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14.

An den Ufern der Kinzig hin gab es in den Tagen des Grafen Götz von Fürstenberg noch vielfache »Altwasser«, die vom breiten Bette des Flusses sich abgezweigt hatten.

Von hohem Schilf umgeben, boten sie vielen Wasservögeln Schutz und Aufenthalt und verschafften dem beliebtesten Sport jener Zeit, der Falkenbeize, reichlich Gelegenheit, auf Reiher und Enten zu jagen.

Es ist ein Augusttag des Jahres 1336. Oberhalb des Städtchens, wo die Kinzig ziemlich nahe an den Wald tritt, reiten am Ufer hin ein Jäger und eine Jägerin, jedes einen Falken auf der Hand. Zwei Windspiele folgen ihnen, und ein Zwerg mit einem kurzen Stecken trottelt hintendrein.

Die Jägerin ist eine junge, mädchenhafte Erscheinung mit wallenden, blonden Haaren, langem grünem Kleide, Sporen an den Schuhen und mit einem Hifthorn aus Elfenbein am Gürtel.

Es ist Herzeleide, die achtzehnjährige Tochter des Grafen Götz, auf der ersten Falkenbeize. Ihr Begleiter aber ist Rumo, der Edelknecht, seit Jahr und Tag wieder in Hasela und wohlgelitten bei der gräflichen Familie. Drum ist ihm heute gestattet worden, allein mit Herzeleide auf die Jagd zu reiten.

Die jungen Söhne des Grafen, Heinrich und Hug, verkehren mit ihm wie mit ihresgleichen und lernen von ihm alle ritterlichen Übungen zu Fuß und zu Pferd.

Den Edelfalken, welchen Herzeleide auf ihrer Hand trägt, hat er selbst aus dem Nest genommen und mit vieler Mühe gezähmt und dressiert.

Herzeleide kann unterwegs die Schönheit des Vogels, seine hellen Augen und sein zahmes Wesen nicht genug loben.

Die Jagd beginnt. Die Windspiele, welche Herzeleide und Rumo an der Leine hinter sich hergeführt, werden losgelassen, die Vögel aufzuscheuchen, und der Zwerg schlägt zum gleichen Zweck mit seinem Stecken an das Schilfrohr. Gleich gingen zwei Reiher in die Höhe und einige Enten. Rumo mahnte seine Jägerin, die Fessel des Falken zu lösen und ihn in die Luft zu stoßen. Darauf tat er das gleiche mit seinem Vogel.

Der Edelfalke Herzeleidens suchte sich gleich ein großes Objekt und flog einem Reiher nach, während der kleine Sperber Rumos sich an eine der Enten machte, ehe sie in einem Altwasser weiter oben wieder einfiel.

Mit lebhaftester Spannung verfolgte Herzeleide den Kampf ihres Vogels mit dem Reiher, bis dieser endlich besiegt niederfiel, den Sieger auf seinem Leibe tragend. Rumo sprang vom Pferde, erschlug den Reiher mit dem Stock des Zwerges und brachte Beute und »Federspiel« So wurde der Jagdfalke damals genannt. der jungen Herrin, die das Tier liebkoste und ihm seine vom Kampf zerzausten Federn glattstrich.

»Aber den hast du gut dressiert, Rumo«, sprach sie, »vielen Dank dafür. Das war mir eine neue Freude, solche Jagd einmal selbst auszuüben.«

»Ich freue mich mit Euch, gnädiges Fräulein«, erwiderte Rumo, »daß das Federspiel so gut ausgefallen ist und die erste Probe so gut bestanden hat.«

»Aber sag' doch ›Du‹ zu mir, Rumo«, sprach errötend und aufgeregt Herzeleide, »wie du es früher getan, da ich noch klein war und du mit uns spieltest im Burghof und im Garten.

Ich weiß noch wohl, wie du mir Singvögel und Eichhörnchen aus dem Wald brachtest, und wie ich damals schon dich lieber mochte als meine Brüder, die mich schlugen, statt mir eine Freude zu machen.«

»Jene Tage sind längst dahin«, entgegnete Rumo, »und aus dem Mädchen Herzeleide ist eine edle Jungfrau geworden, der ich begegnen muß, wie es einem Knechte geziemt. Euer Vater würde mich auf der Stelle mit Schimpf und Schande aus der Burg jagen, wenn ich es wagen wollte, Euch noch zu duzen.«

»Mein Vater, der mich liebt, wird sicher nichts dagegen haben, wenn ich es ihm sage.«

»Ihr seid noch ein Kind, Herzeleide, wenn Ihr glaubt, daß Euer Vater so was dulde. Wißt Ihr nicht, daß Ihr adeligen Geschlechts seid und unter Euere Ahnen Markgrafen und Herzoge zählt und daß Ihr ebenbürtig seid jedem König und Kaiser im deutschen Reich? Ich aber bin eines unfreien Bürgers und Handwerkers Sohn und mein Vater ein Leibeigener des Eurigen; Euer Großvater hat es meinem Vater, eines unfreien Bauern Sohn aus dem Tale, möglich gemacht, ein Waffenschmied und Harnascher zu werden.

Er wäre längst frei bei jedem andern Handwerk, aber einen Harnascher können die Herren gar gut brauchen und halten ihn drum gern in Unfreiheit.«

»Aber du, Rumo«, erwiderte die schöne Maid, »bist frei und ein edler Knecht und wärst längst Ritter und Burgbesitzer, wenn ein Lehen meines Vaters frei gewesen wäre. Er hat das schon oft selber gesagt und will in den kommenden Pfingsttagen dir beides geben. Und meine Base Martha, Martha, Gräfin von Fürstenberg, Tochter Friedrichs I., Herrn zu Wolfa, starb 1311 als Priorin des Klosters Neidingen bei Donaueschingen. die Priorin, die mich in ihrem Kloster erzog, hat mich oft ermahnt, im Leben die Menschen nie nach dem Stand, sondern nach ihrem Wert zu beurteilen. Und du, Rumo, bist von Natur aus von Adel, leiblich und geistig. In unsere Burg, meine Mutter sagt es selbst, ist noch kein schönerer und tapferer Edelknecht eingeritten, als du einer bist.«

»Wenn ich Euch wert bin, gnädiges Fräulein, so bitt' ich, ja nicht mit Euerem gestrengen Vater solche Dinge über mich zu reden. Ich müßte es büßen, und das wollt Ihr sicher nicht.«

»Gott bewahr' mich davor, dir schaden zu wollen, Rumo. Du kennst meinen Vater länger und besser als ich. Aber eines verlang' ich, sonst kehr' ich gleich von der Jagd heim und will nichts mehr von der Falkenbeize wissen; wenn wir allein sind, besonders auf der Jagd, darfst du nicht mehr mit ›Ihr‹ mich anreden und nicht ›gnädiges Fräulein‹, sondern mit ›Du‹.«

»Ich wag's nicht und kann's nicht wagen, Herzeleide, habt Erbarmen mit einem armen Knecht, der von Herzen gern Euerem Wunsche nachkäme, wenn's nur nicht so gefährlich wäre.«

»Aber nur heute noch bei der ersten Jagd!« sprach aufgeregt Herzeleide, die ihres Vaters starken und starren Sinn hatte und nicht gerne auf Wünsche verzichtete.

»Es sei, aber heute und dann nimmermehr«, erwiderte Rumo, flehentlich und voll innerer Erregung an der Reiterin hinaufschauend, zu deren Füßen er bisher gestanden war, sein Pferd am Zügel haltend.

»Heute, ja – aber das Nimmermehr gilt nicht«, meinte Herzeleide.

»Vergißt du denn ganz, Rumo, daß du ein Sänger bist und Sänger und Minne unzertrennbar sind? Weißt du nicht, daß die Minnesänger stets Frauen gehuldigt haben, die im Stand über ihnen waren? Du singst ja oft mit dem Vater Lieder vom Ritter Ulrich von Lichtenstein, der vom zwölften Jahre an einer hehren Frau gedient hat, ihr Blumen brachte und das Wasser trank, so ihr bei der Mahlzeit über die weißen Hände gegossen ward.

Weißt du nicht mehr, wie Ritter Ulrich singt?

Wib sind reine, wib sind guot,
Wib sind schön und wohlgemuot,
Wib sind guot für jedes Leid,
Wib, die fügen Würdigkeit,
Wib, die machen werten Mann,
Wohl ihm, der das verdienen kann.«

»Das weiß ich alles, edle Herrin, aber ich weiß auch, daß fast alle Minnesänger im Liebesdienst unglücklich waren und klagen und seufzen, welche Not es ihnen bringe, einer hehren Frau zu dienen, da sie selber niedrig stehen.

Wißt Ihr, wie Konrad von Würzburg singt und klagt?

Ach seht, wie im Winde
Die Linde
Nun zittert,
Ihr Laub vor dem Walde
Zu balde
Verwittert.

Und Klag' auf der Haide
Mit Leide
Man übet,
So hat mir die Minne
Die Sinne
Betrübet.

Ach, sehnende Leiden
Bescheiden
Mir Sorgen;
Die muß ich ertragen –
Ohn' Klagen
Verborgen.

Die stets mir verhohlen
Gestohlen
Den Schlummer,
Die läßt mich vergehen
In Wehen
Und Kummer.

Ach, gnädig erscheine
Du Reine
Mir Armen,
Und laß dich die Schmerzen
Von Herzen
Erbarmen!

Den Geist mir entbinde
Geschwinde
Vom Leide;
Aus wogendem Feuer
Dein Steuer
Mich scheide!

So sagen und singen alle, alle, die der Minne dienten und der Minne Leid besangen.«

»Aber sie sangen auch der Minne Lust, Rumo«, erwiderte lebhaft Herzeleide. »Und erst Lust und dann Leid – ist der Liebe Los hienieden.

Doch genug. Ich will von Stund' an deine, des Minnesängers Rumo, Dame sein und du bist mein Sänger. Und damit Punktum. So, jetzt erst jagen wir weiter.«

Herzeleide gab ihrem Pferde einen leichten Schlag mit der Geißel, die sie an einem Elfenbeinstab in ihrer Rechten hielt.

Rumo schwieg. Im Herzen des Edelknechts ging zu vieles vor in diesem Augenblick, um noch etwas davon auf die Zunge zu bringen. –

In ihrem Zwiegespräch hatten die beiden ganz vergessen, daß sie nicht allein seien. Jetzt, da Rumo auf sein Pferd stieg, sah er im Schilfrohr den Zwerg stehen, der alles gehört haben mußte.

»Herzeleide«, flüsterte Rumo, »wir sind schon verraten, der Zwerg hat uns gehört. Er ist boshaft wie alle Zwerge.«

Es war Sitte jener Tage, daß Damen Zwerge hielten. Auch Graf Götz hatte seiner Tochter einen geschenkt. Er hieß Peter, war eines Bauern Kind, einige zwanzig Jahre alt, aber klein wie ein dreijähriger Knabe.

»Er stiert so blöde aus dem Rohr heraus; ich glaube nicht, daß er uns gehört hat«, tröstete Herzeleide den Rumo. »Und wenn er was gehört, so wird er schweigen, denn er weiß, daß es sonst sein Tod wäre. Ich peitsche ihn ohnedies jede Woche einmal durch, wenn er frech wird. Laß uns zureiten, Rumo, ohne ihn zu fragen, ob er uns verstanden. Ich garantiere dir für sein Schweigen mit seinem Leben.«

Sie ritten weiter. Die Windspiele hatten bald wieder Vögel aufgetrieben, und die Falken wurden losgelassen. Spöttisch und boshaft in sich hineinlächelnd folgte Peter, der Zwerg, dem Pferde seiner Herrin.

Die Jagd wurde fortgesetzt und erst beendet, als drei Reiher und sechs Enten am Sattel der schönen Jägerin hingen und Rumo, der Edelknecht, ein oder das andere schüchterne Du, das ihm aber voll Wonne durch die Seele ging, mit Herzeleide gewechselt hatte. –

Auf dem Rückweg sprachen beide vom Sängerfest, das demnächst in der Burg gehalten werden sollte.

Graf Götz hatte viel Lösegeld bekommen durch den Überfall auf den Kampfäckern. Mehrere Jahre hindurch flossen reichliche Raten der damals gefangenen Ritter und Edelknechte nach Hasela, dessen Graf nicht nur die Herrschaft Triberg in Pfand nehmen und seines Hauses Besitztum mehren, sondern auch herrlich und in Freuden leben konnte.

Gesang und Saitenspiel ertönten fast täglich in den Burgräumen von Hasela, wo Rumo und sein Herr beides übten wie ehedem.

Schon im Frühjahr und Sommer des oben genannten Jahres 1336 hatte der Graf jedem fahrenden Sänger, der auf der Burg vorgesprochen, mitgeteilt, daß er am Tage des Festes Kreuzerhöhung (14. September) einen Sängertag zu Hasela halten wolle und alle Sänger, seien sie auf Burgen oder Straßen, dazu einlade. An Imbiß und Trunk solle es keinem fehlen, und die besten Sänger würde er mit reichen Gaben bedenken.

»Ich hoffe«, sprach Herzeleide, »daß du, Rumo, den ersten Preis bekommst. Er besteht in einem silbernen Pokal und einem Waffenrock aus Seide, den ich gewoben und mit Goldfäden gestickt habe.«

»Ich weiß nicht, ob dein Vater mir erlauben wird, um einen Preis zu singen. Das wird ein Vorrecht der fremden Sänger sein«, entgegnete Rumo.

»Ja, freilich darfst und mußt du singen. Mein Vater hat der Mutter und mir schon wiederholt im Frauengemach gesagt: ›Der Rumo wird alle niedersingen.‹ Und ich habe deshalb den Waffenrock so schön mit Blumen, mit Violen und Vergißmeinnicht geziert.«

»Aber einer hat es nicht gern, dies Sängerfest«, nahm Rumo das Wort, »der Leutpriester Pater Johannes; der hat am Sonntag auf der Kanzel dagegen gewettert, daß wieder so viel fahrendes und leichtfertiges Gesindel ins Städtle gezogen werde und dieses Volk schlechtes Beispiel gebe. Aber man kann es ihm nicht verübeln; die Goliarden, Fahrende Studenten jener Zeit hießen so. welche oft auf den Straßen und in den Herbergen singen, bringen auch viele Schelmenlieder gegen die Geistlichkeit ins Volk.

Wenn sie nur vom hürnenen Siegfried sängen, von Karl dem Großen und von Dietrich von Bern, so meinte der Pater selbst, hätte er nichts gegen sie. Aber ihre Spottlieder, ihre sittenlosen Gesänge und ihr wüstes Saufen, das müsse er tadeln.«

»Der Vater hat's dem Pater Johannes auch nicht übel genommen«, meinte Herzeleide, »und schon Befehl gegeben, daß an jenem Tage kein Goliarde, der nicht anständig aussieht, zugelassen werde. Im übrigen ist's der Vater gewohnt, daß unser mönchischer Leutpriester so predigt, und hört ihm selber gerne zu, wenn er seine Meinung wacker sagt.« –

Der Rumo schloß in der Nacht nach der Falkenbeize kein Auge. Was er gehört von Herzeleide, droben am Schilfe der Kinzig, schlug, als er allein war, so gewaltig in seine Seele und rumorte so darin, daß er keinen Schlaf fand.

Daß sie, die wunderbar schöne Maid, eines Grafen Tochter, der alle Herren huldigten, die in der Burg zu Hasela ein- und ausritten, daß sie ihn heute zu ihrem Minnesänger erkoren und gebeten hatte, sie mit »Du« anzureden, ihn, den Sohn des Harnaschers am Stadtbach, das raubte ihm die Ruhe der Nacht.

Zwar hatte Graf Götz versprochen, ihm den Ritterschlag zu geben am Pfingsttag nächsten Jahres. Da wollte der Herr von Hasela ein kleines Turnier abhalten und vor diesem Waffenspiel dem Rumo für seine Tapferkeit auf den Kampfäckern die goldenen Sporen, Schwert, Helm und Speer überreichen und ihn zum Ritter machen.

Auch hatte er ihm die alte Burg im Runzengraben bei dem Dorfe Steinach, unterhalb Hasela, verheißen, deren Edelknecht eben erst kinderlos gestorben war.

Aber immerhin war und blieb die Kluft zwischen Rumo, dem Lehensmann, und der Tochter des Lehensherrn eine unübersteigbare. Sie war adeligen Blutes, und er war und blieb ein heraufgekommener, reisiger Knecht, eines leibeigenen Mannes Kind.

Nur Herzoge, Grafen oder freie Herren konnten ebenbürtig um die Hand der schönen Herzeleide freien.

Das alles erwog der brave Rumo in jener Nacht nach der Falkenbeize und kam zu dem Schluß, der schönen Jägerin zu dienen, wie einst die ritterlichen Minnesänger, deren Lieder er sang. Sie dienten meist Frauen, welche höher standen denn sie und hielten ein Lächeln, einen Händedruck, ein buntes Tuch als Helmzier von der Angebeteten für einen Minnesold, der sie glücklich machte. In dieser Stimmung, in diesem Entschluß traf ihn der Tag des Wettgesangs.

Schon am Vorabend waren fahrende Sänger durch die Tore von Hasela eingezogen und hatten sangliebende Ritter durch sie ihre Rosse gelenkt.

Mit Fiedeln und Harfen beladen waren die Goliarden dahergekommen, und am Abend spielten und tanzten sie in allen Herbergen zur Freude der Bürger, die ihren Abendtrunk dort taten.

Von ritterlichen Sängern kamen durchs untere Tor: die freien Herren Ulrich von Rappoltstein und Walther III. von Geroldseck, der Schwager des Grafen, dann Reinbold von Staufenberg und Andreas von Bosenstein. Zum oberen Tor ritten ein: Oswald von Wartenberg, Konrad von Wildenstein, Rudolf von Tannheim und Aigelwart von Falkenstein.

Sie alle wurden in der Burg herzlich willkommen geheißen.

Spät in der Nacht schlugen noch an die Tore der Vetter des Grafen, der Markgraf Heinrich IV. von Hachberg, und der freie Herr Hugo von Üsenberg. Sie wollten, weil morgen ein kirchlicher Festtag war, nicht reiten und hatten einen weiten Weg über das Elztal her. –

In aller Frühe, ehe das zweite Zeichen zur Messe gegeben war, rückten die benachbarten Dienstmannen des Grafen, die wir bereits kennen, ein und mit ihnen die Ritter Bruno und Wernher von Hornberg.

Die Ritter und Edelknechte alle besuchten mit dem Burgherrn von Hasela und den anderen Adeligen am Festtag zu Ehren des Kreuzes die Frühmesse. Graf Götz kannte den Pater Johannes zu gut, um nicht zu ahnen, er werde auf der Kanzel im Hauptgottesdienst abermals Lärm schlagen über das fahrende Volk, welches der Sängertag wieder ins Städtle gezogen habe, und über die gottlose Welt, so nur singen und trinken wolle. Drum besuchte er die Frühmesse heute.

Die Goliarden aber stellten sich nach dem Hauptgottesdienst in Gala auf dem Marktplatz auf und sangen den Bürgern zur Freud' und dem Pater zu Leid einige nicht sehr fromme Lieder, denn jene Zeit vertrug in solchen Dingen weit mehr als die heutige. Dann erschien der Graf und musterte die fahrenden Leute aus. Alten Bekannten unter ihnen und solchen, die schmucke Trachten hatten, ward der Zutritt zum Wettgesang in die Burg gestattet, die anderen aber sollten ihren Unterhalt verdienen und für ihre Reise sich bezahlt machen durch Spiel und Gesang in den Herbergen und vor den Häusern der Bürger.

Einen Extra-Trunk aus seinem großen Keller bei der Kirche gewährte Graf Götz außerdem allen in die Burg nicht zugelassenen Goliarden.

Der Nachmittag kam. Nach der Vesper sollte das Wettsingen beginnen. Im großen Rittersaale der Burg sammelten sich Sänger und Zuhörer.

Preisrichterinnen waren die Damen des Hauses und deren Base, die Gemahlin des jungen Grafen Konrad von Fürstenberg, die vom nahen Wolfa erst am Nachmittag mit ihrem Gemahl angekommen war.

Sie hieß Adelheid von Grießenberg, und ihr erster Gemahl war der Graf Diethelm von Toggenburg gewesen. Vor kurzem erst hatte sie ins Haus Fürstenberg sich verheiratet.

Herr Walther von Geroldseck, ein alter Freund von Sang und Saitenspiel, verzichtete auf das Wettsingen. Er wolle, so meinte er, es den Jungen überlassen und, wie sein Schwager, Graf Götz, am Zuhören sich erfreuen. Den Vorrang hatte nun unter den adeligen Sängern der freie Herr Ulrich von Rappoltstein. Er war im Frühjahr schon einmal in Hasela gewesen, hatte damals zum erstenmal die schöne Herzeleide gesehen und war entzückt von ihr wieder heimgeritten ins Elsaß – den Pfeil Amors im Herzen.

Drum war er gerne wieder gekommen zum heutigen Feste, zu dem der Burgherr von Hasela ihn geladen. Er war, wie dieser, ein Schwärmer für das Lied vom Helden Parzival. Und der Graf und die Gräfin sahen ihn auch deshalb gerne, weil sie in ihm den willkommensten Werber um die Hand ihrer Tochter erkannten, denn die Rappoltsteiner waren ein reiches und angesehenes Geschlecht.

Herr Ulrich nun erhob sich, als ein Herold rief: »Der vornehmste Sänger, der freie Herr von Rappoltstein, möge beginnen!« Ein Diener brachte ihm die Harfe, und zu ihrem Spiel trug er den fünfzehnten Gesang aus Parzival vor, das Abenteuer des Ritters Gawan, Parzivals Freund, auf dem Bergschlosse Schamfanzon, wobei er die Liebe der Königstochter Antikone gewann.

Der Schluß, den Ulrich besonders gemütvoll vortrug, lautete:

»Die gleiche Fahrt, wie Parzival,
Hub er nun an, die Fahrt zum Gral,
Und ließ allein mit ihrem Leid
Die minnigliche Königsmaid.
Nicht künd' ich euch von all' den Schmerzen,
Die sie verschloß in ihrem Herzen;
Denn nie mehr sollte den sie sehen,
Von dem ihr Lieb und Leid geschehen.
Der Blume gleich im Frühlingstal
Verwelkte ihrer Schönheit Strahl.
Doch stets, so lang noch Rosen blühen,
So lang noch Herzen innig glühen,
Soll diese Jungfrau hold und rein
Vom Sängermund gepriesen sein!«

»Der freie Herr von Rappoltstein«, flüsterte die Burgherrin von Hasela ihrer Tochter zu, »der verdient den ersten Preis, er hat wundervoll gesungen und mich zu Tränen gerührt.«

»Wir können noch nichts entscheiden, bis wir alle gehört haben«, entgegnete die Tochter.

Der zweite Sänger, Ritter Reinbold von Staufenberg, unterbrach das Gerede. Er sang das schöne Herbstlied vom Meister Konrad von Würzburg, das da anhebet:

»Jetzt will sich die Linde vom Winde entfärben,
Ihr Grünen am Walde mag balde ersterben.
Wie Weh auf der Heide mit Leide sich mehret,
So sind mir die Sinne von Minne beschweret.«

Als er geendet, meinte Graf Götz zu seinem Schwager, dem Herrn Walther von Geroldseck: »Der Reinbold ist doch einer der besten Sänger, die heutzutag einen Harnisch tragen. Trotz seiner fünfzig Jahre singt er noch wie ein Junger.«

Jetzt sang Andreas von Bosenstein das Lob des Frühlings nach des Ritters Neidhart Lied:

»Der Mai, der ist so mächtig,
Drum führt er auch so prächtig
Den Wald an seinen Händen,
Der Winter muß sich enden.«

Da er zu Ende, trat Konrad von Wildenstein auf, der Sänger aus dem Felstale der Donau. Er hatte sich ein Lied von Ulrich von Lichtenstein gewählt, »Freude und Minne«, das also beginnt:

»In dem lüftesüßen Maien,
Wenn der Wald trägt grün Gewand,
Sieht man lieblich geh'n zu zweien
Alles, was ein Liebes fand,
Und mitsammen froh geweiht;
Das ist recht: so will's die Zeit.«

Nach der letzten Strophe:

»Wo ein treues Herz gefunden
Treue Liebe, treuen Mut,
Da ist aller Gram verschwunden;
Treue Lieb' ist also gut,
Daß sie füllt mit treuer Lust
Allezeit die treue Brust« –

da meinte die Gräfin Adelheid von Wolfa, der Wildensteiner sei bis jetzt der beste Sänger.

Aber schon stand der letzte der reisigen Sänger auf dem Podium, Rumo, der Edelknecht, des Harnaschers Sohn von Hasela.

Von ihm konnte man sagen, was Wolfram von Eschenbach im Parzival vom Königssohne singt:

»Gar königlich tritt er heran;
Sein Aug' war dunkel wie die Nacht
Doch wie ein Maienmorgen lacht,
So war von Locken dicht umwallt
Sein Antlitz, schmiegsam die Gestalt,
Gleich wie, vom lauen Wind umweht,
Die Zeder auf der Aue steht.«

»Wer ist dieser wunderbare Mensch?« fragte hastig die Gräfin Adelheid ihre Nachbarin Herzeleide. »Dem muß man den ersten Preis zuerkennen, ohne daß er singt.«

»Es ist ein Edelknecht meines Vaters, der Sohn eines hiesigen Harnaschers, und heißt Rumo. Seine Mutter ist eine Welsche«, entgegnete Herzeleide, leicht errötend.

Sie hätte gern noch mehr gesagt, aber schon brauste die herrliche Baritonstimme des Sängers durch den Saal, und alles war von ihr gefangengenommen.

Rumo sang, wie er gerne tat, das Lied eines welschen Troubadours, des Pieire Rogier Er starb 1180., ein Lied, das der Herzeleide das Blut ins Gesicht trieb:

»Mein ist ihr Lächeln und ihr Scherz,
Und töricht wär's, um mehr zu flehn
Und sich nicht ganz beglückt zu sehn.
Es ist kein Trug,
Sie anzuschau'n ist mir genug;
Im Anschau'n find ich meinen Lohn,
Kein größeres Heil
Wird mir zuteil.
Doch hab' ich Lust und Ehr' davon
Und brüste mich, als wär' ich reich,
Dem armen Übermüt'gen gleich.

Treu, wie das meine, gibt's kein Herz;
Nie hab' ich mich vor ihr erklärt,
Noch Gunst, noch Freundlichkeit begehrt.
Wo sie auch weilt,
Bin ich ihr Freund, der ungeteilt
Sie still und im Geheimen liebt;
Denn nicht bewußt
Ist ihr die Lust,
Das Glück, die Ehr', die sie mir gibt.
Auch sei's dem Läst'gen nicht entdeckt,
Denn lieben will ich ganz versteckt.«

Nur der Graf Götz fand die ersten Worte, als Rumos Sang und seine Harfe ausgeklungen: »Bravo, Rumo, aber jetzt noch eins, noch ein welsches Lied. Die sind deine Kraft!«

Rumo fuhr durch seine Harfe, suchte andere Akkorde und sang dann ein Lied von Bernart von Ventadour:

»Wenn der Blätter Grün entquillt,
Blüten aus den Zweigen dringen,
Wenn die Vöglein lieblich singen,
Fühl' ich mich von Wonn' erfüllt;
Steh'n die Bäume schön im Flor,
Tönt der Sang der Nachtigallen,
Muß ein Herz vor Freude wallen,
Das sich edle Lieb' erkor.

Im Mond April, wenn grün sich schmückt
Der Anger und die Gärten blüh'n,
Und frisch und klar die Wasser zieh'n,
Und alle Vög'lein sind beglückt;
Düfte, die aus Blüten dringen,
Und des Vög'leins süßes Singen,
Das ist's, was dann mich neu entzückt.«

»Alle guten Dinge sind drei, sing noch eins, Rumo!« rief der Graf, freudig erregt über den flotten Gesang seines Waffenträgers.

Und Rumo sang die Schilderung, welche der Troubadour Arnaut von Marneuil von seiner angebeteten Dame gab:

»Euer schönes, dunkelblondes Haar,
Die Stirne weiß und lilienklar,
Das Auge, das sich regt und lacht,
Die Nase grad' und wohlgemacht;
Das blühend frische Angesicht,
So weiß und rot sind Blumen nicht;
Das Mündchen, schöne Zähne drein,
Kein Silber ist so klar und rein.
Und Kinn und Hals und Brust so weiß,
Wie frischer Schnee und blühend Reis,
Und dann die Hände schön und blank
Zusamt den Fingern zart und schlank.
So oft mein Herze denkt daran,
So faßt mich solch' Erstaunen an;
Ich weiß nicht mehr, woher, wohin,
Und wund're mich, daß ich noch bin.«

Ein Sturm des Beifalls lohnte den Rumo. Die ritterlichen Sänger, wie die fahrenden, stimmten dabei mit ein. Selbst die Gräfin Anna, die am liebsten dem Herrn Ulrich von Rappoltstein den ersten Preis zuerkannt hätte, konnte nicht anders als ergriffen sein von Rumos Liedern. Und der Herr von Rappoltstein machte es ihr leicht, indem er selbst gestand: »Solch' einen Sänger hab' ich weder im Wasgau, noch jenseits der Wasgauer Berge, im Welschland, gehört.«

Alles wollte dem Rumo, den sein Graf herbeigerufen, die Hand schütteln und gratulieren. In Ehrfurcht küßte er den Frauen, die ihm Lobsprüche machten, die Hände, und sein Kuß auf Herzeleidens Rechte brannte wie Feuer. –

Jetzt kamen die Fahrenden an die Reihe. Sie trugen ihre üblichen Gesänge vor: Helden-, Trink- und Liebeslieder. Aber all ihr Singen konnte niemand mehr fesseln, seitdem Rumo gesungen, am wenigsten Herzeleide. Sie hörte und sah nimmer, sie war in ihrer Seele ganz beschäftigt mit dem Inhalt der Lieder Rumos, den sie ganz auf sich bezog.

Widerspruchslos erhielt des Harnaschers Sohn den ersten Preis, einen Pokal und einen seidenen Waffenrock, überreicht von Herzeleide. Kniend und glühend empfing er die Ehrengabe aus ihrer Hand.

Den zweiten Preis schieden die Damen dem freien Herrn Ulrich von Rappoltstein zu und den dritten dem Konrad von Wildenstein.

Die Fahrenden bekamen, wie üblich, allerlei Kleidungsstücke und bares Geld, womit sie höchlich zufrieden waren.

Ein Mahl ward alsdann aufgetragen, und bei dem setzte die Mutter neben Herzeleide den freien Herrn von Rappoltstein. Sein Nachbar zur Linken, der Ritter Reinbold von Staufenberg, flüsterte ihm alsbald zu: »Herr Ulrich, der erste Preis sitzt neben Euch. Wenn Ihr den bekommt, seid Ihr doch der erste Sänger des Tages gewesen.«

»Der wär' mir auch lieber als alle Sängerpreise im deutschen Reich und bis hinab nach Rom«, meinte leise und lächelnd der Rappoltsteiner.

»Der entgeht Euch sicher nicht«, flüsterte abermal der Reinbold; »ein freier Herr von Rappoltstein, Besitzer dreier Schlösser auf einem Berg im schönsten Teil des Wasgaus, wo die besten Weine wachsen, der freit nicht vergeblich um eine Gräfin von Fürstenberg-Hasela. Einen tüchtigen Schluck darauf!«

Er stieß mit seinem Humpen mit dem Herrn Ulrich an, der einen mächtigen Zug tat und sich dann in Liebenswürdigkeiten gegen seine Nachbarin erschöpfte.

Er erzählte ihr von den Schönheiten des Wasgaus, von seinen eigenen drei Burgen und von der schönen Stadt Rappoltsweiler, deren Herr er sei.

Herzeleide hörte nur mit halbem Ohr; sie dachte immer noch an Rumos Lieder und schaute gar oft verstohlen an das Ende der Tafel, wo zu unterst Rumo saß, bescheiden und nicht ahnend, welchen Rumor sein Singen im Herzen der schönen Grafentochter gemacht.

Er war glücklich genug, von ihrer Hand einen Waffenrock zu besitzen, den sie selbst genäht und mit Stickereien geziert hatte.

Er hätt' ihn nicht hergegeben um alle drei Burgen des Rappoltsteiners.

Diesem gegenüber saß Graf Götz und sprach zwischen Essen und Trinken mit dem Herrn Ulrich über Minnesang und über minnesangliche Handschriften.

Wie staunte er, der Schwärmer für Wolframs Parzival, als der Rappoltsteiner ihm sagte, er habe eine welsche Handschrift vom Parzival, und die sei viel umfangreicher als der Text des Wolfram von Eschenbach.

»Die hat Euch aber gewiß schweres Geld gekostet?« fragte Graf Götz.

»Ich sollt's fast nit sagen«, antwortete Herr Ulrich. »Für einen Rappoltsteiner war's fast zu viel. 100 Pfund Silber hab' ich dafür ausgegeben!«

»Das ist viel Geld«, meinte Graf Götz. »Doch Ihr könnt's leisten, Herr Ulrich. Die Handschrift aber muß ich sehen und reite extra ihrethalben einmal zu Euch ins Elsaß im nächsten Frühjahr. 's ist schon lange her, daß ich nicht mehr auf Rappoltstein gewesen; Euer Vater lebte damals noch, und Ihr waret ein Kind. Ich kam von Basel her von einem Turnier.«

»Es wird mir eine große Freude sein«, entgegnete Herr Ulrich, »wenn Ihr auf meine Burg reitet und das Fräulein Herzeleide mitbringt. Sie ist ohnedies noch nie über Straßburg hinausgekommen, wie sie mir eben erzählte.«

»Wir kommen und kommen gern«, antwortete Graf Götz, und Herzeleide nickte als Zeichen ihrer Zustimmung. –

Am andern Morgen, ehe er abritt, ersuchte Herr Ulrich von Rappoltstein den Grafen Götz und seine Gemahlin um eine aparte Unterredung. Bei der hielt er mit geziemlichen Worten um die Hand ihrer Tochter Herzeleide an und bat, den ihm zugesagten Besuch im kommenden Frühjahr als Brautschau anzusehen. Er bat aber auch, falls die Eltern ihm ihre Zusage gäben, der Tochter erst nach seinem Wegritt Mitteilung zu machen. Er wolle die Sache nicht überstürzen, und Herzeleide möge in aller Ruhe sich seinen Antrag überlegen.

»Es könnte mir«, so gab ihm der Graf von Hasela Bescheid, »kein Freier kommen, der mir lieber wäre als Ihr, Herr von Rappoltstein; ein freier Herr, Sprosse eines alten Geschlechtes, dem unsern ebenbürtig, Minnesänger und Ritter, habt Ihr alle Eigenschaften, die ich von einem zukünftigen Schwiegersohn wünschen kann. Meine Tochter wird dieselben auch zu würdigen wissen und, seid darüber unbesorgt, Euch gerne als Hausfrau folgen auf Euere schönen Burgen im Elsaß, wo Harfen- und Waffenklang daheim sind.«

Auch Gräfin Anna stimmte freudigen Herzens zu, denn seitdem Herr Ulrich in der Burg sich befand, hatte sie als besorgte Mutter im stillen lebhaft gewünscht, er möchte nicht von dannen reiten, ohne um der Tochter Hand angehalten zu haben.

»Gerne möcht' ich Herzeleide gleich rufen«, meinte sie, »und ihr mitteilen, wer um sie freit. Gewiß würde sie alsbald, ohne langes Bedenken, ihr Jawort geben.«

»Wir müssen den Wunsch des Herrn von Rappoltstein ehren«, widersprach ihr Gemahl, »und dürfen unser Kind nicht fragen, so lange er bei uns weilt. Ich begreife seinen Zartsinn, er ist eines Minnesängers würdig.«

Lange vor Mittag ritt Herr Ulrich, nachdem er auch von Herzeleide warm sich verabschiedet, mit dem Herrn Walther von Geroldseck zum untern Tor von Hasela hinaus und dem Elsaß zu.


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