Carl Hauptmann
Schicksale
Carl Hauptmann

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Herzoginnen

Die alte Duka war noch jung. Höchstens Mitte Dreißig. Und daß man sie in dem schlesischen Badeorte unter den Einwohnern die »alte« Duka nannte, geschah nur mit Rücksicht auf vier Mädchen, die offenbar alle vier ihre Töchter waren, und die schon auch staffelweise die Reize der Jungfräulichkeit zur Schau trugen.

Von wem die alte Duka, diese ein wenig rundliche, dunkle, junge Frau, die am Nachmittag immer wie eine Diva in Trauer unter ihren Kaffeegästen in Garten und Restaurant umging ... deren Augen so gutmütig dunkel waren wie schwarze Hundeaugen, und auch so kalt und verfänglich spielen konnten wie ein Silberglanz auf schwarzer Kohle ... von wem diese alte Duka die vier Töchter hatte, wußte niemand. Sie war eines Tages mit Sack und Pack ins Dorf gekommen, hatte allerlei Herrschaftsmöbel, noble Portieren und kostbare Schränke, und Stein- und Bronzezeug und diese vier Töchter abgeladen, und hatte von dem großen Hause und dem vornehmen Garten Besitz ergriffen, die sie aus einer günstigen Gelegenheit hatte kaufen können.

Das Haus und der Garten gehörten vorher einem alten, adligen, reichen Fräulein, waren sehr erlesen mit Schattenplätzen und Pavillons, mit gepflegten, breiten Kieswegen und Blumenparterres ausgeschmückt. Und das Haus stand mit dem hohen Giebel der Dorfstraße zu, mit einstöckiger, breiter Front wie ein Landschlößchen dem Garten und Springbrunnen zugewendet. So daß alle Badegäste, wenn sie zuerst an den hohen Gitterstäben des Zaunes entlang gingen und hineinsahen, sich sogleich erkundigten, was da für vornehme Insassen wohnten.

»Die alte Duka,« sagte dann, wer zufällig dabei im Vorübergehen gefragt worden war. »Die alte Duka!« Und wenn es etwa eine armselige Dorffrau gewesen, konnte man es ihr anmerken, daß sie es mit einem Pfiff um die Nase so hin gesagt, als wenn die Sache wohl nicht ganz geheuer wäre. »Die alte Duka!«

Für die Dorfleute war es auch wirklich nicht ganz geheuer.

Einmal schon wegen des unglaublich theatralischen Hausrates, der in vielen Stücken wie aus Schlössern Ludwigs XIV. entnommen schien. Die Toilettentische der Mädchen waren fünffache Spiegel mit mächtigen Marmorplatten und goldverziert. Die Betten hatten prunkende Aufsätze zu Häupten und zu Füßen. Vergoldete Engelköpfe guckten in die Pfühle. Bettstellen und Tische waren so mächtige Prunkmöbel, als wenn sie einmal mindestens Fürsten gedient. Und wie sich Möbelwagen an Möbelwagen in das feine Dorfhaus entladen hatte, hatten die Nachbarn gestanden und stießen sich.

Aber auch diese Mutter und diese vier Töchter! Die dunkle Mutter so schlumpig und auseinandergegangen, wenn sie wie die Töchter hudelig und verlüdert am Morgen durch das theatralisch geputzte Haus oder einmal auf den Steinvorsprung draußen oder gar in den Garten lief. Und am Tage, wenn dann die Gäste kamen, wie eine weinende Witwe in Trauerkleidern, die das Glück ihres Lebens ewig suchen ging.

Und diese vier schwarzen Töchter! Jäh und gedehnt. Aufblitzend und prüfend zu jedermann. Alle wie junge, wilde Stuten, die nichts als die Freiheit lieben. Und die mit der stillen Gebärde der Leiber und der Blicke, wie Jongleure die Goldbälle, so die Männerlaunen mit sicherem Spiele durcheinander wirren.

Diese vier Mädchen!

Die Jüngste war sechzehn. War die Dunkelste und Heimlichste.

Die Jüngste nahm sich immer feierlich. Sie war träge wie eine Koptin, die fortwährend einen Tempeldienst mit sich versah.

Nämlich eine alte Zigeunerin hatte ihr einmal sehr geheimnisvolle Dinge aus ihrer noch ziemlich kindlichen, sehnigen Hand wahrgesagt. Seitdem träumte sie, denn sie träumte immer nur so hin, daß sie, wie die Zigeunerin sich ausgedrückt, schon dreimal in führender Stellung im Erdenleben inkarniert gewesen, und daß sie auch jetzt eine Wiedergeburt Rahels wäre. Deshalb wusch sie auch ihre jungen Brüste heimlich nur mit reinstem Quellwasser oder mit Milch. Weil sie im Spiele mit sich das reiche Gefühl empfand, daß an ihren schneeweißen Brustknospen irgend ein Heiland trinken würde.

Und die beiden Schwestern, Zwillinge von siebzehn, und die älteste Schwester von achtzehn Jahren liebten das verträumte, ganz in sich vertiefte Mädchen. Sie liebten es, wenn sich die Jüngste unter ihnen wie eine heilige Frau gebärdete und nicht den geringsten Handgriff tat. Sie liebten es, Carmela in allem wie eine Priesterin zu bedienen, um so dem gemeinen Leben einen bunten Mantel umzuhüllen. Für die Dorfleute war das alles wie eine Verrücktheit. Wie gesagt auch schon deshalb, weil die Jugend der Mutter zu diesen befremdlichen Töchtern nicht recht paßte. Obwohl das nur das Ungewohnte, sozusagen das Ausländische war. Denn Frau Duka hatte alle vier Töchter geboren. Sie selber war kaum fünfzehn Jahre gewesen, als sie zum ersten Male nach Mutterschaft lüstern ausgeblickt. Und auch das ist wahr, daß alle vier Töchter von einem und demselben Vater stammten.

Aber Frau Duka erzählte Wundergeschichten. Sie hatte gleich von Anfang an ihren Kindern diese Wundergeschichten erzählt. Die Töchter waren darüber glückselig gewesen. Sie waren es noch. Und daraus erklärte sich vielleicht auch vieles von dem sonderbaren Wesen in ihrem Blute.

Frau Duka erzählte dem, der es hören wollte, daß ihr Mann ein junger, italienischer Herzog gewesen. Alle Dukas konnten auch munter italienisch sprechen. Und die Mädchen sangen am Abend im Garten in Heckenlauben im Chore schwermütige, italienische Weisen. Alle nahmen jede Gelegenheit wahr, es Gästen und Dorfleuten deutlich zu zeigen, daß sie aus dem Süden stammten, wenn auch nur einmal ein Leiermann vor ihrem Eisentore sich als Italiener entpuppte.

Frau Duka erzählte die Geschichte mit dem italienischen Herzog immer mit viel Schwermut. Sie weinte dabei. Sie sagte: »Ein wirklicher Herzog war ja mein Mann schon damals, als wir uns heirateten, nicht mehr ... er stammte nur aus einem Herzogsgeschlecht ... und hatte ... ich glaube während irgend einer Revolution seinen Titel abgelegt ... und war dann zu stolz, um wieder seinen einfachen, ehrlichen Namen damit neu aufzuputzen ... aber ... in Wirklichkeit sind meine Töchter alles Herzoginnen!« Und sie konnte dabei sehr heftig gegen die Gesetze der Adelsfamilien ausfällig werden, fand abscheulich, wie dort der eine alles und die anderen nichts bekämen. Und versicherte schließlich, daß sie nur mit Mühe und Not noch gerade soviel gerettet hätte, um wenigstens einigermaßen standesgemäß mit ihren vier Töchtern auszukommen.

Kein Wort war davon wahr.

Die Wahrheit war, daß Frau Duka ursprünglich ein blutarmes Dorfmädchen aus Schlesien war. Die Tochter einer Mutter, die in ihrer schlesischen Heimat einen italienischen Mann, einen Erdarbeiter aus Bellinzona, geheiratet hatte. Daß Frau Duka erst mit ihren Eltern aus Schlesien in die Südschweiz gekommen, als sie ein Mädchen von zehn Jahren war. Und daß sie einige Jahre später bei einem alten, mit irgend einem Zufall sehr reich gewordenen Engländer, einem Manne von fast siebenzig Jahren, der am Lago Maggiore eine beträchtliche Villa im Stil Ludwigs XIV. erbaut hatte, auch mit sehr prunkender Einrichtung, als flügge werdende Dirne Gartenarbeit getan, und der Alte sich unsinnig in sie verliebt hatte. Er hatte ihr in seinen drei letzten Lebensjahren dreimal Kinder geschenkt, und war dann unter Hinterlassung einer reichen Sonderlingserbschaft gestorben. Nämlich: ihr hatte er auf dem Sterbebette vor Zeugen sein Haus und Inventar persönlich als Schenkung übergeben.

Die wahre Geschichte war den vier Töchtern ganz unbekannt. Die alte Duka hatte für alle Fälle gleich ihre Sage vom Herzog zurecht gemacht. Und die vier Töchter sonnten sich darin, daß sie Herzogstöchter wären und Ungerechtigkeiten im Erbe auch in Fürstenhäusern vorkämen.

Die Dorfleute, wenn sie es hörten, lachten auch darüber. Und waren doch auch immer ein wenig gedrückt unter dem Schatten der Vergangenheit. Am meisten hatte dann alle gewundert, als die alte Duka das vornehme Anwesen des alten adligen Fräuleins bald zu einem Kaffee- und Weinrestaurant umgewandelt.

Aber Frau Duka erklärte auch das. Sie war eine rüstige Frau, zum Herumschaffen in Haus und Garten geboren. Und wollte um keinen Preis, daß ihre Töchter als Faulenzerinnen nur so in den Tag hineinlebten. Viele behaupteten auch, sie setzte bei dem Unternehmen wirklich Geld zu. Fast schien es, als wenn sie nur nach einer größeren Geselligkeit lüstern gewesen.

»Meine Töchter und ich brauchen sozusagen ein bissel einen Hof!« konnte sie sehr scharmant erklären, wenn einmal die Rede zufällig daraufgekommen war.

Für Dorf und Badeort schwebte in jedem Falle um die alte Duka und ihre vier Töchter eine Gloriole des Geheimnisvollen.

Die jungen Männer im Orte und die vornehmen Badegäste hatten zuerst Gift gewittert. Man hatte in den Hotels manchmal beim Weine Wetten auf die Mädchen gemacht. Und es hatte schon manchen jungen Lebemann in die Nähe der Mädchen getrieben.

*

Da war es der alten Duka in der Hochsaison in den Sinn gekommen, als Inhaberin ihres Weinrestaurants wie eine exotische Fürstin auffällig geputzt, samt den vier schwarzen Töchtern auf einer vornehmsten Reunion im Kurhause persönlich zu erscheinen.

Die Herren, die schon manchmal abends in Dukas Saale beim Wein gesessen und die Mädchen vom Plaudern kannten, machten etwas süßsaure Miene, obwohl mancher gleich gern an die Viere herangegangen wäre. Aber die vier Mädchen benahmen sich dabei so königlich, so kühn und achtlos gegen die sofort fühlbare eisige Kälte und heimliche Empörung, die sich eines Hauptteiles der ganzen Kurgesellschaft bemächtigte, tanzten so hinreißend geschmeidig, besonders die Jüngste, daß sie um so mehr aller Männer Blicke verwirrten.

An dem Abend war in einem sehr jungen, fast knabenhaften Husarenoffizier sofort ein verzehrendes Feuer aufgebrannt.

Der junge Herr von Rothfelser, ein verwöhnter, verzärtelter, sehr reicher, junger Mann, der nie einen Zwang um sich leiden mochte, war während der Kriegszeit hier ins Bad gekommen, weil man ihn wegen einer leichten Lungenerkrankung heimgeschickt. Er war ein Mann von den sanftesten, verbindlichsten Umgangsformen. Aber die Reize gewisser Frauenleiber hatten ihn schon ein paarmal in seinem jungen Leben um alle Herrschaft gebracht.

Und Carmela tanzte an dem Abende sehr bald nur für ihn. Carmela, die Wiedergeburt Rahels. Rahel tanzte in ihr. Wunderlich genug, daß sie heute auch wie orientalisch gebräunt aussah. Sie tanzte, als wenn die Glieder hingen wie Weidensträhne am Bache, als wenn ihre Seele schliefe und nur im Traume sich wiegte.

Der junge von Rothfelser, der auch ein Verschwender war, vergaß alle Sitte, so daß seine Freunde ihn an dem Abend ein paarmal heimlich mahnen und beruhigen mußten.

»Redet nicht ... Carmela ... wer ist diese Carmela?«

Von dem Tage an war der Husarenleutnant von Rothfelser in Zivil ewig in dem Hause der alten Duka und betete mit den drei Schwestern die jüngste an.

Auch andere Männer kamen genug. Junge und besonnene.

Da kam auch jetzt immer ein Wirt. Klengel. Der war ein Abenteurer. Er besaß seit lange einen eigentümlichen Aussichtsturm auf einer Höhe über dem Kurorte. Die Zimmerräume in diesem Aussichtsturm waren von seinen Jagdtrophäen voll. Nicht nur Geweihe aller Art. Der Mann hatte auch allerlei ausländische Vogelarten gesammelt. Das Haus war ein buntes Museum von Raubwild und Gefieder. Auch ein bissel ein Raubwild er selber. Klengel ging schon auf die Fünfzig zu. Auch er hatte nur ein einziges Mal diese Carmela gesehen. Und von dem Tage an war er ein ewiger Besucher des Weinrestaurants der alten Duka. Und war auch nur einer der Anbeter neben den drei Schwestern, dem jungen Rothfelser und den anderen.

*

Carmela war unnahbar.

Die Schwestern bestaunten sie als die Urmutter großer Stämme.

Carmela wachte nie. Sie träumte nur schweigend und flüchtig lächelnd in ihre bunte Perlenarbeit.

Nicht nur Carmela, auch ihre Schwestern waren ganz unnahbar.

Ein ganzer Kreis junger und graubärtiger Männer saß allmählich um den Wirtstisch herum.

Auch ein Primaner, der blond und scheu sich endlich in die Nähe der Wirtstöchter hereingewagt.

Und der junge Rothfelser spendierte Champagner, während ihn die Sehnsucht nach Carmela heimlich zernagte.

Klengel saß wortkarg und finster dabei.

Klengel hatte ein bartloses, wetterhartes Gesicht. Er hätte mit seinen Fünfzig beinah ein verständiger Mann sein können. Aber er wurde auch immer nur sinnloser zerrüttet nach Carmela.

Der junge Rothfelser und er haßten sich bald.

Klengel ging immer mit nackten Knien wie ein tiroler Bergschütz gekleidet, weil auch er sein Leben lang in dem Wahne lebte, ein anderer zu sein, als der Wirt auf dem Aussichtsturm. Schießen konnte er ein Herz aus einer Kartoffel. So sicher waren sein Auge und seine Hand.

Klengel war beinahe wahnsinnig, wenn er so dasaß und trank und rauchte. Schon weil Carmela nur ihm manchmal flüchtig zulachte, wenn sie aus ihrem verträumten Sinn zufällig hinaussah.

*

Da war eines Abends wunderlicherweise am Wirtstische der alten Duka alles verstört.

Als der junge Rothfelser im eleganten Überrock eintrat und aus seiner Brusttasche eine Hülse voll kostbaren Schmuckes herausnahm und nach Carmela sich umsah, stand er lange allein. Dann fanden sich andere junge Männer mit Monokel und hellen Westen ein. Man saß um den Tisch. Es kamen auch Dorfherren. Es kam auch der blonde Primaner. Man ließ Champagner kommen, wie immer. Und auch Frau Duka war endlich erschienen und hatte unzufrieden nach den Töchtern gerufen, die eine nach der anderen in buntseidenen Hauskleidern mit sehr lieblichen Silberschmucks im pechschwarzen Haar herzukamen.

Nur Carmela kam nicht.

»Wo ist Carmela?« sagte Herr von Rothfelser mit sehr gerafften Lippen, und mit ganz verkniffenem, unstetem Blick.

Auch Klengel war nicht da.

Dieser Umstand schien auch Frau Duka zu bedrücken. Und auch über den drei Töchtern lastete etwas.

Wenigstens hatte Herr von Rothfelser diese Tatsache sofort mit in Rechnung gezogen, als heimlich die süchtige, tolle Jagd in ihm zu rasen begann.

»Wo ist Carmela?«

Seine Backen waren gleich ganz hohl geworden. Und seine glänzenden Augen lagen in Höhlen. Und er schwadronierte mit Leidenschaft. Und trank. Geriet immer mehr in Galgenlaune. Goß Glas um Glas hinunter. Und wurde höhnisch und immer lauter. Daß ihn die alte Duka abscheulich empfand. Und die drei anwesenden Töchter mit ihren Handarbeiten langsam von ihm abrückten.

Und dann um Mitternacht, obwohl er schon sehr zeitig wieder aufgebrochen, aber nur in Büschen verborgen vor dem Tore gelauert, ob nicht Carmela doch noch durch das Tor heimkäme, befand er sich endlich auf dem Wege zum Aussichtsturm.

In ihm raste die Frage:

»Wo ist Carmela?«

Aber er kam nicht ganz bis an die alten Turmmauern heran. Schon in dem jungen Eichenwalde unten hörte er Klengels Stimme aus einem Bogenfenster der burgartigen Anlage lachen.

Da es eine bewölkte Nacht war, und Schattendunkel herrschte, klang das Rauschen der Eichenwipfel wundersam voll und einsam.

Aber der süchtige, kränkliche Herr von Rothfelser hatte jetzt nur Augen und Sinne voll brausenden Lärms. Er zermarterte sich das Hirn nur nach den menschlichen Lauten. Er mühte sich nur, sich in dem Graben, der an die Weinkeller heranführte, ungesehen näherzuschleichen. Und hatte tausend Gefühle, die nicht mehr klar waren. Er hörte jetzt auch, daß Carmela oben heiter lachte. Und daß sie dann ein schwermütiges Lied beginnen wollte, aber doch wieder abbrach. Der volle Ton ihrer Stimme stand jetzt für Rothfelser wie ein Stein in der Luft.

Auch darüber war schon eine Ewigkeit hingegangen.

Der junge, sanfte, anmutige Mensch hätte zur Besinnung kommen können. Wenn er nicht ein ganz irrsinniger, süchtiger Verliebter gewesen wäre, der sich und alles um dieses in sich gebundenen, phantastischen Mädchens willen wegwarf. Immerfort stieß Rothfelser Flüche aus. Oder er stammelte Liebesschwüre.

Da hatten sonderbare Geräusche den Wirt Klengel doch einen Augenblick mißtrauisch ans Fenster getrieben. So daß Rothfelser den Revolver sofort aus der Tasche zog. Aber Klengel war ebenso achtlos wieder verschwunden, hatte nur das Fenster fest zugemacht.

Und Rothfelser hatte bis zum Morgengrauen gestanden, in hellem Wahnsinn, zitternd von Haß gegen Klengel und zitternd von Verlangen nach dieser Carmela.

Da ... endlich ... hatte sich das Tor mit den bunten Oberscheiben im Rundbogen aufgetan und Carmela war leichtfüßig herausgehuscht. Aber der wetterharte Klengel war gleich dahinter aus dem Tore herausgerannt, den Burgberg hinunter, Carmela nach, so daß Rothfelser jetzt noch leibhaftig mit hatte ansehen müssen, wie das fremdartige, dunkle Mädchen dem fünfzigjährigen, zähen Wildschützen im Arme lag.

Das gab einen leichten Entschluß. Rothfelser war da mehr als kalt und besonnen gemacht. Der Platz auf der Höhe, wo er stand, lag ganz einsam im Morgengrauen vor dem Tore in das alte Gemäuer. Dort stand er auf sicherem Posten. Bis Klengel den helleren Kiesweg langsam und ahnungslos stapfend und lachend wieder emporkam.

»Sie tragen doch immer eine gute Browning bei sich, Herr Klengel,« rief nur Herr von Rothfelser mit sich im Haß überstürzenden Worten in die flatternde Morgenluft.

»Sicher ... immer ... das tue ich immer, Herr von Rothfelser!«

Und obwohl Klengel sofort hastig seinen Revolver herausgerissen und geschossen hatte, hatte doch seine Hand gezittert, und er hatte Rothfelser gefehlt. Aber der Schuß Rothfelsers, den er in derselben Raserei der Gefühle nicht mehr hatte zurückhalten können, hatte schon Klengel in den Kies hingestreckt.

Da war Rothfelser plötzlich in sich zusammengesunken und hatte vor sich hinstierend nur noch den zweiten Schuß gegen die eigene Stirn gekehrt.

»Adieu, Carmela!«

*

Am anderen Abend saß Carmela allein in der Wirtsstube. Sie stickte versunken an einer schönen Perlendecke. Nur der blonde Primaner, der kaum siebzehn Jahre alt war, hatte sich hereingewagt. Er saß ganz still vor dem sanften Mädchen und starrte andächtig und verzehrt in ihre kostbare, fromme Arbeit.


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