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Richter Pontius.

Freitag, der vierzehnte Nisan 33; der Tag, da jeder Hausvater in Israel das einjährige Lamm zum Passahmahle bereitet. Wo heute der Mutesarrif von Jerusalem gjaurischen Gaffern seinen Harem verbirgt, steht, dicht neben dem auf den Namen des Marcus Antonius getauften Thurm, der alte Palast des Herodes. Hier, im Prätorium, gebietet Rom, spricht, im Namen des Kaisers Tiberius, der Prokurator von Judaea das Recht. Pontius heißt er und trägt, zur Erinnerung an einen dem Ahnen verliehenen Ehrenspeer, den Beinamen des Pilatus. Ein vornehmer Römer, der sich unter dem rückständigen Judenvolk unbehaglich fühlt und von diesem Volke gehaßt wird, als sei er der Urheber fortwirkenden Unheils. Sein Mühen, die Verwaltung der Provinz zu modernisiren, bessere Verkehrsmittel und eine dem neuen Bedürfniß angepaßte Vertheilung der öffentlichen Arbeiten zu schaffen, scheitert am starren Felsgestein des mosaischen Gesetzes und bringt ihm, statt Dankes, nur noch stärkeren Widerhall der Volkswuth ins Haus. Der kühle, im Dienst nüchterner Vernunft erzogene Praktiker muß überhitzten Schwärmern ein Gräuel sein. Er will ihnen ein helles, luftiges Wohngebäude in gutem Römerstil errichten; sie wollen in ihrer dumpfen, luftlosen, unfrohen Gespensterwelt weiterhausen, wo Schatten nur, talmudische Schemen herrschen und jede natürliche Regung, heute wie gestern, als Todsünde gilt.

Rom und Judaea verstanden einander niemals. Wenn der Prokurator einen nützlichen Neubau befiehlt, schreien die Juden empört auf; wenn er vor dem Prätorium zwei Votivtafeln anbringen läßt, kreischen sie, der Römerschmuck schände die Nachbarschaft der Heiligen Mauer. Seine Strenge scheint ihnen grausamste Härte, seine lächelnde Ruhe der Ausdruck hochmüthiger Verachtung. Daß er gerecht zu sein sucht, wollen sie nicht sehen; meiden ihn, wo sies können, und beschuldigen ihn insgeheim der schimpflichsten Laster. Am Ende giebt er sich drein. Mit diesen wunderlichen Leuten, deren schriller Wesenston, deren grellbunte, ewig überreizte Phantastik den römischen Rationalisten an das Zerrbild Irrsinniger mahnt, ist nichts zu machen. Das Vernünftigste ist, sie laufen zu lassen, bis sie sich die Köpfe einrennen, und nur dafür zu sorgen, daß sie dem Imperium gehorsam bleiben und ihre Steuer zahlen. Mit ihren Haarspaltereien und Sektenfehden mochten sie selbst fertig werden; ein Glück, wenn ein kultivirter Mensch sich mit dem spekulativen Wust solchen rachsüchtigen Gesindels nicht abzugeben braucht und, gelassen, den Weltgeist schlürfen kann.

Jetzt, seit ein paar Monaten, haben die Ruhlosen schon wieder Etwas; irgendwo eine neue Sekte, die den Orthodoxen zu schaffen macht. Ein armer Teufel giebt sich für den König der Juden aus (Manche behaupten sogar: für den Sohn Jahwes), gaukelt dem in schmutzigem Elend hinsiechenden Volk Wunder vor, vermißt sich, den heiligen Tempel des Herrn niederzureißen und in drei Tagen wiederaufzubauen, und sein Anhang wächst mit jedem Mond. Der Unfug endet nicht. Dieses Volk kommt eben nie in Ruhe. Zwei Dutzend Sekten: und immer wieder klüngelts sich irgendwo zusammen; gestern in Samaria, morgen in Galilaea. An jeder Straßenecke stößt man auf ein streitendes Grüppchen. Das fuchtelt mit verrenkten Armen durch die Luft, spricht mit Händen, Schultern, mit allen Gliedern und rauft, wenn der Schimpfredestrom stockt, dem Gegner die Barthaare aus. Lallt in Hungerparoxysmen gar Einer Worte prophetischen Wahns, dann zerreißen Zwei, Drei ihre schmierigen Kleider, schlagen die Brust, wälzen sich auf dem Boden, verwünschen sich selbst, ihre Kinder und ihrer Kinder Samen. So fand sie Coponius, Caesars Statthalter; und ganz so sind sie unter Tiberius geblieben. Ohne Ekstasen geht es im Wortvolk nicht. Dabei eine Ueberhebung, der die Gestirne kaum eine Grenze setzen. Alles wollen sie besser wissen als andere Menschen, deren Nähe schon in Festzeiten ihre Reinheit befleckt; und die Römerkultur, die sich den Erdkreis unterwarf, soll sich in Demuth nun asiatischem Aberglauben anpassen. Die aus Caesarea nach Jerusalem, ins Winterquartier, heimkehrenden Truppen durften auf dem Adlerspeer nicht das Bild des Kaisers tragen: denn Moses hat allen Bilderkult verpönt. Der Prokurator, der aus einer zweihundert Stadien entfernten Quelle der Hauptstadt reines Wasser zufuhren wollte, mußte die Arbeit einstellen, die Röhren wieder aus der Erde nehmen lassen: denn sein Beginnen ward als Sakrilegium verschrien und Vitellius, der träge, genußsüchtige Prokonsul in Syrien, befahl, das Aergerniß schnell wegzuräumen. Was war mit diesen Leuten auch anzufangen, die dem Schwerte den bloßen Hals boten und schworen, tausendmal lieber sei ihnen der qualvollste Tod als des Sinaigesetzes Verletzung? Ihr Gesetz! Es ist ihnen, seit sie aus Egypten geflohen sind, Vaterland, Imperator, Gott; und seiner Herrlichkeit darf sich keine Satzung der Gojim vergleichen. Die Hybris, das üppige, furchtbare Weib, vor dem einst Hellas erbebte, schien den goldenen, von phoinikischem Purpur strotzenden Prunkwagen durchs Judäerland gelenkt und an den rosigen Saugwärzchen die ganze Judenheit gestillt zu haben. Wir sind berufen, nur wir auserwählt; und ist das Gesetz erfüllt, das heiligste, uns nur gespendete, dann naht der Maschiach, der Sproß Davids und Erbe des großen Eliahu, und setzt Israel zum Herrn über die Welt.

Und solchen Kinderglauben sollten Hysteriker und Betrüger nicht nützen? In kurzen Zwischenräumen versuchten Abenteurer sich in der Thaumaturgenrolle, kündeten Jahrmarktzauberer neue Lehre, gaben Cerebrastheniker sich für den Maschiach aus. Meist versickerte ihr Wirken bald; fanden sie aber bei der Masse Gehör, so schritt der Sanhedrin rächend ein und klagte die Lästigen des Verbrechens wider die reine Religion Israels an. Im Haus des Hohenpriesters wurden zwei Kerzen angezündet, in einem Verschlag horchten zwei Zeugen: und der mesith, der Verführer, mußte nun seine Lästerrede wiederholen. Wenn er sich willig zum Widerruf zeigte, kam er glimpflich davon; blieb er aber starr in seinem ketzerischen Wollen, so zerrten die beiden Zeugen ihn vors Tribunal und die Strafe der Steinigung war ihm gewiß. Der Sanhedrin hatte, seit Rom in Syrien gebot, nicht mehr das Recht, Todesurtheile vollstrecken zu lassen; erst durch die Bestätigung des Prokonsuls oder, wenn der Verurtheilte nicht im römischen Bürgerrecht saß, des Prokurators erhielten sie Rechtskraft. Die Menge, Priester und Pharisäer an ihrer Spitze, lief also vors Prätorium und brüllte, bettelte, heulte, bis dem Vertreter des Caesar Augustus die Bestätigung abgetrotzt, abgeschmeichelt war. So wars immer; zwanzigmal hatte Pontius das alte Schauspiel erlebt. Freitag, am vierzehnten Nisan des Jahres 33, sollte ers wieder erleben.

Heute wenigstens hatte er sich ungestörte Ruhestunden erhofft. Der dritte Apriltag des julianischen Kalenders; der Tag, an dem die Juden das Passahlamm essen und durch jeden Schritt ins unreine Römerhaus sich besudeln, vom Fest ausschließen würden. Auch der wüsteste Aberglaube, mochte Pontius denken, hat also seine guten Seiten. Einerlei: ein hartes Schicksal bleibts, unter dieser dunklen Sippschaft versauern zu müssen. Wie behaglich könnte man jetzt in Bajae leben! Im April ist dort Hochsaison; die ganze reiche, elegante Gesellschaft der Urbs labt sich in dieser Zeit an den Aquae Cumanae. Man träfe alte Freunde, könnte am Averner See bis in die Nacht hinein plaudern, mit schönen Frauen am Strand oder in der Sibyllengrotte schäkern, bis bei Misenum die Sonne aufsteigt, morgens endlich wieder einmal frische Austern schlürfen und leichten Landwein trinken; und der alkalische Säuerling nebst ein paar Schwefeldampfbädern thäte dem erschlafften, im Orientklima gedunsenen Leib sicher gut. Hier hat man gar nichts. Kaum einen Menschen, mit dem ein philosophisch gebildeter Geist ein Gespräch führen kann. Soll man etwa über Mischna und Babylonischen Talmud schwatzen? Nur, um sich mit den Leuten leidlich zu stellen, nur, damit sie Einen am Hof des Tiberius nicht länger als Tyrannen und Feind ihres Volkes anschwärzen? Zu solcher Sklavengesinnung erniedert ein Pilatus sich nicht. Was also bleibt? Ein paar gute Bücher; doch man kann nicht den ganzen Tag lesen und wird unter dieser Sonne so matt, daß man mählich sogar die Mühe scheut, seinen Platon oder Epikur aufzurollen. Bei Tisch muß man sich, wenn man nicht, wie der Prokonsul, für schweres Geld Leckerbissen aus der Ferne verschreibt, fast schon in die hebräische Speisesitte bequemen. Was sonst? Claudia Procula, die liebe Hausfrau; sehr zärtlich, ungemein wohlerzogen und dekorativ, aber der lebemännisch verwöhnte Sinn langt nach Abwechselung. Und was hier an Weibern zu haben ist, riecht nach Schminke, Myrrhen und Salben; ist für einen müden Herrn auch gar zu hitzig. Dicke Lippen, feuchte, runde Augen, geöltes Haar und eine Ueberfülle gelblichen Fleisches: Barbarenkost, mit der im Felde der darbende Krieger vorliebnimmt, die den an feiner zugerichtete Mahlzeit gewöhnten Gaumen aber nicht reizt. Eher können die Syrerknaben sich sehen lassen. Doch man paßt den Römern hier lauernd stets auf den Weg und würde jauchzen, wenn man den Landpfleger als Kinaeden den römischen Hofdamen denunziren könnte. Vor neidischer Weiblichkeit darf nur der Höchste blanke Knaben umarmen. Nichts. Als einzige Würze Aerger von früh bis spät. Keine Möglichkeit, vernünftige Kolonialpolitik zu treiben; denn die Bräuche und Sitten der ehrenwerthen Judäer sollen ja sorgsam gewahrt werden. Doch was hilft alles Stöhnen? Ein angenehmerer Posten ist von hier aus nicht zu erhaschen; jeden noch nicht völlig entfleischten Knochen schnappt die Palastmeute weg. Also hübsch die Zähne zusammenbeißen und froh sein, daß man heute wenigstens, am Tage des Passahlammes, vor der Judenhorde Ruhe hat.


Ein Getümmel, dessen Hall allzu oft schon in sein Ohr drang, reißt den Römer aus tröstenden Nachmittagsträumen. Nicht mal am Feiertag Ruhe! Was giebts denn wieder?

Die Juden bringen einen Verbrecher. Da sie, nach ihrem Gesetz, heute nicht ins Prätorium dürfen, bleiben sie draußen und bitten den Prokurator, zu ihnen auf die Gabbatha zu treten. Auch dieser Tag also vergällt! Und welcher Missethat ist der Mann angeklagt, den sie vor meinen Stuhl schleppen? Er ist schon überführt und verurtheilt. Kajaphas, der Hohepriester, und Hanan, dessen Schwiegervater, haben ihn selbst verhört; und er hat nicht geleugnet. Ein Volksverführer. Hier, in Jerusalem, hat er mit seiner Predigt nur geringen Erfolg gehabt, immerhin aber ein paar wohlhabende Bürger, Joseph von Arimathia, Nikodemus, vielleicht noch Den oder Jenen, für seine Sache gewonnen. Doch auf dem Lande, unten in Galilaea, soll das Volk ihm in hellen Haufen nachgerannt sein. Läßt sich den König der Juden nennen und prahlt, er könne den Tempel Jahwes zerstören und in drei Tagen wieder aufbauen. Der ists? Dem ging der Ruf ja voran. Der neue Abgott aller Elenden. Den haben sie auch schon in der Schlinge? Ja; zweier Zeugen Mund sprach gegen ihn und er hat die Aussage verweigert. Pontius hebt die Achseln. Ich bin nicht Legat noch Prokonsul, habe nicht Gewalt über Leben und Tod; die Pfaffen mögen ihr Opfer vor das Antlitz des Vitellius führen. Das sei nicht nöthig, sagen sie; denn da Jesus (so heißt der Verbrecher) nicht römischer Bürger sei, brauche das Urtheil nur vom Landpfleger bestätigt zu werden. So wolle es in Judaea der überlieferte Brauch; und des Kaisers Majestät habe befohlen, das kanonische Recht, das der Talmud vorschreibt, mit der Macht des Reiches zu schützen. Pontius wendet sich weg; der Centurio soll ihm den Aerger nicht vom Gesicht ablesen, soll den hohen Vorgesetzten nicht knirschen hören. Schlau ist die Sippe. Sie weiß, welche Tonart sie pfeifen muß, damit alle Puppen tanzen. Des Kaisers Majestät! Die leise Drohung würde selbst den faulen Prokonsul vom Triklinium scheuchen. Schnell die Toga her; die Riemen der Sandalen fester gezogen, träger Bursch: und hinaus. Weils doch nun einmal sein muß. Auf den Steinplatten des Vorhofes steht die Bima, der Elphenbeinstuhl des Richters.

Schon sitzt er und thront. Was habt Ihr vorzubringen?

Pontius hätte mit der elenden Denunziantengeschichte am Liebsten nichts zu thun gehabt. Und während er auf dem Richtersitz sinnt, wie er sich der Amtsbürde noch jetzt entziehen könne, während aus dem wirren Menschengeknäuel zwanzig, vierzig Stimmen die verabredete Anklage in sein Ohr kreischen, kommt aus seinem eigenen Haus eine Warnung. Claudia Procula läßt ihn durch einen verschwiegenen Boten beschwören, den Angeklagten zu schonen; ein Traum habe sie gelehrt, daß dem Gatten das Blut dieses Gerechten Unheil bringen werde. Merkwürdig. Hatte nicht Calpurnia ihren Gajus Julius mit ähnlicher Rede gewarnt? Der blinden Sektenwuth ist Alles zuzutrauen. Und wenn der zu schmählichem Tod Verurtheilte wirklich ein Gerechter wäre ... Des Richters Auge sucht ihn. Ein schöner, sanft blickender Kopf; nichts von irrer Schwärmerekstase; und die Gestalt fast noch eines Jünglings. Ruhig schaut er, mit der Zuversicht getroster Unschuld; und in dem milden Leuchten, das von diesem Haupt über den fromm zeternden Pöbel hin strahlt, ist eine Hoheit, daß der Fremdling nicht staunen würde, wenn er vernähme: Dieser ist wahrlich der König der Juden! Doch er ists ja nicht; und weil ers zu sein vorgab, steht er vor Gericht. Pontius steigt von der Bima herab. Diese Sache darf ein redlicher Römer nicht nach der Alltagsschnür messen; dem Seelenkenner gebührt hier das Wort. Auf den Wink seines Richters folgt Jesus ihm ins Prätorium.

Der Prokurator will allein mit ihm sprechen; unter vier Augen. Bist Du, fragt er, der Judenkönig? Der Galiläer, dessen Zunge doch immer noch das zweischneidige Schwert ist, biegt zuerst, mit alexandrinischer Dialektik, der heiklen Frage aus; antwortet, als echter Sohn Israels, mit einer Gegenfrage: Kam Dir selbst solcher Glaube oder haben Andere Dir ihn eingeträuft? Dann aber spricht er gelassen das größte Wort: Mein Reich ist nicht von dieser Welt; wäre es, meine Diener würden drum kämpfen. So bist Du, Jesus von Nazareth, dennoch ein König? Bin ein König, auf die Erde gesandt, die Wahrheit zu zeugen; und den Wahrhaftigen ist meine Stimme nicht leerer Schall. Diese Antwort gefällt dem Pilatus nicht. Stolze Rede kleidet gekränkte Unschuld gut; doch die Skepsis des Römers wehrt sich gegen den Irrwahn, Wahrheit, eine, die Allen und überall wahr ist, lasse sich vom Weisen nicht erstreben nur, nein: auch als Privilegium besitzen. Er lächelt, blickt zur aufsteigenden Sonne empor und fragt, mit kaum vernehmbarem Spott in der Stimme: Was ist Wahrheit? Danach aber besinnt er das rasche Wort. Wie wäre ein gläubiger palästinischer Israelit in die Schule des Pyrrhori und Timon aus Phlius gelangt? Seiner Jugend, die in der Welt Etwas wirken will, wirds sicher zum Segen sein, daß er sich nicht auf die kahle Felsklippe verstieg, wo die Skeptiker brutlos hausen. Lange betrachtet der Römer den Galiläer. Beim Mahl möchte er ihn nicht als nächsten Tischgenossen; auch beim Tanz heiterer Mädchen, wenn nach der Tafel das Gespräch der Ruhenden von den höchsten zu den niedersten Dingen flattert, in frechem Sprung von der Gottheit zur Thierheit hüpft, sähe er ihn nicht gern neben sich auf dem Pfühl. Roms Kultur fehlt ihm; und fragte man ihn nach dem Werth alter und neuer Philosophensysteme, er bliebe die Antwort wohl schuldig. Reinen Sinnes aber ist er gewiß, bis auf den Grund der Seele ohne Fleck; und nicht gewöhnlichen Schlages. Kein Marktwundermann; Keiner von Denen, die Anderen nachloben, nachschimpfen, nachplärren. Pontius geht hinaus und spricht zu den Priestern und Pharisäern: Ich finde keine Schuld an dem Manne. (Lukas selbst, der zu den kritischen Evangelisten gehört, hat den Spruch mit den unzweideutigen Worten aufgezeichnet: ουδεν ευρισχω αιτιον εν  τω ανθρωπω τουτω) So sprach der Richter zum Volk.

Und dennoch war der Prozeß nicht zu Ende; wurde das Verfahren nicht schnell eingestellt. Keine Schuld an ihm? heulten die Juden. Der dem Imperium die Steuer weigert? Sich einen König nennt, des Kaisers Machtbereich also kleinert? Keine Schuld an Einem, der sich erdreistet, Gott seines Fleisches Vater zu heißen? Wer Diesen der Strafe entzieht, sündigt nicht nur gegen unser Gesetz, sondern frevelt auch gegen den Kaiser! Wieder sollte die Majestät den Landpfleger schrecken; und wieder wirkte die Drohung. Hinter den sanften Zügen des Mannes aus Nazareth tauchte der düstere Gewitterkopf des Tiberius auf. Das wäre ein Fressen für die Feinde des Pilatus! Nein. Noch einmal versucht ers in Güte. Nach altem Brauch, ruft er vom Beinstuhl ins Gewimmel, wird vor Passah stets ein Verbrecher begnadigt; wollt Ihr, so gebe ich auf der Stelle den König der Juden frei. Zwei, drei Sekunden lang schweigt Alles, schwankt selbst das härteste Herz; schon aber hat ein schlauer Priester einen anderen Namen getuschelt, der von Mund nun zu Munde fliegt, und wie ein einziger Schrei dröhnt es jetzt aus allen Kehlen: Jesus Barrabas sei der Feiertagsgnade theilhaft, doch Dieser hier büße am Kreuz! Jesus Barrabas saß wegen politischen Meuchelmordes im Gefängniß, war aber während einer Meuterei verhaftet worden und in Jerusalem ein Liebling der Pöbelinstinkte geblieben. Ihn wollten sie wiederhaben; und der Galiläer, der ärgere Jesus, sollte am Kreuz verröcheln.

Am Kreuz? Er hatte, sie wolltens beweisen, das Kirchen« dogma angegriffen, die Glaubenssatzung zu brechen getrachtet. Das war, als Sünde wider das mosaische Gesetz, mit der Steinigung zu ahnden. Die Kreuzigung war eine Römerstrafe. Aber Judaea wollte Rom die Verantwortung der That aufladen: als Feind des Kaisers sollte der Galiläer verurtheilt, gerichtet werden; wer konnte auch wissen, ob Pontius sich sonst zur Vollstreckung des Urtheiles herbeigelassen hätte? Nun muß er nachgeben. Zu oft schon war er in Rom verklatscht worden. Er zaudert noch. Vielleicht, denkt er, genügt der Rachsucht ein kleines Zugeständniß. Er befiehlt, den Gefangenen auszupeitschen, und duldet, daß die aufgelesenen Kolonialkriegsknechte (rechtschaffene Legionäre hatten sich niemals in so rüde Ungebühr erniedert) dem Armen eine Dornenkrone aufs Haupt stülpen, ihn in Purpurfetzen wickeln, anspeien, umtanzen, umhöhnen. Er duldets; und hofft, die Wuth werde nun gesättigt sein. Umsonst. Der Priesterfeind, der Volksverführer muß sterben. Nur mit Waffengewalt hätte der Prokurator die Tobenden zu bändigen vermocht; und durfte er wagen, um eines jüdischen Sektirers willen den Römerfrieden der Provinz zu stören? Vergebens sucht er den Herodes Antipas als zuständigen Richter des Galiläers vorzuschieben. Er muß, nur er kann entscheiden. Da erst fühlt er zu Häupten ein großes Schicksal. Vor allem Volk wäscht er die Hände, hebt sie und spricht: Nicht an meinen Fingern klebt das Blut dieses Gerechten! Dann giebt er Barrabam frei; und der andere Jesus keucht mit seinem Kreuz nach Golgatha, dem Schädelberg, die Höhe hinan.

Auf seine Weise hat Pontius sich, als Ironiker, an dem konservativen Klüngel gerächt, der ihm die Sanktion des frommen Mordes abzwang. Immer wieder gab er, ihren Ohren zum Aerger, dem vom Sanhedrin Verurtheilten den Titel des Judenkönigs. Er ließ ihn erniedern, zum Spottbild ausputzen: und wies ihn dem Volk und sagte: Sehet her: welch ein Mensch! Zweimal fragte er überlaut: Soll ich Euren König kreuzigen? Schrieb mit eigener Hand über das Kreuz: »Jesus von Nazareth, der Juden König«; griechisch, lateinisch, hebräisch. Und da die Priester ihn drängten, die Inschrift zu ändern, denn Jener sei nicht ihr König, gaukle ihn nur, ward ihnen zur Antwort: Was ich schrieb, schrieb ich. Er wollte ihnen nicht hehlen, wie er sie, wie den sittlichen Werth ihres Feindes schätze. Der schwindende Tag fand ihn wohl in unfrohem Sinnen. Und als Joseph, der Rathsherr, abends die Botschaft ins Prätorium brachte, Jesus sei am Kreuz gestorben, wollte der Prokurator sie kaum glauben. Hatte der Römer etwa dem dürftigen Galiläer Götterkraft zugetraut?


Er ist hart behandelt worden. Von Denen zuerst, die ihm Dank schuldig waren. Drei Jahre nach Christi Tod entstanden im Judäergebiet neue Unruhen. Die Männer von Samaria, die schon den Coponius geärgert und seitdem das Wühlen nie verlernt hatten, empörten sich wieder einmal gegen die thronende Gewalt; und nun ging es nicht ohne Blut ab. Was Pontius befürchtet hatte, geschah: als ein launischer, bald brutaler, bald schwächlicher Herr ward er dem kaiserlichen Zorn empfohlen, von Vitellius ohne ein Wort der Vertheidigung preisgegeben und ungnädig, zu persönlicher Rechtfertigung, nach Rom geladen. Tiberius, hoffte er, würde dem treuen Diener nicht lange grollen; doch in der Stunde! da der Prokurator vom Schiff auf die Italerküste stieg, holte Tiberius in Misenum den letzten Seufzer aus siecher Brust. Und Caligula, der neue Herr, war für den Knecht aus der Ostmark nicht zu sprechen. Der Wunsch des Pilatus, aus Judaea erlöst zu sein, war jetzt erfüllt, – doch anders, als ers ersehnt hatte. Niemand hielt ihn mehr; in Rom konnte er, konnte in Bajae leben, über die Welträthsel mit Freunden der Weisheit plaudern und im Arm graziler Europäerinnen nachts entschlummern. Aber ein abgesetzter, in Ungnade weggejagter Beamter findet nicht leicht Gefährten, mit denen zu wandeln ihn freut; und ohne den Landpflegersold wird, wenn man sich nach alter Gewöhnung rührt, die Decke bald zu kurz. Pontius mag als ein Mißvergnügter, Einsamer gestorben sein. Und fand noch im Grab keine Ruhe. Frau Fama, die Tausendzüngige, nahm sich seiner allzu liebevoll an. In Zerknirschung, raunte sie, gab der Reuige selbst sich den Tod; der Leichnam ward in den Tiber geworfen, doch das Element spie ihn wüthend aus und man mußte die aufgeblähte, faulende Menschenhülle in einen Schweizersee versenken. Da brodelts nun über ihm; und der Sturm, der vor anderen Wassern stets den See des Pilatus aufpeitscht, singt das Schreckenslied von dem schlechten Gerichtsherrn, der den Heiland der Christenheit unschuldig fand und dennoch ans Kreuz schlagen ließ. Durch das ganze Mittelalter tönt die grausige Legende vom Richter; und mit dem Namen Pontius Pilatus scheucht die Magd fromme Kinder ins Bett.

Dann kamen die Rationalisten über den Lebemann der reinen Vernunft. Straußens Unduldsamkeit versagte ihm jeden mildernden Umstand; dem pfäffischsten aller Pfaffenfresser war Pontius ein glatter Streber, der, um seine Pfründe nicht einzubüßen, wider besseres Wissen das Recht gebeugt hat. Renan, der sanftmüthige Finder der piété sans la foi, war auch diesem Angeschuldigten ein milderer Richter; für den eleganten, auf seine besondere Weise gutmüthigen Schwächling erbittet er lächelnd möglichst gelinden Strafvollzug. Claudia Procula, die unter den Heiligen der Griechenkirche längst in der Glorie wohnt, kündete dennoch Wahrheit: das Blut des Gerechten hat Unheil über Pontius gebracht.

War der Mann wirklich so schlimm? Er that, was die Staatsraison heischte. Nicht er: der altjüdische Rächerdrang einer um jeden Preis konservativen Partei schlug den Galiläer ans Kreuz. Sein Fehler war, daß er auch im Asiatenland Römer blieb und sich doch hindern ließ, die Römerwaffen zu brauchen. Dieser Sünde hat sich, bis in unsere Tage hinein, mancher Landpfleger schuldig gemacht. Aber Pontius war ein Kopf, nicht nur eine Faust noch eine Schreiberseele; war vielleicht der einzige Römer der tiberianischen Zeit, der Judaea erkannte, der einzige sicher, der den Rabbi von Nazareth richtig sah. Er hat, als Erster unter den Philosophenschülern der guten Gesellschaft, in dem Volksverführer den König geahnt, der das Genie Israels aus dem gilbenden Buch Mosis befreien, dem jüdischen Spiritualismus, dem Auszug seiner geläuterten Kraft die Erde erobern würde. Als Erster im Bezirk der Christenerfahrung freilich auch das Schreckbild des Richters gelebt, der sich von außen her in die Entscheidung, die aus seinem Hirn zu gebärende, stoßen läßt und, wenn er sie in Rechtskraft gekündet hat, die Hände wäscht.


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