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Wege des Grams

Wahn

Was immer war
und ewig wiederkehrt,
hat immer wieder
unsern Sinn betört.

Und immer wieder
läuten Totenglocken;
und immer wieder
fallen sacht die Flocken.

*

Gefesselt

Ein Gefangner bin ich –
Das ist Menschenlos.
Ganz gefesselt ging ich
Aus dem Mutterschoß.

Und mein flüchtig Leben
Ward nur dargebracht,
Ganz es einzusenken
In die Erdennacht.

Trägt aus tiefem Dunkel,
Drin sein Armutsthron,
Kleinen Schein zutage.
Das ist seine Fron.

Möchte ganz erglühen
Ahnungsvoll und weit,
Hebt sich auf in Flammen –
Sinkt in Dunkelheit.

Ein Gefangner bin ich: –
Das ist Menschenlos.
Ganz gefesselt sink ich
In den Mutterschoß.

*

Himmel voll Sonne,
Die Sonne glüht.
Ich fliehe durchs Leben,
Gram im Gemüt.
Denn ob ich auch härmend
Empor mich schwinge,
Zur Sonne aufjauchze,
In Höhen dringe –
Ich bin wie Duft und Welle und Wind,
Ich bin ein fliehendes Erdenkind,
Aus Rätselgründen ans Licht geboren,
In Rätselgrund sinkend,
In Nacht verloren.

*

Durchs Leben flieh ich
Von Sehnsucht gescheucht.
Von Schimmer verlockt.
In Gram erbleicht.
Der Sonnenball leuchtet,
Ich blick in sein Licht
Und strecke die Arme –
Und greife es nicht.
Und tastend im sonnigen Erdenraum
Erstirbt meine Liebe,
Verweht mein Traum!
Ich lebe in Dunkel,
Ob Sonne scheint.
Ich recke die Arme –
Die Seele weint.

*

Verweht

Du warst einmal – nicht nur im Traum –
So jung, wie Rosen im Juni sind,
Und einmal glüht' und blühtest du,
Und kanntest weder Reif noch Wind.

Erde ein Garten, drin du warst
So jung, wie Rosen im Juni sind,
Und ich ein jugendstarker Held –
Nun hat die Blätter zerstreut der Wind –

Nun weißt du kaum, daß du geblüht
So jung, wie Rosen im Juni sind,
Und daß mein Blut um dich geglüht –
Denn Mensch und Blatt verweht der Wind.

*

Einmal schien die Welt
Dir so weit, so weit.
Einmal schien die Stunde
Dir wie Ewigkeit.
Einmal schien das Leben
Sonnig überreich.
Einmal däuchtest du
Dich Göttern gleich.

Aber einmal muß
Die Sonne trüber sein.
Einmal geht der Weg
Dir enger ein.
Einmal schreitest du
Nur sorglich Schritt um Schritt;
Einmal schreitet
Ein Begleiter mit,

Richtet deinen Blick
Dann unverwandt
Auf ein blumiges
Gräbergartenland.
Einmal wirst du
Unter Erd und Rosen liegen.
Einmal wird dein Sein
Wie Hauch verfliegen.

*

Ich schloss die Augen längst

Ich saß an meines Vaters Sterbebett
Und sah sein stilles, bleiches Angesicht.
Im Zimmer dunkelte die Mitternacht.
Ein schwacher Schimmer kam vom kleinen Licht.

Den Blick nach oben und die Lider zu,
So röchelte, der da im Bette lag,
Und bleich und groß und hehr schien das Gesicht,
Und einsam totenstumm war das Gemach.

Und ich – ich grub und grub im Rätselgrund:
»Wer ist es, der hier stöhnt? – Was schwindet hin?
Wer ist, der um den letzten Atem ringt?« –
Und rang, umnachtet von dem Rätselsinn.

Und Tausend – Ungezählte sahn mich an
Aus fremden Zügen, die ich Vater nannte,
Ein ewiger Zug war's, der gestorben war,
Ewig der eine doch, der Herzverwandte.

Der Vater und des Vaters Vater war's.
Der noch im Bilde blickte von der Wand.
Und jeder hatte einmal so erschauernd
Gegriffen nach des Vaters Sterbehand;

Und einmal auch im Leben hatte jeder
Die Hand nach seines Sohnes Liebe ausgestreckt;
Und alle stummen Trauertränen hatten
Den finstren Gast, den Tod, nicht fortgeschreckt.

Du warst es ewig, du, der Ich sich nannte,
Und der doch immer nur der Eine ist,
Der ewig ruhlos in die Endlichkeit Verbannte,
Und den der Todmann sanft zur Ruhe küßt,

Damit er fort und fort im Staube schreite,
Am Rätsel löse und am Schauen webe.
Damit er aller Erdentiefen Sinn,
Damit er tiefsten Gottesgrund erlebe – –

Ich bin es, der hier stöhnt und der hier sinnt,
Ich reiche selbst im Leid mir Liebe zu.
Ich schloß die Augen längst, – und immer weiter
Führt mich mein Rätselweg aus ewger Ruh.

*

Und die Sonne versank

Auf lebloser Felsenhöhe,
Am einsamen Bretterhaus,
Wo finstre, sturmverwehte Tannen
Verlassen dunkeln.
Wo flüchtig schimmernde, arme Halme
Zwischen Blöcken beben und zittern –
Eisiger Hauch in mein Haar fährt –
Stand ich und sann der sinkenden Sonne nach.
Und grüßte den Feuerhimmel,
Und grüßte die dunkelnde Erde –
Und meine Lebenden
Und meine Toten grüßt ich:
      »Mutter, bette sie weich in stillen Gründen,
      Mutter Erde, die in deinen Armen ruhn!
      Wärme die, die mich liebten! –
      Und du, o Sonne!
      Sonne! Bring uns den Morgen wieder.
      Die wir noch atmen und schaun!«
So bat ich. Und die Sonne versank.
Wolken schwammen in Täler.
Der Wind stöhnte in den alten schwarzen Tannen
Lange Klage.
Auf einsamer, felsiger Höhe
Stand ich – und sank in die Nacht.

Wege des Grams

Kalte, feuchte Blätter treiben.
Wandernd, stumm, im Sturme Schritt um Schritt,
geht der Wolkenfraue grauer Regenschleier
unsre gramverhangnen Wege mit.
Tief im Tale treibt der tolle Atem
Wolken an den Dämmerhängen;
und aus wildgestrichnen, schwarzen Tannenwäldern
ist's, als wenn die Toten brausend
rätselhafte Chöre sängen.

Feuchte Blätter treiben.
Wolken jagen triefend auf uns nieder.
Von den Felsen klingen dumpf und traurig
unsre harten Tritte wider.
Tausend tolle Wasser stürzen
an den steinigen Dämmerhängen;
und aus wildgestrichnen, schwarzen Tannenwäldern
ist's, als wenn die Toten brausend
rätselhafte Chöre sängen.

*

Tausend Tannenwipfel drohn
Brausend hin und wider,
Trutzger Nachtwald tost und stürmt
Seine Urweltslieder.

Trübe bin ich durch die Nacht
Tief vom Tal geklommen,
Müdes Schreiten hat mir sacht
Last um Last genommen.

Toteneinsam lausche ich
In der finstren Runde,
Und die Seele stillet sich
Bis zum tiefsten Grunde.

*

Wilde, sehnende Sturmesminnen
Klagen um mein einsames Dach.
Alle Geister, die lang geschlafen,
Werden wach.

Nächtlich schweigenden Ganges kommen
Meine Toten zu mir herauf.
Aller Liebe goldne Tage
Wachen auf.

Tröste – tröste dich, darbende Seele!
Weine nicht um verklungenen Sinn!
Auch deiner Stunde einsame Klage
Flieht dahin.

*


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