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Strandgut

Ich darf wieder die lispelnden Graswiesen und den wolkengetürmten Himmel lieben – die Sonne, die dahinter glüht aus sprühenden Säumen – den Sturm, der in den Eichenkronen wühlt – alles, alles! – Dich, glasige, tausendfältig schimmernde, klare Welle, die du an den Strand heranrollst und im Kiese schlurfst und rieselst. Ich liebe dich wieder, strahlende Sinnenwelt! – Und suche wieder nur eine Frucht aus meines Lebens Zweigen – eine, die klar, stark, reich und sonnig scheint, wie du –: Ein Wissen, so lebensmächtig, daß es lockt, wie der Eichwald, der über mir braust, mich kühlt, mich stark und frei macht, – eine Kunst, darein wir springen wollen, wie nackte Leiber ins Meer, daß es uns triefend behänge mit tausend diamantenen Tropfen, in denen die Sonne glitzert.

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Grahl

Ich lebe nun schon seit Wochen in diesem kleinen Fischerort. – Heute habe ich wieder den ganzen Morgen einsam gesonnen und geschrieben. – Unruhe und Zweifel quälen mich. – Ich will ins Freie. – Aber der Wind weht heiß vom Lande her und wirbelt Sand um die alte Dorfpappel. – Da schiebe ich schnell noch einen Brief in den Kasten des niedrigen, strohdachenen Posthauses, dessen Tür ein Rosenstock üppig überblüht. Dann wandre ich dem Walde zu, der den Ort vom Strande trennt. – Alles liegt menschenleer. – Die Sonne brütet glühend über der weiten, rötlichen Grasflur. In der Ferne sind Menschen im Heu. – Eine Wolke tanzenden Staubes wälzt sich ein ums andere Mal hinter mir drein ... Wundersam: auf einmal ist es kühl, klar, gedämpften Lichtes, still und feierlich. Der Wald umfängt mich, – aufrauschend, wie Gottesatem. – Ich stehe still – ziehe meinen Hut ab und schaue tief hinein in die grüngoldene Dämmerung. – Es riecht nach Harz und frischer Walderde. – Ein liebliches – azurenes Libellentier schwirrt vorüber. – Noch eins. – Und noch eins. – Im Schatten jagen einander weiße Schmetterlinge. – In den wogenden Wipfeln schmetzt, jubelt und tiriliert es unaufhörlich. – Ein zierlicher Käfer – regenbogenhaft – auf einem Haselblatt – regt seine Flügel. – Und meine Brust dehnt sich. Wie ein frommer Waldbruder, der mit Bienen und Fliegen und allerlei Getier einsam haust, breite ich meine Arme dem wehenden Frieden – und meine Seele umspannt liebkosend – als wäre sie ein weiter Gottesraum – das luftige Gewimmel. – Und das Unermeßliche durchströmt mich mit seiner Flut – frohlockt in mir und kost die Kreatur. Ich glaube daran – an sein Wehen und Verheißen. Ich bin es selbst. – Wie schlafwandelnd folge ich dem Moospfad. – Alles, was ich schaue und höre, klingt zusammen in ein einsam – hehres Rauschen. – In meiner Brust wogt der ewige Traum von Freiheit und Kraft... Da! – eine Hummel! die bedrohlich nahe kommt. »Der tausend, du wirst doch nicht!«... Der alte Traum erfüllt noch immer zaubersam das ruhelose Herz... Aber die Hummel! – Sie kommt zurück und umsummt mich dreister. »Daß dich der Teufel!« – Die hat es auf mich abgesehen. – Offenbar! – Ich drehe und wende mich. Das ist ja wie verhext! Sie steht mir trotzdem immer vor der Nase. – Ich will mich ducken. Bums, fliegt sie mir gegen die Stirn. – Ich springe beiseite: – »Du Vieh!« – Nun schwirrt sie mir dicht am Ohr. Ich fange an zu schlagen: »Weg!« – »Bestie!« – »Weg! – Du! Du!« – Ihr Summen verschwimmt im Rauschen der Eichen – und ist schon verweht... Ich stehe – trockne mir den Schweiß von der Stirne – und lache: – »Waldbruder! – Mensch!...«

Ein goldener Falter gaukelt einsam und majestätisch über den Schattenpfad. – Totenruhe – und einförmiges Geflüster. – Dann knickt ein dürrer Ast oben in der Krone und fällt knisternd herab. – Ich schreite achtlos vorwärts. – Etwas treibt mich. – Ich lausche einem Ton. Er mischt sich rhythmisch anschwellend und ebbend in das feierliche Rauschen. – Zwischen silbernen Stämmen hindurch – unter dem lastenden Wipfeldach flimmert und lockt in der Ferne das Meer: – Schaumkämme leuchten – weit, weit hinaus; – Wogen rollen heran – immer wieder...

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Auf dem hohen Ufer, wo bei wilder See der Sand wirbelt, spazierte ich und kam gegen Wustrow. Dort arbeiteten die alten Fischer an den Bollwerken gegen das Meer, und es war ein wunderbarer Anblick, wie die Menge alter Apostelgesichter ernst und feierlich fast, unter gemeinsamem, rauhen Singen die Pfähle rammte. Dabei sangen sie das Lied: »Ich habe mein Feinsliebchen schon lange nicht gesehn, ich sah sie gestern Abend wohl vor der Haustür stehn. Ich dachte sie zu grüßen, usw.« Und Zeile um Zeile, in schwerem Rhythmus, und immer dazwischen fällt das emporgezogene Rammeeisen mit dumpfem Krach nieder. Weiter entfernt sah ich Männer, die im Viereck saßen und unter abendmahlsartigem, melancholischen Psalmodieren des weißbärtigen Alten mit der Handramme ihr ernstes Werk taten. Ich stand lange und lauschte auf die wunderbar ergreifenden Weisen und sah mit Bewunderung die alten wetterharten Fischerleute; und es fiel mir ein, daß Christus zu Jüngern sich Fischer gewählt und zu ihnen gesagt hatte: »Von nun an sollt ihr Menschenfischer sein!«

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Wir alle sind auf der Wallfahrt nach dem Gott in der eigenen Seele. Und wer uns den enthüllt, den nennen wir »geliebt«.

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Liebe, das ist die gierig quellende Lust am Dasein. Wessen Seele davon erfüllt ist, an dem hat aller Zweifel seine Macht, das Rätsel des Lebens seinen Sinn verloren. Liebe allein bildet das Leben fort, es ist die zeugende Kraft. In Seelen voll Liebe sind alle Leiden in Freuden, alle Fragen in Taten verwandelt und gelöst.

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Auch der Schaffende muß wie der Liebende zuerst seinen Verstand verlieren.

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Wer nicht mit aller Qual lieben kann, dem ist auch das letzte Schöpferische im Ahnen und Gestalten verschlossen.

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Wir haben alle nichts und sind alle – ein jeder von uns – auf die Gnade des andern angewiesen, desjenigen, den wir lieben. Denn Liebe ankert im Grunde und fragt nicht nach dem Glänze der Oberflächen, wo alles Haben sich abspielt.

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Nur die süße Gewohnheit achten! Nur die süße Höflichkeit, die alles demokratisiert, achten! Daß keiner zu kurz komme! Daß keiner sich besonderer Sonne freue! Sie wissen nicht, diese Banausen des Herdenglückes, daß es nur eine Macht gibt, die in den Schöpfergrund der Seele eingreift und das Unendliche darin anrührt, daß die Seele blüht und duftet, wie eine Wunderblume von Gotteshuld geweckt, das ist die Liebe – daß es nur eine Macht gibt, in deren Glut und Glanz Himmel und Erde – die Sonne selbst erstirbt, wie Traumschatten vor dem wahren Licht – das ist die Liebe. Liebe, das ist der innerste Kern der Persönlichkeit, in ihr bejaht oder verneint sich, steht und fällt der Mensch. Liebe, die ganz nur persönlich ist, die sich an das Persönlichste knüpft mit Leidenschaft, die nur Eines verklärt vor allen – das wahrhaft aristokratische Prinzip in der Welt – und die einzige Quelle aller einzigartigen, persönlichen Werte.

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Es gibt Geister – große und freie, die einmal sich zur Tragik entscheiden, die einmal ganz ausgefüllt von Lebensglauben sagen können: »Tod, wo ist dein Stachel? – Hölle, wo ist dein Sieg?« –Die Kleinen fragen nach dem und jenem um und um, haben Zeit, sich vor dem Tode zu fürchten – und wo sie sich entscheiden können, geschieht es immer nur zur Behaglichkeit und zum Lebensgenuß.

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Dieses Jagen nach Zukunft, dieses Nie-ruhen-können im Augenblick, dieses Sich-Halten an die vagen Verheißungen der Zeit – das ist die wahre Krankheit. Nirgend kann es liegen, was nur in der Zukunft liegt, denn Leben ist der Augenblick. Im Augenblick liegt die Kraft. Und dich an die Zukunft halten, heißt dich wegwerfen, weil du zum Augenblicke nicht taugst. Erfülle den Augenblick mit deinen reichsten Gefühlen, und du wirst nach Zukunft nicht fragen. Du wirst nicht die Gegenwart um der Zukunft – vielleicht wirst du alle Zukunft um der einen Gegenwart willen wegwerfen. Das heißt Leben. Das ist Erfüllung. Das ist alles Lebens Sinn.

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Auch Glaube, auch Erlösung selbst – wenn ihr wollt – ist ein illusionärer Augenblick. Echte Kunst, die ihn zu wecken weiß. – Aber wer sagt, daß solcher Augenblick weniger sei, als die Ewigkeit? Beide sind zeitlos.

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Helgoland

Gelehrte, in Teerjacken gehüllt, fuhren hinaus in Nacht und den Silberglast des jungen Mondes.

Peter Bauch, der Schiffermann, stand am Steuer mit seinem Gesellen.

Große, wilde Wogenhügel sprangen ums Boot, als wollten sie sich dehnen und in die Lüfte heben. Eine große, weite, dämmernde See. Eine mächtige, unruhvoll sich wälzende und drängende Flut. Eine weite, tiefwogende Seele.

Und der Schaum sprühte um die eingehüllten Männer und ging über die Bootplanken und sprühte sie an, daß die Teerkittel troffen. Auf eine Seite sich rückdrängend, so schossen sie durch die dämmernden Wasser.

Eine Wunderfahrt! Helgoland als schwimmendes, von tausend grünen Lichtern erfunkelndes Schloß aus dem Nachtmeer ragend – und hoch darüber im Strahlenkranze lichtgolden gewölbt der Mitternachtäther.

Und um das rauschende und schäumende Boot ewig nur die aufbegehrenden Hügel, die anschwellenden, die doch nicht gebaren, die doch nicht Kraft hatten, mit Flügeln sich aufzuheben in die Silberlüfte der Nacht. Nur Schaum und Gischt immer. Und drunten blieb das Ungenannte und Ungedeutete ohne Erlösung.

Der Steuermann redete nur dann und wann einen Hinweis:

»Das ist die Boje am Südstrand der Düne.«

»Jetzt streichen wir um die Hummerkästen.«

»Draußen das ferne Schiff hat eine rote Laterne an Backbord.«

Dann fing einer der Gelehrten im Boote zu reden an.

Der Steuermann, der sichere Lotse durch Woge und Sturm und Dünung, der die hellen Sterne kannte und die Leuchtfeuer der Inseln, und die Sommergluten beim Fischfang, und die Herbststürme und Wintermeere, der Sichere hatte kaum die ersten Worte des Gelehrten gehört, als seine Augen innerlich groß wurden, und seine Hände ganz still, und er das Steuerrad nicht drehte, und das Boot zu treiben begann.

Ferne, seltene Worte und Welten begannen vor ihm zu gaukeln: längst vergangene oder zukünftige, wo und wann immer! von denen er wähnte, daß jene hineinsegeln könnten, wie er, der Steuermann, mit seinem Boote in die rauschenden Wasser und flatternden Dämmerlüfte der Nacht.

Der Gelehrte sprach eifrig, nannte Rom und Athen, malte Bilder von Zeltnomaden und weckte ferne, heiße Wüsten und heilige Berge und ließ die Flammenopfer dem unsichtbaren Geiste auflohen, wie feurige Schemen in die nächtliche Meerluft.

Der trotzige Steuermann lauschte und konnte nicht satt werden. Aufrauschende Ahnung hatte ihn staunend und schauend aus dem silbrigen Dämmerkreise seiner Nacht und Meerwelt gehoben, der weiten einen Welt in Sehnsucht entgegen, die nicht Meer und nicht Stern ist, nicht Nacht und nicht Sonne, wo das Geheime offenbar ist und das Vergangene und Zukünftige nahe und eins – und leibhaftiger als das wogende Nachtmeer und sprühender als die silbrigdämmernden, sich dehnenden Wasserberge.

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Ewige Flucht

Oft schmecke ich fast die Flucht der Wesen, als hörte ich die Umdrehung der Erde.

Fast atmend fühlbar ist mir dann das unaufhaltsam ineinander und durcheinander Fortdrängende der Menschenseelen und Menschenschicksale, ihr Dahinfliehen mit Hoffnungen und Wünschen, wie Zähne im Triebrad – und doch zu keinem Ende.

Kein Zweck scheint in der Welt; alles nur Mittel – Mittel zur ewigen Flucht.

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Immer wieder das rastlose Meer und die Seele, die wie's Meer selber ist. Immer wieder das alte Gefühl, als wenn mein Wesen versänke, als wenn ich selbst versänke mit allem, was mir gehört, so eine Armut packt mich und ein Schmerz. Das Unendliche bricht über seine Ufer, in denen es geschlafen, und bedeckt mich, wie ein Grab, und sein Rauschen erfüllt mich unaufhörlich, daß ich mich nicht mehr höre. – O Meer! – O unendliches Immerwieder! – O unermessenes Ungeheuer, in dem ich bin wie ein flatternd buntes Gras, das an den Strand geworfen im Sande liegt und dorrt. Dich muß man fühlen und deine Wogen hören, dann erst versteht man die Welt – die kleine Welt, die sich immer neu dünkt, und doch nur atmend auf und ab rollt, wie das Meer! Denn auch die Menschenwelt ist ein ewiges Immerwieder, ein unermessenes Ungeheuer, das atmend auf und ab rollt. Und du merkst nicht, daß auch du nur eine Welle bist, von Sonne vergoldet, in die ein Rosentang seine bunten Fäden wob, auf kurzes Glück. – Wieder am Meer! Das Unendliche bricht ein in mich und überflutet mich, daß ich nichts höre als nur ein verzweifeltes »Immerwieder!«, daß ich, ein Einzelner und Eigener, ganz vergessen bin. Wie zerrissen und verweht – mein Wesen wie untergesunken und vergessen! Und nur noch das rastlose Meer und das Rauschen und Wogen und die hingeworfene, zerrissene Seele von Ewigkeit zu Ewigkeit.

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