Gerhart Hauptmann
Die goldene Harfe
Gerhart Hauptmann

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Sechste Szene

Das Mansardenzimmer wie in der dritten Szene. Graf Friedrich-Alexis und Graf Friedrich-Günther unterhalten sich aufgeräumt bei offenen Fenstern. Ihre Kleidung ist leger.
Graf Friedrich-Alexis studiert beiläufig, die Flöte am Mund, vor einem Notenpult die Flötenstimme in irgendeinem Musikstück.

Graf Friedrich-Günther, zu Alexis, nach einem gemeinsamen, lauten Gelächter. Du bist heute von einer wahrhaft strahlenden Laune.

Graf Friedrich-Alexis. Es ist so, Günther.

Graf Friedrich-Günther. Und weißt du vielleicht auch, warum?

Graf Friedrich-Alexis. Ganz und gar nicht. Das hieße zu viel fragen. Kammerdiener Sulzer erscheint mit einigen Kleidungsstücken. Graf Friedrich-Alexis, fortfahrend, zu Sulzer. Danke verbindlichst. Das ist schön von Ihnen, Herr Sulzer: die alte Montur hat lange keine Bürste gefühlt.

Graf Friedrich-Günther. Was ist es für eine Montur, Alexis?

Sulzer. Die geheiligte Uniform der Lützowschen Jäger, Herr Graf.

Graf Friedrich-Günther. Wie kommst du darauf, sie hervorzuholen?!

Graf Friedrich-Alexis. Ja, wie komm' ich darauf? Vielleicht durch den Lützow-Erinnerungstag.

Sulzer ab.

Graf Friedrich-Günther. Der Kommandeur hat den Wunsch, uns dabei zu sehen?

Graf Friedrich-Alexis. Er schreibt einen dringenden Brief an mich. Das Lange und Kurze: wir möchten uns doch dem edlen Anlaß nicht fernhalten. Von unten hört man das Klavier anschlagen und das Stimmen von Saiteninstrumenten. Unten stimmen sie schon, wir haben Eile, wir müssen uns umkleiden.

Graf Friedrich-Günther. Wie verhalten wir uns gegenüber der Einladung?

Graf Friedrich-Alexis, ins Notenblatt vertieft. Gönne mir eine Minute Zeit. Das Flötenkonzert des Alten Fritzen wird aufgeführt, wobei du nur zuzuhören hast . . . Ich aber möchte mich nicht blamieren.

Graf Friedrich-Günther. Aus Unvermögen feiern müssen ist gar nicht so angenehm.

Graf Friedrich-Alexis. Du wirst Komteß Juliane heut endlich den Gefallen tun und die »Adelaide« vortragen.

Graf Friedrich-Günther. Mit meiner stimmlichen und technischen Unzulänglichkeit?

Graf Friedrich-Alexis. Nichts da, du wirst den Vogel abschießen. Der Wurf deines Vortrags wird immer durchschlagen.

Graf Friedrich-Günther. Unverkennbar schlägt in deinen Worten der Versuch zu trösten durch!

Graf Friedrich-Alexis. Das wäre dann wohl zum erstenmal, bisher ist ein solcher Versuch nie nötig gewesen.

Graf Friedrich-Günther. Ich bekenne offen, der Neid gegenüber deinen musikalischen Fähigkeiten hat mir manchmal zu schaffen gemacht.

Graf Friedrich-Alexis. Was aber befällt mich für ein Gefühl, sooft der Dichter von seinem Genius durch eine neue Gabe gewürdigt ist!?

Graf Friedrich-Günther. Was werden wir anziehen zu der kleinen Veranstaltung?

Graf Friedrich-Alexis. Ich werde den blauen Frack anziehen.

Graf Friedrich-Günther. Ach so, da werd' ich wohl dieses Mal guttun, eine andere Farbe für mich zu wählen, da dich ja doch die Komteß in Blau am liebsten sieht.

Graf Friedrich-Alexis. So? sieht mich Komteß Juliane darin am liebsten? Was bevorzugt sie denn an deiner Person für ein Kleidungsstück?

Graf Friedrich-Günther. Dafür, daß sie sich mit dieser Frage jemals beschäftigt hat, sind Anzeichen vorläufig nicht vorhanden.

Graf Friedrich-Alexis. . . . Höre, Günther, ist es dir nicht auch manchmal, als müßtest du dir in den Arm zwicken, um aufzuwachen?

Graf Friedrich-Günther. In der Tat! . . . und als könnte ich einen Weg nicht zurückfinden. Auch mir kommt es vor, als lebten wir in einem Zustand der Traumgebundenheit . . . Da war einmal ein Parktor, es öffnete sich, und hindurch fuhr die Postkutsche: es schloß sich hinter uns beiden Zwillingen und trennte uns von der alten Erde ab, der alten Erde, dem alten Leben, unserem ganzen bisherigen Sein – hoffentlich nicht auch von uns selber!

Graf Friedrich-Alexis. Hätten wir uns vom Wege verirrt, Günther, so müßten wir nun doch vielleicht daran denken, die Stelle zu suchen, wo wir abgekommen sind. Heut wäre sie schließlich noch zu finden. Was meinst du, wir sind acht Tage hier, wir könnten morgen mit Anstand abreisen.

Graf Friedrich-Günther. Deine Entschlüsse kommen zwar immer mit einer gewissen Plötzlichkeit – diesmal, scheint es mir aber doch, allzu plötzlich. Man würde wohl den Eindruck zurücklassen, wir wären mehr beengt als beglückt von der doch wahrhaft fürstlichen Gastlichkeit unserer Gastgeber. Das entspräche jedoch der Wahrheit nicht und müßte als schwarzer Undank vermerkt werden.

Graf Friedrich-Alexis wirft lustig Kleidungsstücke um sich her. Teufel, mir ist auch gar nicht zum Abreisen!

Graf Friedrich-Günther. Urteile selbst, wie mir in dieser Beziehung zumute ist! Er zieht sein Notizbuch und liest.
    Ein wehes Antlitz steht vor mir,
    es verweht und vergeht und ist wieder hier.
    's ist ein bittres Naß, darin es verschwimmt,
    ein bittreres, drin es aber entglimmt.
    Wer bist du, Gesicht,
    du fremdes Gebild,
    im Dulden so groß,
    im Fordern so mild?
    im Schenken so reich,
    im Nehmen so arm,
    erbebend vor Frost
    und im Herzen so warm?
    Sprich, Frau, nun zu mir!
    Und sie hebt ihren Arm . . .

Graf Friedrich-Alexis. Wann hast du das geschrieben, Günther?

Graf Friedrich-Günther. Als ich gestern, wie du heut, den Gedanken erwog, meinen Aufenthalt abzubrechen.

Graf Friedrich-Alexis. Und da kam es dir vor, eine weiße Geistergestalt wolle es dir verbieten?!

Graf Friedrich-Günther. Das läßt sich genau nicht sagen, Alexis. Vielleicht wollte die Geistergestalt mich auch fortweisen.

Graf Friedrich-Alexis hat während der Vorlesung schon Mühe gehabt, seine wachsende innere Bewegung zu verbergen. Er preßt die Lippen zusammen, seine Augen werden feucht, immer finstrer werden seine Mienen in dem Bestreben, sich beim Anblick des Bruders, auf den sein Blick unverwandt gerichtet ist, Gewalt anzutun. Bei dessen letzten Worten aber gelingt es ihm nicht mehr, und er schluchzt einmal auf.

Graf Friedrich-Günther. Um Gottes willen, was ist dir, Alexis?

Graf Friedrich-Alexis kehrt sich ab, ringt einen Augenblick fassungslos die Hände. Nein, Günther, ich ertrag' es nicht!

Graf Friedrich-Günther. Und was willst du denn nicht ertragen –?

Graf Friedrich-Alexis. Ich weiß nicht – ich kann nur mit aller Bestimmtheit erklären, daß ich der Sache nicht gewachsen bin.

Graf Friedrich-Günther. Was ist das für eine Sache, Alexis?

Graf Friedrich-Alexis. Ich kann die Dinge nicht weitertreiben – ich kann nicht – es ist zuviel für mich! Darum bitte ich dich mit dem Rechte des älteren Bruders – ich bin eine halbe Stunde älter als du! –, daß du mir eine kleine Pause bewilligst. Ich muß hinaus, ich muß einmal Luft schöpfen. Bin ich ein Mann?! wie kommt eine solche Schwachheit über mich? Ich sehe dich an und muß schluchzen und flennen, wie ich seit meiner Kindheit es nicht mehr gekannt habe . . . Er legt seine Arme um Graf Friedrich-Günther und sinkt an seine Brust, sich an seiner Schulter buchstäblich ausweinend.

Graf Friedrich-Günther. Herzensbruder, beruhige dich!

Graf Friedrich-Alexis reißt sich los, wütet gegen sich selbst. Pfui Teufel, Memme! schäme dich, Memme! sage nicht, daß du je Sporen an deinen Stiefeln getragen, auf einem Rosse gesessen hast! du bist ein Weichling, lasse dich einscharren! Nein, weiter gehe ich auf diesem Wege nicht! Ich muß mich von Flausen und Sentimentalitäten reinwaschen. Um meiner Selbstachtung willen muß ich das. Dazu brauche ich Männergespräche, Kriegskameraden. Und deshalb, Günther, fleh' ich dich an: laß mich auf einige Wochen fortreisen!

Graf Friedrich-Günther. Wenn mir aber ähnlich zumute wäre?

Graf Friedrich-Alexis stutzt, sieht wiederum Graf Friedrich-Günther durchbohrend an. Könnte dir ähnlich zumute sein?

Graf Friedrich-Günther. Mir ist ganz und gar so wie dir zumute.

Graf Friedrich-Alexis, jäh männlich und ernüchtert. Nun also, das ist unser alter Ton. Du sollst meine Mannheit nicht beschämen. Wir haben, in dieser Beziehung gleich und gleich, selbst dem Tode heiter ins Auge geblickt. Und da doch wohl unsere Lose über den Sternen bereits gefallen sind, wollen wir in der alten gewohnten Weise orakeln. – Hier ist der alte Lützower Tschako! Bringen wir sofort unser bewährtes Rezept in Anwendung: zwei Stückchen Papier mit Ja und Nein, – er verfertigt sie und wirft sie in den Tschako – wer das Ja zieht, reist, wer das Nein, wird hierbleiben.

Graf Friedrich-Günther. Und wie lange müßte man abwesend sein?

Graf Friedrich-Alexis. Solange man eben will oder kann. Freilich wäre die schnelle Rückkehr als Schwäche zu deuten.

Graf Friedrich-Günther. Du bist in solchen Sachen stets großzügig: unter diesen Umständen aber füge ich eine Bedingung ein.

Graf Friedrich-Alexis. Im voraus bewilligt! Laß hören, Günther.

Graf Friedrich-Günther. Der Verwalter des Horts, der hier zurückbleiben wird, soll ein treuer Verwalter sein.

Graf Friedrich-Alexis. So sei es! der Schatz – ein Noli me tangere!

Sie bekräftigen es durch Händedruck.

Graf Friedrich-Günther. Mein Wort darauf.

Graf Friedrich-Alexis. Du brauchst mir dein Wort nicht geben, Günther. Somit zum Entscheid! Er greift in den Tschako und hält sein Los in der geschlossenen Hand. Wer wagt, gewinnt. Glaub mir, ich bin ein Hellseher, Günther: ich halte ein Ja in meiner Hand. Ich weiß, meine Reise ist gesichert!

Graf Friedrich-Günther. Öffne, Alexis –

Graf Friedrich-Alexis tut es, betrachtet das Los. Da steht mein Ja – sie ist gesichert!

 


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