Heinrich Hansjakob
Meine Madonna
Heinrich Hansjakob

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11.

Die Männer in der Backstube und beim Herbstwein des Toweis erzählten und sprachen aber nicht bloß von den Fürsten und Obervögten ihrer Zeit, sondern auch von den Pfarrherren, welche in jenen Tagen in Hasle amteten.

Das ganze 18. Jahrhundert füllte eigentlich im Gespräche über die geistlichen Herren ein einziger Pfarrer aus, und das war der Dr. Planer a Plan, wahrscheinlich einem Süd-Tiroler Geschlecht entsprossen. Mehr als die Hälfte des Jahrhunderts, von 1701–1757, war er Pfarrer in Hasle, und nach seinem Tode erzählten bis zu einem neuen Jahrhundert die Haslacher gar oft von der »Excellenz«.

Planer wurde, was sicher noch nie einem Pfarrer passiert, offiziell vom Stadtrat und im Umgang mit der Burgerschaft stets Excellenz genannt. Ob dies geschah wegen seines Adels, oder weil er Doktor der Theologie, oder weil er ein excellenter Pfarrer war, das weiß die Backmulde nicht mehr. Die Excellenz war, wie eben gesagt, nicht mehr und nicht weniger als 56 Jahre aktiver Pfarrer in Hasle, und mehr als eine Generation war gekommen und gegangen während seiner langen Amtszeit.

Er hat die Zerstörung der Stadt und zwei Revolten in ihr erlebt und die Burger 56mal begleitet bei der alljährlichen Wallfahrt auf den Hörnleberg.

Diese Wallfahrt zu dem hochgelegenen, fünf Stunden von Hasle entfernten Marienkirchlein im Elztal war ein uraltes Herkommen, und der Tag ihrer Begehung wurde zur Sommerszeit jeweils in einer Ratssitzung bestimmt; denn der Schultheiß und der Rat zogen selbst an der Spitze der Waller den weiten Weg dahin. Im Hinweg wurde stramm gebetet und auf dem Rückweg ebenso stramm getrunken.

Fromm und gläubig waren in jenen Tagen alle Männer, vom Obervogt bis hinab zum Nachtwächter und Kuhhirten.

In schwierigen Zeiten machten alle fünf Pfarreien der Herrschaft Hasle gemeinsame Wallfahrten, sei es auf den Hörnleberg, sei es auf das Kreuzbergle bei Husen oder nach St. Roman oder St. Jakob bei Wolfe. Außerdem vereinigten sich alljährlich am Himmelfahrtstag die Gläubigen der fünf Gemeinden zu einer gemeinsamen Bittprozession in Hasle.

Muß ungemein malerisch ausgesehen haben diese Riesenprozession in all den Volkstrachten von Stadt und Land.

Aber es gab in früheren Zeiten oft Streitigleiten über die Reihenfolge im großen Wallfahrtszug.

Nach uralter Uebung hatten ehedem die Buren von Steine, dem Dorf unterhalb Hasle, den Vortritt bei allen gemeinsamen Bittgängen, wohl deshalb, weil einst ihre Pfarrkirche die Mutterkirche der andern gewesen war.

Das kränkte und ärgerte schon die Haslacher des 17. Jahrhunderts, daß sie nicht bloß den Malefiz-Wolfachern, sondern auch noch den Buren und Taglöhnern von Steine nachstehen sollten. Ihre Fähndriche kämpften oft mit ihren heiligen Feldzeichen mit den Steinachern, ehe die Prozession sich in Hasle, dem Sammelpunkt, ordnete. Die Buren schlugen aber mit ihren Fahnen auch wacker drein und behaupteten ihr altes Vorrecht.

Mitten in den Greueln des dreißigjährigen Krieges wurde so gekämpft. Immer wieder wandten sich die Haslacher an den Landgrafen um Abhilfe – »sie seien Bürger einer alten Residenz, mit Freiheiten begabt, an die kein leibeigener Bauer schmecken dürfe; sie seien ehrsame Zunftmeister, mit Privilegien ausgestattet, hätten die Welt gesehen und sollten dem Bauernvolk nachstehen!«

Endlich erhörte Graf Friedrich Rudolf; der Gründer des Kapuzinerklosters, das Flehen seiner getreuen Haslacher und ordnete anno 1642 an, daß für alle Zukunft zuerst die Haslacher und nach ihnen die Steinacher marschieren sollten; dann hätten die von Mühlenbach, Weiler und Welschensteinach zu kommen und als Nachtrab die guten Hofstetter.

Wer sich dem nicht fügte, der wurde unnachsichtlich mit zehn Gulden Strafe in die Herrschaftskasse und mit zehn Pfund Wachs für die Kirche »angesehen und punktiert«.

Seitdem marschierten die Haslacher im Vordertreffen, wenn es galt, in gemeinsamem Gebet den Himmel zu stürmen, was, abgesehen vom Himmelfahrtstag, in der Regel nur in »betrübten und armseligen Zeiten« geschah. –

Die alljährliche Spezial-Wallfahrt der Haslacher auf den Hörnleberg erforderte einen Marsch von zehn guten Stunden für hin und her; es gingen aber nur die eigentlichen Burger mit. Die Hintersaßen, Satz- und Schutzburger und die Weiber und Kinder waren ausgeschlossen, nicht weil es zu weit gewesen wäre, sondern weil der Heimweg viel Geld kostete.

Auf dem »Ladhof«, vor dem österreichischen Städtle Elze gelegen, wurde im Hin- und Herweg eingekehrt und namentlich auf dem letzteren standhaft gezecht und »geladen«.

Anno 1713, so wurde später noch oft erzählt, verkaufte der Bürgermeister Hils in Gegenwart des Schultheißen Franz Engler und des gesamten Rats in der Weinlaune im Ladhof sein Ehrenamt als Burgermeister dem Sonnenwirt Herb für eine Ohm Wein. Für diesen Frevel saß der Rat alsbald an Ort und Stelle zu Gericht und verurteilte beide Kontrahenten zur sofortigen Zahlung einer weitern Ohm Weines. –

Vom Ladhof hatten die braven Männer noch drei gute Stunden über den Berg nach Mühlenbach, wo der Ochsen- und der Sonnenwirt die müden Wanderer und Waller nochmals labten.

Unter dem Geläute aller Glocken zogen die frommen Beter und die fröhlichen Zecher, oft wankend und schwankend, ins Städtle ein, wo im lauen Sommerabend die Wibervölker vor den Häusern saßen und ihrer Gatten harrten.

Bis in sein achtzigstes Lebensjahr ging die Excellenz Planer, ein weingrüner, gesunder Herr, zu Fuß mit auf den Hörnleberg. Von jetzt ab ritt er dem Zug voraus, verlangte aber statt der bisherigen Gebühr, welche ihm die Stadt für den Wallfahrtsgang mit einem Gulden und dreißig Kreuzern bezahlte, zwei Gulden.

Da er gerade am Fordern und ein geldnötiger Mann war, schlug er dem Rat auch gleich vor, ihm für den Wettersegen, den er zur Sommerszeit täglich in der Pfarrkirche gab, ein Douceur von drei Gulden zu genehmigen.

Schultheiß und Rat, meist Täuflinge von ihm, waren aber nicht sehr nobel gegen ihren Seelsorger. Sie schrieben ihm, »wenn Seine Excellenz Dr. Planer a Plan nicht mehr zu Fuß mit auf den Hörnleberg könne oder für das Reiten eine Aufbesserung verlange, so möge er daheimbleiben und seinen Vikarius mitgehen lassen. Und was den Wettersegen betreffe, so würden sich die Burger, wenn Seine Excellenz nicht so viel Seeleneifer habe, daß er diesen Segen umsonst spreche, mit dem allgemeinen Segen Gottes begnügen und auf den Wettersegen verzichten«.

Noch unhöflicher waren sie gegen den sonst beliebten Pastor in einem andern Fall. Die Stadt bezahlte von alters her den Meßwein, und der Mesner mußte ihn abwechselnd bei den Wirten holen. Die Excellenz, welche, in vernünftiger Besorgnis, dem Wein nicht immer trauen mochte, meinte nun eines Tages, der Mesner solle den Meßwein bei ihm holen und die Stadt den Pfarrer dafür bezahlen.

Die Zwölfer aber befahlen dem Mesner, der städtischer Beamter war und alljährlich vom hohen Rat, der ihm auch sein Brot gab, bestätigt werden mußte, den Wein wie seither bei den Wirten zu holen. Diese seien Burger und dürften in ihren Einnahmen nicht verkürzt und im Vertrauen der Burgerschaft nicht geschädigt werden.

Dagegen genehmigten die Senatoren jedes Jahr auf Ansuchen dem Vikar zehn Gulden zum Ankauf von »allerlei kleinen Waren, die er zur Reizung des Eifers an verdiente Schulkinder« austeilte.

Der abgewiesene Pfarrer aber nahm die Sache nie krumm: er nannte seine ehemaligen Schulbuben und dermaligen Ratsherren im Spaß höchstens einmal »Schlingel, die ihrem alten Pfarrer z'leid lebten.«

Als dieser anno 1751 das fünfzigjährige Dienstjubiläum zur allgemeinen Freude der Haslacher gefeiert hatte, kam eines Tages der Erzpriester (Dekan) des Landkapitels Lahr, Schmautz, zu der achtzigjährigen Excellenz und eröffnete ihr im Auftrag des bischöflichen Generalvikars in Straßburg, es sei Zeit, daß der Pfarrer Planer a Plan sich pensionieren lasse und mit einer Pension von 170 Gulden abziehe.

Da fuhr er auf, wie ein Löwe, der Alte, und sprach empörten Herzens: »Ist das der Dank der Straßburger Herren für einen Pfarrer, der ein halbes Jahrhundert gedient hat? Ich befehle Euch, Erzpriester, sofort mein Haus zu verlassen, oder ich lasse auf dem Kirchturm stürmen, die Burger zusammenrufen und Euch aus dem Städtle jagen!« Sprach's, und jähen Schrittes enteilte der Erzpriester der Höhle des Löwen und suchte Quartier beim Kreuzwirt.

Die Excellenz aber schrieb den Frevel sofort dem Vater des Vaterlandes und aller Bedrängten, dem Fürsten Wilhelm Ernst, und bat, ihn, »der seit fünfzig Jahren seine Pfarrei zum Trost und Vergnügen der Haslacher geführt«, zu schützen. Es geschah, und die Bureaukraten von Straßburg-Zabern ließen den alten Löwen in Ruhe.

Noch sechs Jahre amtete er und ritt mit der Prozession ins Elztal, bis ihm sein leutseliges und kurz entschlossenes Wesen einen Streich spielte, der ihm die Pfarrei kostete.

Eines Tages kam eine Vagabundin, die sich mit Betteln und Spinnen im nahen Fischerbachtale durchbrachte, mit ihrem Bräutigam, dem Ignazi Hintersäß von Mühlenbach, zur Excellenz, und beide baten, sie doch zu trauen, damit sie als Eheleute durch die Welt ziehen könnten.

Allzeit ein Freund der Armen, wollte der Pfarrer den Zweien eine Freude machen, proklamierte sie am folgenden Sonntag und ließ sie am Montag durch seinen Vikar Schmider »zusammengehen«.

Als das glückliche Paar aus der Kirche kommt, steht ein Hatschier des Obervogts da, reißt die holde Braut von der Seite ihres Ignazi und führt sie in den Turm. Der Obervogt Balthasar Neidinger hatte den Vorgang vernommen. Die herrschaftliche Heirats-Erlaubnis war nicht eingeholt worden, und dazu hieß es, die Marianne Zinsmayer sei schon einmal verheiratet gewesen und das Verbrechen der Doppelehe liege vor. Drum die rasche Justiz.

Im Verhör gesteht die Bettlerin, sie sei anno 1743 einem Marketender namens Benedetto im Lager der Oesterreicher bei Memmingen von einem Feldpater angetraut worden. Der Benedetto habe sie aber später verlassen und sei zu den Franzosen gegangen.

Von einem andern Marketender, der kürzlich mit seinem Weib durchs Kinzigtal gezogen sei, seiner Heimat Bayern zu, habe sie gehört, der Treulose sei an der Kolik gestorben. Es habe auch früher schon der Kaufmann Stelker von Hasle an einen Kaufmann Chamas in Paris geschrieben wegen des Lebens oder Todes des Benedetto, aber keine Nachricht erhalten. Es sei ihr, der Marianne, das Warten nun entleidet, und sie habe den Ignazi an den Altar geführt und die Excellenz beide »um Gottes willen zusammengegeben.«

Das alles berichtet der Balthasar seinem Fürsten. Der ist ergrimmt, daß man heiraten will ohne seine Erlaubnis, und befiehlt seinem Obervogt, den Planer a Plan dem Generalvikar in Straßburg zu »denunzieren«.

Daraufhin bricht das Unglück über die greise Excellenz herein. Die Straßburger Kurie erfährt aus Paris, daß der Benedetto dort nicht gestorben, sondern nach Ungarn verzogen und wahrscheinlich »ein Arabier« gewesen sei.

Zur Strafe dafür, daß er so frevelhaft eine Trauung vollzogen, wird dem Planer in der Person des Xaver Bilstein aus Zabern ein Pfarrverweser gesetzt, sein Vikar aber auf ein Jahr suspendiert und zu 14 Tagen geistlicher Uebung bei den Kapuzinern in Offenburg verurteilt. Der Pfarrverweser kommt, aber der alte Löwe läßt ihn nicht ins Pfarrhaus. Der Rentmeister Straßer gibt ihm mit fürstlicher Erlaubnis Herberge bei sich, und die 150 Gulden Gehalt, welche die Excellenz ihrem Stellvertreter zu bezahlen sich weigert, werden ihr von der Wein- und Frucht-Kompetenz, welche die Herrschaft leistet, abgezogen.

Zugleich soll der alte Pfarrer die Atzung für die vom Juni 1756 bis zum Februar 57 eingesperrte Vagabundin bezahlen. Erst lebte sie im Turm von ihrem eigenen Bettelvorrat: dann bettelte eine Schwester für sie und brachte ihr die Nahrung in den Kerker. Nachher sollte auf Befehl des Fürsten der Pfarrer, welcher ihr zum Ignazi hatte verhelfen wollen, für sie aufkommen.

Der Ignazi hatte schon längst den Staub des Kinzigtales von seinen Füßen geschüttelt und sich in das kaiserliche Regiment Battiany als Dragoner »einrollieren« lassen. Seine Mariann' aber wurde, nach langer Haft frei geworden, des Landes verwiesen. –

Da der Excellenz so unverdient zugesetzt wurde, so entschloß sie sich, um den ihr mißliebigen Elsässer Pfarrverweser aus dem Städtle zu bringen, mit einem Haslacher Priester ein Abkommen zu treffen.

In der unsernen Talgemeinde Welschensteinach war ein junger Pfarrer, Xaverius Gangolphus Wüst, der Sohn des Chirurgen und Balwierers Wüst in Hasle.

Mit diesem trifft der alte Planer eine Vereinbarung, wonach der Gangolphus ihm vom Pfarreinkommen 308 Gulden gibt und das Pfarrhaus auf Lebenszeit gänzlich überläßt, während er, der Gangolphus, bei seinen Eltern wohnen will.

Fürst und Bischof genehmigen das Abkommen, und die Excellenz tritt in Ruhestand, den sie noch zwei Jahre durchlebt. Anno 1759 haben sie den Achtundachtzigjährigen vor dem Marienaltar in der Pfarrkirche der Erde übergeben und ihm eine kleine Gedenkplatte gesetzt, die heute noch existiert.

Bei seiner Beerdigung erschien kein Erzpriester; der Kapuziner-Pater Gebhard und der Gangolphus Wüst waren die einzigen Geistlichen dabei. Der alte Löwe war nicht beliebt gewesen bei seinen Amtsbrüdern, und die Erzpriester hatten ihn ob seiner Derbheit gefürchtet.

Aber ewige Schande bleibt es für alle Haslacher seiner Zeit, daß sie ihren Pfarrer, der sein Amt über ein halbes Jahrhundert »zu ihrem Trost und Vergnügen« unter ihnen ausgeübt, nach dem Tode noch verganten ließen.

Der brave Mann, der, wie wir aus der Affäre der Mariann' und des Ignazi gesehen, ein Freund der Armen war und schwere Kriegszeiten erlebt hatte, hinterließ 324 Gulden 52 Kreuzer Vermögen und 1182 Gulden 52 Kreuzer Schulden. Selbst der Amtsbote und Schuster Hammerstiel, der die Marianne im Turm auf Rechnung des Pfarrers gefüttert hatte, bekam nichts.

Alte Möbel, einige Fäßlein Wein, einige Häfen voll Holdermus, einige Schinken und einige Säcke mit Birnenschnitz waren des toten Pfarrers Habe. Das einzige Kleinod, das er besaß, der tapfere Mann, ein altes Schmuckkästle, vermachte er der undankbaren Stadt, und diese überließ es dem Schultheißen Sartori um – fünf Gulden. –

Sie hatten den Tod der Excellenz bald zu bedauern, die Bürger von Hasle; denn sein Nachfolger, der Gangolph Wüst, machte seinem Geschlechtsnamen alle Ehre. Er fing mit Gott und der Welt Händel an und war rechthaberisch und gewalttätig, und dies um so mehr, je weniger die Haslacher des »Balwierers Xaveri« respektierten.

Selbst die alles duldenden Hofstetter klagten über ihn, weil er Schule und Christenlehre versäume. Daß der Gangolphus nicht prosperierte in Hasle, war den Chirurgen Gebele und Pfaffius nicht unangenehm. Sie hatten gefürchtet, es werde sich jetzt alles in Stadt und Land von dem alten Wüst balwieren lassen, weil dessen Sohn Pfarrer im Stabile geworden war.

Nach einigen Jahren mußte der Gangolphus weichen, nachdem er nicht wenig Spott und Schand erfahren von seinen Mitbürgern. Er tauschte mit dem Pfarrer von Steinach, als er in Hasle sich nicht mehr halten konnte, und die Haslacher machten einen guten Tausch. Still und friedlich weidete der Franziskus Schaller, aus Neidingen bei Donaueschingen gebürtig, seine Herde fast 25 Jahre lang.

Er war Hausfreund beim Toweis, dessen zahlreiche Kinder er alle unterrichtet hatte, und starb im gleichen Jahre 1789, da des Toweisen Sepp Priester geworden war.

Auf den Franziskus folgte der Pfarrer Schuhmacher, der den Toweis beerdigen sollte. Er war ein Sohn der Stadt Rottweil am Neckar und, ehe er nach Hasle kam, Professor am Gymnasium in Donaueschingen gewesen.

Ein »aufgeklärter und toleranter« Mann, ein Josefiner, wie er im Buch steht, erwarb sich Schuhmacher die Herzen der freisinnigen Haslacher im Sturm und bewahrte ihre Liebe all die 36 Jahre hindurch, die er Pfarrer in Hasle gewesen.

Meine Großmutter und mein Vater, die er beide getauft und unterrichtet hatte, erzählten mit Vorliebe vom Pfarrer und Dekan Schuhmacher. Er wurde der erste Schuldekan, nachdem vorher stets nur Lehrer die Schulen geprüft hatten.

Er war aber auch ein richtiges Vorbild für alle späteren landesherrlichen Dekane, wie die Schuldekane genannt wurden, und sah in jedem Obervogt ein höheres Wesen und in jedem Hofrat ein Cherubim seines vergötterten Fürsten.

Die Haslacher lehrte er, daß »Gott die reinste Liebe« sei, und das Gebetbüchlein des Hofrats Eckartshausen über diese Liebe empfahl er allen seinen Schülern und Burgern. Mein Vater nahm bis zu seinem Lebensende kein anderes Gebetbuch in die Hand.

Die poesievollen Wallfahrten nach dem Hörnleberg gingen bei dieser reinsten Liebe unter, und den Männern sagte der Pfarrer von der Kanzel herab, »wenn am Sonntag-Nachmittag einer von ihnen irgendwo gut sitze, so solle er wegen des Vesper-Gottesdienstes nicht aufstehen.«

Das waren lauter Lehren, die man den fidelen Haslachern nicht zweimal sagen mußte. Ich kannte noch zahlreiche seiner Schüler; alle aber waren gleichwohl wirklich religiöse Menschen und fröhliche Christen. Unwissend in Glaubenssachen, übten sie die Religion unentwegt im häuslichen Gebet und im öffentlichen Gottesdienst und zeigten allüberall Hochachtung vor religiösen Dingen.

Als am 6. Juli 1825 der Erzpriester Zehazeck, Pfarrer in Kippenheim, den fast achtzigjährigen Prediger der Liebe zur Erde bestattete, weinte jung und alt dem beliebten, langjährigen Pfarrer nach.

Und noch in jenen Tagen des Toweis, die ins 19. Jahrhundert fielen, stritten sich, wenn von den Pfarrern von Hasle die Rede war, die Burger beim Herbstschoppen, wem der Vorzug gebühre, dem Planer a Plan oder dem Karle Schuhmacher.

Der Pfaffius, der Wachtler-Hans, der Toweis und alle älteren Burger stellten den Planer, dem der Chirurgus namentlich eine »hohe Wissenschaft« nachrühmte, die jüngeren den Schuhmacher in die erste Linie. –

Was die Burger beim Toweis auch nicht unbesprochen ließen, das waren die Beschlüsse des Rats und alle sonstigen Vorgänge im Städtle.

Am meisten schimpften die Leute, wie allerorts üblich, über die Geldstrafen, und diese regnete es jährlich einmal in Althasle, wenn das Burgerholz vom Waldmeister aufgenommen und inspiziert worden war.

Es war eine lustige Zeit für die Burger, wenn im Winter einem jeden seine Bäume im Wald zum Burgerholz angewiesen wurden und er sie selber hauen und aufbereiten mußte.

In hellen Scharen zogen die ehrsamen Handwerker aller Art als Holzmacher in des Waldes düstere Gründe, und es ging ein förmliches Raub-Hauen an. Jeder suchte so viel Holz zu bekommen als möglich. Alle machten ihr Holz zu lang und viele anstatt der erlaubten drei Klafter viere und sechse.

Selbst die Burgermeister und Ratsfreunde taten da mit, und nicht selten wurde noch den angrenzenden Mühlenbacher Buren Holz verkauft, die den Kaufpreis alsbald in Schinken, Speck und Schnaps ablieferten.

Bei lodernden Waldfeuern wurde dann gelacht, gesungen und getrunken und auf die gute Stadt hin gesündigt.

Es sollte aber kein Burger seine Klafter abführen, ehe sie vom Waldmeister und Förster gemessen und »kritisiert« worden waren, und jeder mußte unter Strafe seinen Namen an sein Holz schreiben. Manches Klafter und mancher »Trom« war aber schon nächtlicherweile aus dem Walde gewandert.

Doch blieb noch ein genügendes Sündenregister übrig, und von den ersten bis zu den letzten Beugen gab es Strafurteile von 12 Kreuzer bis zu 2 Gulden, wobei das Klafter (4 Ster) zu 30 Kreuzer angeschlagen wurde.

Die Waldfreuden, die Waldsünden und ihre Strafen waren alljährlich Gegenstand längerer Unterhaltungen der Burger, die dann mit ihrem Rat scharf ins Gericht gingen.

Am meisten räsonierten sie über die zwei Beherrscher des Gemeindewesens, den Schultheißen Franz Anton Sartori und den Stadtschreiber Franz Josef Fernbach. Beide waren Brisgäuer und einer schlauer als der andere. Sie hießen bei den Haslachern nur der Franze-Toni und der Franz-Sepp, oder auch kurzweg die »Brisgäuer«.

Der Ratschreiber war des Ochsenwirts Sohn von Riegel, ein verstickter Student, aber ein Schlauberger ersten Ranges.

Er hieß, als er nach Hasle kam, noch Fehrenbach, änderte aber, als er merkte, daß es viele Leute dieses Namens auch in und um Hasle gebe, den seinigen um in Fernbach, was vornehmer lautete.

Es gelang ihm, bald nach seinem Amtsantritt auch noch eine Tochter des Schultheißen zur Frau zu bekommen. Jetzt war er der Schwiegersohn des Stadtoberhauptes noch fast zwanzig Jahre lang und hatte den alten Franze-Toni ganz in der Tasche.

Beide hielten allzeit zur Regierung, und es konnte die Burger nichts machen, als räsonieren über die zwei Malefiz-Brisgäuer, die als Fremde die Herren der Haslacher waren.

Als den Stadtschultheißen nach mehr als 25jahrigem Dienst 1784 im Rathaus der Schlag traf und er starb, war die Macht des Stadtschreibers nicht nur nicht gebrochen, sondern sie stieg noch, indem er jahrelang von der Herrschaft zum Stabhalter, d. i. zum Provisorischen Schultheißen ernannt wurde.

Er regierte jedoch auch noch unter dem folgenden Schultheißen und blieb in seinem Amte bis zu seinem Tode 1814. Schultheiß aber wurde 1792 abermals keiner von Hasle, sondern wieder einer aus einer welschen Familie, der Johann Baptist Battier, ein Krämer.

Seitdem alle eingestammten Schultheißen Demokraten gewesen, nahm die Regierung nur noch Fremde, die treu zu ihr hielten. –

Auch das Postwesen spielte nach dem Abgang des Posthalters Stelker einige Jahre eine große Rolle in den Schimpfreden der Haslacher.

Der Enkel des alten Posthalters Stelker, Xaver Dirhold, behielt die ihm beim Rücktritt seines Großvaters überlassene Posthalterei nur ein Jahr. Denn die Thurn- und Taxis'sche Oberpostdirektion wollte nicht mehr bezahlen als seither, und drum kündigte der Xaveri.

Jetzt übernahm der Kronenwirt Glück in Husen die Post, 1772, und den Haslachern blieb nur ein Postexpeditor, der Seiler Thoma in der Vorstadt, dessen Sohn, einem greisen Seiler meiner Knabenzeit, ich noch an »die Birnen ging«.

Aber der gute Seiler hatte nichts zu expedieren; denn der Glück in Husen fuchste die Haslacher schmählich. Er ließ nicht nur die Ordinari-Post durch ihr Städtle reiten, ohne anzuhalten, auch den Postwagen ließ er oft durchfahren, so daß die Haslacher Krämer und Handwerker, welche gerne und oft in Geschäften nach Straßburg gingen, sitzen blieben.

Von Zeit zu Zeit schickte der boshafte Husacher einen Knecht mit den angekommenen Briefen für Hasle. Kurzum, er lebte der Nachbarstadt zu leid, wo und wie er konnte, und die Haslacher erfuhren nichts Neues mehr aus der weiten Welt.

Der geldarme Obervogt Schorer, der von dem Posthalter in Husen ein Pferd gekauft und wahrscheinlich noch nicht bezahlt hatte, wollte nicht recht ziehen gegen den Postgewaltigen, dem auch der Thurn- und Taxis'sche Oberpostdirektor Heißdorf zu Augsburg wohl gesinnt war.

So trieb der Glück sein frevelhaftes Spiel mit den guten Haslachern längere Zeit, bis diese sich an den Landesvater wandten, der dem Husacher und seinen Gönnern endlich sagte, was Rechtens sei. –

Was in jenen Tagen sehr oft vorkam, war das Durchbrennen verschuldeter Burger und Buren, die sich meist als Soldaten anwerben ließen. Die Menschen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren ungemein leichtlebig. Spielen und Trinken brachte zahllose Bürger und Bauern um Hab und Gut. Ganten und Mundtot-Erklärungen waren an der Tagesordnung, ebenso das Durchbrennen.

Eines Abends anno 1763 kam der schon genannte Färber Anton Hansjakob, des Färbers Toweis Sohn und Nachfolger, und erzählte dem Vetter Bäcker, daß der Schneider Heid, der Mann ihrer gemeinschaftlichen Base, der Tochter des Burgermeisters Johannes, durchgegangen sei.

Das war, wie gesagt, damals keine Seltenheit, daß einer durchbrannte. Der Schneider hatte es drum auch riskiert, und wie es scheint, trieb ihn sein Weib, die Magdalene Hansjakobin, in die Flucht.

Diese selbst mag nicht untröstlich gewesen sein; denn sie steht andern Tags schon vor dem hohen Rat und bittet um die Erlaubnis, ihr Haus verkaufen und die Gläubiger befriedigen zu dürfen.

Der Rat genehmigt es nicht, sondern befiehlt ihr ganz schildbürgerlich, den Schneider innerhalb vierzehn Tagen wieder beizuschaffen, ansonsten er in öffentlichen Blättern ausgeschrieben werde. Sie schickt einen tapfern Mann nach dem Flüchtling, der in Freiburg sein soll, aus. Der Metzger Michael Köbele ist der Liebesbote. Er hat den nötigen Mut, dem Schneider zu drohen; denn er ist vor kurzem erst beturmt worden, weil er den Seiler Langenbacher »einen sakrum Ketzer geheißen und mit dem Messer bedroht hat«.

Am zweiten Tage aber kommt der Metzger unverrichteter Sache wieder nach Hasle und meldet, der Schneider sei in der Dreisamstadt gewesen, von dort aber abgezogen, willens, sich bei einem Herrn in der Schweiz eine Bedientenstelle zu suchen.

Jetzt wird vom Rat beschlossen, den Flüchtling in der Schaffhauser und in der Frankfurter Zeitung ausschreiben zu lassen.

Es geschieht, aber unser Schneider meldet sich nicht. Das Haus wird verkauft. Nach Jahr und Tag stirbt die Hansjakobin, und nicht lange hernach steht der Meister Zwirn, der bei einem österreichischen Freikorps gewesen, vor dem Rat und bittet, ihm zu verzeihen und ihn wieder, wenigstens als Schutzburger, aufzunehmen, da er »den ganzen Abgrund seines Elends einsehe und beweine.«

Seine Bitte soll erst gewährt werden, wenn er eine vierteljährige Besserungszeit überstanden habe. Der Spott der Haslacher sorgt dafür, daß er die Probezeit besteht. Bald finden wir ihn wieder im Besitz eines Weibes und einer Geiß. Der letztern schlägt eines Tages die Gattin des Burgermeisters Klausmann ein Bein ab, und das arme Tier muß sterben. Der Schneider klagt, die Klausmännin leugnet, und da man allzeit einer Burgermeisterin mehr glaubt als einem durchgebrannten Schneider, so verliert dieser den Prozeß. –

Eine noch größere Merkwürdigkeit, als das Durchbrennen eines Schneiders hatte sich ein Jahrzehnt vorher ereignet. Ein Haslacher Burger tat sich als Eremit oder Waldbruder auf. Es war dies der Bäcker und städtische Stubenwirt Johannes Bohl, ein Zunftgenosse und Freund des Toweis.

Sein Vater, auch ein Bäcker, dürfte einer der geriebensten Kunden des 18. Jahrhunderts in Hasle gewesen sein. Er brachte es durch seine Gewandtheit zum Burgermeister und blieb es bis an sein Ende, trotzdem er die städtischen Interessen schädigte, so gut und so oft er konnte.

Er betrog die Stadt beim Holzmachen und führte ganze Klafter, die nicht sein waren, weg. Er frevelte in den heiligen Hainen der Eichen und auf den Allmendfeldern. Er machte seine Ware meist zu leicht, und selbst die Kapuziner kamen zu kurz, wenn er das ihnen von der Stadt geschenkte Brot zu liefern hatte.

Es gelang ihm, selbst den Mehlhandel zu monopolisieren. An Markttagen hielten die Weiber und Töchter der Bäcker Mehl und Gries feil. Der alte Bohl wußte es bei der gnädigen Herrschaft durchzusetzen, daß er gegen eine Abgabe an den Fürsten auf dem Marktplatz allein mit Mehl handeln durfte.

Dies erregte eine kleine Revolution unter den Bäckersweibern, denen auch die Kapuziner halfen, indem sie in der Klosterkirche gegen den Mehlwucher predigten.

Als der Bohl seine Monopolwaren das erstemal feil hielt, stürmten die Bäckersweiber seinen Stand und warfen ihm sein Mehl und seinen Gries auf den Boden. Der Monopolmann eilt zum Obervogt, der den Frevel dem Landesvater Wenzel meldet. Die Weiber werden von diesem in den Turm gesprochen, und den Kapuzinern wird »schärfstens eingebunden«, sich nicht mehr in fürstliche Monopole einzumischen.

Die Zeit des Monopols wurde nun verkürzt, aber der alte Bohl kam trotz desselben auf keinen grünen Zweig. Er starb ziemlich verschuldet, und sein gleichnamiger Sohn trat des Vaters Schulden an. Als ihm das Mehl zum Backen ausgehen wollte, wurde er städtischer Stubenwirt. Doch seitdem die schöne Sitte aufgehört hatte, Beleidigungen mit Wein zu sühnen und zur Strafe dem Rat den Tisch zu decken, hatte der Stubenwirt nicht mehr viele Gäste, und darum fand der Ex-Bäcker Bohl sein Auskommen auch auf der Stube nicht.

In seiner Bedrängnis kam er auf den Gedanken, den Gläubigern seine Habe nebst Weib und Kindern zu überlassen und ein Waldbruder und Einsiedler zu werden.

Die Excellenz Planer gab ihm die dazu nötige geistliche Erlaubnis, und der Stubenwirt zog als Waldbruder in eine Hütte auf dem Helgenberg.

Im ganzen Städtle war ein groß Gerede darüber, daß der Stubenwirt Eremit geworden, und weil die Leute damals glaubten, das »Katzen-Kätherle« und seine Namensbase könnten Mäuse machen, wurde es den meisten Haslachern nicht schwer, auch an den Ernst der Waldbruderei des Stubenwirts zu glauben.

Er schrieb aus seiner Hütte an den Rat einen beweglichen Brief, ihm doch, da er ein armer Waldbruder geworden, das nachzulassen, was er der Stadt schulde. Es geschah, und auch die andern Gläubiger ließen den frommen Mann Schulden halber ungestört in seiner Waldbruderei. Einen schlechten Geschmack zeigte Johannes, der Eremit, bei der Auswahl seiner Einsiedelei nicht. Vom Helgenberg aus hat man den schönsten Blick auf Hasle und seine Umgebung, und ich wäre heute bereit, dort in einer bequemen Klause meine Tage zu beschließen. Ich hatte vor Jahren einmal die Absicht, daselbst eine alte Hütte zu kaufen und mir ein Altersheim zu bauen, aber meine Mittel erlaubten es damals noch nicht, und der schöne Traum zerrann, wie schon viele seiner Vorgänger in meinem phantasiereichen Leben. Und jetzt bin ich zu alt, um noch ein neues Haus zu bauen.

Die Haslacher freuten sich, einen Waldbruder zu haben, schon der Wolfacher wegen. Diese hatten von alters her bei der Waldkapelle St. Jakob einen Eremiten. Nun besaßen die von Hasle auch einen solchen Gottesmann, und der Vorrang Wolfachs war um eine Nummer geringer.

Wer, wie der Toweis und seine Backstuben-Genossen, den alten und den jungen Bohl näher kannte, der konnte sich des Lachens nicht enthalten, wenn der neue Waldbruder vom Helgenberg bisweilen, im härenen Gewand und mit dem Bußgürtel angetan, gesenkten Hauptes ins Städtle kam, um bei der alten Excellenz vorzusprechen.

Er hatte neben der Hütte noch ein eigenes Stückchen Feld, pflanzte seine neumodischen Kartoffeln und hielt eine Geiß, machte und betete Rosenkränze und empfing nebenher die Haslacher, die ihm Almosen in Form von Brot, Mehl und Fleisch brachten.

Wibervölker keines Alters durften zu dem frommen Waldbruder; denn weibliche Besuche hätten einen Eremiten um seinen ganzen Heiligenschein gebracht.

Der ehemalige Stubenwirt muß sich aber den letztern wohl bewahrt, und die Haslacher müssen an Jahrmärkten, wo auch viele Brisgäuer ins Städtle kamen, des Waldbruders Lob scharf gesungen haben; denn er bekam nach Jahren einen Ruf.

Das breisgauisch-österreichische Städtchen Herbolzheim unterhalb Freiburg, der Geburtsort des Ochsenwirts und späteren Stadtschultheißen Sartori, suchte für seine Kapelle »Maria Sand« einen Waldbruder. Der Volksmund wies auf den Johannes im Paradies am Helgenberg zu Hasle hin.

Eines Tages erschienen am Kinzigstrand zwei Burger von Herbolzheim bei ihrem Landsmann, dem Ochsenwirt, und fragten ihn nach dem Sitz des Eremiten, von dem sie Kunde vernommen im fernen Brisgäu.

Der Sartori, selbst ein frommer Mann, empfahl den Johannes, und bald standen die Herbolzheimer Boten vor dem ehemaligen Bäcker und Stubenwirt im härenen Gewände und engagierten ihn für ihre Kapelle.

Auch ein Waldbruder vermag einer Beförderung und besserem Einkommen nicht zu widerstehen, am wenigsten, wenn er dem Stamme Bohl entsproßte und von Hasle war.

Maria Sand, das kleine Heiligtum, dessen Hüter und Wächter der Johannes vom Helgenberg werden sollte, war eine Wallfahrt, und an solche Orte kommen Pilger mit offenen Händen für einen einsamen Gottesmann. So wurde wohl der erste und der letzte Burger von Hasle als Waldbruder in die Fremde berufen. Von des Johannes Taten und Tugenden meldet aber weder Lied, noch Heldenbuch mehr etwas. Nicht einmal das Totenbuch von Herbolzheim weiß von ihm. Vielleicht ist er nochmals einem Rufe gefolgt, hat auch dem Breisgau Lebewohl gesagt und ist wie viele Originale seiner Art spurlos untergegangen. –

Hasle hatte jetzt keinen Waldbruder mehr; aber es sollten ihm später zwei Neuheiten erblühen, welche die Wolfacher nicht besaßen.

Die Tabakstampfe der Stadt hatte sich nicht rentiert und war eingegangen. Da tauchten zwei Schweizer auf, Wezler und Danielis aus Rorschach, und errichteten in Hasle eine Filiale ihrer berühmten Schnupftabakfabrik.

Sie machten so vorzügliche Ware, daß der Toweis, der seither nur mäßig geschnupft hatte, ein rechter Schnupfer wurde. Seine Buben standen an der Backmulde und an der »Wirkbank«; er besorgte nur noch das Einschießen. Drum konnte er ruhig Schnupfer werden und es mit Macht bleiben bis zu seinem Ende.

Aber noch etwas Gefährlicheres drohte den Haslachern als Neuheit – eine Pulvermühle. Ein Schwarzwälder, Paul Steiger aus Löffingen, hatte schon die hochfürstliche Erlaubnis dazu, und der Schultheiß Sartori begünstigte diese Fabrik sehr wegen seines Bergbaus. Doch dem Pulvermüller machten die Burger die Hölle so heiß, – weil er eine so gefährliche Hantierung in ihrer Nähe anfangen wollte, trotzdem eigentlich niemand Pulver brauchte als ihr Franze-Toni – daß der Mann von seinem Vorhaben abließ.

Gleichwohl flog in jenen Tagen eine gewaltige Pulvermine auf, die namentlich alle Wibervölker in Hasle und Umgegend in Schrecken setzte, in allen Häusern besprochen wurde und auch in mein Schicksal eingriff. Unter dem Rathaus stand an Markttagen die städtische Wage und bei ihr zwei von der Stadt ernannte Burger als Wagmeister, der eine zum Wägen, der andere, um das Wäggeld einzuziehen.

Alles, was auf dem Markt dem Gewicht nach gekauft und verkauft wurde, wie Butter, Speck, Hanf, mußte bei hoher Strafe auf der städtischen Wage abgewogen werden.

Viele Jahre amtete als wägender Wagmeister der Bäcker Peter Hammerstiel, der zukünftige Schwiegervater meines Großvaters, des Eselsbecken.

An einem Markttag des Jahres 1784 kaufte nun einer der ständig im Dienste stehenden städtischen Kontingentssoldaten namens Vogt einen Ballen Butter, den ihm der alte »Becke-Peter« zu vier Pfund abwog. Das Gewicht kam dem Krieger des schwäbischen Kreisregiments zu hoch vor, und er ging zum Krämer und Seifensieder Reinold und ließ seinen Butter nachwägen. Dieser wird auf des Krämers Wage um ein halbes Pfund leichter befunden.

Der Soldat läuft mit diesem Resultat alsbald wieder zur Wage und beschwert sich. Da nennt der alte Hammerstiel den Reinold einen Hundsfötter und seine Wage ein Saugeschirr. Der schwäbische Krieger meldet das dem Krämer, und weil dies »in Gegenwart der Mutter seiner Magd« geschieht, ist der Seifensieder in seiner Ehre doppelt gekränkt und eilt kampfesmutig in die Waghalle.

Hier empfängt ihn der grimmige Peter, der schon ein Vierteljahrhundert an der Wage steht, mit dem gleichen obigen Titel. Der Krämer stürzt auf – die Wage zu, untersucht sie und findet in der einen Wagschale ein Stück von einem Hufeisen. Jetzt war der Seifensieder Sieger und eilt wegen seiner gekränkten Ehre auf das Rathaus, wo Fernbach als Stabhalter das Regiment führt und Recht spricht. Auf dem Markt aber entstand um den alten Becke-Peter eine kleine Revolte. Alles, was an diesem Tage Butter und Speck gekauft hatte, stürmte auf den Wagmeister ein und verlangte von ihm Schadenersatz, da die Verkäufer und Verkäuferinnen vielfach längst über Berg und Tal sich entfernt hatten.

Da niemand wußte, wie lange das Hufeisen in der Wagschale gelegen, wurden bald alle Weiber im Städtle rebellisch, weil sie zu wenig Butter erhalten für ihr Geld, und bald diese, bald jene, selbst Weiber von dem vier Stunden entfernten Städtchen Lahr kamen zum Stabhalter Fernbach und verlangten Schadenersatz vom Becke-Peter.

Es wird Gericht gehalten über den alten Wagmeister. Er erklärt sich für schuldig, kann aber in Gottes Namen nicht sagen, wie das Eisen in die Wage gekommen, und bittet angesichts seiner langjährigen Dienste, und weil er durch das Vorkommnis »keinen Nutzen geschöpft«, ihm ein gnädiges Urteil zu sprechen.

Es lautet: Der Peter habe, da man nicht wissen könne, wie viele Markttage das Eisen in der Wage gelegen, für vier Wägtage allen verlangten Schadenersatz zu leisten. Dazu wird er mit einer Strafe von einem Pfund Heller, das tut einen Gulden 36 Kreuzer, punktiert, hat den Reinold »mit Gebung der Hand um Verzeihung zu bitten« und ihm 30 Kreuzer für Zeitversäumnis zu ersetzen.

Diese Strafe und der Boykott, den die Wibervölker über des Becke-Peters Backstube verhängten, waren des alten Biedermanns Tod. Im November war ihm das Urteil gesprochen worden, und im darauffolgenden Februar haben sie den Becke-Peter begraben. Die Leute aber sagten: »Er hätt' noch zwanzig Jahre leben können; die Kränkung, der Spott und die Schande wegen des Hufeisens haben ihn unter den Boden gebracht.« Sein Häusle, seine Tochter und sein Gewerbe und den Namen Becke-Peter überkam der kaum 23 Jahre alte Philipp Jakob Hansjakob, der älteste der lebenden Buben des Toweis und mein leiblicher Großvater.

Wer weiß, ob, wenn der alte Becke-Peter nicht so frühe das Zeitliche gesegnet hätte, des Toweisen Philipp je zu einem eigenen Geschäft in Hasle gekommen wäre. Auf sein Elternhaus, das nach alter Sitte dem jüngsten Sohn blühte, hatte er als ältester keinen Anspruch, und einen »neuen Beck« ließen die alten Bäcker nie aufkommen. Er hätte also seinen Wanderstab ergreifen und in der Welt draußen was suchen müssen.

Dann hätte er wohl nie sein zweites Weib, die meine Großmutter geworden, gefunden, und ich, sein Enkel, wäre sicher nicht in Hasle und vielleicht gar nicht in diese schöne Welt gekommen.

Und das alles hat mit seinem »Sinken« ein altes Hufeisen getan. Es hat den biederen Becke-Peter getötet, hat des Toweisen Philipp zum Bäckermeister in Hasle und damit zu meinem Großvater und mich zu einem Haslacher gemacht.

Von seiner zweiten Frau, meiner Großmutter, werde ich später ein Geheimnis enthüllen, das noch mehr zeigt, was mir das Hufeisen, so am 15. November 1784 in der städtischen Wage zu Hasle gefunden wurde, für einen Spuk gespielt hat.

Wenn es noch Mode wäre, daß auch Proletarier ein Siegelwappen führten, würde ich das halbe Hufeisen, das den Peter Hammerstiel ums Leben gebracht, und eine Brezel irgendwie vereinigen und sie als Wappenbilder führen. Sie wären auch schöne Sinnbilder für mein Wesen. Ich bin auch mehr Hammerstiel als Hammer, mehr halb als ganz und bald hart und widerspenstig wie ein Hufeisen, bald weich wie eine mürbe Brezel. –

In den Tagen des Toweis wurde auch die heutige Kirche von Hasle, von anno 1779 an, gebaut und ausgeschmückt. Die alte, romanisch-gotische wurde, weil ruinös, abgetragen und eine neue nach dem Plan des fürstlichen Baudirektors Salzmann errichtet. Nur der Turm blieb stehen.

Der Fürst und die Stadt waren die alleinigen Bauherren; der erstere gab das Holz, die letztere das Geld. Der Pfarrer und das »Konsistorium in Straßburg« hatten nichts darein zu reden.

Um so mehr redeten aber die Burger beim Wein und in den Backstuben über den Neubau.

Der Toweis, bei Beginn desselben noch aller seiner Aemter entsetzt, war 1780 nicht bloß wieder Ratsherr, sondern auch Stadtbaumeister geworden.

Am meisten wurde disputiert über die Neudeckung des Kirchturmes. Seither war er mit glasierten Ziegeln gedeckt gewesen, jetzt wurden Stimmen laut, ihn mit Blech zu decken.

Bis an den Fürsten ging der Streit, und da in der Regel in der Welt die Dummheit Recht bekommt, siegten die Blechvertreter, und der Turm bekam einen Helm von Blech und behielt ihn bis zur Stunde.

In meiner ersten Knabenzeit glaubte ich, dies Blech sei Silber, und fand unsern Kirchturm unvergleichlich schön, wenn die Abendsonne auf das vermeintliche Silber schien. –

Als der Rohbau fertig war, fragte der Rat beim Fürsten an, ob er auch Stuckverzierung in der Kirche anbringen lassen dürfe. Es ward auf Kosten der Burger gnädigst gestattet und der »Stockadorer« Meißburger in Freiburg damit beauftragt.

Dieser Meister verhalf den Haslachern auch zu den zwei Seitenaltären. Er verriet eines Tages dem Baumeister und Ratsfreund Toweis, er wisse zwei schöne Altäre, die er selbst vor kurzem gemacht habe und die jetzt feil seien und zwar in der eben aufgehobenen Karthause bei Freiburg. Er gab dem Toweis auch einen Riß (Planzeichnung) davon, und der ward dem Rat vorgelegt.

Die Zeichnung gefiel den Senatoren bestens, und der Stabhalter Fernbach und Toweis, der Bäcker und Baumeister, sollten die Altäre besichtigen und kaufen.

So kam im Sommer 1784 mein Urahne eines Tages in meine heutige Karthause. Wie mag er im langen, grauen Bäckersrock, in den kurzen Lederhosen und Schnallenschuhen, mit der roten Weste und dem Dreispitzhut gravitätisch zum Tore des Klosters eingetreten sein und die schönen Räume angestaunt haben! Jedenfalls hatte er keine Ahnung davon, daß über hundert Jahre später sein Urenkel als alter, lebensmüder Mann und seine Backmulde als Madonna hier eine Stätte des Friedens und der Verklärung finden sollten. –

Die zwei Altäre wurden für 300 Gulden und vier Louisdor Trinkgeld gekauft und stehen heute noch in der Kirche von Hasle. Ich bin manchmal als Knabe vor ihnen gekniet mit gefalteten Händen, wenn ein Rosenkranz gebetet wurde für einen verstorbenen Nachbar oder eine Nachbarin. Wer hätte in jenen Tagen gedacht, daß die erste Heimat dieser Altäre meine zweite und mein Altersheim werden sollte!

Die Backmulde des Toweis, die heute als Madonna in der Karthause vor mir steht, hat zweifellos öfters von diesen Altären und von der Reise ihres Meisters nach Freiburg reden gehört.

So sandte die Karthause einst ihre Altäre nach Hasle, und über ein Jahrhundert später kommt von dort eine Backmulde in Gestalt einer Madonna an den einstigen Standort derselben. Es haben eben nicht bloß die Menschen und die Bücher, sondern auch die Altäre und die Backmulden ihre Geschicke. –

Für die Altäre war gesorgt; nun galt es, eine neue Orgel zu beschaffen. Dies war den meisten Haslachern wichtiger als die Kunstform eines Altars. Denn die Musik ging ihnen in und außerhalb der Kirche über alles.

Ein Schulmeister, der nicht gut Orgel schlagen konnte, war seines Lebens nicht sicher, wenn die Burger aus der Kirche kamen. Selbst ihre Buben mußte der Franz Antoni Bechtiger in dieser Kunst unterrichten, nicht bloß im Flöten- und Saitenspiel.

Die Neuanschaffung einer Orgel beschäftigte die Zungen der Burger gerade so, wie die alten Freiheitsbriefe, die nicht angetastet werden sollten.

Mit Rücksicht auf das Interesse der Burgerschaft an einer neuen Orgel beschloß der Rat, eine solche von dem berühmten Orgelbauer Silbermann in Straßburg erstellen zu lassen. Ehe aber dieser Beschluß ausgeführt worden war, kam ein Schreiben eines ehemaligen Vikars, Werner, der jetzt Pfarrer in Hayingen auf der schwäbischen Alb war und einen Hayinger Künstler Martin empfahl, welcher dem Straßburger gleich stehe und billiger sei.

Jetzt ging es los im Städtle. »Hie Straßburg und Silbermann, hie Hayingen und Martin!« Es setzte die schwersten Redekämpfe ab, und endlich siegte der Schwabe. Er hatte die große Orgel im Kloster Zwiefalten gebaut, und trotzdem dies Stift mehr wie fünfmal so weit von Hasle lag als Straßburg, waren es und seine Orgel denen von Hasle bekannt. Denn in dem Nachbarkloster von Zwiefalten, in dem Praemonstratenser-Stift Obermarchtal, weilten verschiedene Haslacher Studenten; sie und ihre Eltern hatten das Münster von Zwiefalten gesehen und seine herrliche Orgel gehört, und drum bekam der Meister Martin von Hayingen den Bau der neuen Orgel zu Hasle an der fernen Kinzig um 1200 Gulden.

Der Rat versammelte die Bürgerschaft und verkündete ihr den Vertrag mit dem schwäbischen Künstler, in welchem Vertrag jede Orgelpfeife und ihr Ton bestimmt waren. Zugleich wurden die Burger ermahnt, die freiwillig zugesagten Beiträge für Kirche und Orgel bald einzuliefern.

Nach Jahr und Tag kam das sehnlichst erwartete Werk. Als es aufgestellt war, erschienen zwei Benediktiner von Gengenbach als Prüfungskommissäre. Sie schlugen die Orgel vor den Ohren der ganzen Gemeinde nach allen Regeln der Kunst und belobigten das Werk nach Gebühr.

Der Pfarrer Schaller aber gab ein Festmahl den zwei Orgelmönchen, dem Erbauer und seinem Sohn, auch dem Schulmeister von Hasle und einigen Ratsfreunden.

Dies Mahl war so köstlich, daß der Rat in einer eigenen Sitzung beriet, wie der Pfarrer zu entschädigen und die zwei Benediktiner zu belohnen seien. Es wurde einstimmig beschlossen, der Schwester des Pfarrers, der Ursula, vier Dukaten als »Douceur zu verehren«.

Die Konventualen des reichen Stiftes Gengenbach kamen nicht so gut weg: sie erhielten jeder zwei Krüge Kirschenwasser. –

So gab es immer was zu erzählen in der Backstube des Toweis, und es ließe sich noch ein ganzes Buch ablesen von dem Holz der Backmulde, wenn ich all das berichten wollte, was sie beim Gespräch der Burger gehört hat.

Aber sie weiß noch so viel anderes zu erzählen, daß wir jetzt mit den Reden der Burger im Hause des Toweis aufhören müssen.

Nur einer Sache wollen wir zum Schluß dieses Kapitels noch gedenken, welche in den achtziger Jahren die ganze Burgerschaft bewegte und viel besprochen wurde.

Der Färber und Vorsprech Xaveri Schättgen sammelte Unterschriften bei den Bürgern für eine urgesunde, soziale Idee, deren Erfinder er selber war.

Er schlug nämlich dem Rat vor, den »jungen Eichwald« abzuholzen; es stünde für 80000 Gulden Holz darin. Mit dem Geld solle man dem Fürsten, der verschuldet sei und gerne verkaufen würde, seine Felder in und um Hasle abkaufen und sie an die Burger zu Eigentum verteilen.

Der Gedanke war zu vernünftig, als daß er beim Rat durchgedrungen wäre. Dieser meinte, man müsse das viele Holz im Eichwald behalten für Zeiten der Not. Die bald beginnenden Kriegsjahre haben jenes Holz allerdings gefressen, aber der Fürst hat seine Felder heute noch, und die Haslacher sind statt deren Eigentümer die Pächter derselben.


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