Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zweites Kapitel.

Der Tag, welcher der »Steamernacht« folgte, fand San Francisco und seine Bewohner in der Regel sehr müde und abgespannt. Die Überanstrengung der vorangegangenen vierundzwanzig Stunden verriet sich in den matten Augen und langsamen Bewegungen der Fußgänger, und in der Stille der Speicher und Bureaus, welche noch nach den Gasflammen der letzten Nacht rochen und in deren Kaminen noch die kalte Asche der erst am Morgen erloschenen Feuer aufgehäuft lag. Man ließ in dem geschäftigen Leben, welches hier von Steamertag zu Steamertag herrschte, eine kleine Pause eintreten, und in dieser Zwischenzeit atmeten die wenigen ängstlichen Spekulanten und Unternehmer etwas freier auf, und man benutzte dieselbe, um bedenkliche Situationen womöglich aufzubessern, oder bevorstehende Katastrophen momentan abzuwenden.

Besonders hatte das Glück Mr. Nott an diesem Morgen gelächelt. Er hatte nicht nur einen neuen Abmieter gefunden, sondern mit demselben auch, wie er in seiner Weisheit glaubte, ein Gegengewicht für den geheimnisvollen Einfluß de Ferrières' auf dem Pontiac eingeführt. Das Wesen des neuen Hausgenossen zeigte eine Mischung von geschäftlicher Schlauheit und rücksichtsloser Offenheit, welche auf seinen Wirt großen Eindruck machte.

»Denke dir, Rosi,« sagte Nott, als er seiner Tochter vergnügt von dem abgeschlossenen Handel erzählte, »denke dir, als ich nur so ganz obenhin bemerkte, man hätte mir schon Zuckerkessel und Haarfärbemittel als Sicherheit dagelassen, warf er die Miete vor zwei Monate auf 'n Tisch und sagte: ›Da habt Ihr Eure Sicherheit, wo bleibt nu aber meine?‹ – ›Schätze, ich verstehe Euch nich, Kamerad,‹ sagte ich, ›was wollt Ihr vor 'ne Sicherheit?‹ – ›Gesetzten Falls, Ihr verkauftet das Schiff, ehe die zwei Monate vorüber sind,‹ sagte er. ›Ich habe 'n Vögelchen pfeifen hören, daß 's der alte Sleight kaufen will.‹ – ›Sodann kriegt Ihr Euer Geld wieder, sagte ich, ›Und werde 'rausgesetzt,‹ sagte er. ›So dumm bin ich nich, alter Bursche. Ihr werdet 'n Papier unterschreiben, daß, wer auch immer das Schiff in diesen zwei Monaten kauft, mich drin lassen muß. Das is klipp und klar, nich wahr?‹ – Und so hab' ich das Papier unterschrieben,« fuhr Nott fort, indem er etwas ängstlich in das hübsche Gesicht seiner Tochter blickte. »Aber is der junge Mensch nich 'n Hauptkerl? Er hat hier in der Nachbarschaft 'n Geschäft übernommen, möchte in der Nähe wohnen, und hat die Kabine neben dem Franzosen gemietet, dieselbige, welche der Kap'tän Bower innehatte, ehe daß er nach 'm Golddistrikte ging, und natürlich bleiben alle seine Sachen, die Lade u. s. w. drin stehen. Der junge Mann sieht mächtig bärtig aus, Rosi – hat 'nen langen schwarzen Schnurrbart, der nich gefärbt is, und du kannst ja wohl drauf wetten, daß er überall seinen Mann steht. Schätze, der is nich bloß 'n Gentleman gewesen, sondern aber is noch einer.«

»Ich glaube nicht, daß wir ein Recht haben, ihm die Lade des Kapitäns zu geben, Vater, denn es könnten noch Sachen von diesem, Privatpapiere und dergleichen drin sein,« sagte Rosi. »Es waren auch noch Briefe und Photographien in dem Kasten, den der Mann mit dem Haarfärbemittel hier ließ, und welchen du dem Photographen gegeben hast.«

»Ja, das is ja wohl so, Rosi,« gab Abner Nott mit der vollkommensten Unbefangenheit zur Antwort. »Aus Liebesbriefen und Bildern läßt sich kein Gold nich 'rausschlagen – warum sollte man sie nich weggeben, wenn 'ne Menschenseele ihr Vergnügen dran findet?«

»Es fragt sich doch, ob wir das Recht dazu hatten, Vater.«

»Na, sie gehörten doch mit zum Pfande,« entgegnete der Vater. »Zum – Faust–pfan–de,« wiederholte er, bei jeder Silbe mit der einen geballten Hand auf die innere Fläche der anderen schlagend. »Zum – Faust–pfan–de, so nennen sie's in der Geschäftssprache – und dadrum kannst du ja wohl nich 'rumkommen,« Hier schwieg Nott für einige Augenblicke und fuhr dann, als ob sich langsam und schwerfällig ein neuer Gedanke vor seine runden Augen emporringe, bedächtig fort: »War dasselbigte vielleicht auch der Grund, warum du nichts nich von den Kleidern der Opernsingerin anrühren wolltest, die nach Sacramento durchbrannte und hernach verstarb? Und jedennoch hatte ich die Koffer mit selbigten Kleidern regelrecht in 'ner Auktion erstanden, Rosi – auf Spikulation – und habe niemals nich 's Fuhrlohn 'rausgeschlagen.«

Eine leichte Röte stieg in Rosis Gesicht auf.

»Nein,« begann sie hastig, »nein, das konnte ich nicht.« Und indem sie nach kurzer Pause an den Vater herantrat, ihren Arm sanft um seinen Nacken schlang und sein breites, einfältiges Gesicht zu sich herumdrehte, fuhr sie fort: »Würde es dir recht gewesen sein, Vater, wenn jemand, als Mutter gestorben war, ihre Koffer genommen, in ihren Sachen herumgewühlt und sie getragen hätte?«

»Als deine Mutter starb, Rosi,« entgegnete Nott mit vollster Unbefangenheit, »da hatte sie gar keine Koffer. Schätze, sie hatte außer denen Kleidern, die sie auf'm Leibe trug, gar nichts nich mit im Wagen, als den Unterrock, in welchen selbigten sie dich einwickelte, denn wir hatten uns damals ja wohl mit den Indianern, den Alkaliums und der Kälte 'rumzuschlagen, daß es uns verging, uns in Sonntagsstaat zu werfen. Sie hätte ja wohl nie nich gedacht, Rosi, daß wir, du und ich, 'mal in 'nen solchen Paläste, in 'nen wirklichen Schiffe wohnen würden. Hätte sie sich so 'was denken können, sie wäre als 'ne stolze Frau gestorben.«

Dabei sah er die Tochter mit seinen kleinen runden Bärenaugen in der harmlosesten und liebevollsten Weise an. Rosi wandte sich mit einem leisen Seufzer ab, und ihr Blick gewann wieder den gewöhnlichen, zerstreuten Ausdruck, als habe sie sich bereits in ihre ideale Welt zurückgeflüchtet. Unglücklicherweise entging die Veränderung dem entweder durch die Liebe, oder durch eine irrige Vorstellung geschärften väterlichen Auge nicht.

»Du würd'st dir ja wohl auch 'mal 'ne neue Schabracke und so 'n bißchen Staat und Krimskram wünschen, nich wahr, Rosi,« sagte er. »Schätze, 's wäre ganz natürlich. Na, da wir anjetzt so 'nen seinen Logierherrn im Schiffe haben, sollst du dich 'mal 'rausputzen, und ich will sehen, was ich in Montgomery Street auftreiben kann.«

In der That hatte Nott nach einigen Stunden diesen Vorsatz mit einem Ungeschick ausgeführt, das nur seinem guten Willen gleichkam. Als Rosi, nachdem sie ihre häuslichen Geschäfte besorgt, in ihre kleine Koje zurückkehrte, fand sie dort einen roten Samthut von sehr wunderlicher Façon, sowie ein Paar Morgenschuhe von weißem Atlas. »Das is nur so für 'n Anfang, und ich habe die Sachen nach meinem Geschmacke ausgesucht,« erklärte ihr der Vater.

»Aber ich gehe so selten aus, Vater, und ein Hut –«

»Das is nu so,« unterbrach sie Mr. Nott selbstgefällig. »'s wird sich vor 'n junges Mädchen ja wohl ganz gut machen, wenn's aussieht, als ob sie ausginge, oder aber ausgehen könnte, wenn sie wollte. Du könnt'st ja den Hut heute abend, wenn der neue Logierherr heimkommt, aufsetzen, damit daß er denkt, du kämst grade aus 'nem Pazarr oder so 'was.«

Trotzdem gelang es Miß Rosi nicht sogleich, sich mit den Geschenken ihres Vaters auszusöhnen, und sie behielt vorläufig noch als einzigen Schmuck das gewöhnliche rote Band bei, welches so gut zu ihrem braunen Haar paßte.

Rosis Lieblingsplatz auf dem Schiffe war im Sommer der Raum zwischen der Kambüse und der Schanzverkleidung, welcher, jetzt durch eine leichte Bedachung von Planken und geteerter Leinwand gegen den Winterregen geschützt, eine Art von Veranda bildete, von der aus sie nach der bewegten Fläche der Bai und der noch fernem Hügelkette der Contra-Costa hinaussehen konnte. Hierher pflegte sie sich, wenn andere häusliche Arbeiten sie nicht in Anspruch nahmen, mit ihrer Näherei oder ihren Büchern zurückzuziehen – und hierher brachte sie auch heute das purpurrote Wunderwerk, halb in dem Wunsche, ihren Vater dadurch zu erfreuen, halb in der Absicht, den Hut einer gründlichen Umgestaltung zu unterwerfen. Aber nachdem sie denselben ein- oder zweimal vor dem Spiegel aufprobiert, schweiften ihre Gedanken darüber hinaus in die Weite und sie versank in eine ihrer gewöhnlichen Träumereien. Leichtes Rütteln an einer kaum ein Dutzend Meter von ihr entfernten Fallthür schreckte sie daraus empor. Diese Fallthür, welche die von dem unteren Deck herausführende Luke schloß, war während des Regens von unten mit einem Riegel verwahrt gewesen, der jetzt zurückgeschoben wurde, und als Rosi danach hinblickte, hob sich die Klappe, und Kopf und Schultern eines jungen Mannes kamen in der Oeffnung zum Vorschein, Teils nach der Beschreibung ihres Vaters, teils weil es nicht gut ein anderer sein konnte, gewann Rosi sofort die Ueberzeugung, den neuen Mitbewohner des Schiffes vor sich Zu haben. Sie hatte Zeit genug, zu bemerken, daß er jung und wohlgebildet war, nur vielleicht ernster aussah, als es für die Art seiner Erscheinung im Moment paßte. Aber noch ehe sie ihn näher betrachten konnte, hatte er sich umgedreht und die Luke hinter sich mit einer Gewandtheit, als habe er schon immer damit zu thun gehabt, geschlossen. Dann schlenderte er, ohne sie zu bemerken, vorwärts und trotz ihrer Bestürzung machte Rosi die Bemerkung, daß sein Tritt auf dem Deck ganz anders klang, als der ihres Vaters oder des Photographen, und daß er im Vorübergehen verschiedene Gegenstände, wie aus Gewohnheit, in beinahe liebkosender Weise mit der Hand berührte. Dann stand er still, drehte sich um und sein Blick begegnete zum erstenmal den verwunderten Augen des jungen Mädchens.

Es war zweifellos, daß sie Zeugin seines plötzlichen Erscheinens auf Deck gewesen, und verlegen und verwirrt blieb er einen Augenblick stehen. Aber ein zweiter Blick auf Rosi gab ihm die Haltung wieder und er näherte sich, wenn auch etwas zögernd, dem Platze, wo sie saß.

»Ich fürchte, mein unvermutetes Herausplatzen aus der Kabelgatsluke hat Sie erschreckt?« sagte er.

»Woraus?« fragte Rosi.

»Aus der Kabelgatsluke,« entgegnete er ungeduldig, indem er nach der Fallthür zeigte.

»Das ist die Kabelgatsluke?« sagte sie zerstreut. »Sie wissen also Bescheid auf Schiffen?«

»Ja, ein wenig,« gab er ruhiger zur Antwort. »Ich war unten und benutzte den kürzesten Weg, um hier herauf zu kommen, und mich erst 'mal umzusehen. Ich habe mich nämlich eben hier eingemietet,« setzte er erklärend hinzu.

»Ich dachte 's mir,« entgegnete Rosi einfach. »Sie sind der, welcher mit Vater Kontrakt gemacht hat?«

»Ja – der bin ich. Sie wissen also davon?«

»Ja, Vater erzählte 's mir.«

»Nott ist also Ihr Vater – ganz recht, ich sehe,« sagte er, indem er sie mit halb unterdrücktem Lächeln anblickte. »Ganz recht. Miß Nott, ich wünsche Ihnen guten Morgen!« Damit wandte er sich um, und ging der großen Kajütentreppe zu.

Ein gewisses Etwas, das in seinen Äugen aufblitzte, als er sich umdrehte, veranlaßte Rosi, der Richtung seines Blickes folgend, mit den Händen nach ihrem Kopfe zu fassen. Sie hatte den entsetzlichen Hut ganz vergessen gehabt.

Erschrocken riß sie ihn herunter und eilte dem Fremden nach der Kajütentreppe hin nach.

»Sir!« rief sie.

Der junge Mann, welcher sich schon auf der Mitte der Treppe befand, blickte empor. Rosis Wangen waren etwas gerötet und ihr schönes braunes Haar durch das schnelle Herunterreißen des Hutes ein wenig verwirrt.

»Vater sieht's nicht gern, wenn Fremde auf diesen Teil des Decks kommen,« sagte sie ungewöhnlich scharf.

»Uh, dann thut es mir leid, ihn betreten zu haben.«

»Ich – ich hielt für besser, Ihnen das zu sagen,« setzte Rosi, über ihre eigene Kühnheit beinahe erschrocken, hinzu.

»Ich danke Ihnen.«

Rosi kehrte langsam nach der Kambüsenthür zurück und nahm den unglücklichen Hut vom Boden auf. Warum war sie denn so ärgerlich auf diese Gabe ihres guten Vaters? Und welches Recht hatte der junge Mann, so nach Belieben auf dem Schiffe herumzuspazieren? Dessenungeachtet sagte ihr ein dunkles Gefühl, daß es ihr und ihrem Vater – trotz aller Liebe zu dem Fahrzeuge und trotz ihres häuslichen Lebens auf demselben – dennoch an der, wie von selbst verständlichen Vertrautheit mit dem Schiffe fehle, welche der halb gleichgültige Fremde beim ersten Betreten des Decks an den Tag gelegt hatte. Sie trat zu der Kabelgatsluke und betrachtete sie mit ganz neuem Interesse. Dann hob sie die Klappe auf, blickte hinab in das untere Deck, und wagte sich selbst nun einige Stufen der steilen Leiter hinab. Sie führte in den engen Gang, welchen ihr Vater gestern abend durchschritten hatte. Vor ihr lag, verschlossen wie immer, die Thür zu de Ferrières' Verschlage. Es war ganz still darin, denn um diese Zeit pflegte der alte Franzose seinen gewöhnlichen Spaziergang zu machen, aber das durch die jetzt offene obere Luke eindringende Licht erlaubte ihr mehr da unten zu sehen als sonst, und plötzlich erblickte sie, am Fuße der Stiege, eine zweite in die Tiefe führende Oeffnung, von welcher der genau schließende Deckel abgenommen war. Vermutlich hatte der Fremde vergessen, ihn wieder aufzulegen, nachdem er ihn abgehoben. Das junge Mädchen stieg vollends hinab und blickte in den dunklen Raum. Es war da unten nichts zu sehen und auch nichts zu hören, als das ferne Glucksen und Gurgeln des Wassers aus noch größerer Tiefe herauf. Rosi legte den Deckel wieder auf die Luke und ging auf dem gewöhnlichen Wege nach der Kajüte.

Als ihr Vater am Abend heim kam, erzählte sie ihm in der Kürze das Zusammentreffen mit dem Fremden und die Erfahrung, welche sie in Bezug auf seine Neugier gemacht hatte. Ihre Schüchternheit und Zerstreutheit schien dabei wo möglich noch größer als sonst, und sie machte ihm die Mitteilung offenbar mehr aus Pflichtgefühl, denn aus Lust, über den Vorgang zu plaudern. Mr. Nott zog, mit seinem gewöhnlichen feineren Verständnisse, aus ihrer Erzählung die denkbar falschesten Schlüsse.

»So, er hat sich dem Schiffe angesehen?« bemerkte er mit unbeschreiblicher Schelmerei. »Wohl während du beim Scheuern der Küche warst, Rosi? Er erbot sich wohl, dir Holz und Wasser zu holen – nicht wahr?« Und nachdem das junge Mädchen mit dem gewöhnlichen sanften Lächeln nachsichtiger Liebe ihr Buch bereits wieder aufgenommen und sich in seinen Inhalt vertieft hatte, murmelte er nochmals mit innerlichem Lachen: »Schätze, der alte Franzose kam nich dazu, als der junge Bursche sein Süßholz raspelte?«

»Wie meinst du, Vater?« fragte Rosi, indem sie zerstreut zu ihm aufblickte.

Kein Mensch von gesundem menschlichen Begriffsvermögen hätte hinter diesen klaren, unschuldigen Augen Betrug oder Falschheit wittern können, aber Notts Geist war eben nicht von dieser Welt, und so fuhr er fort! »Ich meine, Mr. Ferrers fand sich wohl nich etwa zufällig ein, als der junge Mensch mit dir die Unterhaltung hatte?«

»Nein, Vater,« entgegnete Rosi, indem sie eine Anstrengung machte, ihre Gedanken von dem Inhalt des Buches loszureißen und auf seine Ideenfolge einzugehen. »Wie kommst du auf den Gedanken?«

Nott gab keine Antwort. Aber als der neue Abmieter später am Abend an der Thür der Kabine vorüberging, um sich in seinen Verschlag zu begeben, rief ihn Nott, der, diesen Moment erwartend, auf der Lauer gelegen hatte, herein.

»Es thut mir leid,« sagte der junge Mann, nach Rosi hinblickend, »daß ich heute morgen Ihre Tochter belästigt habe. Ich war ein bißchen neugierig, wollte mir das alte Schiff besehen, und wußte nicht, daß Sie sich einen Teil für Ihren Privatgebrauch vorbehalten haben.«

»Habe ich ja wohl auch nich,« entgegnete Nott im Tone der Autorität. »Außer den Logies und den Speichern is nichts nich prifat,« und dann den ängstlichen Blick seiner Tochter bemerkend und ihm wie gewöhnlich eine falsche Deutung beilegend, fuhr er fort. »Außerdem is aufm ganzen Schiffe kein Platz nich, wo Sie nich ebensogut spazieren gehen könnten, wie jeder andere, mag er 'n Amerikaner oder 'n Ausländer, jung oder aber alt, angestrichen oder nich angestrichen sein. Alle haben hier dieselbigen Rechte, das können Sie sich merken. Mr. Renshaw, das da is meine Tochter. Rosi setze dem Herrn 'n Stuhl her. Sie is gerade von der Priminade heimgekommen und hat grade erst ihren Hut abgenommen,« fügte er hinzu, indem er Rosi mit schlauem Lächeln ansah und dann seine Blicke in die Kabine umherschweifen ließ, um zu sehen, ob der vermißte Gegenstand nicht an einem in die Augen fallenden Platze aufgestellt sei. »Na, setzen Sie sich nur 'ne Minute, setzen Sie sich.«

Mr. Renshaw blickte einen Moment in das zerstreute Gesicht Rosis.

»Bitte, entschuldigen Sie mich; aber ich habe einen notwendigen Brief zu schreiben,« sagte er dann mit einer halben Verbeugung vor dem jungen Mädchen. »Gute Nacht.«

Den Gang überschreitend, begab er sich nach der ihm angewiesenen Koje, deren Thür er hinter sich schloß. Dann zündete er in einer gewissen ungeduldigen, nicht die beste Laune verratenden Weise seine Lampe an und legte sein Schreibgerät zurecht, denn der Grund, welchen er Mr. Nott gegenüber für seinen schnellen Aufbruch angegeben, hatte mehr Anspruch auf Wahrheit, als auf Höflichkeit. Er hatte wirklich einen Brief zu schreiben und zwar einen, bei welchem ihn – da er noch jung war und noch keine Uebung in Falschheit und Doppelzüngigkeit besaß – die Nähe seines Wirtes störte. Dieser Brief lautete, wie folgt:

»Lieber Sleight!

»Da ich keine andere Möglichkeit fand, das Schiff eingehend zu besichtigen, als wenn ich es bewohnte, so habe ich mich soeben bei dem gottverlassenen alten Esel, dem es gehört, eingemietet. Ich habe, für den Fall, daß der alte Narr Lust haben sollte, es vorher an irgend einen anderen zu verkaufen, auf zwei Monate abgeschlossen. Außer den Löchern, welche eingeschnitten wurden, als der dösköpfige Missourier das Mitteldeck in einzelne Kammern abteilen ließ, ist das Schiff, glaube ich, ziemlich unverändert geblieben, und sein Vorderraum, soviel ich beurteilen kann, noch vollständig unberührt. Es scheint, daß Nott das Fahrzeug kaufte, als es noch seine halbe Ladung hatte, aber nicht dabei war, als man sie löschte. Gewiß ließe sich aus jedem anderen, als aus diesem missourischen Dickschädel, der sich den Heusamen noch nicht aus den Haaren gekämmt hat, eher etwas herausholen und ich brauchte meine Zeit nicht mit Narrenspossen zu vergeuden, die mir eigentlich gegen den Strich gehen. Hätte ich den Verschlag beziehen können, welcher weiter vorn, dicht neben der Kabelgatsluke liegt, so würde ich der Sache binnen wenigen Stunden auf den Grund kommen; aber die Koje ist von dem verrückten Franzosen bewohnt, der jeden Nachmittag Montgomern Street unsicher macht, und obwohl das alte Heupferd ihn an die Luft setzen möchte, so können doch noch Wochen vergehen, ehe ich sie bekomme.

»Wenn mir etwas Menschliches begegnen sollte, so walzen Sie nur gleich hierher und bemächtigen sich meiner Sachen, denn Nott hat die angenehme Gewohnheit, die Koffer seiner Abmieter zu konfiszieren.

Ihr Dick.«


 << zurück weiter >>