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Das Treppenhaus im markgräflichen Schlosse. Im Mittelgrund die Treppe. Links das Eingangsportal, rechts Glasportal in den Park. Es ist morgens vor sechs Uhr. Der alte Graf Eberhard kommt durch das Hauptportal. Der Kastellan tritt ihm entgegen.
Graf Eberhard. Ich muß den Propst sprechen, Kastellan.
Der Kastellan. Der Herr Propst haben gestern eine lange Unterredung bis tief in die Nacht mit dem Herrn Markgrafen gehabt. Vielleicht mögen deshalb noch der Herr Propst zu Bette liegen.
Graf Eberhard. Ist der Markgraf endlich zurückgekehrt?
Der Kastellan. Gestern um Mitternacht oder heute um Mitternacht, wie man ebensogut sagen kann, sind der gnädige Herr eingetroffen. Um Mitternacht ging die Hausschelle. Ich sah durchs Guckloch, bevor ich aufmachte . . . Es tut mir leid: ich hatte den gnädigen Herrn Markgrafen nicht sogleich erkannt.
Graf Eberhard. Jedenfalls ist der Graf im Hause. Das gereicht mir einigermaßen zur Beruhigung.
Der Kastellan. Kaum waren Seine Erlaucht im Schloß, so mußten fünf oder sechs Botenreiter aufsitzen. Und nachdem die Besprechung mit Hochwürden, unserm Herrn Propst, vorüber war, wurden alle fünf oder sechs abgefertigt und jagten davon, nach allen vier Windrichtungen, in die Gott sei Dank mondhelle Nacht hinaus.
Graf Eberhard. Einer von diesen Schlingeln ist auch bei mir gewesen und hat mich, Gott weiß es zu welchem Zweck, aus dem Schlafe geweckt. Denn ich kann mir nicht denken, daß seine Botschaft nicht ebensogut am Morgen zurechtgekommen sein sollte.
Der Propst erscheint.
Der Schloßpropst. Da seid Ihr, Herr Graf!
Graf Eberhard läßt den Kastellan stehen, der sich in seine Loge zurückzieht. Ja, da bin ich. Sagt mir nun, bitte, warum ich durchaus habe so früh aufstehen müssen!
Der Schloßpropst. Der Graf ist ins Schloß zurückgekehrt.
Graf Eberhard. Das hat mir soeben der Kastellan anvertraut. Nun, der kleine Ulricus Franziscus Heliodor wird daheim, unter der Oberleitung meiner Frau, wahrscheinlich soeben mit seinem ganzen Hofstaat aufgepackt und in Kutschen geladen. Aber warum konnte dies alles, wenn es wirklich sein muß, nicht am hellen Mittag geschehen?
Der Schloßpropst. Der Markgraf kam heut nacht in einem arg zermürbten Seelenzustand nach Hause zurück und gab nacheinander eine Reihe von übereilten Befehlen, unter denen vielleicht der letzte, der Euch hergeführt hat und den kleinen Erben herführen soll, der am meisten segensreiche ist. – Im ersten Eifer nämlich hat er seiner Gattin den strikten Befehl überbringen lassen, unverzüglich hier zu erscheinen, eine Order, gespickt mit Drohungen, die er zu meinem Entsetzen den Fronvogt überreichen ließ.
Graf Eberhard. Wenn das geschehen ist, so wird sie wenigstens kommen, Herr Schloßpropst!
Der Schloßpropst. Ich wollte ihn anfangs davon abbringen. Zum Glück jedoch kam mir zur rechten Zeit die Erinnerung an das, was Ihr bei dem Versuche, die Gräfin zu ihrer Pflicht zurückzuführen, erfahren habt. Und jetzt sehe ich es durchaus bereits als eine Fügung des Himmels an, daß der Graf durch sein wildes und blindes Handeln grade jene eine Bedingung getroffen hat, unter der allein, wie Ihr sagtet, die Gräfin das Haus ihres Gatten wieder betreten will. Denn nun, so schwierig eine Versöhnung noch immer ist, scheint wenigstens eine Hoffnung vorhanden.
Graf Eberhard. Ihr werdet Euch die Versöhnung, so hoff' ich, nicht zu leicht vorstellen, Herr Propst.
Der Schloßpropst. Nein. Einesteils erscheint mir, nach dem, was geschehen ist, und nach dem, was ich diese Nacht noch mit dem Grafen erlebt habe, der friedliche Ausgang fast ein Ding der Unmöglichkeit, andernteils aber bin ich durch den überraschenden Umstand einigermaßen beherzter gemacht, daß ich, gegen einen nicht sehr erheblichen Widerstand, die Rückkunft des Kindes durchsetzen konnte.
Graf Eberhard. Ich bin doch erstaunt, daß mein Neffe diese letzte Maßregel gegen Griselden wirklich ergriffen und nicht unter seiner Würde gehalten hat!
Graf Ulrich, in arg verstörtem Zustand, durch das Gartenportal.
Der Schloßpropst. Er weiß nicht mehr, was er tut, Herr Graf!
Graf Ulrich. Wenn ihr Geheimnisse habt, ich störe euch nicht.
Graf Eberhard. Gott bewahre uns, lieber Neffe Ulrich: du hast befohlen, ich bin zur Stelle!
Graf Ulrich. Oh, ich würde mich dreimal bitten lassen und am Ende schließlich doch zu einem Manne nicht gehen, dem seine Frau entlaufen ist.
Graf Eberhard, krampfhaft lustig. Ist dir denn deine Frau entlaufen?
Graf Ulrich. Wie eine Mietsmagd hat sie sich, mit dem Mietsgroschen in der Hand, davongemacht. – Laßt! Es gibt dabei nichts zu beschönigen! Es ist ein Ding, das einem nicht so viel Ehre macht wie der Ritterschlag.
Graf Eberhard. Mein lieber Junge, darf man dir eine untertänigste Wahrheit sagen?
Graf Ulrich. Habe ich je an der Lüge Gefallen gehabt?
Graf Eberhard. Ich meine, du darfst dich darüber nicht wundern.
Graf Ulrich. Ja, ja, ja, ja, ich weiß es, ich bin ein Wüterich! Ich bin Herodes! Ich habe mir meine Sporen verdient beim bethlehemitischen Kindermord! Ihr seid die Narren! Ihr seid die Blinden! Ihr seid unsinnig, nicht ich! – Nun meinethalben, macht mich zum Teufel, zum Gottseibeiuns, zum Popanz, zum Menschenfresser, zum Kinderschreck! Laßt Bilder von mir anfertigen mit glühenden Augen, schäumenden Hauern und Haifischzähnen! Vergeßt auch die Tigerpranken nicht! – Was kann ich schließlich dawider tun?! Ich werde mir eine ganze Galerie davon an die Wände meiner Jagdhütte anheften und werde darüber lachen, lachen aus Herzensgrund.
Graf Eberhard. Lieber Ulrich, ich habe mehr als einmal nach außenhin die Ansicht vertreten, daß du keineswegs der wilde Mann, für den du dich ausgibst, bist. Immerhin nahmst du der Mutter ihr Kind! – und hast sie noch überdies, nur auf ein harmloses Wort hin, sich selbst überlassen.
Graf Ulrich. Ein harmloses Wort? Wie? Was? Was geht mich ein muttertolles Weibsbild an?! Wißt ihr, was ich seit Wochen geschluckt hatte? Ich habe in zitternder Angst um ihr Leben mich selbst, meine lächerlich belohnte närrische Glut und Leidenschaft wie einen Hund mit Steinen und Knütteln ins Hundeloch, in die Hundehütte gejagt. Ich habe mich übermenschlich niedergehalten, um nur ja aus der Kammer diesen Götzen, dieses Idol, diese blonde Qual wieder in unversehrter Kraft und Frische hervorgehen zu sehen. – Und nun trat sie hervor . . . ich darf nicht dran denken.
Der Schloßpropst. Sie hat Euch doch aber, soviel ich erfahren habe, nur mit aller Sanftmut nach dem Verbleiben ihres Kindchens gefragt.
Graf Ulrich. Ich aber habe nach ihr, nach ihr! und sonst weder nach Gott und Menschen gefragt! – Doch was rede ich da zu Pfählen und Bratspießen!
Graf Eberhard. Es freut mich, daß du doch unversehens wieder einmal auf den kunstlosen Feldweg deines früher oft so frischen, rustikalen Humors getreten bist.
Graf Ulrich. Ich bin in einen Abgrund getreten!
Graf Eberhard. Ulrich, wenn Männer und Frauen in Zwist geraten, so wird man mit seinem Urteil behutsam sein. Fest steht, daß der Gegenstand deiner Ungnade nicht unedel ist! Ich habe im Gegenteil immer mehr und mehr und noch jüngst am meisten den weisen und echten Sinn deiner Wahl – trotz einiger blauer Flecke und Schrammen – verstehen gelernt.
Graf Ulrich. Meint Ihr, sie solle mich täglich durchprügeln? – Wäre noch ein Funken des ungetrübten, lauteren Lebensquells in ihr, aus dem ich so tiefe Züge getrunken habe, so hätte sie mich gesucht, gesucht . . . und so hätten wir uns dann wiedergefunden! – Doch blieb sie tot und erwachte nicht. – Genug! – Diese unzweideutige Kränkung hat Gott sei Dank jeden letzten Rest meiner Schwäche ausgebrannt und ausgetilgt! – Ich bin befreit! – Der Rest ist Sache meiner Notare und meines Gesandten zum Bischof von Rom.
Graf Eberhard. Du wirst, bevor du das Äußerste unternimmst, noch mit vielen klugen Männern Rat halten.
Graf Ulrich. Erst wird sie kommen und wird mir den Fuß küssen! Dann mag sie in Gottes Namen bis an ihr seliges Ende weiter Ziegen hüten und Kühe melken nach Herzenslust.
Der Schloßpropst. Ihr werdet schwerlich so hart verfahren! Sie hat Euch den Erben Eures Namens, Eurer Güter zur Welt gebracht. Und ich weiß genau: Ihr liebt Euer Weib!
Graf Ulrich. Ach! Ihr seid ja ein Tausendsassa, guter Propst! – – – Gebt ihr das Kind! Ich will sie nicht sehen! Mag sie sich mit dem Kinde wenden, wohin sie will.
Graf Eberhard. Mann und Herr, besinne dich doch! Verleugne doch den Zweck und Wert deines Daseins, die Kraft deiner Ahnen nicht! Du bist doch kein Bäcker oder Schuhmacher und lebst doch nicht von der Hand in den Mund, ohne Zukunft und ohne Vergangenheit, selbstisch, wichtigtuerisch für den Tag, in den Tag hinein. Sieh dir doch mal deinen Jungen an! Beinahe kann er ja schon »Papa« zu mir sagen!
Graf Ulrich, mit verdächtiger Heftigkeit. Bleibt mir vom Leibe! Er eilt schnell die Treppe hinauf ins Innere des Hauses ab.
Graf Eberhard und der Propst blicken einander vielsagend an.
Graf Eberhard. »Erst wird sie kommen und wird mir den Fuß küssen?!« Ich fürchte, wir werden das nicht erleben, Propst! – Er ist noch sehr weit entfernt davon, sich einigermaßen vorzustellen, was unter seiner eigenartigen Leitung schließlich wieder aus seinem Weibe geworden ist.
Sechs Wäscherinnen, Bauernfrauen und Bauernmädchen, mit bunten Kopftüchern, jede einen Eimer, Bürste und Hader tragend, kommen schwatzend aus dem Garten, beleben die Halle und beginnen an verschiedenen Stellen zu scheuern. Die erste Wäscherin kniet auf den Fliesen der Halle, die zweite auf der Treppe. Die übrigen beraten sich kurz über die Verteilung der Arbeit.
Erste Wäscherin, zu der, die bereits auf der Treppe kniet und arbeitet. Pack du dich rauf in den oberen Flur! Du kannst wohl abwarten, bis man dir deine Arbeit zuteilen tut.
Zweite Wäscherin, es ist Griselda, unkenntlich unter dem Kopftuch, und ebendie Magd, die auf der Treppe kniet. Verwünschte Krähe, willst du wohl deiner Wege gehn!? Was!? Willst du mich wohl in Frieden lassen!? Da! Sie schlägt ihr den Scheuerlappen um den Kopf. An deine Arbeit! Und wenn du noch aufmuckst, bekommst du den Holzeimer an den Kopf.
Der Kastellan, zu Griselda. Halt's Maul, Weib, du bist hier im Schloß und in keinem Pferdestall.
Graf Eberhard. Kastellan!
Der Kastellan. Herr Graf?
Graf Eberhard. Wir wollen allein sein. Zieht Euch in Euer Torwärterhäuschen zurück.
Der Kastellan. Zu dienen, Herr Graf. Er geht durch das Hauptportal ab.
Graf Eberhard. Was sagt Ihr zu dieser Stimme, Herr Schloßpropst, wenn man fragen darf?
Graf Eberhard. Habt Ihr nicht eben die Magd auf der Treppe reden gehört?
Der Schloßpropst. Leider ja, ich hörte sie reden.
Graf Eberhard. Nehmt bis auf weiteres an, daß die Magd, die dort auf der Treppe kniet, Griselda ist.
Der Schloßpropst. Ich würde die Gräfin Griselda auf den ersten Blick, und zwar unter jeder Vermummung, wiedererkennen.
Graf Eberhard, ist zu Griselda getreten. Du baumstarkes Mädchen, wie heißt du denn?
Griselda, barsch, ohne aufzublicken. Griselda ist noch immer mein Name.
Graf Eberhard, mit halber Wendung zum Propst. Den gleichen Namen hat ja die gnädige Herrin dieses Hauses geführt.
Griselda. Oh, es leben viele mit diesem Namen.
Graf Eberhard, auch für Griselden hörbar. Wollt Ihr den Klang dieser unvergeßlichen Stimme nun noch weiter verkennen, Herr Propst?
Der Schloßpropst, kaum seiner mächtig. Nein – doch ist es mir, als wankten die Stufen unter mir und die Mauern der Halle um mich! – Er tritt mit Entschluß zu Griselda. Gnädigste Gräfin, verweigert mir den Gehorsam in dieser Minute nicht. Erhebt Euch und geht in Eure Gemächer! Es ist alles zu Eurem Empfange bereitgemacht.
Griselda. Was wollt Ihr? Ich habe meine Arbeit! Stört mich nicht.
Der Schloßpropst. Gräfin Griselda, es ist an Euch, es ist Weibespflicht, versöhnlich zu sein. Ihr dürft Euer Herz nicht so verhärten. Wißt Ihr nicht, daß die Hand, die schlägt, vor Gott die am meisten geschlagene ist? Seit Mitternacht heut ist Graf Ulrich, Euer Gatte, wieder im Schlosse, und wer ihn genau betrachtet, der könnte vielleicht der Meinung sein, daß er nicht durchaus als ein Triumphator wiedergekommen ist. Geht ihm auf halbem Wege entgegen. – Gräfin, Ihr schweigt?
Griselda, hart. Ich verstehe Euch nicht.
Der Schloßpropst. Es ist nicht recht, daß Ihr Euch in diesen schweren Minuten meiner besseren Einsicht entgegenstellt. Irgendwie müßt ihr beide gefehlt haben, und irgendwie muß euch beiden die volle Einsicht kommen davon. Seid versichert, ich habe die feste Gewißheit gewonnen, daß das Herz Eures Gatten Euch noch immer . . .
Graf Eberhard. Aber willst du nicht etwas weniger eifrig sein, gute Magd, im Treppenwaschen? Du erwiesest den Worten des würdigen Propstes doch eine Art von Achtung damit!
Griselda. Ich kann in jeder anderen Arbeit eher als in dieser nachlässig sein.
Graf Eberhard. So!? Was bezweckst du denn aber damit? Nämlich daß du hier auf den Knien liegst, um mit wahrer Wut die Treppen zu waschen, während weit mehr auf dem Spiele steht?
Griselda. Warum ich so eifrig wasche? Wartet ein wenig, ich sage es Euch: ich versuche meine Schmach und zugleich die Schmach dieses Hauses von den Stufen herunterzuwaschen.
Graf Eberhard. Ich sehe nur eine Schmach, nämlich diese: daß Ihr hier wie eine schlechte Magd auf der Treppe liegt.
Griselda. Das aber ist für mich keine Schmach, denn ich wasche, wasche, wasche die Berührungen meiner Füße . . . ich wasche sie von den Stufen herunter. Und wenn ich blind werde und meine Hände verliere, so werde ich ohne Augen und ohne Hände weiter im Geiste ebendieselben Stufen waschen bis an meinen Tod.
Graf Eberhard. Aber inwiefern sprecht Ihr von einer doppelten Schmach?
Griselda. Diese Stufen sind geschändet durch mich! Ich bin durch diese Stufen geschändet! Ich hätte Euern gnädigen Herrn erwürgen sollen, statt mit ihm zu gehen.
Der Schloßpropst. Auch Ihr, Frau Gräfin Griselda, habt, wie ich sehr wohl erkenne, einen Dämon niederzuzwingen in Euch!
Griselda. Da hofft nur nicht, daß irgend etwas in mir jetzt noch niederzuzwingen ist.
Der Schloßpropst. Gut, so laßt mich für alles andere sorgen und begebt Euch in Eure Gemächer hinein.
Griselda. Wollt Ihr dem Grafen Ulrich eine Dienstmagd verkuppeln, Herr Propst?
Der Schloßpropst. Er soll seine Gattin wiedererhalten!
Griselda. Soll die Treppe, ihr gnädigen Herren, die ich eben mit saurer Mühe wasche, wieder unrein werden im Augenblick?
Der Schloßpropst. Wir bitten Euch innigst, gnädigste Gräfin, jetzt nicht zum Schaden des ganzen Hauses hart, störrisch und unversöhnlich zu sein.
Griselda. Wenn ich – Gott wolle das verhüten! – wenn ich ihm jemals wieder Auge in Auge entgegentrete, dem gnädigen Herrn: was, meint Ihr wohl, wird meine erste Frage sein? – Räuber! Räuber! – Wo ist mein Kind!? – Er hat mich in meinem Kinde zertreten.
Die alte Gräfin Eberhard tritt durch das Portal.
Gräfin Eberhard. Was heißt das? Welche Exzentrizitäten! Man läßt uns kaum Zeit, den Schlaf aus den Augen zu wischen, man weckt uns eine Stunde nach Mitternacht, und für den Empfang ist nichts vorbereitet. Kastellan! He, Kastellan! – Ah! da bist du ja wenigstens, lieber Eberhard! Was gibt's? Warum holt man uns mitten in der Nacht aus den Federn heraus?
Graf Eberhard. Liebe, danach wirst du den Propst fragen. Ich habe, Gott sei Dank, meine Hand diesmal nicht im Spiel.
Gräfin Eberhard. Wo habt ihr denn hier die Dienerschaft?
Der Haushofmeister erscheint.
Haushofmeister. Ich habe die Dienerschaft vorläufig auf den Rat des Herrn Propstes zurückgezogen.
Gräfin Eberhard. Dann komme gefälligst einer von euch und helfe der Amme mit dem Kinde aus dem Wagen heraus. – Die Amme kommt mit dem Prinzen Ulricus Franziscus Heliodor im Steckkissen. Du Ausbund von einer Amme, hatt' ich dir nicht befohlen, bis Leute kommen, im Wagen zu bleiben? Sie hat sich nämlich im Dunkeln bei diesem Holterdiepolter-Aufbruch den Fuß verstaucht. Geh und stütze sie, Eberhard! Faßt sie gefälligst am Arme, Haushofmeister! – Aus welchem Grunde, mein lieber Propst, mußte denn dieses prinzliche Blut durchaus vor Tagesanbruch hier einziehen? Sagt mir, warum es so eilig war und ist.
Der Schloßpropst. Das Temperament Eures Neffen zwingt uns allen das ihm eigene Zeitmaß auf.
Gräfin Eberhard. Seine Tollheit veranlaßt uns alle zu Tollheiten! Hier habt ihr einen im Steckkissen, der unter uns allen bei weitem der vernünftigste ist: das heißt, er schläft wie ein Stein so friedlich.
Graf Eberhard. Wahrhaftig, er schläft in dieser Morgengewitterschwüle ahnungslos, wie ein Murmeltier.
Gräfin Eberhard. Nun, Amme, vorwärts, mit deinem verstauchten Fuße die Treppe hinauf! – Was, willst du mir etwa zusammenpurzeln?
Haushofmeister. Die Zimmer im ersten Stock nach dem Wasser hinaus sind zurechtgemacht.
Gräfin Eberhard. Hoffentlich nicht über der Mangelkammer! – Halte sie! – Amme, was fällt dir ein?
Die Amme, die etwa vier Stufen genommen hat, muß sich anlehnen und kommt nicht weiter. Nur einen ganz kleinen Augenblick. Es ist nichts. Es war nur ein Stechen im linken Fuß.
Gräfin Eberhard. Stich wieder, Amme! Vorwärts, hinauf!
Haushofmeister. Setzt Euch nieder, haltet das Kind!
Gräfin Eberhard. Wie denn? Sie rutscht mir wahrhaftig die drei, vier Stufen wieder zurück. Das Frauenzimmer kann keine Treppen mehr steigen.
Der Schloßpropst, Kreuzeszeichen. Segne Gott deinen Eingang, fürstliches Kind!
Gräfin Eberhard. Und sorge für kräftige Arme und Beine, solange du selbst noch nicht laufen kannst. – Magd! komm her, verstehst du? – Gib, Amme! sie mag dir das Kind hinauftragen. Griselda, im Kopftuch, richtet sich auf und kommt steif, ein wenig wankend die Treppen herunter. Man legt ihr das Kind in die Arme. Sie blickt darauf nieder, wie erstarrt.
Haushofmeister. Aber vergiß nicht, daß du den Erbherrn und keinen Holzeimer in den Händen hast, und steige mit Vorsicht die Treppen hinauf! Griselda steigt zwei Stufen, sinkt eine davon zurück. Sie nimmt vier weitere Stufen, bleibt stehen und muß sich anlehnen. Sie nimmt gewaltsam abermals drei Stufen, steht einen Augenblick bebend, gerade emporgerichtet und bricht mit einem röchelnden Laut in die Knie.
Gräfin Eberhard. Was, können die Weibsbilder nicht mehr ein Zweimonatskind über eine bequeme Treppe hinauftragen? Ist denn dies Frauenzimmer verrückt? – Um Gottes willen, haltet das Kind! Die alte Gräfin Eberhard ist herzugeeilt und hat Griselden das Kind abgenommen: diese bricht nun mit einem lauten Schrei zusammen. Fast im gleichen Augenblick erscheint oben auf der Treppe Graf Ulrich.
Graf Ulrich. Griselda! – Griselda! – Hier bin ich, Griselda, riefst du mich? Er kommt heruntergeeilt und nimmt Griselden in seine Arme. Gatte und Gattin finden sich in einem langen, inbrünstigen Kuß.
Amme und Gräfin Eberhard tragen das Kind vollends die Treppe hinauf und verschwinden mit ihm. Die Gatten scheinen alles um sich her vergessen zu haben. Das veranlaßt auch den Grafen Eberhard und den Propst, die beide Zeichen tiefer Rührung an den Tag legen, sich zurückzuziehen. Graf Ulrich und Griselda bleiben allein. Unter immer erneuten Zeichen leidenschaftlicher Liebe führt Ulrich die Gattin, die ihren Arm um seinen Hals gelegt hat, die Stufen herab.
Graf Ulrich, atemlos. Wir werden Franziscus Heliodor die Herrschaft Stein am See verschreiben . . .
Griselda. Küsse mich!
Graf Ulrich. Wir schenken den Eltern das Vorwerk Schönbuche . . .
Griselda. Küsse mich!
Graf Ulrich. Warum hab' ich dir alles dies angetan? – Ich weiß es nicht.
Griselda. Geh nie mehr von mir fort, Geliebter.
Graf Ulrich. Wende doch nicht deinen schönen Hals so angstvoll nach unserem Kinde zurück! . . . Ich liebe, ich liebe, ich liebe mein Kind! – Blick anders! Blicke nicht mehr, wie ein armes, beraubtes Tier auf der Weide blickt! – Denn jetzt . . . jetzt ist es mir so, als wär' ich erwacht! Und als wär' ich dorthin entronnen, wo du bist! Und als wär' ich dort eingelassen, wo du bist. Niemand wird dir dein Kind mehr antasten!
Griselda. Ulrich, nun seh' ich auf einmal klar, warum du mich damals verlassen hast.
Graf Ulrich. Ich fasse es nicht! Ich begreife es nicht! Wer hat seinen Fluch auf mich gelegt, daß ich dich, Griselda, die ich doch mit einer sündhaften Liebe liebe, mit aller erdenklichen Bosheit des Herzens martern muß? – Verwünsche mich! Treibe mich wie ein tolles, geächtetes Tier in die Welt hinaus!
Griselda. Meinst du, daß ich dich niemals zugleich geliebt und gemartert hätte?
Graf Ulrich. Nein! – Griselda, ich habe den Ruf deines Herzens gehört! Hätte ich diesen Schrei deines Herzens früher gehört! Wer bin ich, daß ich mich gegen diesen gebieterischen Ruf, der uns machtlos erbeben läßt, dich so wie mich, Griselda, auflehne!? – Sage mir, wie ich büßen muß?
Griselda. Du mußt mich weniger lieben, Geliebter!