Gerhart Hauptmann
Die goldene Harfe
Gerhart Hauptmann

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Achte Szene

Ein Zimmer im Schloß, das Arbeits- und Privatgemach der Reichsgräfin Anna. Die Reichsgräfin sitzt in einem altertümlichen Erker am Stickrahmen, der Reichsgraf Waldemar geht unruhig auf und ab.

Reichsgraf Waldemar. Nun ja, es kann etwas sehr Natürliches sein.

Reichsgräfin Anna. Sei es natürlich oder nicht, jedenfalls ist es besorgniserregend.

Reichsgraf Waldemar. In ihrem Verhalten mir gegenüber finde ich bei Juliane keine Veränderung.

Reichsgräfin Anna. Für mich ist sie ein fremdes Wesen geworden.

Reichsgraf Waldemar. Und worin drückt sich das aus, Anna?

Reichsgräfin Anna. In ihrer Fremdheit drückt sich das aus.

Reichsgraf Waldemar. Siehst du das Fremde im Betragen oder in einer äußerlichen Veränderung?

Reichsgräfin Anna. Ich sehe das Fremde leider in beidem. Sie hält sich schlecht, und der freie, herzliche Blick ihrer Augen ist verschleiert, ist unstet geworden.

Reichsgraf Waldemar, schalkhaft lachend. »Cupido . . . du hast mir mein Gerät verstellt und verschoben«, sagt der alte Herr, der in Weimar lebt.

Reichsgräfin Anna. Das dachte ich auch. War es unzart oder nicht, ich habe mich in meiner Mütterlichkeit dieser Unzartheit schuldig gemacht und eine direkte Frage an sie gerichtet: nein, ich bin überzeugt, Amor ist es nicht! So, wie sie es tat, könnte man dergleichen Vermutungen sicher nicht ablehnen, wenn etwas Amoureuses im Spiel wäre.

Reichsgraf Waldemar. Aber du wolltest doch die Veränderung unmittelbar nach der Abreise des Grafen Alexis schon erkannt haben.

Reichsgräfin Anna. Gewiß, ich brachte sie damit in Zusammenhang. Daß hier eine gegenseitige Neigung zutage trat, war ja für niemand zweifelhaft. Du wirst nicht glauben, ich hätte hinter den beiden etwa herspioniert, aber meine Zofe erzählte mir, scheinbar erfreut, sie habe Juliane und Graf Friedrich-Alexis auf einer Bank an der Parkmauer überrascht, als sie die Hände ineinander gelegt hatten.

Reichsgraf Waldemar. Nun, warum denn nicht?! Man muß wohl der Welt ihren Lauf lassen.

Reichsgräfin Anna. Wer sollte darüber traurig sein?! Ein tadelloser Kavalier von Geist, Gemüt und ähnlichen Neigungen. Aber sie weist es weit von sich ab, anders als durch Kameradschaft mit ihm liiert zu sein, und verschwört es, jemals zu heiraten.

Gherardini tritt ein. Sie haben mich rufen lassen, Erlaucht.

Reichsgräfin Anna. Dank, lieber Gherardini, daß Sie meinem Rufe so unmittelbar freundlich Folge leisten.

Reichsgraf Waldemar. Nehmen Sie eine Tasse Tee, Meister?

Gherardini. Sie wissen, ich trinke Kaffee und Tee zu jeder Tageszeit.

Reichsgräfin Anna. Trinken Sie Tee – und dann helfen Sie uns, mit der freundlichen Gesinnung für unser Haus, die ja manche Probe bestanden hat, in die rätselvolle – wie soll ich sagen – nicht gerade Verdüsterung, aber doch Verschleierung unserer häuslichen Atmosphäre nach Vermögen etwas Licht bringen.

Gherardini. Nach Vermögen, stets zu Diensten, gewiß!

Reichsgraf Waldemar. Meine Frau macht sich Sorgen über das angeblich veränderte Wesen unserer Juliane. In ihrem Verhalten zu mir, wie ich gleich hinzusetze, sehe ich keine Veränderung.

Reichsgräfin Anna. Du kennst sie vielleicht nicht so gut wie ich – nimmt sie übrigens noch ihre Musikstunden?

Gherardini lacht gemütlich. Nein, sie läßt eine Pause eintreten. Doch bin ich von dieser Wendung der Dinge nicht beunruhigt: sie geht mir etwas hinter die Schule – aber sie kommt mir schon wieder zurück.

Reichsgräfin Anna. Und der Grund, Gherardini?

Gherardini. Die Gründe sind vielfältig. Sie hat sich ein wenig übernommen in Musik, solange Graf Friedrich-Alexis auf dem Schlosse war, und muß sich wohl jetzt davon erholen.

Reichsgraf Waldemar. Sagen Sie einmal offen, Meister – vielleicht kennen Sie besser als wir unsere Tochter –: hat ihr Graf Friedrich-Alexis Eindruck gemacht?

Gherardini. Seit er fort ist, darf niemand in Komteß Julianens Musikzimmer. Auch sie selber betritt es kaum. Als ich es ahnungslos getan hatte – wie Sie wissen, besitze ich Schlüsselgewalt –, hat mir die liebe Komteß mit einem graziösen Scherz den Schlüssel entzogen.

Reichsgräfin Anna. Das deutet nun wirklich auf Schwärmerei – und doch leugnet sie standhaft etwas dergleichen.

Reichsgraf Waldemar, schalkhaft. Hätte sich meine Tochter am Ende jetzt mehr der Dichtkunst zugewandt?

Gherardini. Wäre es zu verwundern, wo Apollo selbst auf den Wegen und Stegen des Parkes lustwandelt, das Ruder in den Weiher taucht oder in der Eremitage dichtet? Wenn Sie meinen Rat hören wollen, so ist es der: nehmen Sie diese Sache, die schon in ihrem Abglanz auf uns eine so liebenswürdige ist, als eine Begnadung für alle Teile! Mitunter ist es mir, zumal wenn der Mond am Himmel steht, als hätten alle Nachtigallen des Parks sich zusammengetan, um das höchste Mysterium, das sie gegenwärtig wissen, zu feiern.

Reichsgraf Waldemar. Also wäre es Graf Friedrich-Günther, wie Sie meinen, der ihre Neigung gewonnen hat?

Gherardini. Wessen Neigung hat er wohl nicht gewonnen?!

Reichsgräfin Anna. Sie machen demnach Mondscheinpromenaden, wie man sagt.

Gherardini. Ich hätte gewünscht, die erlauchten Herrschaften wären gestern so glücklich gewesen, eine von diesen Mondscheinpromenaden, wie ich, zu belauschen. Ich kam recht spät durch den Park nach Haus. Plötzlich hörte ich Ariel musizieren. Das akustische Wunder verwirrte mich. Ich spähte umher und wollte nun meinen Augen nicht trauen: durch Funkengewölke von Glühwürmchen, die überm Schilf des Ufers aufstiegen, leuchtete, voll im See gespiegelt, von Schwänen umkreist, eine goldene Harfe. In diesem Augenblick überschwoll Gesang den Saitenklang. Ich glaubte, nicht mehr auf der Erde zu sein. Da war Charons träges Boot auf dem Styx, aber eine der neun Musen musizierte darauf, und Apollo ließ seine Stimme ertönen, die im Raume des Schattenreichs ein neues, gewaltiges Licht verbreitete. – Sie werden ahnen, wer die Muse gewesen ist und wer der Apoll, dessen Stimme ein solches Wunder wirkte.

Reichsgräfin Anna. Und was sang der Apoll für ein Lied?

Gherardini. Graf Günther sang »Adelaide« von Beethoven, nicht säuselnd, sondern gewaltig, wie eben ein göttlicher Troubadour. Und als er bis zu dem Verse gekommen war:
    Einst, o Wunder! entblüht auf meinem Grabe
    eine Blume der Asche meines Herzens;
    deutlich schimmert auf jedem Purpurblättchen:
    Adelaide.
. . . als er, wie gesagt, bis dahin gekommen war, schien er das Schattenreich zu durchbrechen und mitten im Lichte des Tages zu stehn! – Ein neuer Graf Günther, den ich bis dahin nicht gekannt hatte.

 


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