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2.

Hug von Almeshofen hatte die Einladung an den Grafen Egino zu Freiburg, an dessen Bruder Heinrich zu Badenweiler und an den Markgrafen von Hachberg selber besorgt.

Die Burg zu Freiburg war die schönste in deutschen Landen und ihr Besitzer Egino I. ein gastfreundlicher, leichtlebiger und darum mit Schulden behafteter Herr. Der arme Ritter aus dem Ried zwischen Brig und Breg versprach sich drum einen guten Tag beim lustigen Grafen auf dem Schloßberg an der Dreisam.

Es war hohe Mittagszeit, als Ritter Hug über den Schwarzwald her auf das Schloß von Freiburg geritten kam. Der Graf machte eben seinen Schlaf in der Kemenate, und der Burgvogt bewirtete indes in der Ritterstube den Gast mit Trunk und Imbiß.

»Gott willkommen, Hug, alter Freund aus jungen Tagen!« rief bald darauf Egino, in die Stube tretend, dem Ritter zu. »Ihr habt gewiß Botschaft von meinen Vettern auf dem Fürstenberg. Haben sie eine Fehde oder sind reiche Kaufleute um den Weg, die du mir melden sollst? 's ist nicht mehr so gut niederwerfen, wie vor zehn Jahren. Seitdem der Leibsänger unseres Königs, Ottokar von Horneck, gesungen:

Von Friburg graf Egen
Uf straßen und uf wegen
Lîden von ihm große schwer
Des kunigs und des rîches burger.

Und seitdem der König selbst mich in meinem Neste belagerte, gilt's Vorsicht«

»Hab' ungefährliche Botschaft, Herr Graf«, erwiderte der Ritter. »Ich soll Euch laden zur Huldigung nach Villingen auf Sankt Bartholomä demnächst. Meine Herren haben geteilt. Graf Egino nimmt Villingen und Hasela, und Graf Friedrich wird Herr in der Baar. Ihr werdet aber gebeten, den Weg über den Zindelstein zu nehmen und von dort aus mit unserm Herrn Egino nach Villingen zu reiten.«

»Da wünsch' ich«, antwortete der Herr von Freiburg, »meinem Vetter Egino Glück, wenn er Herr von Villingen wird. Er wird seine liebe Not haben mit den Städtebürgern. Ich kenn's; meine Freiburger da drunten haben mich's gelehrt, was es heißt, Herr sein über Philister. Die Kerle wollen immer mehr Freiheiten und immer weniger bezahlen. Unsereiner aber braucht Geld, viel Geld. Wegelagern duldet der alte Habsburger, unser König, nicht, und die Bürger, so am meisten Geld haben, wollen nichts herausgeben. In solchen Zeiten, lieber Hug, mag der Teufel Graf von Freiburg sein. Schöne Aussicht hat man hier oben auf meiner Burg, aber schlechtes Einkommen, Freund! Doch mir verderben die da drunten den Humor nicht. Ich laß' mir nichts abgehen und mache bei den Juden in Basel Schulden, welche die Freiburger bezahlen dürfen.

Doch, um auf Eure Botschaft zurückzukommen, ich werde zur Huldigung erscheinen und am Vorabend auf dem Zindelstein einreiten mit stattlichem Gefolge, das meinem Vetter Ehre machen soll bei den Bürgern in Villingen.

Ihr aber, Ritter, bleibt bei mir bis morgen und berichtet dann Eure Botschaft weiter. Ihr könnt mich gegen Abend hinabbegleiten in die Stadt. Ich will Euch das bald fertige Münster zeigen, das mein Vater Konrad drunten mit der Bürger Hilfe gebaut hat, ein ewig Denkmal für ihn, für unser Geschlecht und für die Bürger. Und dann will ich Euch noch was sehen und hören lassen, worüber Euch als Kriegsmann die Augen mehr überlaufen werden, als wenn Ihr am Wunderbau des Münsters hinaufschaut.« –

Das Vesperglöcklein hatte eben vom südlichen Hahnenturm aus den Bürgern von Freiburg die Zeit zum Unterbrot verkündet, als Graf Egino mit dem Ritter von Almeshofen in der untern Stadt an der Pforte des Barfüßerklosters erschien.

»Ich will«, sprach der Graf zum demütig ihn grüßenden Bruder Pförtner, »meine alten Ritter besuchen, den Rettich, den Kohmann, den Thurner und den Schretter, die vor kurzem sich bei euch haben scheren lassen und Mönche geworden sind.

Meldet's dem Guardian, daß er sie in die Konventstube beordert, und dann wollen wir zwei auch noch zu dem Teufelskerl in seine Zelle, zu dem schwarzen Berthold oder wie er heißt. Er muß von seinen Teufelskünsten uns was vormachen.

Zu allererst will ich aber noch den Bruder Albrecht, den Lesemeister, sprechen. Er soll«, fuhr der Graf zu seinem Begleiter redend fort, »meinen drei jüngeren Buben, dem Egino, dem Heinrich und dem Gebhard, Lesungen halten in der Gottesgelahrtheit. Sie müssen mir alle drei in den Kirchendienst Alle drei wurden Domherren in Straßburg, Gebhard Dompropst., meine Herrschaft genügt kaum dem Ältesten. Mein Schwager, der Bischof von Straßburg Konrad von Lichtenberg, den ein Freiburger Bürger später, am 29. Juli 1299, im Kampfe erschlug, als er die Stadt zu Gunsten seines von den Bürgern vertriebenen Schwagers belagerte., soll für die andern sorgen.« –

Am offenen Fenster seiner Zelle, auf der Ostseite des Klosters, saß an diesem Abend, den Rosenkranz in der Hand, der greise Bruder Berthold. Er ließ während des Betens seine Blicke bald in den Klostergarten, bald auf den zu ihm herabschauenden, fast vollendeten Münsterturm gleiten.

Den ganzen Nachmittag über hat er studiert und experimentiert und will jetzt im Gebet ausruhen und seinen Geist ablenken von den irdischen Dingen, die ihn ohnedies Tag und Nacht beschäftigen.

Neben seiner Zelle hat er seine »Küche«, in der er siedet und verbrennt und schmelzt und stoßt und mischt und in der er einen großen Teil des Tages und oft auch der Nacht verbringt. Manchmal ruft nach Mitternacht das Glöcklein ihn und seine Mitbrüder zur Mette und zum Aufstehen, während er selbst noch nicht einmal ans Schlafen gedacht hat.

Er eilt dann ungeschlafen durch den dunklen Kreuzgang der Kirche zu und zum Chorgebet. Seine Mitbrüder aber schauen ihn alle scheu und finster an. Sie haben ihn im Verdacht eines Bundes mit dem Teufel, seitdem er das höllische Pulver erfunden. Sie hätten ihn, wie seinen weit berühmteren Ordensgenossen in England, Roger Bacon, längst eingekerkert; aber Albrecht, der Lesemeister, war sein Freund, und der trat mit seiner ganzen Beredsamkeit und Gelehrsamkeit für den schwarzen Berthold ein. So nennen sie ihn wegen seiner schwarzen, unheimlichen Kunst.

Es klirren Schritte im Kreuzgang, und bald öffnet Bruder Albrecht die Zelle des greisen Forschers und spricht: »Berthold, unser gnädiger Herr, der Graf Egino, will Euch besuchen und noch ein fremder Rittersmann mit ihm.«

Der alte Pulvermann hatte sich erhoben, eine ehrwürdige, hohe Gestalt, kaum gebeugt von den vielen Jahren, die sie trug. Zwei große, dunkle Augen über einer mächtigen Adlernase und das ungeschorene weiße Barthaar gaben seinem Gesicht den Ausdruck eines Sehers des alten Bundes.

»Gott grüß euch, ihr Herren, in meiner Zelle!« also begann er. »Was ist euer Begehr? Ich stehe gern zu Diensten, so weit ein armer Barfüßer sie leisten kann. Unser edler Herr, der Graf, hat mich schon einmal mit einem Besuch beehrt. Es ist viel Ehre für ein Freiburger Bürgers-Kind, daß er ein zweitesmal kommt!«

»Bruder Berthold«, entgegnete Egino, dem Alten die Hand schüttelnd, »ich hab' vom Ritter Golin, meinem Burgvogt, gehört, daß Ihr in diesen Tagen eine neue Erfindung gemacht hättet, und die wollt' ich sehen und auch diesem Herrn da zeigen, dem gestrengen Ritter Hug von Almeshofen, der heute mit einer Botschaft meiner Vettern, der Fürstenberger, zu mir kam.

Als ich vor Jahren einmal bei Euch war, hattet Ihr eben das Teufelszeug erfunden, das Ihr Pulver nennt. Jetzt hör' ich, Ihr hättet auch ein Rohr gemacht, aus dem Ihr Feuer schießt.«

»Gerne, mein gnädiger Herr«, erwiderte der Mönch, »will ich Euch meine Feuerwaffe und ihre Kraft zeigen, 's ist zwar kein Geschäft für einen Barfüßer und Sohn des heiligen Franziskus, derlei Dinge zu treiben; aber mein Geist plagte mich und ließ mir Tag und Nacht keine Ruhe, bis ich wußte, was mit dem Pulver anzufangen wäre.«

»Mich plagt kein solcher Geist, alter Berthold«, gab der Graf zurück, »ich will nichts erfinden. Was mich plagt, sind die Schulden und meine Freiburger, die sie nicht zahlen wollen. Wenn Euch wieder einmal der Geist keine Ruhe läßt, etwas zu erfinden, so lernt Gold und Silber machen und bringt mir die Kunst aufs Schloß. Ich will dann den Barfüßern alle meine Zehnten und Gülten im Breisgau dafür verschreiben.«

»Ich bin jetzt demnächst achtzig Jahre alt«, fuhr der Bruder fort, »und schon mehr denn fünfzig Jahre suche ich nach ›dem roten und dem weißen Löwen‹. Kunst, unedle Metalle in Gold und Silber zu verwandeln. Drum hab' ich allzeit mit Quecksilber operiert und bin schließlich aufs Pulver gekommen – aber nicht auf Gold und Silber. Ich mein', es wird auch keinem je gelingen, diesen ›Stein der Weisen‹ zu finden, und drum werden, Herr Graf, die Schulden ewig, wie Gottes Wort, durch die Zeiten schreiten.

Aber nun muß ich die Herren bitten, wenn sie meine Feuerwaffe kennenlernen wollen, mit mir in den Garten hinauszugehen.«

Bruder Berthold nahm aus seiner Küche ein eisernes Rohr, einen kleinen Mörser, Pulver und Kugeln mit und schritt dem Grafen, dem Ritter und Albrecht, dem Lesemeister, voraus dem Klostergarten zu. Hier lud er zunächst das Rohr mit Pulver und Blei und schoß unter Blitz und Knall die Ladung auf die alte Gartentür ab, die in ihren Angeln erzitterte, als der Schuß sie traf.

Erschrocken und sprachlos schauten die beiden Rittersleute zunächst sich und dann den Bruder an.

Als der Graf Worte fand, sprach er: »Das ist ja Blitz und Donner in Menschenhand. Sagt Bruder, steht Ihr im Bunde mit dem Himmel oder mit der Hölle?«

»Mit dem Himmel, hoff ich, Herr Graf. Dem Teufel hab' ich alle Tage meines Lebens entsagt, so gut ich konnte. Gott hat den Menschen jenen Geist gegeben, der sie plagt, bis sie eines Rätsels Lösung gefunden. Der Herr des Himmels hat die Natur und ihre Elemente geschaffen, damit der Menschengeist sie erforsche. Meine Mitbrüder, brave, fromme Mönche, die dem Flug meines Geistes nicht zu folgen vermögen, diese glauben, meine Erfindung sei Teufelswerk, und sind mir gram. Aber ich tröste mich mit dem Weltheiland. Als der seine neuen, gewaltigen Ideen in die Menschheit warf, sagten die Kinder der Zeit, er sei mit dem Teufel im Bunde. Und jetzt, da ich mit meiner Feuerwaffe eine neue Epoche in der Weltgeschichte einleite, muß ich auch des Teufels sein. Nur einer in diesem Kloster versteht mich, es ist mein jüngerer Freund hier, Albrecht, der Lesemeister. Ohne ihn läg' ich wahrscheinlich in Ketten und Banden als ein Teufelskünstler.«

Des alten Mönchs Augen leuchteten bei diesen Worten geisterhaft, und er stand da wie ein Seher, der fühlt, daß er Großes verkündet und in die Zukunft schaut.

»Ihr Herren«, fuhr er ruhiger fort, »habt Donner und Blitz gehört und gesehen, jetzt müßt ihr aber auch ihre Wirkung schauen.«

Er führte nun die beiden Gäste an die Gartentüre, zeigte ihnen, wie die Kugel sie durchschlagen und in der Kirchenmauer sich festgerannt hatte.

»Da ist ja kein Mensch mehr des Lebens sicher«, meinte hoch verwundert Hug von Almeshofen – »wenn Euere Feuerwaffe in die Welt kommt, Bruder!«

»Euere Zeit, ihr Herren Ritter«, sprach kühn und ernst der Alte, »wird überhaupt um sein, wenn meine Kunst allgemein bekannt und geübt wird. Man wird große Feuerrohre konstruieren und sie mit Riesenkugeln laden. Diese werden nicht bloß im Kriege die Ritterscharen wie Mücken niederwerfen, sie werden auch die Mauern eurer Burgen niederlegen, selbst wenn diese noch so hoch in den Lüften auf Felsen säßen.«

»Zum Teufel, Bruder, du machst uns schöne Aussichten«, rief jetzt Graf Egino zornig. »Das fehlt noch, daß die Bürger und Bauern unsere Burgen beschießen und man nicht mehr weiß, wer Herr und Knecht, Ritter und Volk ist!«

»Kann euch nicht helfen, ihr Herren«, gab der Bruder furchtlos zurück, »meine Erfindung wird der Freiheit eine Gasse machen. Sie wird in Zukunft das große Wort reden in der Weltgeschichte, und von der Wirkung meiner Feuerwaffe wird das Geschick von Fürsten und Völkern abhängen. Und der Europäer wird, mit ihnen ausgestattet, neue heidnische Länder erobern und der Zivilisation zugänglich machen.«

»Wahres und Großes sprichst du, Bruder Berthold«, nahm jetzt der Lesemeister das Wort; »auch ich glaube, daß deine Erfindung die Uhr der Weltgeschichte um eine neue, große Stunde vorrücken wird. Und dein Name wird noch nach Jahrtausenden genannt werden unter allen Völkern der Erde. Und es wird unserem Orden zum ewigen Ruhm gereichen, daß du, jetzt ein so verkannter Mann, eines seiner Glieder warst.«

Der Graf und der Ritter standen vor den zwei Mönchen, die so begeistert von einer neuen Zeit redeten, wie Leute, welche Dinge hören, die sie nicht verstehen und nicht glauben können und wollen.

»Ich glaub', ihr zwei Kuttenträger habt den Verstand verloren«, hub Graf Egino hohnlächelnd an, »daß ihr so redet vor euerem Herrn. Hab' gut im Sinn, ich brenn' euch das Kloster über dem Kopf zusammen samt der ganzen Lumperei, die den Rittern und Burgherren den Garaus machen soll. Doch 's ist eigentlich nur zum Lachen, daß Kugeln Ritterscharen niedermähen und sich in die Lüfte schwingen sollen, um Mauern zu zerstören. Um dieser Narrheit willen werd' ich Euch verzeihen, Bruder Berthold. Vor Euerem Donnern und Blitzen hab' ich Respekt, aber Euere Kugeln fürchten wir Grafen und Ritter auf unseren Burgen nicht. Ihr mögt damit ungeharnischte Leute erschießen, uns werden sie nicht schaden. Um die Zukunft der Weltgeschichte kümmern wir uns nicht. Über solchen Firlefanz kann allenfalls ein Lesemeister und Klosterbruder nachdenken, aber nicht unsereiner. Aber darum keine Feindschaft, ihr Brüder, weil ich euere Reden und euere Schießerei nicht ernst nehme.«

»Ich will Euch, Herr Graf, noch eine Probe machen«, sprach Bruder Berthold, »und im übrigen nehmt's dann, wie Ihr's wollt«

Er füllte nun den Mörser mit Pulver, setzte einen Holzpfropf darauf und machte die zwei Ritter aufmerksam, dem Holzpfropf, den er jetzt in die Lüfte jagen wolle, nachzuschauen. Der Pulvermann schlug Feuer aus einem Stein und zündete den Mörser an. Es donnerte und blitzte so gewaltig, daß die zwei Ungläubigen rasch einige Schritte rückwärts machten. Der schwarze Bruder aber rief ihnen zu: »Seht ihr den Holzpfropf in der Höhe? Er ist so hoch oben, als jetzt das Münster im Bau ist. Was meint ihr nun, ihr Herren, wenn der Mörser größer ist und mehr Pulver faßt, ob er nicht auch eiserne Kugeln so in die Höhe werfen und Burgmauern treffen kann?«

»Bei allen Heiligen, Mönch!« rief der Graf, »jetzt glaub' ich bald, die Geschichte könnte ernst werden mit der Zeit. Aber dir, Bruder, dank's der Teufel!«

»Was meint Ihr, Herr«, redete ruhig weiter Berthold, »wenn auch jenes Handrohr, vergrößert, große schwere Kugeln auf eine Rittermasse schleudert, wie dann Rosse und Reiter übereinander stürzen werden? Wenn die kleine Kugel dort jenes eichene Brett durchschlug, was wird eine große in Gebein und Fleisch von Menschen und Tieren anrichten?«

»Und das sagt Ihr so ruhig und denkt nicht an das Unglück, das Ihr in der Welt anrichten wollt' und fürchtet Euch keiner Sünde, ein so menschenmörderisches Instrument erfunden zu haben?« sprach ernst und vorwurfsvoll der Ritter von Almeshofen.

»Recht so, Hug«, – meinte Graf Egino, »predige dem Bruder Moral. Es ist traurig, daß ein Ritter einen Barfüßer erinnern muß an Sünde und Schuld. Sonst war's bisher umgekehrt der Fall.«

»Ihr Herren«, gab der greise Mönch beiden zur Antwort, »sprecht in Pulversachen zu einem verstockten Sünder. Nichts und niemals hat die Menschheit etwas erreicht ohne Blut und Tränen. Die Erlösung und die Gnade des Christentums ging durch Ströme von Blut und durch den Tod von Millionen erst zum Sieg.

Meine Erfindung soll, wie schon gesagt, der Freiheit des Volkes eine Gasse machen; aber ohne Blutvergießen gibt's keine Freiheit auf Erden.

Kriege sind des ferneren Geißeln Gottes. Gott muß aber Werkzeuge haben, um diese Geißeln zu schwingen, und ich stelle nach seiner Zulassung ein neues in die Welt.

Aber meine Erfindung trägt auch unmittelbaren Segen in sich. Sie wird, wie Feuer, Wasser und Sonnenlicht, bald segnend und bald verheerend durch die Welt gehen. Ich will den Herren von ihrem unmittelbaren Nutzen eine Ahnung beizubringen suchen.

Seht da den Strunk dieses alten Apfelbaumes – und dann tretet weg von ihm der Kirche zu, damit die Stücke, in die ich ihn zerreiße, eurem Leib keinen Besuch machen.«

Die Ritter entfernten sich mit dem Lesemeister, der bisher leuchtenden Auges seinem greisen Mitbruder zugehört hatte, der Kirche zu. Bald trat auch Bruder Berthold wieder zu ihnen – aber gleich darauf donnerte und blitzte es; Holzstücke flogen an die Zellengitter und nach allen Seiten hin vor den staunenden Blicken des Grafen und seines Gastes.

»Schaut, ihr Herren, so wie diesen Baum, zerreiße ich auch Felsen und Steine. Und wenn einmal einer von euch auf schroffes Waldgestein eine neue Burg bauen will, ebne ich ihm in wenig Zeit den Platz mit meinem Pulver.

Ich will, Herr Graf, Euch jetzt nochmals in die Zukunft schauen lassen, so wenig Ihr Euch auch darum kümmert, und sage Euch: ›Der Menschengeist wird in den kommenden Zeiten noch manch' eine Naturkraft in seinen Dienst stellen, und ich schaue es im Geiste, wie Jahrhunderte nach uns die Menschen mit Windeseile mitten durch die gewaltigsten Berge fahren, die meine Erfindung durchbohrt hat, und wie Nationen und Länder in wenig Stunden sich verbinden.‹

In jenen Tagen wird man den Barfüßer-Bruder, den man heute als Teufelsknecht hinstellt, bewundern und segnen als einen Mann, der in Gottes Geiste gedacht und erfunden hat

Längst werden die Ritterburgen unserer Zeit alle in Staub gesunken sein, wenn man noch reden wird vom schwarzen Berthold. Und Freiburg wird in jenen fernen Tagen nicht nur stolz sein auf den Wunderbau, der da drüben sich erhebt, sondern auch auf den armen Barfüßer, der heute vor euch steht.

Seht's nicht als Überhebung an, wenn ich, ein elender Sünder vor Gott, so von mir rede; aber mein Geist in mir ist's, der mir diese Worte eingibt und mich zwingt, sie heute zu sagen.«

Wie einst Moses, da er mit den Gesetzestafeln Gottes vom heiligen Berge kam, in übernatürlichem Lichte leuchtete, so stand bei diesen Worten im stillen Klostergarten der Bruder Berthold vor seinen Zuhörern.

Albrecht, der Lesemeister, ergriff, mächtig bewegt und eine Träne im Auge, die Hand des Greises, küßte sie und konnte nur dies sagen: »Berthold, du bist ein König im Reiche der Geister und wirst es bleiben, so lange diese Sonne, die jetzt eben niedersinkt, aufgeht über unserer Erde.«

Jetzt reichte auch Graf Egino dem Bruder die Rechte und sprach: »Bei Gott, Bruder, Euere Sache ist keine Narrheit. Mich überkam's bei Eueren Worten, als ob ich vor einem überirdischen Geiste stünde und nicht vor einem Menschen, und als ob ich eine Offenbarung hörte aus einer anderen Welt. Also, Bruder, wir wollen gut Freund sein. Ihr kommt zu mir aufs Schloß und macht mir Feuerschlünde, mit denen ich meine rebellischen Freiburger und ihre Häuser beschieße, und dann werden sie gerne meine Schulden bezahlen und Respekt vor mir haben.«

»Herr Graf«, entgegnete der schwarze Mann, »Ihr habt gemerkt, daß ich rede, wie ich denke; drum werdet Ihr mir auch das nicht verübeln, was ich jetzt sage: Ich, Konstantin Angelisen, genannt Bruder Berthold, eines Bürgers Sohn von Freiburg, werde nun und nimmermehr auf Bürger schießen. Wenn's geschossen sein muß, schieß' ich lieber den Bürgern zu Ehren und ihrer Freiheit zu lieb auf den Schloßberg hinauf, als von dort herunter.«

»Wenn ich das wüßte, ließ ich Euch heute noch in Ketten und Eisen schlagen!« rief der Graf aus. »Das fehlte noch, daß Ihr denen in der Stadt das Schießen lehrtet!«

»Seid unbesorgt, Herr«, begütigte lächelnd der Bruder. »Es werden viele Jahre ins Land gehen, bis man so weit ist, um so große Röhren und Kugeln herzustellen. Wir beide werden es nimmer erleben. Mit mir kann's ohnedies jeden Tag zu Ende gehen.«

»Dann bin ich zufrieden«, gab Egino zurück. »Wenn's nur mich noch aushält dort droben, ehe sie hinaufschießen. Aber das müßt Ihr mir versprechen, so lang Ihr lebt, Euer Geheimnis niemandem zu verraten.«

»Das will ich, Herr Graf, und das muß ich. Meine Obern haben es mir so schon befohlen, weil sie fürchten, der ganze Orden käme in Mißkredit wegen des Teufelswerks, während ich der Welt so gerne zeigen möchte, daß wir Mönche nicht so dumm sind, wie man gewöhnlich sagt«

Unter dieser Rede waren sie in den Kreuzgang zurückgekommen, und der Graf und der Ritter verabschiedeten sich von den Mönchen. Dem einen empfahl der Herr von Freiburg unter Wiederholung seines Respekts nochmals, ja sein Geheimnis zu wahren, und dem andern, dem Lesemeister, legte er seine drei Buben ans Herz, die er morgen zur ersten Vorlesung ins Kloster herunterschicken wolle.

Egino und Hug verließen, nachdem sie noch die früher genannten Mönche und ehemaligen Ritter begrüßt hatten, das Kloster nicht, ohne dem Pförtner ein reichlich' Almosen gegeben zu haben, wie es sich geziemt, wenn man bei Bettelmönchen einen Besuch gemacht. –

Die Sonne war hinter den Vogesen verschwunden, als die zwei ritterlichen Gestalten den Berg hinter der Stadt hinauf der Burg zuschritten.

»Hug«, so begann der Graf, als sie das Stadttor hinter sich hatten, »der Bruder Berthold ist ein Teufelskerl. Das machen wir zwei ihm nicht nach, was der erfunden hat. 's ist merkwürdig, wie in dem gemeinen Volk oft ein großer Geist steckt, der sich auf Burgen nie sehen läßt.

Ganz ohne ist es auch nicht, was der alte Mönch von der Zukunft sagt. Dieses Teufelspulver wird die ganze Kriegswissenschaft umgestalten; unsere Speere werden in alte Winkel wandern, die herrlichen Turniere werden aufhören und unsere Burgen durch Feuerwaffen niedergelegt werden.

Was meint Ihr, Hug? Ich glaub', wir zwei lassen uns weder auf das Erfinden, noch auf das Schießen ein. So lange wir leben, werden Speer und Schwert noch was gelten, und die nach uns sollen schauen, wie sie durchkommen, wenn einmal jeder Bauer seine Feuerwaffe hat«

»Ich mein' gar nichts, Herr Graf«, erwiderte der Almeshofer. »Mir steht der Verstand still, seitdem ich diese Teufeleien in dem Klostergarten gesehen und gehört habe.«

»Zerbrechen wir uns den Kopf nicht länger, Hug«, schloß Egino, »und trinken wir heute abend von meinem Schloßberger nach alter Ritterart und lassen wir dabei die gute, alte Zeit leben.

Ich habe noch einige meiner Ritter und Dienstmänner aus der Stadt geladen, Euch zu Ehren; sie werden schon im großen Saale sein, wenn wir heimkommen. Sie säumen nicht, wenn sie wissen, daß bei mir getrunken wird. Reden wir aber nicht mehr vom Pulver und vom Schießen, 's könnt mir den Abend verderben.«

Eine größere Anzahl Ritter erwartete in der Tat ihren Herrn schon in der Burg. Da waren Gebin der Alte, Johann von Zürich, Johannes Küchelin, Heinrich Kozze, der Junge, Konrad Sneweli, Albrecht der Rintkof und Rudolf Wohllebe, der Zilige – lauter Ritter, aber bürgerlichen Herkommens, die meisten dem Almeshofer bekannt von Turnieren und Kriegszügen her.

Die Humpen gingen zwischen Keller und Ritterstube hin und her bis tief in die Nacht. Der Wächter vom Münsterturm rief eben die zweite Morgenstunde, als die Stadtherren, von des Grafen Knappen mit Fackeln begleitet, von der Burg herab heimkehrten.

In der Früh ritt Hug von Almeshofen mit seinen zwei reisigen Knechten zum Martinstor hinaus und Badenweiler zu, um zunächst den Grafen Heinrich von Freiburg, Eginos Bruder, zu laden.

Bald hernach schied Bruder Berthold aus dem Leben und hinterließ sein Geheimnis und seine weiteren neuen Ideen zu deren Vervollkommnung seinem Freunde Albrecht, dem Lesemeister, und Hans Enderlin, dem Waffenschmied.

Zweiundachtzig Jahre später, anno 1368, legten die Bürger von Freiburg mit Geschützen dem Enkel Eginos die Mauern seiner Burg nieder und machten der Herrschaft ihrer Grafen ein Ende.

Des Bruders Berthold Standbild aber ziert heute die Stadt, und sein Name leuchtet durch die Jahrhunderte. –


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