
Graf Heinz. Genug! Sie verröchelt in deinen Armen.
Graf Ulrich. Was will sie mehr, wenn sie doch nicht einem von euch in den Armen verröcheln muß.
Die Baronin. Ihr seid kein Kentaur, Herr, laßt sie los! Seht Ihr nicht, daß sie beinahe ohnmächtig ist.
Graf Ulrich. Sie will es. Fragt sie! Sie wird euch sagen: ein Weib, das lieben soll, muß ohnmächtig sein.
Die Baronin. So nehm' ich die Antwort für gegeben, Herr Graf.
Graf Ulrich. Und so befehle ich dir, Griselda: sei mein Weib!
Die Baronin. Sie hat zwar nur die Lippen bewegt, Erlaucht, doch schwöre ich Euch, sie hat »ja« geantwortet. Und ich stimme Euch übrigens vollkommen zu. Ich glaube nun wirklich, daß Euch mit einer Frau von minder kräftiger Konstitution recht übel gedient wäre – und am allerübelsten jener Frau.
Graf Ulrich. Nun, Baronin, was diese letzte Wendung betrifft, so will ich Gott bitten, daß er mir beisteht, Euch Lügen zu strafen! – Zur Jagdgesellschaft gewendet. Ich bin nicht mehr Markgraf von Saluzza, oder diese ist eure Markgräfin!
Graf Eberhard, zu Helmbrecht, der mit offenem Munde wie erstarrt dasteht. Nun ja doch! Mach deinen Mund zu, Bäuerchen!