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Das Musiksälchen mit der goldenen Harfe wie in der ersten und fünften Szene.
Graf Friedrich-Alexis, die Flöte in der Hand, und Graf Friedrich-Günther treten vom Innern des Schlosses her ein.
Graf Friedrich-Alexis, mit einem etwas erzwungenen Humor. Wir kommen zu früh, die Hohepriesterin ist noch nicht im Heiligtum.
Graf Friedrich-Günther. Das ist in der Tat dieser Raum mit seiner Leier im Mittelpunkt.
Graf Friedrich-Alexis. Machst du Fortschritte auf der Harfe? Die kleine Jutta Gherardini ist nicht nur deine hingebungsvolle Lehrerin, sondern noch mehr Verehrerin.
Graf Friedrich-Günther, trocken. Dank für deine Eröffnung, Alexis.
Graf Friedrich-Alexis. Ich habe nichts gegen das süße Ding, das doch schließlich Anmut mit viel Talent und Klugheit verbindet.
Graf Friedrich-Günther. Ich kenne dich ja, du warst immer recht weitherzig.
Graf Friedrich-Alexis. Pfirsich ist Pfirsich! für jemand, der Pfirsich liebt. – Trotzdem ist mir nicht ganz so zumut, als ob ich meinen Flötenpart recht con amore ausführen könnte. Ich fürchte, ich werde nicht ganz bei der Sache sein.
Graf Friedrich-Günther. Willst du wirklich noch heute abreisen?
Graf Friedrich-Alexis. Was du tun mußt, tue bald: nach unserem gemeinsamen Grundsatz, Günther.
Graf Friedrich-Günther. Von Müssen kann hier durchaus nicht die Rede sein. Was bedeutet schließlich ein Scherz wie das Losewerfen?!
Graf Friedrich-Alexis. Wie die Lose fallen, bedeutet viel, Günther!
Graf Friedrich-Günther. Ich würde ein Opfer von dir nie annehmen – aber tragisch zu verstehen ist am Ende ein Ausflug von zwei, drei Wochen nicht.
Graf Friedrich-Alexis. Nein, tragisch zu nehmen ist das nicht.
Graf Friedrich-Günther. Ich beneide dich eigentlich um die Fahrt in der schummrigen Postkutsche. Unvergleichlich ist es für mich, wenn der laute Ruf des Posthorns in das Dunkel der unergründlichen deutschen Wälder taucht, darin verhallend und gleichsam versinkend – und wenn ihm dann alle nächtlichen Zauber der Tiefen antworten. Wir haben Vollmond, die Nacht wird taghell sein – es gibt keine Art von Rausch, die ich dem einer solchen Reise vorzöge.
Graf Friedrich-Alexis. Diesmal muß ich dich leicht enttäuschen, Günther. In der Tat, ich reise heut abend, wie du scheinbar vermutet hast. Mich aber um diese Nachtfahrt zu beneiden, hat niemand besonders Veranlassung.
Graf Friedrich-Günther. Warum willst du die Reise dann überhaupt antreten?
Graf Friedrich-Alexis. Streiche die Tragik aus ihr, lieber Günther, aber auch freilich die Mondscheinverzückung dazu: dafür magst du dann einen begründeten Neid ins Konzept setzen.
Graf Friedrich-Günther. Und welchen Gegenstand hätte dein Neid?
Graf Friedrich-Alexis. Vielleicht einen doppelten Gegenstand: ich werde Komteß Juliane um deine Nähe, dich um ihre Nähe beneiden. Dazu würde ein Schmerz kommen, mit jeder Minute weiter von euch beiden fortgezerrt zu sein.
Graf Friedrich-Günther. Siehst du es so an, dann bleibt mir nur übrig, dich innig zu bitten: laß mich ins Freie! öffne das magische Parktor für mich!
Graf Friedrich-Alexis blickt Günther tief an. Für dich besitze ich keinen Schlüssel . . .
Komteß Juliane tritt mit schnellen Schritten ein.
Komtess Juliane, ohne Günther zu bemerken. Alexis, ich habe Sie warten lassen.
Graf Friedrich-Alexis. Es gibt keine Zeit, es gibt kein Warten für Vasallen im Dienste der Königin. Aber Gherardini ist ebenfalls noch nicht da, und das Violoncell steht noch im Kasten.
Komtess Juliane. Denken Sie, daß ich selber daran die Schuld trage: mir war plötzlich zumute, als würde die Stunde reiner und schöner sein, wenn ich mit Ihnen allein musizierte.
Graf Friedrich-Alexis. Hier ist auch mein Bruder Günther, Komteß.
Komtess Juliane, leicht überrascht. Ich hatte wahrhaftig gemeint, lieber Graf, Sie hätten sich in die fernsten Partien des Parkes zurückgezogen, um, wie Sie sagen, Begeisterung zu schlürfen aus dem kastalischen Quell der Einsamkeit.
Graf Friedrich-Günther. Dazu wird die Komteß auch jetzt mir noch Urlaub gewähren, falls das geplante Flötenkonzert des großen Königs nicht mehr zu erwarten ist.
Komtess Juliane. Das Flötenkonzert ist nicht zu erwarten . . . höchstens ein wenig Spiel mit dem Spiel. Aber bleiben Sie, bleiben Sie trotzdem, Graf – und wäre es nur, weil Sie beide sich doch nur ungern trennen.
Graf Friedrich-Alexis, nach leichter Betretenheit, etwas gezwungen. Günther hat ein Gedicht verfaßt, und ich werde es in Musik setzen.
Graf Friedrich-Günther. Ich kann mir nicht denken, daß eine solche Nachricht die Komteß in diesem Augenblick interessieren wird.
Komtess Juliane. Was Sie beide betrifft, ist mir alles wichtig.
Graf Friedrich-Alexis. Und wir schätzen beide aus tiefster Seele die Neigung, die uns Komteß Juliane entgegenbringt.
Graf Friedrich-Günther. Und so bitte ich nochmals, mich zu beurlauben. Nicht zwar, weil ich nach einem Trunk aus dem kastalischen Quell der Einsamkeit durstig wäre, sondern um einer Pflicht zu genügen, von der Alexis Ihnen Näheres berichten wird.
Er entfernt sich in den Park.
Komtess Juliane. Ein Schatten ist über mich hingegangen . . . Was hab' ich gewollt? Was wollt' ich doch?
Graf Friedrich-Alexis. Ich denke, mit mir musizieren, Komteß.
Komtess Juliane. Ich sah Ihren Bruder anfänglich wirklich nicht. Was meinen Sie: könnte ich ihn verletzt haben?
Graf Friedrich-Alexis. Ihn zu versöhnen, finden Sie bald genug und vollauf Gelegenheit.
Komtess Juliane. Bitte rufen Sie ihn zurück!
Graf Friedrich-Alexis. Nein, Komteß! das tue ich nicht!
Komtess Juliane. Weshalb sagen Sie das so bestimmt, Alexis?
Graf Friedrich-Alexis. Weil er den gleichen Grund hat, zu gehen, den ich habe, um hierzubleiben und mit Ihnen eine halbe Stunde allein zu sein.
Komtess Juliane. Der Schatten wächst, ich fühle ein Frösteln . . . Erklären Sie mir die geheimnisvolle Pflicht, von der Ihr Bruder mit so bedeutsamen Worten gesprochen hat.
Graf Friedrich-Alexis. Das ist mit leichter Mühe geschehen, was für Hintergründe es sonst auch haben mag.
Komtess Juliane. Alexis, das heißt verwirren, nicht aufklären.
Graf Friedrich-Alexis. Ganz einfach: ich soll einen Eichenkranz, den Günther mir mitgeben wird, auf die Grabstätte eines gefallenen Freundes legen. Er will ihn mit Hilfe des Gärtners selbst binden, und zwar von den Zweigen und Blättern der alten Eiche, die mit ihren gewaltigen Ästen die Kuppel des Grabmals Ihres Bruders berührt.
Komtess Juliane. Viel und wenig gesagt: Ihnen mitgeben? wohin mitgeben? was bedeutet das?
Graf Friedrich-Alexis. Es ist ein zwingender Anlaß vorhanden, der mindestens von einem von uns wahrgenommen werden muß.
Komtess Juliane. Und so werden Sie eine Reise antreten?
Graf Friedrich-Alexis. So ist es. Das werde und muß ich, Komteß. Das alte Freikorps feiert ein Erinnerungsfest zum Gedächtnis gefallener Kameraden.
Komtess Juliane. Und da litt es Sie nicht, das Posthorn ruft, Sie wollen hinaus, hinaus in die Welt, nicht länger ein Gefangener sein . . . Von einer Bewegung übermannt, sinkt sie auf einen Stuhl und starrt vor sich hin.
Graf Friedrich-Alexis. Nehmen wir an, mein Bruder unternähme heut abend die Reise: Ihre Empfindungen würden ja doch die gleichen sein! – Was Sie beide betrifft, ist mir alles wichtig: sagten Sie das nicht eben, Juliane?
Komtess Juliane. Legen Sie nur meine Worte auf die Goldwaage! Nun wohl, warum lassen Sie Günther hier? Warum soll er im Kerker verschmachten, im Einerlei unsrer Seufzeralleen und zwischen unseren Sumpfgräben, wie Gherardini sagt, hinwelken?! Immerhin, er ist weniger leichtbeschwingt als Alexis. Er machte den Fehler, seinerzeit eine gewisse Locke nicht fortzuwerfen . . . Er kann wohl fühlen, besser als andre, was man einem verletzlichen Frauenherzen schuldig ist.
Graf Friedrich-Alexis tritt unter sichtbaren inneren Kämpfen an Juliane heran, die, noch immer vor sich hinstarrend, im Sessel lehnt, und will ihr mehrmals die Hand auf den Scheitel legen. Juliane! Juliane, sprechen Sie nichts! Ich blicke mit Ihnen, ich starre mit Ihnen in den gleichen tiefen Abgrund hinunter: nicht zwischen uns, aber vor uns hat er sich aufgerissen. Leben Sie wohl – es muß sein – ich reise, Juliane! Er geht schnell ab.
Jutta tritt ein.
Jutta. Überall habe ich Sie gesucht, Komteß.
Komtess Juliane. Eben habe ich etwas erlebt, kleine Jutta, was mir die Sonne aus dem Himmel, die Töne aus allen Instrumenten, ja, wie ich fürchte, meine Seele genommen hat.