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9.

Auf dem Platze vor dem Münster, das eben seiner Vollendung entgegenging, standen wenige Wochen später einige Bürger der Stadt Villingen und besprachen die neuesten Vorgänge.

»Es ist eine Schande für die Stadt«, begann Bertschi Neugart, der Bau- und Steinmetzmeister am Münster, »daß sie sich mit den Grafen nicht vertragen hat und wir ihnen jetzt ihre Herrschaft abkaufen müssen.

Das Münster stünde nicht hier ohne den guten Willen und die Beihilfe der Fürstenberger. Der Großvater der beiden Grafen Johans und Götz hat den Grundstein gelegt und den Bau begonnen aus eigenen Mitteln.

Und wer hat das Heiliggeistspital gestiftet? Der Vater der jetzigen Grafen.

Aber das ist jetzt alles vergessen! Auf der Ratsstube steht noch der goldene Becher, den Graf Heinrich, der Münsterstifter, und seine Gemahlin Agnes der Stadt geschenkt haben, damit daraus Friede und Freundschaft getrunken werde. Unsere Ratsherren müssen sich für ewige Zeiten schämen, wenn sie aus diesem Becher trinken und denken, wie sie es den Enkelkindern des Schenkgebers gemacht haben.«

»Bertschi, sprich nit so laut«, fuhr Klaus Nidhart, der Zimmermeister, dazwischen, »sonst fahen dich die Stadtknechte, und der Rat läßt dich in den Turm setzen. Weißt du nicht, daß alles rennt und schafft, um das Lösegeld zusammenzubringen, und die meisten Bürger, groß und klein, nichts mehr wissen wollen von den Fürstenbergern?«

»Rat hin, Rat her, ich sag's, wie ich's denk. Die Wahrheit darf man sagen, und wahr ist, daß die Villinger undankbar sind gegen das Haus Fürstenberg.«

»Seid vorsichtig, Meister Neugart«, nahm der Leutpriester Martin Hug, Kaplan am Münster, der eben zu den Bürgern getreten war, das Wort »Es sind schon viel mehr Leut' um der Wahrheit willen eingesperrt worden, als weil sie gelogen haben. Die allgemeine Stimmung ist gegen euch, obwohl man, unter uns gesagt, euch nicht unrecht geben kann. Doch hat selbst unser Kirchherr, Graf Gebhard, es wohl eingesehen, daß es nimmer so fortgehen kann, und die Loskaufung selbst vermittelt.«

»Sie sollen mich einsperren, aber den Mund halt' ich nit«, erwiderte aufgeregt der Steinmetzmeister. »Ewig können sie mich nit eintürmen und, frei geworden, verlaß' ich die Stadt, dann soll ihnen ein anderer das Münster fertig machen, wenn sie einen finden. In Freiburg bauen sie eben am Hochschiff des Münsters, und da sind Steinmetzen meiner Sorte gesucht.

Aber das freut mich, daß die Grafen von Hasela die Bedingung stellten, das Geld müsse ihnen in lauter kleiner Villinger Münze geliefert werden. Diese Bedingung hat den Villinger Herren warm gemacht die letzten drei Wochen.«

»Und mir auch«, meinte Thes Kälblin, ein Kupferschmied. »Der städtische Münzmeister hat alle Schlosser und Schmiede angestellt zum Prägen. Ich bin Tag und Nacht an der Arbeit gewesen und hab' gestern 200 Pfund Heller abgeliefert.«

»Und in den meisten Bürgershäusern gibt es keinen Gold- und Silberschmuck mehr«, sprach jetzt Henslin Gir, ein Bäcker. »Die Weiber haben, als gelte es sich von der Hölle loszukaufen, all' ihren Schmuck – Gürtel, Ketten, Ohr- und Fingerringe – in die Münze getragen.«

»Aber meine hat's nicht getan. Sie weiß, warum«, rief Bertschi, der Steinmetz.

»Doch glaubt mein Nachbar, Kunrat der Hainbürge, der Ratsherr, das Geld bekäme man wieder bei Heller und Pfennig, da die Herzoge von Österreich die Herrschaft kaufen wollten. Und österreichisch ist doch eine andere Nummer als fürstenbergisch«, – fuhr der Bäckermeister zu reden fort.

»Das Haus Habsburg in Ehren«, fiel ihm der Meister Steinmetz dazwischen, »aber wozu einen neuen Herrn, wenn man dem alten absagt? Unters Reich sich stellen, hätte Sinn, aber statt fürstenbergisch österreichisch werden, heißt nur von einem schwachen Herrn zu einem stärkeren kommen, der sich nicht so viel gefallen läßt wie die Fürstenberger!«

»Der aber auch uns in der Not besser schützen kann«, meinte der Kaplan.

»Und der kein Raubritter ist, wie die zwei Fürstenberger in Hasela«, sprach Klaus Nidhart, der Zimmermeister. »Es ist ja kein Mensch, der mehr als ein Wams trägt, sicher vor dem Grafen Götz.«

»Hat denn die Stadt nicht auch Edelknechte geworben, die draußen vor unsern Toren sitzen, wie die von Dettingen, von Kürnegg und Almeshofen und andere, welche nach den Leuten der zwei Grafen greifen, wie diese nach uns und den unsrigen?« erwiderte Bertschi.

»Doch da kommt der Hainbürge eben aus dem Rat. Wir wollen hören, wann das Geld abgeht nach Hasela und wer von den Zwölfern dabei ist«, sprach der Kaplan und fügte hinzu:

»Aber Bertschi, seid g'scheit und laßt vor dem nichts merken, sonst könnt's spuken.«

»Nun, Herr Kunrat, was gibt's neues auf der Ratsstube?« fragte der Kaplan. »Geht's bald hinunter ins Kinzigtal?«

»Übermorgen«, gab der Gefragte zurück, bei den Bürgern stehen bleibend. »Es ist jetzt alles Geld beisammen und kommt morgen in zwei schöne Fässer, die mit dem Stadtwappen geziert sind.«

»Wer geht denn mit von unseren Herren?« fragte Henslin Gir.

»Hug Stähelin, der Schultheiß, und vom Rat: Walther der Lecheler, Otto der Vetter, Berthold von Tannheim, Heinrich der Buzzer, Berthold Zahn und meine Wenigkeit«, antwortete der Hainbürge.

»Und die sechs gleichen Schimmel, sind die auch schon parat?« fragte etwas höhnisch der Baumeister am Münster.

»Auch die sind da. Es war keine kleine Mühe, sie zu bekommen. Auf allen Burgen und in allen Klöstern hinüber bis Schaffhausen und hinauf bis Konstanz wurde gesucht, bis sechs Schimmelhengste auf dem Platze waren.«

»Und nun wünsch' ich euch Herren glückliche Reise«, meinte Meister Bertschi, »und daß ihr gut heimkommt. 's ist ein gewagtes Spiel, dem Löwen Götz in seine Höhle zu gehen.«

»O, da ist nichts zu fürchten«, erwiderte der Ratsherr, »Graf Gebhard hat uns über alles beruhigt. Wir werden gut aufgenommen werden. Und für unterwegs haben wir als Bedeckung des Wagens zwölf reisige Knechte bei uns.«

»Wenn ich Graf von Fürstenberg wär' und die Villinger hätten es mir so gekocht, ich würd' ihnen schlecht aufwarten in meiner Burg«, nahm das Wort abermals der Steinmetz.

»Man sieht aus Eurer Rede, Meister Bertschi, daß Ihr kein alter Villinger, sondern erst eingewandert seid in der letzten Zeit des Münsterbaus, sonst könntet Ihr nicht so reden«, – entgegnete etwas bitter der Hainbürge und fuhr dann fort: »Doch ihr Künstler habt zu allen Zeiten eigene Köpfe gehabt, und man läßt sich von euch auch mehr sagen als von anderen. Drum nehm' ich euch nichts übel.«

»Ich bin fürstenbergisch und bleib' fürstenbergisch in meinen Sinnen, und es tut mir weh, daß dies Geschlecht um Villingen kommt«, sprach erregt der Baumeister. »Aber das freut mich, Ratsherr, daß Ihr einem Künstlerwort Freiheit gewährt. Und drum sag' ich noch eines: ›Möge das Haus Fürstenberg blühen, so lange mein Werk, das Münster, hier steht. Und nun nochmals gute Reise! Ich muß an die Arbeit, wir wollen heute den Schlußstein am Chorgewölbe einsetzen. Merkwürdig, der Bau des Chors endigt mit der Herrschaft der Fürstenberger, die den Anfang veranlaßten.‹«

Die Bürger gingen auseinander, und bald war es still auf dem Münsterplatz; nur oben auf dem Gerüste des Chores redete Meister Bertschi mit seinen Gesellen weiter; aber die Schallwellen ihrer Worte verhallten unverständlich auf dem Platze. –

Zu gleicher Zeit, da die Villinger Bürger auf dem Münsterplatz sich über die Tagesfragen unterhielten, zog zehn Stunden weiter unten der Büttel des Rats von Hasela durch die engen Straßen des Städtchens, stieß in sein Horn und verkündigte: »Schultheiß und Rat tun männiglich in der Bürgerschaft kund, daß übermorgen gegen Abend die Villinger hier ankommen mit dem Geldwagen für unsere gnädigen Herren, die Grafen Johans und Götz von Fürstenberg. Auf deren Wunsch hat der Rat beschlossen, die Villinger allhier festlich zu empfangen. Jeder Bürger soll vor sein Haus Maien stecken, und die Frauen sollen Blumen streuen. Die Grafen werden sich dafür der Bürgerschaft auch wieder gerne erkenntlich zeigen.«

In der »Wîtaberne« zum Bären am untern Tor saßen einige Bürger und tranken Herrenberger. Unter ihnen war auch Rudi, der Oberjäger der Grafen. Als der Büttel nun vor der Taberne seinen Spruch gesagt hatte, meinte ein Bürger zu dem gräflichen Beamten: »Weiß nit, wie's kommt, daß wir Bürger von Hasela auf einmal die Villinger empfangen sollen wie Fürsten. Unsere Herren sind seit Jahren mit ihnen in Krieg und Fehde und jetzt, da sie mit dem Geldwagen kommen, der eigentlich das Ende der Herrschaft in Villingen bedeutet, sollen wir Maien stecken und Blumen streuen. Da werd' klug, wer's fassen kann.«

»Ich will euch das Rätsel etwas lösen, aber wer die Lösung weiter trägt, dem renne ich den Speer durch den Leib, mit dem ich gestern im Bächlewald einen Eber erlegt«, – nahm der etwas weinselige Jäger das Wort.

»Wenn ich den Krammetsvögeln im Herbst Fallnetze oder im Winter den Meisen einen Vogelherd stelle, und wenn ich den Wölfen und Bären Fallgruben mache, verziere ich auch alles mit grünem Reis.

Wenn ihr jetzt was merkt, ihr Bürger, dann haltet's Maul.«

»Ich merk' was«, rief Henni Iselin, ein Harnascher und Waffenschmied. »Hab's gestern schon gemerkt, als mir die Edelknechte Klein Kunrat von Bärenbach und Crispin und Wirich von Schnellingen ihre Schwerter schickten zum Schleifen. Wenn die drei was schleifen lassen, ist irgendwo was los.

Ich fragte die Knechte, welche die Waffen brachten, wo ein Fang in Aussicht stünde, aber sie wollten nichts wissen.«

»Sie wissen auch nichts«, schmunzelte der Rudi. »Ich möchte es den Edelknechten und Rittern, so auf morgen in unsere Burg geladen sind, nicht raten, vor einem ihrer Knechte nur über die Sache zu husten. Ich selbst wüßt' nichts, aber Henslin, der Wächter im Hauptturm, hat mir gestern abend anvertraut, Graf Götz habe ihm befohlen, eine Anzahl Halseisen und Handschellen bereit zu halten, es käme bald Besuch in den Turm. Und da glaub' ich, es sei auf ganz besondere Vögel abgesehen. Aber ich will nichts gesagt haben, und wer mir davon schnauft, ist ein Kind des Todes.«

»Soviel Geld auf einmal, wie die Villinger morgen bringen, ist noch nie nach Hasela gekommen«, begann jetzt der Tabernenwirt Dietmar Lösly. »Ich glaub', 's ist unseren Grafen ernst, sie deswegen gut zu empfangen. Ich selbst hab' eine Freude, so was zu erleben, daß einmal ein ganzer Wagen voll Geld zu unserm obern Tor hereinfährt. Und weil die Villinger so viel Geld in unsern Ort bringen, gehören sie empfangen, wie der Rat es angeordnet hat. Bei meiner Taberne geht der Zug nicht vorbei, aber ich stell' doch Maien hinaus, um die Villinger zu ehren.«

»Glaub', was du willst, Dietmar«, erwiderte der Jäger, »und die Villinger mögen auch glauben, was du glaubst. Doch jetzt kein Wort mehr darüber, sonst, wenn der Graf Götz was von dem erfahrt, was ich da gepiepst habe, bekomme ich das erste Halseisen vom Henslin.«

»Aber, wo wollen unsere Herren auch mit dem vielen Geld hin, das sie jetzt bekommen?« – fragte nun Lenz Becherer, ein Bürger und Strumpfwirker.

»Wo ihr Bürger auch hingeht, wenn ihr zu viel Geld habt«, antwortete lachend Rudi, »zum Gläubiger, um Schulden zu zahlen. Ihr kennt ja alle den Juden Baruch Sämele von Straßburg mit seinem gelben Spitzhut und den gelben Streifen am Rock. Der kommt nicht auf die Jahrmärkte von Hasela, wie manche seiner Stammesgenossen, aber um so öfter zu unseren Grafen und zu allen adeligen Herren, Rittern und Edelknechten weithin. Er borgt Geld, bringt Seidenstoffe und selbst Schlachtrosse. Und dem Grafen Götz besorgt er außerdem noch die Handschriften von den Liedern der Minnesänger, für die der Graf ein Heidengeld ausgibt.

Seidenstoffe braucht er nun die nächsten zehn Jahre keine. Die hat er nach Auswahl den Züricher Kaufleuten abgenommen, welche wirklich drüben beim Henslin im Quartier liegen.

Diese Gefangenen verdankt er dem Edelknecht Wirich von Schnellingen; der hat die Vögel ausgekundschaftet und fangen helfen. Der Wirich ist noch zu jung, sonst hätt' ihn Graf Götz schon längst zum Ritter geschlagen und ihm die goldenen Sporen geschenkt. Den kann er brauchen; er ist noch findiger und wilder als der Bärenbacher oder der Gebur auf der Heidburg.«

»Der gäb' einen sonderbaren Ritter ab, der Wirich«, warf Iselin, der Waffenschmied, ein. »Ich hab' in der Fremde, als ich in Treves (Troyes) im Welschland, wo die besten Brünnen und Halsberge gemacht werden, bei einem Harnascher arbeitete, oft gehört, was die Ritter für Gelübde ablegen sollen. Zu denen paßt aber der wilde Wirich so wenig als ein Wolf in einen Schafpferch.«

»Erzähl', Henni, was sind das für Gelübde?« bat jetzt neugierig Lenz Becherer, der Strumpfwirker.

»Ein Ritter«, also begann der Harnascher, »soll schwören und geloben: ›Täglich in die Mess' zu gehen, für den katholischen Glauben sein Leben zu lassen, Witwen und Waisen zu schützen, ungerechte Fehde zu meiden, Unschuldige im Zweikampf zu vertreten, dem Kaiser mit Ehrfurcht zu dienen und vor Gott und den Menschen ein ehrbares Leben zu führen.‹«

»Das alles hält der Wirich, Henni«, fuhr lachend der Jäger auf. »Es steht ja nichts davon in den Rittergelübden, daß man keine Kaufleute rupfen, keinem Bauern das Vieh wegtreiben und keine Humpen leeren soll. Und ein ehrbares Leben führt er auch, und wer ihm das bestreiten sollte, dem fährt er mit seinem Schwert übers Maul.«

»Wenn stehlen und Leute schinden ehrbar ist, dann braucht man die zehn Gebote nimmer«, meinte bitter der Waffenschmied.

»Henni, halt's Maul«, rief der Rudi, »sonst blühen dir die Halseisen beim Henslin. Du bist zu lang' im Welschland gewesen, dort sind die Ritter frömmer als hierzuland, wo der Stärkste Meister und die Gewalt Recht ist. Mach deine Harnasche und Schwerter für die Ritter und Edelknechte, laß dich dafür gut bezahlen, aber im übrigen laß der Welt ihren Lauf, wir machen sie doch nicht anders.«

»Hast recht, Jäger«, antwortete der Harnascher. »Ich zahl' dir noch eine Kanne für diese Wahrheit. Hab' schon oft gedacht, ich sollt's Maul halten; aber ich mein' als, recht sollt' recht und schlecht schlecht sein und heißen, und kann's nit immer verbeißen, daß das Umgekehrte gilt in der Welt.«

»Laß sie schnell auffahren, die Kanne, Henni, denn ich muß wieder hinüber in die Burg, muß den Köchen den Rehbock zerlegen, welchen ich heute noch fürs morgige Festmahl erjagt habe.«

»Ja, gibt's auch ein Festessen morgen für die Villinger?« fragte Dietmar Lösly, der Wirt.

»Versteht sich«, erwiderte Rudi. »Es würde schlecht passen, wenn die Bürger die Straßen zieren und in der Burg gewöhnlicher Tisch wäre.

Es gibt ein groß' Essen mit Schaf-, Kalb-, Rind-, Schweinefleisch und allerlei Wildbret und Geflügel nebst Süßigkeiten und zu Trinken genug. Und der Rittersaal wird geschmückt mit Lavendel, Ilgen und Vejentlen. Die Villinger werden ihre Freude haben.«

»Die aber nicht lange dauern wird«, fiel der Waffenschmied ein.

»Schweig, Iselin!« herrschte der Jäger ihn an.

»Ich will nur sehen, wo das hinaus will«, meinte, den Kopf schüttelnd, der Strumpfstricker.

»Stricker, dummer Teufel!« gab Rudi zurück, »hinaus werden sie wollen, aber drinnen müssen sie bleiben. Aber jetzt kein Wort mehr. Ich trink' aus und gehe.«

Er entfernte sich aus der Taberne, und nach allerlei stillem Gerede folgten ihm die Bürger bald nach, jeder seinem Hause zu.


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