Carl Hauptmann
Schicksale
Carl Hauptmann

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Durchlaucht Fürstin Odinska

In Moskau bei einem Altwarenhändler, wo der Zar und die Zarin manchmal kauften, stand eine Dame mit schneeweißen Scheiteln, die in einer erlesenen Troika gekommen war, mit einem sehr auffällig betreßten Diener.

Die Dame hatte einen sehr kindlichen, fast bürgerlichen Verkehrston, obwohl sie ganz ausgesucht in einen Frühlingspelz aus Blaufuchs gehüllt war. Und obwohl sie eine Reihe köstlicher Ringe entblößte, als sie einen Augenblick den einen Handschuh abzog, um einen großen Goldbecher mit Buntmosaiken näher zu prüfen.

Die Dame hatte insofern etwas sehr Gewinnendes, als sie fast wie ein altes, vornehmes Mütterchen wirkte. Ihre sehr zierliche Gestalt hatte dem mächtigen Altwarenhändler, der breit in einer Art Popenmütze dastand, beim Eintreten leicht gebückt und zur Seite genommen geschienen. Und erst im Laufe der vielerlei Wünsche und achtlosen Prüfungen und Einreden, die die vornehme Frau beim Beschauen seiner Kostbarkeiten machte, und wobei sie sich in der Geschichte gewisser Adelsstämme peinlich beschlagen zeigte, merkte der phlegmatische Verkäufer, daß er es trotz der schlohweißen Scheitel mit einer noch sehr jungen Frau zu schaffen hatte.

Die entblößte Hand der vornehmen Frau war fast noch eine unschuldige Mädchenhand. Und der Blick aus den dunkelbraunen Augen hatte samtene Milde und gab richtig eine kleine Verwirrung in dem vor ihr stehenden, schwerfälligen Juwelenhändler, weil darin eine lustige Unschuld sprach, mehr noch ein lässiges, launiges Spiel mit den Dingen.

An dem Morgen hatte die Dame den großen, mit bunten Mosaiken verzierten Goldbecher erstanden. Sie hatte sich mit dem herzgewinnendsten Lächeln selber überzeugen können, daß er einem Gliede ihres Stammes einst in einem Türkenkriege vor Jahrhunderten vom Kaiser persönlich als Preis der Tapferkeit geschenkt worden war.

Als sie ihrem Diener den Befehl gab, die reichlichen Tausende an den Altwarenhändler zu bezahlen, verneigte sich der Verkäufer tief und küßte »Durchlaucht« den Saum ihrer kostbaren Seidenspitzen, die unter dem Blaufuchspelze heraussahen.

Die Dame mit den schneeweißen Scheiteln war in der Tat »Durchlaucht«. Sie war die Fürstin Odinska, die augenblicklich nach Moskau gekommen war, weil sie jetzt nur eine Leidenschaft hatte, in ihrem Palais in Baden-Baden allerhand geschichtliche Erinnerungen des fürstlichen Stammes zusammenzubringen, dessen Namen und Ehren sie trug.

Der Fürst Odinski war tot.

Der Fürst war mit fünfundsiebenzig Jahren gestorben. Gebrechlich nicht nur wie ein Greis. Gebrechlich wie ein entnervter Charakter. Man hatte ihn reichlich sechs Jahre noch in einem bequemen Krankenwagen im Parke gefahren, die ganze Zeit fast, die die Fürstin Odinska mit ihm ehelich verbunden war. Die Fürstin trug etwa jetzt zehn Jahre den prunkenden, weithin Glanz auf ihren Weg breitenden, durchlauchtigen Namen.

*

Übrigens war das eine rührende Geschichte.

Die alte Mama der Fürstin, die eigentlich die Besitzerin des schönen Palais in Baden-Baden gewesen war, und die den wenig fürstlichen Namen Lunte trug, aber ein fürstliches Vermögen besaß, das ihr Mann, der Vater der Fürstin, in den Kolonien zusammengebracht hatte, war kurz vor der Ehe ihrer einzigen Tochter mit dem Fürsten Odinski gestorben. Und von diesem Momente an hatte es keine Schranke mehr gegeben, die die junge Taleke Lunte hätte von der Erfüllung ihres letzten Lebenstraumes abhalten können.

Man muß nämlich wissen, daß Taleke Lunte, die einzige Tochter von Frau Lunte, nichts so sehr verachtete als alles Natürliche. Sie war als Mädchen an sich eine reizende, kleine, kluge, aber ebenso alberne Person gewesen. Fünfzehn, sechzehn Jahre alt, staffierte sie sich und benahm sich eigentlich so recht wie ein frecher Junge.

Das hatte den sehr einfachen Grund, daß sie sich über nichts mehr heimlich ängstigen konnte, als daß die zarten Reize ihres schlanken, jungfräulichen Leibes zu wachsen begannen. Und daß sie, was weder die sorgliche Mama, noch die Gouvernante je ahnten, mit allen Mitteln von Entsagungen und verborgenen Kasteiungen gegen das Hervorbrechen ihres Mädchentums ankämpfte.

Damals schon sagte sie mit einer kindlich ausgelassenen Offenheit oder auch Schamlosigkeit allen, die es gerade hören wollten, den jungen Reiteroffizieren oder den reichen Fabrikantensöhnen, die um ihretwillen zahlreich ins Haus der Mutter kamen, daß sie nur zwei tiefe Abneigungen hätte: nämlich die, ein Weib zu sein und einen Mann zu haben. Und daß ihr Blut nur für zwei Dinge geradezu in Enthusiasmus geriete: nämlich für die Kunst und für den intimen Umgang mit dem Hochadel.

Damals malte sie. Sie malte tolle Spottgeburten. Sie malte von den Modellen die dicksten Landweiber und konnte sich dann darüber halbtot lachen. Und irgend obszöne Phantasien waren ihr gar nicht unangenehm.

Deshalb war auch der Gesellschaftskreis, den Frau Lunte um sich versammelte, mit Künstlern reichlich gesegnet, die Taleke neckerisch wie ihresgleichen behandelten und sich ihre Schnurren, weil sie damals noch alle ihre leisesten Überzeugungen als Schnurren gab, mit aller Pfiffigkeit anhörten. Um so mehr war es damals allen jungen Männern unbegreiflich gewesen, daß die magere, amazonenhafte, spielerische Taleke ganz plötzlich mit noch nicht siebzehn Jahren eine Frau Hudewinkel geworden war.

Wie es der junge, reiche Hudewinkel, der allerdings den Vorzug besaß, einen fürstlichen Sitz an den Ufern des Rheines neben großen Fabrikgeländen sein Eigen zu nennen, und der dabei ein reizend gebildeter, der Mama Lunte sehr angenehmer, phlegmatischer, blonder junger Herr war: wie es der junge Hudewinkel vermocht hatte, Talekes tiefste Abneigung zu besiegen, die Amazone zum Weibe, das Weib zur Mutter zu machen, das war eben eines der Launenspiele in diesem sonderbaren Menschen Taleke.

Vielleicht war es die Neugierde ihres weiblichen Sinnes. Manche Maler behaupteten es. Einer der Freunde hatte zum anderen gesagt: »Die wäre niemals ruhig gewesen, ehe sie nicht erst alle Geheimnisse wüßte!«

Andere meinten, daß es eine richtige Sinnesänderung wäre. Daß das Blut in ihr doch schließlich stärker gewesen wäre als alle Meinung. Wieder andere meinten, daß die aufdringliche Hut der Mutter und die ewige Bewachung Taleke lästig gewesen, und sie deshalb mit der Ehe die größere Freiheit zum Leben hätte erkaufen wollen. Vieles mag da in Taleke durcheinander gewirrt gewesen sein. Vielleicht war es für kurze Augenblicke wirklich eine Welle heißen Blutes. Und die kühne, etwas herrische, entschlossene Mannesart des jungen Hudewinkel, der auf alle Frauen, sogar auf Männer einen tiefen Eindruck gesunder, sicherer Sympathie machte. Vielleicht wirklich die Welle heißen Blutes, darin für jeden Menschen noch immer alle Geheimnisse seines Schicksals schlafen und manchmal ganz unversehens jach über alle Ufer brechen. Denn eine kurze Zeit hatte sich Taleke auch ganz wie eine eingeschüchterte Braut benommen.

Aber die Sache begann für Herrn Hudewinkel schon durchaus nicht mehr ein großes Vergnügen zu sein, wie das liebliche Kind, das an dunklen Reizen Taleke glich, aus deren Blute gekommen war.

Da fing plötzlich noch ärger an die alberne Verachtung gegen ihr Weibtum ins Kraut zu wachsen. Denn alle Schicksalsschwankungen vollzogen sich in Taleke wie in einem jähen, ungezogenen und durchaus nicht zur Vernunft zu bringenden Kinde.

Babys hatte Taleke immer nur mit einem ganz verächtlichen Hohnlachen betrachten können. Nicht betrachten. Sie war geflohen, wenn man ihr damit je hatte kommen wollen. Schon der weichlich süßliche Milchgeruch hatte ihr einen Ekel gemacht. »Geht mir mit solchen Odeuren! ... ich werde ganz schwach davon!«

Vielleicht war es eine Art eingeborener Widerwille.

Aber wenn jetzt Herr Hudewinkel, der ein richtiger Kindernarr war, in den hohen, kühlen Gewölben mit den Bogenfenstern hinunter nach dem Rhein, sein Kind in den Armen hin und her trug, empfand sie ihn so unsagbar läppisch, daß sie nicht genug Worte finden konnte, ihn richtig zu kränken.

»Für einen erwachsenen, ernsten Mann ein solches Getatsche!« sagte sie richtig erbittert.

Da gab es natürlich Kämpfe. Zumal Taleke mit keiner Macht der Welt dazu wäre zu bringen gewesen, ihre reich gefüllten Brüste dem Kindermunde nahezuführen.

»Pfui ... nein ...«, rief sie ganz empört dem Arzte zu. »Da würde mir immer meines Papas Jagdhündin einfallen, die braunfleckige Diana, an der die neugeborenen Würmer wie Blutegel hingen ... nein ... pfui ... ich würde mich vor mir selber grausen!«

Dabei war es noch ein seltsamer Widerspruch der Natur: Taleke war schon vor der Geburt des Kindes die Zeit ganz weich und mütterlich geworden.

Sogar der Sprechton ihrer Stimme, der in ihrer Mädchenzeit eine burschikose Härte und Unharmonie verriet, hatte sich sanft verschleiert. Und ihr Auge hatte einen tiefen, warmen Mutterblick angenommen. Ihr Auge, das vorher einen stechenden Schein geben konnte, war in dieser Zeit samten und heilig geworden, so daß der junge Herr Hudewinkel Taleke nur noch leidenschaftlicher ansah.

Wer kann für diese Widersprüche?

Frau Taleke sah so innig weiblich aus, diese Kindbettwochen, offenbar ganz wider ihren Willen. Denn im Grunde genommen hatte sie schon die ersten Schreie ihres Kindes nicht ertragen können. Und Herr Hudewinkel hatte alle liebenden Überredungskünste nur ein paar Tage mit Erfolg anwenden können, solange die Mutter noch von der Geburt ernstlich schwach und teilnahmsloser war, damit das Kleine überhaupt zuerst eine Weile noch in der Mutter Nähe hatte bleiben können.

Aber dann, wie Taleke nach dem Wochenbett wieder völlig zu ihrer Überzeugung durchfand, fing sie sehr bald an, ihren Mann als Kindervater einfach zu verachten. Sich aus der ganzen Kinderaffäre einigermaßen, wie sie sagte, mit Anstand herauszuziehen. War froh, wenn das Geschrei und Getue mit Schwenken und Stillen der dicken Bauersperson übertragen war, »die Gott für solche animalischen Geschäfte vorgesehen«, und verlangte, daß diese Störungen sich möglichst im entferntesten Winkel ihrer vornehmen Behausung zutrugen. Sie, die kleine, richtig ein wenig von dem durchgemachten Mutterereignis verlegen gewordene junge Dame, begann sehr bald wieder schlank und pikiert auszusehen, hatte jetzt nach einem Lorgnon gegriffen, das ihre leichte Verstörtheit ein wenig maskierte. Und saß nur wieder in ihrem Arbeitsraum, um die Dinge zu malen, wobei sie einem nicht so unappetitlich nahekämen. Und in dieser Zeit erklärte sie es auch Herrn Hudewinkel ohne Umschweife ins Gesicht, daß sie sich auf solche grausige und blutige Geschichten in ihrem ganzen Leben keinesfalls wieder einlassen würde.

In Taleke war alles ziemlich außer Rand und Band.

»Genug Erfahrung!« konnte sie mit aller Weichheit ihres Mutterblickes sagen. Und sie sah mit ihren achtzehn Jahren so lieblich aus, daß Herr Hudewinkel oft weinte. Heimlich. Aber es war gesagt, wie es gemeint war. Es stand jetzt plötzlich felsenfest:

»Ich habe es immer gesagt ... ich hasse nichts mehr, als daß ich ein Weib bin ... und sogar eine Mannesannäherung erduldet habe ... gewiß ... ich habe mich für Augenblicke unbegreiflicherweise vergessen ... es ist mir teuer genug zu stehen gekommen ... aber jetzt bin ich klar ... ich liebe nur zwei Dinge in der Welt... ich liebe die Kunst ... weiß Gott... ich könnte mich halbtot lachen ... daß ich jetzt eine Frau Hudewinkel bin!«

Dabei konnte sie sogar mit einem seltsam changierenden Blick sanft und albern und kindlich lachen, als wenn sie sich von Herzen bemitleidete. Aber keine Macht der Welt hätte ihr diese Meinung je wieder entreißen können. Sie hatte auch damals gleich angeordnet, in einem ganz einsamen Zimmer im Schlosse zu schlafen, weil sie jetzt der Gedanke an eines fremden Mannes schlafende Atemzüge einfach wie ein Gespenst schreckte. Und sie schloß sich ein und lebte wie als Mädchen.

Das war mit achtzehn Jahren.

Man begreift, wie Herr Hudewinkel sehr bald nicht mehr ihr Mann, und Frau Taleke Hudewinkel sehr bald wieder eine Frau Taleke Lunte war.

*

Frau Taleke wohnte dann wieder in dem Palais der alten, reichen Frau Lunte in Baden-Baden.

Die alte Frau Lunte hatte in der Zeit der Zerwürfnisse viel geweint. Aber die zahlreichen Pflichten der großen Gesellschaft hielten das Haus in Atem und sorgten, daß sich das Rad vornehmen, üppigen, geselligen Lebens bald wieder wie früher drehte.

Frau Taleke erschien jetzt in der Mutter Gesellschaften mit weißen Haaren. Sie wünschte die Zeiten jugendlicher Verirrung vergessen zu machen. Ein weißes Haar, das die Kammerjungfer morgens bei der Toilette zufällig entdeckt hatte, hatte Taleke diese Idee eingegeben. Es gehört das auch zu ihrem seltsamen Gelüste, der Natur im Menschen den Krieg zu machen.

Außerdem malte Taleke jetzt eifriger. Und vor allem war sie äußerst beflissen, das Luntesche Palais zu einem wirklichen Sammelpunkt erlesener Geister und erlauchter Namen zu erheben.

*

Taleke war zwanzig Jahre alt, als sie so in den Salons ihrer Mutter auch den alten, würdigen, sehr geistreichen, sehr verlebten Fürsten Odinski kennen lernte.

Man wußte, daß der Herr Fürst in Schwierigkeiten lebte, wenigstens erzählte man sich, daß seine Güter in Verfall wären. Und man sah es auch, daß er ohne Aufwand auftrat oder mindestens nicht mehr wie ein Verschwender.

Aber es war richtig ein kindlicher Zug in Taleke. Der Fürst gefiel ihr. Gleich nach dem ersten Abend der Bekanntschaft hatte sie im Scherze zu ihrer Kammerzofe gesagt, daß der erlauchte Herr zu ihren weißen Haaren sehr gut paßte. Dem alten Fürsten gegenüber konnte sie ganz weich und eingeschüchtert erscheinen. Das Ruinenhafte machte ihr einen sichtlichen Eindruck. Das Verfallene verband sich in ihr mit der Vorstellung an alte Ritterschlösser. Es dünkte ihr, daß zum Hochadel derartige Zeichen urstämmiger, tiefer Vergangenheit gehörten. Und seitdem sie erfahren hatte, daß der alte, gebrechliche, herrische Fürst, der aber damals noch aufrecht ging, in der Welt sehr allein stände, bevorzugte sie ihn, bat sich bei den Diners stets den Platz an der Tafel neben ihm aus, und man hörte es ihrem frohen Gelächter an, daß sie beglückt war, wenn der Fürst seine charmanten Erzählungen mit gewandten Pointen vor ihr zum besten gab.

Taleke war in dieser Zeit wirklich wie umgewandelt. Glückselig und immer weich erheitert. Und wie es der Zufall gefügt, daß die alte Frau Lunte plötzlich und ganz unerwartet gestorben war, hatte sie mit ruhiger Berechnung sofort alle Fäden so gezogen, daß sie des Fürsten Frau werden konnte.

Taleke hatte den ganzen Handel brieflich abgemacht.

Unendlich bewegt, wirklich wie eine liebliche, weißhaarige Braut stand sie auf den Stufen ihres noch mit Trauerzeichen geschmückten Treppenhauses, als sie den alten Fürsten zum ersten Male bei sich als Bräutigam empfing und begrüßte. Dann wurde in Paris eine stille Hochzeit gefeiert. Und Taleke fühlte sich bald Durchlaucht gegenüber völlig als eine anmutig ergebene Frau. Und wenn etwas im Leben Talekes mit ihrer sprunghaften Launenhaftigkeit und ihren widersinnigen Ideen versöhnen könnte, so müßte es die Hingebung und die dienende Pflegsamkeit sein, die Taleke für den alten Fürsten bis zu dessen Ende zur Schau trug.

Taleke führte wirklich ohne jede Berührung mit dem Fürsten eine zärtliche Ehe.

Sie hatte es mit wahrem Entzücken verstanden, seine Geldschwierigkeiten zu heben. Hatte bald gesorgt, daß seine Stammgüter wieder in Ordnung gerieten. Auch daß der alte Fürst noch ein Jahr in Paris seinen alten, fürstlichen Launen leben konnte.

Und wie man ihn dann körperlich gelähmt in das Palais Talekes nach Baden-Baden zurückgebracht, hat sie den Alten noch sechs Jahre lang mit der opfersinnigsten Ergebenheit gepflegt, ehe der verfallene Grandseigneur zu seinen erlauchten Ahnen versammelt worden war.

*

Durchlaucht Fürstin Odinska war jetzt dreißig Jahre alt. Sie hatte nur noch eine Leidenschaft. Sie stand auf allen großen Auktionen, in Paris oder Berlin, in Petersburg oder Moskau, und kaufte Kostbarkeiten, die auf ihren alten fürstlichen Adelsstamm irgend einen Bezug hatten. Oder die auf die geschichtlichen Schicksale der Fürsten Odinski irgendein Licht werfen konnten. Und wenn sie in ihrer weißhaarigen Matronenwürde im Coupé erster Klasse saß, erzählte sie jedem Mitfahrenden, dem sie mit ihrem kindlich heiteren Wesen arglos nahte, sehr bald von dem hochadeligen Stamme derer von Odinski. Und wenn die beiden Diener, die sie immer mit sich hatte, oder ihre Kammerfrau im Coupé nach ihr sorglich sahen und sie Durchlaucht nannten, sah sie so gnädig lächelnd drein wie ein guter Engel, und auch wie eine fürstliche Ahne. Man fühlte ihr an, daß sie überall den heimlichen Genuß der Würde mit sich trug, die der alte Fürst Odinski ihr hinterlassen. Und niemand hätte zu sagen gewußt, daß in der kleinen, erlesenen, pretiösen Frau im kostbaren Blaufuchs-Frühjahrsmantel die einstige kleine, alberne Taleke Lunte, nachmalige Frau Hudewinkel verborgen war.

Eben hatte Durchlaucht Moskau in der größten Hast wieder verlassen, um eilig nach London zu fahren, wo sie ein goldenes Bett eines Lord Yester zu kaufen hoffte, weil sie festgestellt hatte, daß die Yesters mit den Odinskis von der weiblichen Seite aus verwandt wären. Und wie sie von dieser Absicht und dieser Verwandtschaft dem alten russischen Fabrikanten erzählte, der im Coupé lange stumm vor ihr gesessen, weinte sie sanft unter Lächeln, weil sie gleichzeitig mit erzählte, daß diese Lady Yester, geborene Odinska, auf tollem Jagdritte schon mit einundzwanzig Jahren durch einen Sturz mit dem Edelpferde zu Tode gekommen war. Fast konnte es scheinen, als wenn Durchlaucht Taleke, Fürstin Odinska, jetzt sogar schon in dem Wahne lebte, daß sie die Älteste ihres Geschlechtes wäre, was ihr der alte, würdige, reiche Bürgerherr gerne glaubte. Er war ganz ergriffen von der lieblichen Würde ihres Alters und ihrem kindlichen Tone und ihrem großen Schmerze.


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