Gerhart Hauptmann
Griselda
Gerhart Hauptmann

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Siebente Szene

Ein Gartensaal zu ebener Erde. Die Tür in den Garten ist geöffnet. Eine Wendeltreppe führt in die oberen Gemächer. Es ist vormittags.

Die alte Gräfin Eberhard ist an dem ovalen Tisch, inmitten des Raumes sitzend, eingeschlafen. Die Baronin kommt die Wendeltreppe herab.

Gräfin Eberhard schrickt auf. Wie steht's?

Die Baronin. Sie ist von bemerkenswerter Geduld. Diese Bäuerinnen haben eine Widerstandskraft im Ertragen von Schmerzen, die einen manchmal auf den Gedanken bringen kann, sie seien überhaupt empfindungslos. – Übrigens hat sie nach dem Markgrafen gefragt.

Gräfin Eberhard. Es würde besser sein, wenn sie nicht nach ihm fragte, das arme Ding, da er doch nach ihr nichts zu fragen scheint. Wenigstens weiß kein Mensch, wo er hingekommen ist. Mein alter Eberhard und mein Junge haben das ganze Schloß und auf Meilen weit die Umgebung nach ihm abgesucht. Übrigens sitze ich nun seit über zwölf Stunden hier. Ich bin nicht mehr jung genug. Mir ist zum Umsinken.

Die Baronin. Es geschieht, was geschehen kann. Sie entbehrt keiner Hilfe. Ich würde an Eurer Stelle zur Ruhe gehn.

Gräfin Eberhard. Wo denkst du hin! Wir müssen ja doch, wie die hungrigen Raubtiere, auf der Lauer liegen, um diesem liebevollen Papa das Neugeborene sofort aus den Augen zu schaffen. Gott weiß es, Neffe Ulrich leidet weder an übertriebener Zärtlichkeit noch an falschem Familiensinn. Ich würde wahrhaftig glauben, er sei einer Bauersfrau von der Stallbank gefallen, wenn er nicht auf so schreckliche Weise von herrischen Launen fast ununterbrochen besessen wäre.

Die Baronin. Ich zweifle sehr, ob diese Mutter sich ihr Junges so einfach fortnehmen lassen wird.

Gräfin Eberhard. Man wird es ihr aber ganz einfach fortnehmen, schon deshalb, weil es für Mutter und Kind das Beste ist! Bliebe es hier, ich hätte Befürchtungen! Denn ich kann dich versichern, Ulrich ist so erbost auf das noch nicht einmal geborene Wurm, als ob er in einer anderen Welt einen unversöhnlich blutigen Span mit ihm gehabt hätte.

Die Baronin. Man weiß beinahe nicht, was man wünschen soll.

Gräfin Eberhard. Von den drei Möglichkeiten, die in Betracht kommen, lassen wir billig die beste und günstigste unerwähnt. Die zweitgute wäre, daß ein Junge zur Welt käme. Das Schlimmste für Vater, Mutter und Kind würde eingetreten sein, sofern es ein Mädchen ist. Das wolle der liebe Himmel verhüten.

Die Baronin. Das einzige, liebe Tante, was gegen das selbstverschuldete Unglück des Grafen vielleicht einigermaßen milder stimmt, ist, daß man seine Abneigung der Ehe überhaupt gegenüber und seinen Entschluß, ledig zu bleiben, quasi gewaltsam gebrochen hat.

Gräfin Eberhard. Deshalb hat auch mein alter Eberhard redlich schlimme Wochen und Monate durchgemacht. – Übrigens scheint es, er ist gefunden.

Die Baronin. Sollen wir hierbleiben?

Gräfin Eberhard. Gott bewahre, ich fürchte mich. Wenn ich nur seine Stimme von ferne höre, laufe ich, so alt ich bin, schleunigst wie eine Elster davon.

Die beiden Damen steigen eilig die Wendeltreppe hinauf. Gleich darauf erscheint Graf Ulrich, unstet, übernächtig, sehr bleich. Er tritt, gefolgt von dem Grafen Heinz, dem Propst, dem Haushofmeister und einigen Dienern, vom Garten aus ein.

Graf Ulrich. Ihr wünscht Würfel oder Karten zu spielen. Gut. Töten wir die Zeit: sie verdient es nicht besser.

Graf Heinz. Willst du es dir nicht bequem machen, Vetter?

Graf Ulrich. Ich glaube, meine Bequemlichkeit würde zunehmen, wenn ich mich auf Scherben legen könnte! – Habt ihr auch dieses gottverdammte Sausen im Ohr?

Graf Heinz. Das Wehr im Schloßgraben ist ein wenig angeschwollen. Es muß in den Bergen geregnet haben.

Graf Ulrich. Ist denn nicht irgend etwas zu tun, wobei man sich eine gewisse Motion machen kann?

Graf Heinz. Du bist die ganze Nacht auf den Beinen gewesen, wie es scheint. Aber wenn du noch Mut hast, ich stehe zu Diensten! Klettern wir über die Feuerleitern auf die Schornsteine hinauf.

Graf Eberhard, leise zum Schloßpropst. Was ist mit ihm? Versteht Ihr das?

Der Schloßpropst. Soviel ich davon begreife, ist es nicht das, was man bei einem Manne Gleichgültigkeit dem Leiden der Gattin gegenüber nennen kann.

Graf Ulrich. Mir würde am liebsten sein, irgendein sogenanntes reißendes Tier wäre aus einer beliebigen Menagerie in der Nähe ausgebrochen.

Graf Heinz, leise. Ich schwöre Euch, daß er nicht weiß, wo er ist. Er lockert wahrhaftig an seinem Dolche.

Graf Eberhard. Geh, lieber Heinz, und rufe den Arzt.

Der Schloßpropst tritt zu Ulrich, der ihm den Rücken zuwendet und in den Garten hinausstarrt. Vergeßt nicht, Herr, daß Ihr in jeder Seelennot in mir einen treuen Berater findet. –

Graf Heinz. Willst du nicht deinen Gürtel abschnallen?

Graf Ulrich. Nein! Warum?

Graf Eberhard. Und deine Waffe beiseite legen, liebes Kind? Du hast nämlich einen Dolch in der Hand.

Graf Ulrich. Richtig. Was wollt' ich wohl mit dem Dolche?

Graf Heinz. Ich glaube, irgendeinem ausgebrochenen Raubtier den Garaus machen, das gar nicht vorhanden ist.

Graf Ulrich, sich verfärbend. Was war das?

Der Schloßpropst, mit einer verstohlenen Geste den übrigen Schweigen gebietend. Meint Ihr den Schrei der Dohle, die über den Garten flog, Erlaucht?

Graf Ulrich. Ich habe Dohlen nie schreien hören, aber ich wünsche dieser gefiederten Bestie einen Bolzen durch den Kropf und am Rücken wieder heraus.

Graf Heinz. Willst du mir jetzt den Dolch abtreten?

Graf Ulrich. Weshalb? Das Messer gehört in den Gürtel hinein. Er steckt den Dolch in die Scheide. Zu einem Diener, der nahe getreten ist, infolge eines stummen Winkes des Haushofmeisters. Was willst du?

Der Diener. Ich glaubte, Erlaucht beliebten den Gürtel abzulegen.

Graf Ulrich. Nun meinethalben. Da. Der Gürtel mit dem daranhängenden Dolch wird dem Markgrafen abgenommen. Er dehnt sich und seufzt zwei-, dreimal gewaltig auf. Ich spüre noch nichts von größerer Bequemlichkeit.

Der Schloßpropst. Ihr mögt das Fenster schließen, Haushofmeister.

Graf Ulrich, schnell. Liebt Ihr schlechte Luft?

Der Schloßpropst. Das nicht, Erlaucht.

Graf Ulrich. Warum schlepptet ihr meinen Gürtel fort?

Haushofmeister, heuchlerisch. Er liegt im Vorzimmer, Erlaucht. Soll man ihn hereinbringen?

Graf Ulrich. Wein!

Graf Eberhard. Auch dafür ist gesorgt. Wir haben aus dem Fasse des fünfjährigen Burgunders eine Probe nehmen lassen. Diener mit Wein kommen.

Graf Ulrich. Um so besser! Gießt ein! – Ulrich, das Weinglas in der Hand, verfärbt sich und horcht. War das nun wieder eine von Euren Krähen, Dohlen oder Kolkraben, Propst?

Der Schloßpropst. Ich kann es nicht sagen, Erlaucht.

Graf Ulrich. Wie geht's meiner Frau?

Graf Heinz, nicht ohne Frivolität. Nicht anders, als es noch immer den meisten Frauen gegangen ist, die den Fehler begingen, Männer zu nehmen.

Graf Ulrich, mit aufsteigendem Jähzorn. Was sagst du, Heinz?

Der Schloßpropst. Ich sage Euch ja, Ihr verkennt unsern Herrn, wenn Ihr meint, daß er in diesen ernsten Stunden Sinn für Späße und Schwänke hat.

Graf Ulrich hat getrunken, bemeistert gewaltsam seine Erregung. Narr! – Dieser Burgunder ist höchstens drei Jahre alt! – Was gibt's? – Ich habe nicht zugehört. Jawohl, ich bin ein schlechter Gesellschafter! – Auch müßte ich lügen, wenn ich sagen sollte, daß ich mich nach irgendeiner Gesellschaft, die eure inbegriffen, gesehnt hätte. Was verspracht ihr euch übrigens für eine ausgesuchte Lustbarkeit? Weshalb schlepptet ihr mich in diesen feuchten, dumpfen, ebenerdigen Raum hinein? – Eure Freuden sind miserabel! Er verfärbt sich wiederum. Was war das?

Der Schloßpropst. Was meint Ihr, Erlaucht?

Graf Ulrich. Warum seid ihr alle mit einem Male emporgeschnellt? – Warum habt ihr die Hände auf meinen Schultern?

Graf Heinz. Du sollst geduldig mit uns trinken und Karten spielen, mein Kind.

Graf Ulrich. Und ich möchte lieber nicht mit euch Karten spielen und möchte meinen Wein ohne euch trinken.

Haushofmeister kommt aus dem Garten herein, wohin er gegangen war, um nachzusehen. Gnädigster Herr, auf dem Wege, der zwischen Mauern unter dem Garten hingeht, hat ein Italiener seine Frau geschlagen. Sie schrie laut.

Graf Ulrich. Das ist nicht wahr! Ich habe ein Kalb unter dem Schlächtermesser des Metzgers blöken hören: kein Weib!

Der Schloßpropst. Gewisse Dinge soll man nicht hören, Erlaucht.

Graf Ulrich, fast tobsüchtig unter den Händen aller, die ihn nun plötzlich gewaltsam festhalten. So stoßt mir glühendes Eisen in die Gänge meines Gehörs! Laßt mich los, sag' ich!

Graf Heinz. Es ist wirklich alles ganz still, lieber Vetter, draußen im Garten.

Graf Ulrich. Ganz still?

Graf Heinz. So still, daß man genau hört, wie der Gärtner die reifen Limonen von den Spalieren reißt.

Graf Ulrich sinkt nieder, schlägt die Hände vor die Augen, um die Tränen zu verbergen. Blickt nicht auf mich!

Graf Eberhard, bewegt. Mein lieber Neffe, wenn es wirklich das Leiden deines guten Weibes ist, was dir so nahegeht – Gott schütze uns vor Verkennung der Menschen! Schütze uns Gott vor Mißverstand! –, wenn es also das Leiden der armen Fürstin Griselda ist, so wolle bedenken, daß wir alle von Müttern geboren sind. Denke ferner daran, daß an keinem von uns eine Mutter gestorben ist! Auch deine Frau wird nicht sterben.

Graf Ulrich springt auf. Bringt mir den Gürtel mit dem Dolch zurück.

Graf Eberhard. Jetzt nicht, lieber Neffe.

Graf Ulrich. Wollt ihr, daß ich ersticke? Wollt ihr, daß mich Leichenstarre lebendigen Leibes überfällt? Er wird von allen Seiten festgehalten wie ein Tobsüchtiger. Wollt ihr, daß ich unter euren Händen blau werde wie ein gesottener Fisch? – Ich erblinde! – Ich will ihn sehen! Ich halte ihm stand. Das ist Gewalttat! Er ist ein Gewalttäter! Popanz! Feigling! Ehebrecher! Weiberschänder! Komm hervor, ich erwarte dich! Gewalttäter gegen Gewalttäter! – Gib sie frei! – Was hat sie getan? Sie ist mein! – Gib sie frei!

Graf Eberhard. Mein lieber Junge, sprich, atme! Du atmest ja nicht.

Die Baronin kommt weinend und lachend die Treppe heruntergestürmt.

Die Baronin. Griselda hat einen schönen, gesunden Knaben zur Welt gebracht!

 


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