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Achtes Kapitel.

Madroño Cottage lag, eingebettet in ein kleines Dickicht der buntscheckigen Erdbeerbäume, die ihr den Namen gegeben, am Eingange einer kleinen Canada, eines engen Thales, welches der frühe Winterlegen bereits wieder mit frischem Grün geschmückt hatte. Als der junge Mann nach Rosi fragte, hörte er zu seiner nicht geringen Befriedigung, das junge Mädchen sei allein nach dem eine halbe Wegstunde entfernten Postamte gegangen, und er werde sie, falls er ihr folgen wolle, entweder noch überholen oder ihr doch auf dem Heimwege begegnen.

Die Straße – nicht viel mehr als ein Pfad – schlängelte sich auf der Höhe des Hügels dahin. Man genoß von hier aus, über die Canada hinweg, die Aussicht auf die lange, dunkle, von dichtem Walde bestandene Flanke des Berges Tamalpais, welcher sich in der Entfernung von etwa sechs Wegstunden aus der Ebene erhebt – und diese Schönheit der Gegend, das Aufhören des warmen Regens und das Erscheinen eines Stückchens blauen Himmels, verbunden mit einem gewissen Gefühl der Befreiung, ließen Renshaw bald die leichtherzige Fröhlichkeit wiederfinden, welche ihm so gut stand. Bei einer scharfen Biegung des Weges gewahrte er in der Entfernung die Gestalt des jungen Mädchens, die ihm entgegenkam und mit der Ungeduld eines Knaben beschleunigte er seine Schritte. Aber plötzlich war Rosi verschwunden, und als er sie wieder erblickte, befand sie sich an der anderen Seite des Abhanges, anscheinend eifrig damit beschäftigt, Blumen zu pflücken. Sie hatte ihn also ebenfalls bereits gesehen.

Die Herzlichkeit seiner Begrüßung wurde dadurch etwas beeinträchtigt – aber als Rosi endlich aufblickte, waren ihre Wangen doch noch rot genug, um den Grund ihres Ausweichens zu verraten.

»Sie hier, Mr. Renshaw!« rief das junge Mädchen. »Ich dachte, Sie wären in Sacramento.«

»Und ich dachte, Sie wären in Petaluma,« gab er zur Antwort. »Ich habe hier einen Brief von Ihrem Vater. Eine der Persönlichkeiten, welche in den letzten Tagen das Schiff umschlichen, ist diese Nacht wirklich in dasselbe eingedrungen. Wer der Mensch war und was er wollte, weiß man vorläufig noch nicht – aber Ihr Vater hat vielleicht seine Vermutungen und teilt sie Ihnen mit.«

Renshaw konnte sich nicht versagen, das junge Mädchen scharf anzublicken, während er ihr den Brief überreichte, aber außer einem kleinen neugierigen Emporziehen der Augenbrauen blieb ihr Gesicht ruhig, während sie das Schreiben erbrach, und keine Miene verriet Erregung oder Verwirrung. Plötzlich blickte sie zu ihm auf.

»Ist das alles, was Ihnen mein Vater für mich gegeben hat?« fragte sie.

»Alles.«

»Sie haben gewiß nichts verloren?«

»Nein. Ich habe Ihnen überreicht, was er mir für Sie eingehändigt hat.«

»So wäre dies das Ganze,« sagte sie, indem sie ihm einen unbeschriebenen, in Briefform zusammengefalteten Bogen Papier zeigte.

Renshaw fühlte, daß ihm eine jähe Zornröte ins Gesicht stieg.

»Das ist ja unverzeihlich,« rief er. »Da muß ein Versehen vorliegen. Wahrscheinlich hat er das Blatt zufällig verwechselt,« setzte er hinzu, während er innerlich doch fest überzeugt war, daß Nott mit voller Ueberlegung gehandelt hatte.

Rosi streckte ihm mit einem freimütigen Lächeln die Hand entgegen.

»Machen Sie sich darüber keine weiteren Gedanken, Mr. Renshaw – Vater ist manchmal zerstreut und vergeßlich. Aber bitte, erzählen Sie mir, was in vergangener Nacht geschehen ist.«

Mr. Renshaw teilte ihr kurz und einfach alle Einzelheiten des Angriffs auf den Pontiac mit, und zwar von dem Augenblicke an, da Nott ihn geweckt hatte, bis zu der Wahrnehmung, daß der unbekannte Eindringling durch das Seitenpförtchen entflohen sei. Als er zu Ende war, zögerte er eine kleine Weile, dann ergriff er, seiner Empfindung folgend, Rosis Hand und fuhr fort:

»Sie werden mir zürnen, wenn ich Ihnen die ganze Wahrheit sage – aber Ihr Vater ist fest überzeugt, daß der Einbruch von dem alten Franzosen de Ferrières und zu keinem anderen Zwecke unternommen worden ist, als Sie zu entführen.«

Mancher andere als dieser von ihrem Vater angegebene Grund wäre vielleicht imstande gewesen, dem jungen Mädchen das Blut in die Wangen zu treiben, aber nur die vollständigste Unschuld vermochte ihren Augen den Ausdruck von Erstaunen und Entrüstung zu verleihen, mit dem sie fragte:

»Das war's also, worüber Sie so lachten?«

»Nein, ich lachte nicht darüber, obgleich ich zu Gott wünschte, ich hätte mich keines schlimmeren Vergehens anzuklagen,« entgegnete der junge Mann eindringlich. »Nein, bitte, sprechen Sie nicht,« fügte er ungeduldig hinzu, als Rosi den Versuch machte, ihn zu unterbrechen. »Ich habe kein Recht, Sie anzuhören, habe nicht einmal das Recht, von Angesicht zu Angesicht vor Ihnen zu stehen, bis ich alles gebeichtet. Ich kam auf den Pontiac und machte Ihre Bekanntschaft, Miß Nott, in einer hinterlistigen Absicht, die so unverzeihlich ist, wie nur irgend eine der verräterischen Thaten, welche Ihr Vater de Ferriéres zur Last legt. Ich bin nicht als einfacher, ehrlicher Abmieter auf dem Pontiac eingezogen, sondern als Spion.«

»Aber Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie – hier liegt sicherlich ein Irrtum zu Grunde – « stammelte Rosi, indem sie blaß wurde, freilich mehr, wie es schien, infolge der Teilnahme an der Aufregung des Missethäters, als vor Abscheu gegen die Missethat selbst.

»Leider kann ich mich auf keinen Irrtum berufen,« fuhr Renshaw fort, »Aber wenn Sie mich noch einige Augenblicke anhören wollen, so sollen Sie alles erfahren. Es ist eine lange Geschichte. Wollen Sie dabei weiter gehen und – meinen Arm annehmen? Sie schaudern also nicht vor mir zurück, Miß Nott? Haben Sie Dank. Freilich verdiene ich kaum Ihre Güte und Nachsicht.«

In der That schauderte Rosi so wenig vor ihm zurück, daß es Renshaw, als sie nun weiterschritten, sogar vorkam, als fühle er einen leisen, beruhigenden Druck auf seinem Arme und vielleicht geriet er in Versuchung, gerade um dieses, in gleichem Maße wachsenden Mitgefühls willen, seine Schuld ein wenig zu übertreiben.

»Erinnern Sie sich noch jenes Abends, als ich Ihnen See- und Schiffsgeschichten erzählte?« fragte der junge Mann. »Damals meinten Sie, es sei Ihnen, als müsse der Pontiac ebenfalls seine Geschichte haben. Ja, Miß Nott, er hat eine Geschichte, eine schreckliche – eine furchtbare Geschichte, die ich Ihnen hätte erzählen können, ja hätte erzählen sollen – und diese Geschichte hatte mich auf das Schiff geführt. Auch da Sie sagten, es komme Ihnen vor, als hätte ich den Pontiac schon vorher gekannt, hatten Sie recht. Ich kannte ihn bereits von früher her.«

Dabei legte er seine freie Hand leicht auf die des jungen Mädchens, als wolle er sich versichern, daß sie auch zuhöre.

»Ich war zu jener Zeit Seemann,« fuhr er fort. »War Thor genug gewesen, vom Gymnasium fortzulaufen, weil es mir sehr romantisch und verlockend erschien, auf diese Weise die Welt zu umsegeln. Ich sah mich vielleicht etwas enttäuscht, aber ich nahm die Dinge so gut ich konnte, und nach zwei Jahren war ich Untersteuermann auf einem Walfischfahrer, welcher den kleinen Hafen einer der uncivilisiertesten Inseln des Stillen Oceans anlief. Während wir dort noch vor Anker lagen, traf ein französisches Handelsschiff – dem Anschein nach, um Wasser einzunehmen – in diesem Hafen ein. Die Mannschaft desselben war nicht mehr vollzählig und bestand aus einem Gemisch von Farbigen und Portugiesen, welche angaben, einen Teil ihrer Kameraden durch Desertion, den Kapitän und den Steuermann aber durch das Fieber verloren zu haben. Die Erzählung klang indessen so sonderbar, daß unser Kapitän für gut fand, einmal Recht und Gesetz in die eigene Faust zu nehmen, und mich mit mehreren Kameraden als Sicherheitswache an Bord des Schiffes schickte. In der Nacht machte die Bemannung des Franzosen einen Versuch, zu entkommen. Sie hieben die Ankertaue durch und würden sicherlich die hohe See erreicht haben und entwischt sein, wenn wir nicht bewaffnet und auf unserer Hut gewesen wären. Es gelang uns, die Burschen zu Paaren zu treiben, und nachdem wir sie einige Stunden im Räume eingesperrt gehalten hatten, krochen sie zu Kreuz und machten den Vorschlag, das Schiff ruhig zu verlassen und an dieser öden Küste ans Land zu gehen. Da wir nun weder Leute zu ihrer Bewachung übrig hatten, noch imstande waren, sie mit uns zu nehmen, auch keine eigentlichen Beweise gegen sie aufzubringen vermochten, so ließen wir die Burschen laufen. Dann geleiteten wir das Schiff nach Callao, übergaben es dort der zuständigen Behörde, machten unsere Ansprüche an den Bergelohn geltend und setzten unsere Reise fort. Nach unserer Rückkehr erfuhren wir, daß die Wahrheit ans Licht gekommen. Es war ein französisches Kauffahrteischiff von Marseille – Eigentum seines Kapitäns – unter dessen Mannschaft im Stillen Ocean Meuterei ausgebrochen war. Die Meuterer hatten ihre Offiziere, sowie den einzigen Passagier, den Eigentümer der Ladung, getötet und dann mit dieser und einer halben Million in spanischen Geldstücken, die der getötete Passagier zu Handelszwecken mit sich geführt, das Weite gesucht. Im Laufe der Zeit wurde das Schiff zur Aufbringung des Bergelohns verkauft und in die südamerikanische Handelsflotte eingestellt. Hier that es bis zum Ausbruch des kalifornischen Goldfiebers seine guten Dienste und wurde dann mit einer Ladung Waren nach San Francisco geschickt. Dies Schiff ist der Pontiac, den Ihr Vater erstand.«

Ein leichter Schauder überlief das junge Mädchen.

»Ich – ich wünschte, Sie hätten mir die Geschichte nicht erzählt,« sagte sie. »Ich werde jetzt nie wieder ruhig in dem Schiffe schlafen können.«

»Ich dürfte Ihnen der Wahrheit entsprechend sagen, daß Ihre Gegenwart das Schiff von allen Flecken der Vergangenheit gereinigt hat, wenn nicht doch vielleicht einer daran haften geblieben wäre; freilich gerade einer, der in den Augen der meisten Menschen nicht als Fehler gelten wird,« fuhr Renshaw fort. »Sie machen große Augen, Miß Nott – aber ich komme jetzt gleich zu der Erklärung und damit zum Ende meiner Geschichte. Man hatte ein Kriegsschiff nach jener Insel abgesandt, um die Meuterer und Piraten, denn das waren sie, einzufangen und zu bestrafen; aber man fand sie nicht mehr, und eine Privatexpedition zur Aufsuchung des Schatzes, welchen die Räuber allem Vermuten nach vergraben hatten, verlief ohne besseren Erfolg. Da teilte mir Mr. Sleight vor etwa zwei Monaten mit, einer seiner Kapitäne habe ihm einen farbigen Matrosen zugeschickt, welcher behaupte, sich in Bezug auf den Pontiac im Besitz eines wertvollen Geheimnisses zu befinden, und gewillt sei, ihm dasselbe gegen einen Prozentsatz am Gewinn zu verkaufen. Die Meuterer hatten nämlich, seiner Angabe nach, nicht Zeit gefunden, den Schatz aus dem Schiffe fortzubringen, sondern waren eben dabei gewesen, ihn auszuschiffen und zu verscharren, als unser Dazwischenkommen sie an der Ausführung dieses Vorhabens gehindert hatte. Als wir sie dann in den Raum eingesperrt, hatten sie die Zeit benutzt, um die halbe Million in dem Schiffe selbst zu vergraben, das heißt, sie so sicher und gut zu verstecken, daß weder wir, noch die Beamten in Callao das Gold fanden. Mr. Sleight fragte nun mich, als einen, der das Schiff von früher her kannte, ob ich eine Untersuchung desselben vornehmen wolle. Diese mußte heimlich geschehen, weil Sleight – im Falle sich die Aussagen des Malayen bestätigten – Ihrem Vater das Schiff abkaufen wollte, ohne daß dieser ahnte, warum, und ich willigte ein. Da haben Sie nun meine Berichte, Miß Nott. Sie kennen jetzt mein Vergehen – ich ergebe mich Ihnen auf Gnade und Ungnade.«

Rosis Arm legte sich nur noch fester um den seinigen und ihr Blick suchte seine Augen.

»Und haben Sie etwas gefunden, Mr. Renshaw?« fragte sie.

Die Frage lautete so ganz ähnlich, wie die Sleights, daß Renshaw ein wenig kühl antwortete:

»Ich habe nicht gesucht.«

»Warum nicht?« fragte Rosi einfach.

»Weil,« stammelte Renshaw, in dem unbehaglichen Gefühl, einer übertriebenen Empfindung Raum gegeben zu haben, »weil es mir nicht ganz ehrlich und ehrenhaft erschien – weil es ein Unrecht gegen Sie war.«

»O, Sie thörichter Mensch! Sie hätten doch suchen und es mir nachher sagen können.«

»Glauben Sie denn, daß dies ehrlich gegen Sleight gewesen wäre?« fragte Renshaw.

»Ebenso ehrlich gegen ihn, wie gegen uns. Sehen Sie denn nicht ein, daß der Schatz weder ihm noch uns gehört? Er gehört doch keinem als den Verwandten des ermordeten Mannes.«

»Aber der hinterließ keine Erben; dies wurde nämlich durch einen Betrüger bewiesen, welcher sich für seinen Bruder ausgab und in Callao seine Ansprüche an den Pontiac geltend machte. Die Gerichte erklärten den Mann für wahnsinnig,« entgegnete Renshaw.

»Dann gehört der Schatz noch eher den armen Piraten, die ihr Leben dafür einsetzten, als Sleight, der nichts dafür gethan hat,« rief das junge Mädchen. Dann verstummte sie für einige Augenblicke, um mit nur um so größerer Bestimmtheit fortzufahren: »Ich bin fest überzeugt, daß der Vorgang von dieser Nacht mit Sleight im Zusammenhange steht.«

»Das denke ich auch,« sagte Renshaw.

»Dann muß ich gleich nach Hause zurück. Vater darf nicht allein bleiben.«

»Sie aber auch nicht,« sagte Renshaw eifrig. »Erlauben Sie mir, mit Ihnen zu gehen und die Unruhe und die Gefahren mit Ihnen zu teilen, welche ich mit verschuldet habe.« Und leiser setzte er hinzu: »Berauben Sie mich nicht der einzigen Möglichkeit, Miß Nott, mein Vergehen zu büßen und mich Ihrer Verzeihung würdig zu machen.«

»Ich habe Ihnen nichts zu verzeihen,« entgegnete Rosi, indem sie die Augen niederschlug und ihren Arm halb zurückzog. »Sie glaubten, daß wir kein größeres Recht auf den Schatz hätten, als andere Leute – bis Sie mich kennen lernten –«

»Das ist richtig,« sagte der junge Mann, mit einem Versuch, ihre Hand zu fassen.

»Und ich denke –« fuhr Rosi fort, wahrend sie errötete und – was sehr selten geschah – den Mund zum Lachen verzog, so daß eine Reihe kleiner, weißer Zähne sichtbar wurde. »Aber Sie wissen ja, was ich denke,« fuhr sie fort, indem sie ihren Arm sanft frei machte, und plötzlich großes Interesse an einigen am Wege wachsenden Blümchen zeigte. »Außerdem glaube ich nicht an diesen Schatz,« sagte sie plötzlich, offenbar in der Absicht, dem Gespräch eine andere Wendung zu geben. »Ich glaube nicht, daß er im Inneren des Schiffes versteckt ist.«

»Davon können wir uns ja jetzt leicht überzeugen,« gab Renshaw zur Antwort.

»Wie schade, daß Sie nicht schon früher nachgesehen haben – dadurch wäre uns viel Unruhe und unnützes Hin- und Herreden erspart worden.«

»Ich sagte Ihnen schon, warum ich die Nachsuchungen unterließ,« entgegnete Renshaw nicht ohne eine leise Bitterkeit. »Aber es scheint, daß ich nur die Wahl hatte, mich zum Schurken oder zum Narren zu machen.«

»Sie hatten niemals die Absicht, eine Schurke zu sein, und könnten sich nur zum Narren machen, wenn Sie auf das hörten, was ein thörichtes kleines Mädchen spricht. Ich wollte nur sagen, daß es besser gewesen wäre, wenn Sie mich ins Vertrauen gezogen hätten.«

»Könnte ich nicht dasselbe in Bezug auf Ihr Verhältnis zu dem alten Franzosen sagen?« erwiderte Renshaw. »Wie, wenn ich Ihnen nun gestehen müßte, daß ich wirklich geglaubt habe, er wisse um das Geheimnis des Pontiac, und hätte versucht, sich Ihres Beistandes zu versichern?« Anstatt diese Vermutung voll Entrüstung zurückzuweisen, zog Rosi – zum großen Mißvergnügen des jungen Mannes – nur die hübschen Augenbrauen zusammen und blieb für einige Sekunden still. Dann fragte sie schüchtern:

»Halten Sie es für unrecht, wenn man das Geheimnis eines anderen preisgibt, um ihn dadurch zu rechtfertigen und ihm zu nutzen?«

»Nein,« entgegnete Renshaw ohne einen Moment des Zögerns.

»Dann will ich Ihnen das Monsieur de Ferrières' verraten. Aber ich thue es nur, weil ich aus dem, was Sie soeben sagten, den Schluß ziehe, daß er doch vielleicht einiges Recht an den Schatz haben könnte.«

Und nun begann sie, ihm mit feuchten Augen und von Teilnahme bewegter Stimme zu erzählen, wie sie zufällig das Geheimnis der traurigen Lage de Ferrières' entdeckt hatte. Sie umkleidete das Ganze mit der unbewußten Poesie ihrer frischen, jungen Einbildungskraft, ging über die altmodische Galanterie und lächerliche Schwäche des Mannes leicht hinweg und legte das Gewicht allein auf seine einsamen Leiden und Entbehrungen, sowie auf das geheimnisvolle Unrecht, das man ihm zugefügt. Renshaw lauschte, halb in Beschämung über seinen Verdacht, halb in Bewunderung für ihr Zartgefühl versunken, bis sie die Andeutungen de Ferrières' in Bezug auf die Wichtigkeit der in dem Koffer enthaltenen Papiere erwähnte. »Ich glaube, einige davon waren gerichtliche Aktenstücke, und müßte mich sehr irren, wenn ich nicht auf dem einen das gedruckte Wort Callao gelesen hätte,« setzte sie hinzu.

»Das ist nicht unmöglich,« erwiderte Renshaw gedankenvoll. »Man hat den alten Franzosen hier immer für einen harmlosen Narren angesehen und sich wohl kaum um seinen Namen und noch weniger um seine Geschichte gekümmert. Aber würden wir nicht dennoch besser thun, festzustellen, ob der Schatz überhaupt vorhanden ist, ehe wir uns mit den etwaigen Ansprüchen an denselben beschäftigen?«

»Wie Sie wünschen,« gab Rosi mit einem leichten Anflug von Verstimmung zur Antwort. »Aber es wird leichter sein, de Ferrières aufzufinden, als den Schatz, denn was man nicht sucht, findet man ja immer leichter.«

»Das heißt, wenn man's nicht braucht,« sagte Rensham mit plötzlichem Ernste.

»Wie schön hier die Aussicht ist,« bemerkte Rosi, indem sie nach den gegenüberliegenden Bergen hinblickte.

»Sehr schön.«

Dabei hatten sie die Kante des Hügels erreicht und erblickten in geringer Entfernung vor sich die Schornsteine der Madroño Cottage. Bei diesem Anblick, der ihnen eigentlich nicht unerwartet kommen konnte, blieben beide – offenbar unangenehm überrascht – stehen. Rosi brach zuerst das verlegene Schweigen.

»Es gibt noch einen anderen Weg nach der Cottage,« sagte sie schüchtern, »aber es ist ein Umweg.«

»So lassen Sie uns diesen gehen,« rief Renshaw.

»Aber das Dampfboot geht um vier Uhr ab, und wir müssen beide noch diesen Nachmittag nach dem Pontiac zurückkehren,« bemerkte Rosi zögernd.

»Desto mehr haben wir Ursache, die uns noch vergönnte Zeit auszunutzen,« sagte Renshaw, mit einem schwachen Versuch, zu lachen, »Morgen kann alles anders sein, morgen sind Sie vielleicht schon eine reiche Erbin, Miß Nott. Morgen,« setzte er mit einem leichten Beben der Stimme hinzu, »ist mir Ihre Verzeihung vielleicht nur zu teil geworden, damit ich Ihnen für immer lebewohl sagen kann. Lassen Sie mich also diesen Sonnenschein und dies Zusammensein benutzen, um Ihnen zu sagen, was ich Ihnen morgen vielleicht nicht mehr sagen darf.«

Sie schwiegen einen Moment, dann betraten beide, wie von einem gemeinsamen Instinkt geleitet, den schmalen Pfad, der sich hier, kaum breit genug für zwei, von dem geraden Wege abzweigte. Derselbe erwies sich allerdings als ein Umweg und zwar als ein so bedeutender, daß er die Entfernung um mehr als das Doppelte verlängerte. Bald schien er sich gänzlich im Schatten eines Wäldchens von Weiden und Erdbeerbäumen zu verlieren, bald hörte er vor einem umgestürzten Baume so spurlos auf, daß den zweien nichts übrig blieb, als sich niederzusetzen, um zu überlegen, wie sie weiter kommen sollten; bald war er so rauh und uneben, daß sie sich gegenseitig Beistand leisten mußten, indem sie einander die Hände reichten und die Augen liehen, um ohne Gefahr die Hindernisse zu überwinden. Mit einem Worts, der Pfad war so unsicher und zweifelhaft, daß es vieler flüsternder Beratungen und manches gegenseitigen Nachgebens bedurfte, um ihn zu finden; dessenungeachtet aber kamen sie endlich auf diesem merkwürdigen Wege Hand in Hand glücklich und mit hoffnungsvollen Herzen vor dem Thore der Madroño Cottage an, und wenn sich hier fand, daß Rosi gerade nur noch Zeit hatte, ihre Sachen einzupacken, um nach dem Dampfboote zu eilen, so war eben nur dieser Umweg daran schuld. Ebenso war eine etwas zerzauste Locke Rosis und ein langes seidenweiches Haar, das an einem der Rockknöpfe Renshaws hing, seinen vielfachen Unebenheiten zuzuschreiben – und wenn im Tone ihrer Stimmen und im Glanze ihrer Augen etwas lag, das früher darin nicht bemerkbar gewesen war, so kam dies natürlich gleicherweise auf Rechnung der Gefahren des Pfades, den sie zusammen gegangen waren und ferner miteinander zu gehen gedachten.


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