Gerhart Hauptmann
Griselda
Gerhart Hauptmann

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Vierte Szene

Der Garten des markgräflichen Schlosses. Anstoßend Terrasse mit Freitreppe. Von der Terrasse führen Eingänge in den Bankettsaal. Aus dem Bankettsaal ertönt Musik und der Lärm eines großen Festes: der Hochzeit des Grafen Ulrich mit Griselda. Es werden Türen geöffnet, und ein Teil der glänzenden Festgesellschaft strömt über die Terrasse in den Garten. Unter den ersten, die erscheinen, sind Graf Eberhard, die alte Gräfin Eberhard, Graf Heinz, die Baronin sowie der erste, zweite und dritte Baron. Herrlicher Herbsttag.

Graf Eberhard. Man muß zugestehen, daß sie sich besser ausnimmt, als wir denken konnten. Sie ist schön! Sie ist ein Kind aus dem Volke, aber im Grunde, denke ich, sind wir auch nichts andres. Die Eiche mag eine Eiche sein, aber sie hat die Wurzeln in der gleichen Erde wie die Kohlrübe.

Gräfin Eberhard. So philosophiert er den ganzen Tag. Er fing bereits damit an, ehe er in den Schlafrock schlüpfte. Seine Gedanken nahmen an Kühnheit zu, als er ein geputztes Bauernmädchen, das als solches in die Kirche gegangen war, als Gräfin unter dem Jubel des Volkes wieder ins Freie treten sah. Was er vom Beginne des Gastmahls an aus dem Stegreif an Sentenzen und so weiter von sich gegeben hat, könnte gedruckt werden.

Die Baronin. Ich sage ganz offen, daß ich immer noch der Hoffnung gelebt habe, der Konsens des Kaisers werde nicht eintreffen. So etwas mag meinethalben im Beginn ein leidliches Aussehen haben: der Tag der Reue kommt sicherlich.

Graf Eberhard. Habt Ihr gesehen: der Schloßpropst hat bei der Trauung geradezu dicke Tränen geweint.

Graf Heinz. Ihr Anblick ist jedenfalls ganz entzückend.

Die Baronin. Wenn sie nicht etwa unversehens ihre schwieligen Hände zeigt.

Graf Eberhard, dies überhörend. Und jeder Mann, was noch mehr ist – ich habe zahnlose Greise ihr Lob zwitschern hören! –, ist von dem freimütigen Anstand ihres Betragens vollkommen entzückt.

Erster Baron. Und mehr als alle der Markgraf Ulrich.

Graf Eberhard. Wie es denn auch nach Lage der Sache durchaus gehörig ist.

Zweiter Baron Hättet ihr unserm gnädigen Herrn eine gute und frische Laune wie seine heutige jemals zugetraut?

Dritter Baron. Er möchte die ganze Welt umarmen.

Graf Eberhard. Mein Gott, wer wollte denn wohl auch heut, und zwar in der ganzen Lombardei, halb so vergnügt als er zu Bette gehn.

Die Baronin. Ich werde jedenfalls besser schlafen.

Graf Eberhard. Die kleine Baronin ist immer schlagfertig.

Die Baronin. Man darf jedenfalls sagen, daß er eine erzene Stirn und einen erzenen Willen hat.

Erster Baron. Ihre Erlaucht die Frau Markgräfin treten soeben zwischen dem Herrn Gemahl zur Linken und dem Fürsten von Bologna zur Rechten ins Freie heraus.

Gräfin Griselda, köstlich in Brokat gekleidet, die Krone der Markgräfin auf dem Haupt, erscheint auf der Terrasse, zur Linken den Grafen Ulrich, der sie am Arme führt, zur Rechten den alten Fürsten. Die Musik spielt Tusch, und die Gäste brechen in begeisterte Hochrufe aus.

Griselda. Bis heute wußte ich wirklich nichts davon, Liebster, daß die Welt auch aus solchen Augen blicken kann. Hat denn die Welt all ihre Güte bisher nur versteckt gehalten? Damit gekargt? Um sie plötzlich lachend und flutweise auszuschütten? Wenn ich in mich sehe, so weiß ich nicht, wer ich bin! Wenn ich um mich sehe, noch minder! Ich lebe in einer Täuschung, oder ich habe bisher in einer Täuschung gelebt. – Ich bin ganz wehrlos! Aber wogegen sollt' ich mich auch wehren? Gegen Liebe? Meine Arme sind ohne Kraft und Saft! Aber wozu brauchen sie Kraft in ihrer seligen Nutzlosigkeit! Hab' ich denn Arme? – Dies ist kein Wiesenplan! Kann keiner sein! Wie viele hab' ich ihrer mit blindem Schwung abgeschoren. Aber wie kann man Blumen verwüsten? Ich würde Scheu tragen, sie zu betreten, geschweige, sie mit einem stählernen Schneidewind niederzumähen. – Und Ihr habt meine Augen vertauscht: ich hielt diese Leute früher alle für hochmütig, Fürst. Heute sehe ich, sie sind ja wie Kinder!

Der Fürst. Sie sind wie Kinder! Aber wißt Ihr auch wohl, erlauchtigste Gräfin, wie Kinder eigentlich sind?

Graf Ulrich. Will sagen: sie sind mitunter recht bösartig!

Der Fürst. Macht, rohe und grobe Macht, schwächt sich zuweilen durch den Geist. Ein reicher Geist überwindet die Erde, doch erobert sie nicht. Diese Leute haben die Welt erobert und halten sie ohne Geist mit Zähnen und Fäusten, muß es sein, an den Haaren fest.

Graf Ulrich. Durchlaucht, ich widerspreche Euch: die meisten von ihnen wissen weder etwas von jenem Geist, der die Welt überwindet, noch haben sie jene Organe, die notwendig sind, wahrhaft die Erde zu erobern. Es sind Kinder, die ihre Mutter vergessen haben und die deshalb auch ihre Mutter vergessen hat. Mit lauter Stimme, die sich zu einer allgemeinen Ansprache steigert.

Ich danke euch, daß ihr zur Hochzeit eines Mannes gekommen seid, dessen Wesen und Wandel ihr nicht begreifen konntet. In euren Augen war ich ein Raufbold oder ein Tier. Ihr verabscheutet mich, und ich, wie ich gestehe, ließ mich gerne von euch verabscheuen –: denn um aus dem Grunde zu leben, bedurfte ich eures Beifalls nicht.

Wer keinen ehrlichen Kampf will, der genießt keines ehrlichen Friedens. Wer das Grobe nicht will, dem erschließt sich das Zarte nicht! Wer die Scholle nicht will, wird den Halm nicht würdigen! Hart und heiß wollte ich zufassen, hart und heiß angepackt und umschlungen sein. Er führt die Hand Griseldens an den Mund. Deshalb mußt' ich mir diese beugen. Lauter Beifall der ganzen Gesellschaft.

Ich brauchte ein Weib, in dessen Adern die erste Glut des großen Schöpfungsaktes noch lebendig ist: ein Weib, aus der Rippe des Mannes gemacht durch Gott den Vater, verstoßen durch ihn, und eine echte Eva und Tochter Evas, in steinichte Wüsten gesetzt, um diese Wüsten mit der Kraft ihres Atems im Schweiße ihrer Glieder zu Gärten zu wandeln. Ich wollte die trotzige Sünderin und Feindin Gottes und der Schlange im Garten Eden. Ich wollte als alter Adam, der ich bin, mit nichts mich begnügen außer dem alten, echten Eva-Adel: ich wollte die starke Männin in Waffen, mit Sichel, Spaten und Karst – oder niemals ein Weib an meiner Seite sehn.

Drei geputzte Landleute erscheinen und stellen sich am Fuß der Treppe auf. Der eine von ihnen trägt eine Sense, mit Bändern geschmückt, der zweite einen geschmückten Spaten, der dritte ein Maß mit gemischten Getreidekörnern. Graf Ulrich steigt die Treppen herunter, nimmt dem dritten der Leute das Maß aus der Hand und hält es einer der Damen hin.

Pick ein Korn, schöner Vogel, und sag uns, was es für eins gewesen ist.

Erste Dame. Bin ich ein schöner Vogel, Graf, so schätze ich es für Vogelfutter.

Graf Ulrich. Gefehlt! Was ist es, Griselda?

Griselda empfängt das Korn von der Dame, lachend. Ein Gerstenkorn.

Graf Ulrich. Pickt, hübscher Buntspecht; was ist dieses?

Zweite Dame. Roggen!

Graf Ulrich. Griselda?

Griselda. Ein Weizenkorn!

Graf Ulrich, zur Baronin. Pickt, kluge Elster.

Die Baronin hat unter dem Gelächter der Gesellschaft ebenfalls ein Korn genommen. Man sieht auf den ersten Blick, daß dies Leinsaat ist.

Graf Ulrich. Griselda?

Griselda. Wo ist es? Dies, was ich hier halte, sind Sägespäne.

Großes Gelächter der Hochzeitsgesellschaft.

Graf Ulrich. Ihr würdet mir Sägespäne ins Brot backen. Und nun tretet herzu, schöne Damen, eine jede von euch, die den wahren, echten, den alten Eva-Adel sich zutraut. Er nimmt die Sense. Hier ist ein Ding, das zugleich im Wappen des Todes und im flatternden, golddurchwirkten Banner des Lebens ist. Wer von euch weiß es zu gebrauchen?

Dritte Dame. Gebt mir das Monstrum von einem Dinge, ich versuch's. – Pfui, nein! Ich mag so ein Ding nicht anfassen.

Graf Ulrich. Griselda?!

Griselda, lachend. Durchlaucht, Ihr werdet mich beurlauben; ich muß auf meines Liebsten Anger gehorsam grasen gehn. Sie hebt die Robe mit Anmut und eilt mit kraftvoller Leichtigkeit die Stufen herab. Ohne weiteres nimmt sie die Sense und betrachtet sie. Sie ist aber stumpf! Man muß sie erst wetzen! Man gibt ihr einen Wetzstein, und sie wetzt mit Gewandtheit die Sense, dabei spricht sie.

        Heut wetzt er das Messer,
        es schneid't schon viel besser,
        bald wird er drein schneiden,
        wir müssen's nur leiden.

Sie gibt den Wetzstein hin, wird plötzlich nachdenklich und scheint, den Arm auf die Sense gestützt, in die Ferne entrückt.

        Hüte dich, schön's Blümelein!

Graf Ulrich. Wo bist du mit deinen Gedanken, Griselda?

Griselda, wie aufwachend. Ich? – War ich saumselig? – Frag Schwester Sense und Bruder Spaten, Liebster, wo ich gewesen bin. Sie nimmt nun die Sense mähgerecht, tritt auf den Rasen und stockt wieder. Plötzlich ist mir, als sei die Welt wieder hart, die Wiese Wiese, das Gras wieder Gras geworden.

Nach einem zärtlichen Blick in Ulrichs Augen wirft sie den Kopf heiter zurück und beginnt mit wuchtigen Zügen zu mähen. Nach je zwei Hieben sagt sie einen der folgenden Verse.

        Zwischen Saat und Mahd
        liegt der steinichte Lebenspfad.

        Eiserner Pflug, eiserner Arm,
        eiserne Sonne, daß Gott erbarm'.

        Eiserner Fuß, eisernes Muß,
        harter Mangel, im Überfluß.

        Harter Mangel, kahle Not
        und ein schweißgesäuert Brot.

Graf Ulrich. Habt ihr die alten, ewigen Verschen auch wohl gehört, ihr Damen und Herren, die sie da vor sich hingesagt hat?

Erste Dame. Was sind es für Verse?

Graf Ulrich. Unsre Vorfahren, denen wir verdanken, was wir geworden sind, hatten sie ganz genau im Kopf.

Erster Baron. Sie sangen ein Schwertlied; schwerlich, Erlaucht, doch ein Schnitterlied?

Graf Ulrich. Du irrst.

Die Baronin, zu Ulrich. Nehmt ihr die Sense aus der Hand, Graf, sonst mäht sie am Ende den ganzen Garten der Liebe ab. Wir sehen, daß sie auf Wort und Wink gehorsam ist.

Graf Heinz. Wahrhaftig, die Tochter des Grafen Tankred war kaum so gehorsam.

Die Baronin. Ob sie wohl nun noch über Zäune mit Scherben klettern muß?

Graf Ulrich. Hab Dank, Griselda. Es ist genug.

Griselda unterbricht ihre Arbeit nicht.

Der Fürst. Sie gleicht einem königlichen Engel im Feuer eines göttlichen Spiels auf den Wiesen Edens.

Graf Eberhard. Der Schwaden fliegt. Glück zu, du gekrönte Mähderin.

Graf Ulrich berührt Griselden sanft. Griselda, erwache! Vergiß uns nicht.

Griselda, in die Arbeit vertieft. Tretet beiseit. Ich muß bis zum Ave-Maria fertig sein.

Heiterkeitsausbruch der Gesellschaft.

Graf Ulrich. Griselda! Griselda hält inne, blickt eine Zeitlang fremd um sich. Erlauchtigste Gräfin Griselda, besinne dich!

Griselda, abwesend. Ich glaube, es wird morgen Regen geben.

Graf Ulrich nimmt sie in seine Arme. Nein, du selige Schnitterin, komm zu dir, es gibt morgen Sonnenschein.

 


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