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Sechstes Kapitel.

Gleich darauf ließ sich der dröhnende Schritt Abner Notts draußen auf dem Gange vernehmen, und als er eintrat, stand Renshaw noch immer verwirrt und verlegen an der Thür, welche sich hinter Rosi geschlossen. Das Schicksal, welches Mr. Notts natürliche Anlage, alles mißzuverstehen, bei jeder Gelegenheit förderte, ließ dem scharfsinnigen Vater auch diesmal nur eine Erklärung der Situation. Rosi hatte Renshaw soeben erklärt, daß sie einen anderen liebte!

»Ich habe soeben von Miß Nott Abschied genommen,« sagte der junge Mann, welcher seine Fassung nur durch eine energische Anstrengung wieder gewann. »Ich reise noch heute abend nach Sacramento und komme wahrscheinlich nicht zurück. Ich –«

»Natürlich, natürlich,« unterbrach ihn Nott in beschwichtigendem Tone, »Das sagen Sie wohl anjetzt und nehmen sich's ja wohl auch vor. Alle sagen ja, sie gingen nach Sacramento.«

»Was ich Ihnen eigentlich mitteilen wollte, ist, daß ich Sie bitte, die Anzahlung welche ich gemacht habe, zu behalten und sich dadurch für die Verluste zu entschädigen, welche Sie durch mein Weggehen erleiden,« erwiderte Renshaw, der bei Notts Worten, die er für eine Hindeutung auf dessen früher ohne Zahlung ausgetretene Abmieter hielt, rot geworden war.

»Gewiß, gewiß,« fuhr Nott fort, indem er seine Hand mit väterlicher Miene auf die Schulter des jungen Mannes legte. »Aber man muß die Pferde niemals nich mitten im Flusse schwemmen wollen.« Und nachdem er dem jungen Manne einen vorbereitenden Wink gegeben, setzte er mit so lauter Stimme, daß ihn Rosi jedenfalls hören und verstehen mußte, hinzu: »Kommen Sie, Mr. Renshaw, wir wollen unsere Rechnung in Ihrer Koje und gleich anjetzt ins reine bringen.« Dabei schob er den jungen Mann in derselben väterlichen Weise, noch immer die Hand auf seiner Schulter, aus der Thür der Kabine und folgte ihm hinaus auf den Gang.

Renshaw, welchen diese Vertraulichkeit einesteils belästigte, anderenteils – als Bestätigung der Ansicht Rosis, daß ihr Vater eine Vorliebe für ihn gefaßt habe – doch nicht gerade unangenehm war, ging verwundert vor ihm her. Nott schloß die Thür, drängte den jungen Mann nach einem Stuhle und setzte sich ihm gegenüber bequem auf den Tisch.

»'s is ja wohl« ganz gut, daß Rosi denkt, wir wären hier zusammen, um unsere Rechnung zu machen,« begann er dann mit schlauer Miene, »und 's kann ja wohl auch sein Gutes haben, wenn sie denkt, Sie hätten wirklich vor, auf und davon zu gehen.«

»Aber ich gehe auch,« unterbrach ihn Renshaw ungeduldig. »Ich reise noch diesen Abend ab.«

»Gewiß, gewiß,« wiederholte Nott in der früheren väterlichen Weise. »Das is es, was Sie sich auskalkeliert hatten, und was wohl auch für 'nen jungen Menschen ganz und gar natürlich is. Dazumal als ich noch 'n junger Kerl war, hätte ich dasselbigte gethan, wenn 'mal mit Rosis Mutter so was passiert wäre, was aber niemals nich der Fall war. Nich etwa, daß Jane nich viele um sich 'rum gehabt hätte, die ihr nachliefen, aber außer dem alten Richter Peter, der vom Kriege von Anno 1812 her 'n lahmes Bein hatte, war so was Aehnliches ja wohl nich dabei.«

»Ich verstehe nicht, welche Aehnlichkeit Sie finden, Mr. Nott,« entgegnete Renshaw, der zwischen dem aufdämmernden Gefühl einer über ihm schwebenden Lächerlichkeit und der wachsenden Leidenschaft für Rosi hin und her schwankte. »Wenn Sie mir aber etwas zu sagen haben, so sprechen Sie sich um Gottes willen aus!«

Mr. Nott beugte sich vorwärts und legte seine breite Hand wieder auf die Schulter des jungen Mannes.

»Das war's ja wohl grade, was ich zu mir selbsten sagte, als ich's wegkriegte, wie die Geschichte stand. Sprich dich aus, Abner! sagte ich zu mir selber – sprich dich aus, wenn du 'was zu sagen hast. Und darauf können Sie sich verlassen, Mr. Renshaw, Abner Nott is nich derjenigte, welcher sich in dem Busen von dem Schiffe 'nes anderen Mannes einschleichen thäte. Er is nich derjenigte, welcher 'rumschnüffelte, bis er den Schatz 'nes armen Mannes auskundschaftert hätte, und hernach versuchte, ihm selbigten zu stehlen, und –«

»Halt!« rief Renshaw mit finsterem Gesicht. »Halt! Von welchem Schatze und von welchem Manne reden Sie da?«

»Na, von Rosi und Mr. Ferrers,« gab Nott einfach zur Antwort.

Renshaw ließ sich wieder auf den Stuhl niederfallen – aber der Ausdruck von Erleichterung, welcher sich einen Moment über sein Gesicht verbreitet hatte, verschwand bald wieder und machte dem einer peinlichen Aufmerksamkeit Platz, als Nott fortfuhr:

»'s is vielleicht 'n bißchen zu hoch gegriffen, wenn ich Rosi 'nen Schatz nennen thu'; aber wenn Sie bedenken, Mr. Renshaw, daß sie das einzigste Eigentum is, das ich seit den letzten siebzehn Jahren nich aus 'n Händen gegeben habe, und das immer an Wert gewonnen hat, und immer seine guten Zinsen getragen hat, so werden Sie hernach ja wohl finden, daß es nich zu viel gesagt is, wenn ich ihr so nenne. Und dieser Ferrers mußte das, und hatte zufrieden sein können, daß er mich in der Geschichte mit denen Roßhaaren übers Ohr gehauen hatte, und hätte nich auch noch auf meine Rosi zu spikulieren brauchen. Vielleicht thun Sie sich wundern, daß ich von meinem eigenen Fleisch und Blut ja wohl rede, als ob ich von 'nem Pferdehandel sprechen thäte, aber wir beide, Sie und ich, Mr. Renshaw, wir sind Geschäftsmänner, und sprechen wie Geschäftsmänner. – Wir drücken uns ja wohl nich um 'ne Sache 'rum und machen keine schönen Redensarten nich,« fuhr Nott fort, während seine Stimme sowie die Hand, welche noch immer auf der Schulter des jungen Mannes ruhte, leise bebte. »Wir sind nich von denjenigten, welche hintreten und singen: ›Du liebst nun einen anderen brachst deiner Treue Schwur und ich muß einsam wandern mein Herz trägt Kummer nur wie traurig ist's zu scheiden wie schwer mir dich zu meiden doch bleib' ich treu im Leiden leb wohl, leb wohl, leb wohl‹, – Sie haben selbigtes Lied wohl niemals nich von Jim Baker in der Musikhalle unten in Dupont Street singen hören, Mr. Renshaw?« fragte Nott begeistert, nachdem er sich von dem vollständigen Mangel an Interpunktion erholt hatte, mit dessen Hilfe allein sich ihm Verse einprägten. »Pumpte einem immer 's Wasser in die Augen.«

»Aber was hat denn Miß Nott mit Monsieur de Ferrières zu thun?« fragte Renshaw.

Mr. Nott sah den jungen Mann mit seinen kleinen runden Augen starr vor Verwunderung an.

»Hat sie Ihnen selbigtes denn nich gesagt?« fragte er endlich.

»Sie hat mir nichts gesagt.«

»Hat gar nich von 'm gesprochen?« fuhr Nott mit versagender Stimme fort.

»Sie sagte nur, es wäre ihr lieb zu erfahren –« der junge Mann verstummte, denn es kam ihm plötzlich zum Bewußtsein, daß er im Begriff stand, Rosis Vertrauen zu verraten. Das dunkle Gefühl einer neuen Hinterlist, an welcher selbst der junge Mann vor ihm teilhatte, lähmte Notts ohnehin schwerfälliges Begriffsvermögen noch mehr.

»So hat sie Ihnen gar nich gesagt, daß sie und Ferrers 'n Techtelmechtel mit'nander hatten – daß sie mit'nander versprochen waren, und wie ich kalkeliere, ja wohl mit'nander durchbrennen wollten, nach 'nem fernen Lande, und daß sie sich mehr aus 'm macht, als aus dem Schiffe und aus ihrem alten Vater?«

»Nein, das hat sie mir nicht gesagt und ich würde es auch nicht geglaubt haben,« entgegnete Renshaw rasch.

Nott lächelte. Er freute sich, denn der Ausruf hatte ihm die gewöhnliche Zuversicht und das feste Vertrauen der Liebe und Jugend verraten. Hier, das war klar, fand keine hinterlistige Täuschung statt. Renshaw bemerkte das Lächeln und seine Stirn verfinsterte sich.

»'s freut mich, daß Sie das sagen, Mr. Renshaw,« begann Nott von neuem, »'s is aber ja wohl auch nich mehr, als was meine Rosi verdient, 's war ja was ganz Unnatürliches, so was, wie 'ne Art von Zauber, den Ferrers auf ihr ausübte, 's war gar nich meine Rosi. Aber, das is so wahr wie's Evangelium – mag es sein, daß sie behext gewesen is, oder daß die verdammten dummen Geschichten, die sie liest, dran schuld sind – der alte Gimpel wäre ja wohl imstande ihr zu schreiben und Verabredungen mit ihr zu treffen, und sie – sie is ja wohl sehr stolz auf ihn. Sie haben heimliche Zusammenkünfte gehabt, und als ich ihn darüber zur Rede stellte, hat er's auch so gut wie zugegeben. Da dachte ich denn, 's wäre besser, ihn vor der Thüre zu setzen, ehe daß er ihr entführen könnte. Sie verstehen ja wohl, ›in allen Ehren‹; selbigtes waren seine eigenen Worte.«

»Aber das alles ist ja nun vorüber, und Miß Nott weiß nicht einmal, wo er sich aufhält,« sagte Renshaw mit einem Lachen, welches indessen einen etwas unbehaglichen Klang hatte.

Mr. Nott stand auf, öffnete die Thür und blickte sich draußen sorgfältig um. Nachdem er sich auf diese Weise vergewissert hatte, daß niemand horche, kam er zurück und sagte flüsternd: »Das is eben 'ne Lüge. Nich etwa, daß meine Rosi lügen wollte, nein, 's is der Zauber, den er auf dem armen Kinde ausübt. Der Franzose treibt sich um den Pontiac 'rum. Ich habe ihn mit meinen eignen Augen schon zweimal unter dem Kajütenfenster vorbeigehen sehen. Und mehr als das – ich höre nachts sonderbare Geräusche und sehe fremde Gesichter in dem Seitengäßchen. Grade anjetzt, als ich nach Hause kam, bemerkte ich wieder 'nen fremden Kerl, der wie 'nen schwarzer Chineser aussah, hinten um der Thür 'rum schleichen, von welcher selbigter man nach Ferrers Koje kommen kann.«

»Sah der Mann aus wie ein Matrose?« fragte Renshaw, in welchem der frühere Verdacht wieder aufstieg.

»Nich mehr als ich,« gab Nott zur Antwort, indem er selbstgefällig auf seine Schifferjacke herabsah. »Er hatte große Ringe in den Ohren, wie 'ne Dirne.«

Renshaw fuhr auf, da er aber bemerkte, daß Nott ihn scharf beobachtete, sagte er in leichtem Tone: »Aber was haben diese fremden Gesichter und dieser fremde Mann – wahrscheinlich ein malayischer Matrose, der auf einen Spaß ausgeht – mit de Ferrières zu thun?«

»'s sind Freunde von ihm – lauter Freunde – spüren um Rosi 'rum. Aber den Alten überlisten sie ja wohl nich. Ich habe dieserhalb meiner Rosi gesagt, sie soll 'nen Besuch draußen auf 'm alten Viehhofe machen – und wenn ich sie da 'mal in Sicherheit habe, so schätze ich, will ich schon mit Mr. Ferrers und seinen schwarzen Chinesern fertig werden.«

Renshaw blieb noch einige Sekunden in Gedanken versunken sitzen. Dann sprang er plötzlich auf und ergriff Mr. Notts Hand.

»Ich weiß noch nicht, wie die Sache zusammenhängt, Mr. Nott – aber ich glaube, sie geht mich 'was an,« sagte er, indem er dem alten Missourier mit freimütigem Lächeln und entschlossenen Augen die Hand bot. »Vorläufig weiß ich nur, daß ich nicht nach Sacramento gehe, sondern hier bleibe, bis Sie durch die Geschichte durch sind, oder ich will nicht Renshaw heißen. Da haben Sie meine Hand drauf! Sprechen Sie kein Wort darüber – vielleicht ist's mehr, als ich zu thun nötig hätte, vielleicht nicht halb genug. Aber sagen Sie Ihrer Tochter von alledem nichts. Sie muß glauben, ich ginge noch diesen Abend fort. Und je eher Sie Miß Nott aus diesem verwünschten Schiffe wegschaffen, je besser wird's sein.«

»Die Töchter des Pastor Flint gehen heute abend mit 'm Dampfer 'nauf und sie sollen Rosi mitnehmen,« entgegnete Nott mit schlauem Blinzeln. Renshaw nickte. Nott schüttelte ihm mit unsagbar ausdrucksvollem Blicke die Hand.

Nachdem Renshaw allein geblieben, bemühte er sich, die Eröffnungen, welche ihn zu einer so plötzlichen Aenderung seiner Entschlüsse bestimmt hatten, nochmals mit ruhigerem Blute zu prüfen. Daß das Schiff von unbekannten Leuten beobachtet wurde, war mehr als wahrscheinlich. Zudem hatte Renshaw nach Notts Beschreibung in dem »schwarzen Chineser« jenen malayischen Matrosen erkannt, von welchem Sleight einen Teil seiner Nachrichten erhalten, und entweder lag hier eine Hinterlist Sleights vor, der seinen eigenen Vertrauensmann heimlich überwachen ließ, oder ein doppeltes Spiel von seiten der Gewährsmänner Sleights – in jedem Falle Grund und Ursache genug, um Renshaws Einmischung zu rechtfertigen. Nur der von Nott behauptete Zusammenhang des lächerlichen Franzosen mit der Sache, der ihm zuerst als eine fixe Idee seines Wirtes erschienen war, machte ihn, je länger er darüber nachdachte, um so mehr irre. Die Möglichkeit, daß Rosi für diesen Menschen, dessen gesunder Verstand vielfach angezweifelt wurde, eine Neigung im Herzen tragen könne, wies er weit zurück, aber gerade dadurch sah er sich zu der nicht weniger beunruhigenden Vermutung hingedrängt, daß de Ferrières von dem Schatze wisse, und daß er dem Mädchen den Hof gemacht habe, um sich durch die Verheiratung mit ihr in den Besitz ihrer Reichtümer zu setzen. Könnte die Beschreibung solchen Reichtums sie nicht verblendet haben? Schien es nicht denkbar, daß sie bereits, wenigstens teilweise, in das Geheimnis eingeweiht war, und daß ihre seltsame Vorliebe für das Schiff, sowie ihr glühender Wunsch, sich von allem, was das Fahrzeug anging zu unterrichten – ein Wunsch, den er bis jetzt für unschuldige Neugier gehalten hatte – gerade daraus entsprang? Warum war er nicht schon früher darauf gekommen? Vielleicht hatte sie von dem Zwecke seines Aufenthalts in dem Schiffe gleich von vornherein eine Ahnung gehabt und ihn so mit leichter Mühe matt gesetzt! Der Gedanke hatte nicht dazu beigetragen, ihn angenehmer zu stimmen, als Nott leise zurückkehrte.

»Alles in Ordnung,« begann er voll stolzer Selbstzufriedenheit mit seinen wunderbaren diplomatischen Talenten. »Das wäre abgemacht. Rosi ging auf alles ein, insonderheit als ich ihr sagte, Sie reisten heute abend ab. ›Aber warum geht denn Mr. Renshaw schon wieder?‹ fragte sie, ›Wie kommt's, daß kein Mensch hier im Schiffe bleiben will, sondern aber, daß sie alle fortgehen?‹ sagte sie beinahe ärgerlich und trotzig. Mr. Renshaw hat Geschäfte in Sacramento‹ sagte ich, denn ich durfte Sie ja wohl nich verraten, ›'s is 'n großes Unternehmen, wobei er sich 'n Vermögen machen wird‹ – ›Er hatte wohl 'was Geschäftliches von wegen dem Schiff mit dir zu reden?‹ fragte sie weiter, derweil sie mich unter dem Zipfel ihres Taschentuchs hervor ansah. ›Ja, wir besprachen so allerlei‹ gab ich zur Antwort. ›Dann schätze ich, wird's wohl nich nötig sein, daß ich 'm schreibe‹ sagte sie, ›Nich im geringsten‹ sagte ich. ›Er würde dir nich 'mal nich antworten, wenn du ihm schreiben thätest. Du wirst niemals nichts wieder von selbigtem jungem Manne hören‹ –«

»Aber wer zum Teufel erlaubt Ihnen denn – ?« rief Renshaw auffahrend.

»Fahren Sie nur nich gleich aus der Haut!« sagte der alte Missourier beruhigend. »Wenn Sie gesehen hätten, wie sie darauf in ihr Putzstübchen 'neinfuhr – meine Rosi, die ja sonst wohl so leise und sanft einhergeht, wie 'n Geist – Sie hätten gewiß gewünscht, daß ich noch 'n paar Schüsse mehr abfeuerte. Nein, nein, Mr. Renshaw, in manchen Punkten is ein Frauenzimmer genau so wie's andere.«

Renshaw war aufgestanden und ging mit starken Schritten in dem Räume auf und ab.

»Vielleicht wäre es besser, ich spräche noch 'mal mit ihr, ehe sie fortgeht,« sagte er, seinem innersten Antriebe folgend.

»Vielleicht is es besser, wenn Sie's nicht thun,« entgegnete Nott mit unzerstörbarem Gleichmute.

So gereizt und unruhig Renshaw auch war, konnte er doch nicht umhin, anzuerkennen, daß der alte Missourier recht hatte. Was in aller Welt konnte er ihr bei seiner mangelhaften Kenntnis der Situation sagen? Und wenn das, was er wußte, richtig war, wie konnte sie ihm dann schreiben?

»Wenn's aber wäre, daß Sie ihr nochmals sehen wollten, ohne mit ihr zu sprechen,« fuhr Nott fort, indem er seine breite Hand abermals in väterlicher, gleichsam segnender Weise auf die Schulter des jungen Mannes legte, »so, schätze ich, ließe sich das ja wohl machen. Wenn sich's nämlich zufällig träfe, daß Sie da unten wären, um 'n paar Freunde oder so 'was nochmal zu sehen, und wenn sich's dann wieder zufällig träfe, daß Sie an dem Dampfschiff-Landungsplatze hin und her spazierten, wie die jungen Laffen von Montgomery Street zu thun pflegen, so könnte sich's recht gut machen, daß Sie ihr ganz zufällig zu Gesicht kriegten. Oder Sie könnten's auch noch anders machen,« fuhr er nach kurzer Ueberlegung fort, indem er aufstand, mit der geheimnisvollsten Miene die Thür öffnete und dem jungen Manne winkte, ihm zu folgen. Draußen nahm er seine Hand und geleitete ihn sorgsam nach einem Verschlage, welcher allem Anschein nach an Rosis Zimmer stieß und als Aufbewahrungsort für allerlei Hausgeräte diente. Renshaws Augen fielen hier sogleich auf einen Koffer, der an Gestalt und Größe genau dem glich, welchem Rosi die Bestandteile ihrer theatralischen Verkleidung entnommen hatte, und auf diesen Koffer hindeutend, fügte Nott im eindringlichsten Flüstertone hinzu: »Dort der Koffert is der andre von denen beiden. Rosi hat denjenigten mit den Frauenkleidern, wie die Opernsingerinnen tragen – in dem dort sind die Sachen vor die Männer von derselbigten Sorte, allerlei Plunder und bunter Krimskrams.« Dabei öffnete Nott den Koffer und fuhr fort: »Na Mr. Renshaw, Frauenzimmer bleibt Frauenzimmer, und 's is ja wohl natürlich, daß sie sich gerne in solchem Tand sehen und 's auch gern haben, wenn 'n junger Bursche 'was aus sich macht. In diesem Punkte war Ferrers euch allen über und lief allen den Rang ab. Aber wenn da 'was is,« setzte Nott hinzu, indem er in den Koffer griff und einige der Garderobestücke in die Höhe hob, »wenn da 'was is, was Ihnen gefallen thut, und was Sie anziehen wollen, um da damit unten am Landungsplätze 'rum zu gehen, so nehmen Sie's nur. Seien Sie nich schüchtern, sondern aber langen Sie zu.«

Eine volle Minute verging, ehe Renshaw anfing zu begreifen, was der alte Mann eigentlich meinte. Als er es aber endlich begriff und sich den Anblick vorstellte, wie er aufgeputzt à la Ferrières ernsthaft am Landungsplätze spazieren ging, um in dieser Pracht und Herrlichkeit einen letzten Sturm auf Rosis Herz zu unternehmen, brach er in ein lautes, herzliches Gelächter aus. Die Spannung der Nerven, in welcher er die letzten Stunden zugebracht, löste sich – er lachte, daß ihm die Thränen in die Augen traten und lachte noch, als die Thür der Kabine plötzlich geöffnet wurde und Rosi in kühler, abweisender Haltung auf der Schwelle erschien.

»Ich bitte um Entschuldigung,« stammelte Renshaw hastig, »ich wollte Sie nicht stören – ich –« Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, wendete sich Rosi zu ihrem Vater. »Ich bin fertig,« sagte sie kalt; dann zog sie die Thür wieder hinter sich zu.

Aus den Augen Notts, der bis dahin den jungen Mann ob seiner unerklärlichen Heiterkeit mit starrer Verwunderung und offenem Munde angeschaut hatte, brach jetzt ein Strahl tiefen Verständnisses, und indem er Renshaw ernst und feierlich zunickte, flüsterte er: »Das Lachen hat ihr ja wohl vollends den Rest gegeben!« Dann verschwand er, ehe noch sein bestürzter Gefährte Zeit gefunden hatte, zu antworten.

Als Mr. Nott und seine Tochter das Schiff verließen, war Renshaw weder dort anwesend, noch zeigte er sich am Landungsplatze, worauf Nott fest gerechnet hatte. Erst nach neun Uhr kehrte er nach dem Pontiac zurück, wo er den alten Missourier, der ihn in einer gewissen Aufregung erwartete, in der Kabine fand.

»'s mag kaum 'ner Minute her sein,« sagte er, indem er geheimnisvoll die Thür hinter Mr. Renshaw schloß, »da hörte ich 'was draußen im Gange, und als ich 'naus sah, wen fand ich da im Finsteren niedergekauert? Meinen verdammten schwarzen Chineser, von welchem selbigten ich Ihnen schon sagte. Seine Augen funkelten in der Dunkelheit wie die von 'nem Bergtiger, und ich langte grade nach meinem Revolver, als er mit 'nem Grinsen in der Höhe sprang und mir diesen Brief vor Sie gab. Ich sagte 'm, daß ich schätzte, Sie wären schon fort nach Sacramento, aber er sagte, er wüßte gewiß, Sie wären in Ihrer Stube. Um ihm zu beweisen, daß dieses nich der Fall wäre, ging ich 'nein, als ich aber zurückkam, war das verdammte Stinktier ja wohl verschwunden, und ließ sich nich mehr sehen. Schätze, der Bursche hatte Furcht gekriegt.«

Renshaw griff hastig nach dem Briefe. Derselbe enthielt nur eine flüchtige Zeile von Sleights Hand und lautete: »Sollten Sie Ihren Entschluß ändern, so würde Ihnen der Ueberbringer gute Dienste leisten können.«

»Und Sie glauben, daß es derselbe Malaye war, den Sie schon gesehen hatten?« fragte der junge Mann, indem er sich plötzlich zu Nott wendete.

»Derselbigte.«

»Dann kann ich Ihnen nur sagen, daß er kein Abgesandter de Ferrières ist,« fuhr Renshaw fort, wahrend er sich mit einer gewissen Verlegenheit umdrehte, und ehe noch Mr. Nott eine weitere Frage thun konnte, rief er ihm ein kurzes »Gute Nacht« zu, begab sich in sein Zimmer, verschloß hinter sich die Thür und warf sich auf sein Bett, um ungestört über diese Vorgänge nachzudenken.

Aber so wenig er in der Stimmung war, Notts abgeschmackte Vermutungen mit anzuhören, so wenig befriedigten ihn seine eigenen Gedanken. Hatte er abermals eine Thorheit begangen, indem er sich durch die Künste eines hübschen koketten Mädchens und die albernen Vorspiegelungen ihres halb blödsinnigen Vaters von seinem Wege abbringen ließ? Hatte er für nichts und wieder nichts Sleight im Stiche gelassen und war in dem Schiffe geblieben – ja hatte es nicht den Anschein, als habe er seinen Entschluß infolge des Zettels von Sleight geändert? Und warum hatte der Malaye schon früher das Schiff umschlichen?

Renshaw schlief endlich über alle diese Gedanken ein.


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