Heinrich Hansjakob
Meine Madonna
Heinrich Hansjakob

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5.

Viermal haben die Haslacher in Revolution gemacht während der Zeit, da die Backmulde in meines Urgroßvaters Backstube funktionierte. Das erstemal anno 1719 bis 21 und das letztemal anno 1849. Den letzteren Aufstand habe ich selbst miterlebt und in dem Buch »Aus meiner Jugendzeit« beschrieben. Die andern drei »Empörungen und Revolten« hat mir die »Madonna« erzählt.

Von der ersten Revolution hat der Hans Michel Isemann dem Toweis oft gesprochen, von der zweiten der Färber Toweis, der sie mitgemacht, und die dritte hatte den Bäcker und Backmuldenmann selbst zum Zeit- und Leidensgenossen.

In jeder der drei ersten Revolten haben Männer vom Stamme Hansjakob mitgetan, und in der vierten und letzten war auch ich als der leidenschaftlichste Revolutions-Knabe einer der Vertreter dieses Stammes.

Nachdem die langen Jahre des spanischen Erbfolgekriegs, in welchem die armen Untertanen die Zeche für den Kronenstreit ihrer Fürsten zahlen mußten, zu Ende waren, wollte die fürstlich fürstenbergische Landesregierung in Donaueschingen wissen, was ihre Untertanen während der schweren Kriegsjahre gelitten hätten, und befahl im Herbst 1719, daß ein jeglicher Burger und Untertan seine Schulden angeben solle.

Diese väterliche Absicht stieß zuerst bei den Burgern von Hasle auf Widerstand. »Das gehe die gnädigste Herrschaft nichts an, wie viel ein ehrsamer Burger von Hasle Schulden habe; diese seien die eigenste Angelegenheit der Burger und in diese ließen sie sich nichts dreinreden« – so und ähnlich räsonierten die von Hasle in den Wirtshäusern und auf den Gassen.

Sie steiften auch die Bauern, so ins Städtle kamen, doch ja den Herren die Schulden nicht anzugeben; denn einmal gingen sie diese nichts an, und es stecke jedenfalls eine schlimme Absicht dahinter. Wenn nämlich die Herrschaft herausbrächte, daß die Untertanen doch nicht ganz und gar verschuldet seien, so käme sie sicher mit neuen Schatzungen und Steuern. Das letztere brauchte man den Bauern nicht zweimal zu sagen, um sie halsstarrig zu machen. In Hasle erhoben vorab die Plebejer und Proletarier in der Vorstadt, die am meisten in Schulden steckten oder am wenigsten besaßen, aber trotzdem den stärksten Freiheitsdrang hatten, Widerspruch gegen den Befehl der Regierung.

Ihnen diente als Sprecher der Weber Hans Georg Hansjakob, genannt der Briemel und der Brabanter. Er bearbeitete nicht bloß die Vorstädtler, sondern auch die Bauern, die vom rechten Kinzigufer herüber durch das Quartier der Kleinbürger und Hintersassen ins Städtle zogen. An Sonntagen stellte er sich in aller Frühe an die Kinzigbrücke und wartete, bis die Bauern anrückten, um im Städtle die Frühmesse zu hören und dann ihre Einkäufe zu machen.

Sie alle kannten den Briemel vom Handel und Wandel her. Er kaufte den Bauern Nüsse und Bohnen und den Bäuerinnen Eier und Butter ab.

»Ihr Bauern,« so sprach er, »ihr habt genug mitgemacht in den vergangenen, ungerechten Kriegsjahren. An den Bettelstab haben sie euch gebracht, und nun sollt ihr mit diesem Bettelstab vor den Schreibern erscheinen und genau angeben, wie viele Schulden auf diesem Stab verzeichnet sind!«

»Unsere Sünden müssen wir jährlich einmal dem Pfarrer beichten, das ist Gottes Gebot; aber die Sünden werden nicht aufgeschrieben, sondern ausgelöscht und vergeben, und der Pfarrer muß ewig schweigen. Jetzt sollen wir aber auch die Schulden der Öffentlichkeit übergeben, sie aufschreiben und von jedem Schreibersknecht und seinem Weib bekritteln lassen. Löschen und abnehmen tut sie uns jedoch die Herrschaft nicht.«

»Ich war in den Niederlanden, wo die Volksfreiheit ihre Heimat hat, allein so was ließen sich die Bauern von Brabant nie und nimmermehr gefallen.«

Unter diesen und ähnlichen Reden geleitete er die Kinzigtaler Bauern dem Städtle zu, und bald waren fast alle Vogteien ringsum rebellisch.

Aber auch im Innern der Stadtmauern erstand der Regierung ein starker Widerpart in einem Mann, von dem sie es am wenigsten hätte erwarten sollen.

Es war dies der von der Herrschaft ernannte Schultheiß Franz Engler, das Oberhaupt der Burgerschaft. Seines Zeichens Kreuzwirt in Hasle, hatte er sich jung schon Sitz und Stimme im Rat erworben und war bald darauf zum Schultheißen befördert worden. In seiner Familie war das Schultheißenamt schon fast ein Jahrhundert ununterbrochen.

Ein äußerst begabter Mann, redfertig und voll demokratischer Ideen, ist er schon zwölf Jahre Schultheiß, als die Schulden angegeben werden sollen.

Er hält nicht hinter dem Berg mit seiner Meinung, daß die Schulden der Burger eigenste Sache seien, und seinem Einfluß ist es zuzuschreiben, daß die Burgerschaft einstimmig es ablehnt, dieselben zu deklarieren.

Jetzt war der Schultheiß der Held des Brabanters und aller Vorstädtler, die ihm bisher manchen Schimpf angetan. Der Zimmermann Hans Patrul hat ihm erst kürzlich im Wirtshaus zum Engel in der Vorstadt gesagt, er, der Schultheiß, sei grad so liederlich wie die andern im Rat.

Der noble Schultheiß begnügte sich mit einer Abbitte des »rauschigen Zimmerhansen«, der Rat aber verlangt als Sühne noch, daß der Frevler »ihm den Tisch decke«, d. h. sämtlichen Ratsherren im Ratskeller Essen und Trinken bezahle.

In allen Tonarten sangen jetzt die Plebejer, an ihrer Spitze der Brabanter, das Lob des demokratischen Schultheißen und schimpften aus den Obervogt Vogler, der sich das Mißfallen der Burger ohnedies neulich zugezogen. Er hatte verlangt, daß jeder Untertan in Hasle alljährlich ein Dutzend der durch ihre Ueberzahl zur Landplage gewordenen Spatzen schieße und an die Herrschaft abliefere, oder pro Spatz einen Kreuzer in die Amtskasse bezahle.

Als der Spatzenvogt ging er deshalb im Städtle um. Dem Gebot der Spatzen-Jagd unterwarfen sich die von Hasle; aber sie schossen neben den Spatzen bei dieser Gelegenheit auch Wild für sich; doch die Schulden anzugeben, das ging ihnen über das Spatzenschießen.

Von den Städtlern abgewiesen, wandte sich der Vogt an die Bauern, dem landesväterlichen Herzen ihres Fürsten doch ihre Schulden zu offenbaren. Aber auch sie wollten nicht. Die allezeit paradiesisch friedlichen Hofstetter und die sonst so schneidigen Mühlenbacher, die beide nicht im Gebiet des Brabanters lagen und nicht über die Kinzig ins Städtle kamen, unterwarfen sich dem Willen des Obervogts; alle übrigen Vogteien rings um Hasle weigerten sich aber, ihre Schulden anzugeben, ehe die Haslacher dies auch getan.

Von diesen aufgestiftet, beriefen sich die Buren klüglich auf die Urheber ihrer Weigerung. Auf den 26. Oktober 1719 hatte man alle Buren vor den Obervogt nach Hasle gerufen.

Man drohte ihnen mit je 106 Reichstalern Strafe, wenn sie auf ihrer Weigerung beharrten. Umsonst. Die Bauern der Dörfer am rechten Kinzigufer kamen in Steinach beim »unteren Wirt« zusammen und beschlossen, nicht eher nachzugeben, als bis die Haslacher sich auch gefügt hätten.

Ihre Anführer, Komplottisten nennt sie der Obervogt, waren meist die Vögte und Stabhalter selber. Der Mathis Gihr und der Urban Schwendemann von Steine, der Mathis Kienast von Bollenbach, der Michel Fentsch von Schnellingen, der Michel Krieger und der Michel Kraemer von Weiler waren die tapferen Burenführer.

Sie wurden ihrer Aemter entsetzt und in Hasle eingetürmt. Scharen von Buren kamen täglich ins Städtle, um deren Entlassung zu verlangen. Die Eingesperrten wollten aber gar nicht frei werden gegen das Versprechen, ihren Buren ein Nachgeben zu empfehlen. Man würde sie totschlagen, sagten die Braven, wenn sie mit solch einer Empfehlung in ihre Dörfer zurückkämen.

Die Haslacher hatten während dieser Revolution ihr Stammquartier im Ochsen am Marktplatz. Der Ochsenwirt Hans Meier war in der Stadt der Hauptredner, während in der Vorstadt der Weber Hansjakob seine revolutionären Sprüche tat. Der wackere Schultheiß konnte nicht so agitieren, wie er es gerne gewollt hätte. Seine amtliche Stellung hinderte ihn.

Aber der Briemel hatte keine Rücksicht auf seinen Beruf als Weber und Krempler zu nehmen. Er konnte nichts riskieren als seine persönliche Freiheit.

Er besaß nur ein halbes Haus, und das war derart defekt, daß bei der letzten Schätzung, wo jede Hütte auf sechs Kreuzer städtischer Umlage taxiert wurde, der Brabanter es beim Rat durchsetzte, daß nach genommenem Augenschein sein Palais nur mit drei Kreuzern Steuer belegt wurde.

Seine Schnitz- und Bohnentröge, sein Eier- und Butter-Vorrat und sein Webstuhl repräsentierten ebenfalls kein Kapital.

Drum waren seine Schulden zweifellos nicht groß, weil ihm niemand auf seine Habe etwas geliehen hätte. Aber es empörte sein Brabanter Freiheitsgefühl, daß die Herrschaft verlangte, jeder Untertan solle sein finanzielles Gewissen erforschen und ihr melden, ob er viel oder wenig Schulden habe.

Mitten im Tumult starb ihm 1720 sein erstes Weib, die Margareth Joos, von einigen Kindern weg. Aber was schert ihn Weib, was schert ihn Kind, wenn die Freiheit gefährdet ist. Er predigt unentwegt gegen die Angabe der Schulden.

Mein Vater, sein Urenkel, hat mir oft gesagt, sein Urgroßvater, der Weber Johann Georg Hansjakob, habe einmal die ganze Vorstadt in Revolte versetzt.

Diese Revolte war die Auflehnung gegen das Schuldenkataster.

Der Freiheitsruf von Hasle drang in die ganze Herrschaft Kinzigtal. Die Städtchen Wolfe und Husen und die Buren vom Schippenwald unterhalb Hasle bis hinauf zum Kniebis wollten ebenfalls ihre Schulden nicht angeben.

Gute, alte Zeit! Die Menschen schämten sich damals ihrer Schulden und wollten nicht, daß die Welt wisse, daß und wie viel sie schuldig wären.

Heutzutag machen Staaten, Städte, Bürger und Bauern Schulden auf Schulden. Es fällt aber niemanden ein, sich ihrer zu schämen. Ja die Menschen unserer Tage geben dem Staat viel lieber ihre Schulden, als ihr Vermögen an.

Die fürstenbergische Landesregierung wagte angesichts des allgemeinen Widerspruchs keine energischen Schritte. Ihre Obervögte versuchten mit Belehrung und Unterhandlung zum Ziele zu kommen.

Endlich im Mai 1721 bringen sie die zwei Amtsburgermeister von Hasle zum Nachgeben. Der Schultheiß Engler ist krank und sein Freund und Gesinnungsgenosse, der Ratsherr und Gerber Andreas Kleyle, eben gestorben.

War ein kreuzbraver Familienvater gewesen, dieser Kleyle. Er hat ins Ratsprotokollbuch noch kurz vor dem Tod sein Testament eintragen lassen. Darin vermachte er seiner Frau zum voraus »die beste Kuh samt einem Kalbele, weil sie allzeit mit Mühe und Fleiß viel Vieh auferzogen während der Ehe«.

Seine Kinder bittet er, »im Frieden zu teilen und nicht zu vergessen, Gott den Allmächtigen um das Heil seiner Seele anzurufen – und den Vater zu entschuldigen, daß er nicht mehr hinterlassen habe wegen der Kriegsjahre.«

Dieser brave Mann fehlt samt dem Schultheißen im Rat. Der Stadtschreiber und Apotheker Schönbein »laicht« mit der gnädigsten Herrschaft und überredet auch die zwei Amtsburgermeister, den Bäcker Johannes Bohl und den Hutmacher Jakob Frey, dem Spatzenvogt die Bereitwilligkeit der Stadt in Sachen der Schulden kund zu geben.

Der Bäcker Bohl ist ein alter, gewandter Fuchs, der überall in Feld und Wald seinen Vorteil sucht. Er war darum auch imstande, umzufallen und den Meister Filz mit sich zu ziehen.

Kaum wird diese Verräterei ruchbar, als der kranke Schultheiß nächtlicherweile sein Krankenlager verläßt und die ärmeren Burger in den hinteren Gassen und der Vorstadt aufsucht und aufruft zum sofortigen Tumult. Die zwei Burgermeister werden überfallen und mißhandelt. Sie flüchten, ihres Lebens nicht mehr sicher, zum Obervogt.

Unter den Anführern aus der Vorstadt steht im Vordergrund der Brabanter Weber. Er meint sogar, man solle die zwei Verräter samt dem Stadtschreiber aufhängen.

Der Schultheiß wird suspendiert, der Apotheker Schönbein bekommt den Stab und wird Stabhalter; aber die zwei Burgermeister behalten ihre Prügel und die gnädigste Landesregierung läßt klugerweise ihre Forderung fallen. Die Revolution hatte, was ja leider selten der Fall ist bei Volkserhebungen, gesiegt. Der Brabanter frohlockte.

Es gelüstet die Regierung später aber doch noch, die Stimmung der Haslacher Burger zu erfahren, und sie beruft am 31. Januar 1722 sämtliche auf die Kanzlei des Obervogts, wo ein jeder ein separates, doppeltes Votum abgeben sollte, einmal, ob er, nachdem die Herrschaft zur Zeit auf eine Angabe der Schulden verzichte, geneigt wäre, eine zukünftige diesbezügliche Anfrage zu beantworten, und zweitens, ob er keine Klage habe über den Schultheißen Engler.

Ich habe das Protokoll selbst gelesen.

Die allermeisten Spießbürger, glücklich über die Nachgiebigkeit der Regierung, bejahen die erste Frage und »schicken sich in Zukunft zu allem Gehorsam« oder »wollen sich gnädigster Herrschaft allzeit gehorsam erweisen«.

Zu den sehr wenigen, die mannhaft sich auch für die Zukunft weigerten, ihre Schulden anzugeben, gehörte der Weber Hansjakob. Er erklärte: »Ich bin weder jetzt, noch in Zukunft gesinnt, auf herrschaftlichen Befehl meine Schulden anzugeben.« Und den Schultheißen betreffend, meinte der Brabanter, »es sei noch nie ein bräverer Mann an dieser Stelle gewesen.«

Die sechs oder acht Burger, welche sich allzeit weigern wollten, die Herrschaft in ihren Vermögensstand schauen zu lassen, gingen aber noch weiter. Unter Anführung des Ochsenwirts Meier begaben sie sich am andern Tage zum Obervogt in seine Privatwohnung und verlangten ihn zu sprechen.

Sein Sohn meldete, der Vater liege im Bett. Mit Ungestüm verlangen die Bürger, er solle aufstehen. Und er stand auf, der Spatzenvogt, und erschien vor den Männern von Hasle, die ihm unter dräuenden Worten sagten, er sei schuld an dem ganzen Spektakel, der seit Jahren Stadt und Land in Unruhe halte.

Der Obervogt mußte – nach seinem eigenen Geständnis – den Bürgern die besten Worte geben, um nicht mißhandelt zu werden. Nachdem diese ihrem Unmut Luft gemacht, zogen sie ab. Der Beamte schrieb den Vorgang alsbald seiner Herrschaft nach Donaueschingen, wo aber alle Wälder schwiegen.

In unsern Tagen würden solche Burger wegen Hausfriedensbruch und wegen Beamtenbeleidigung erster Klasse aufs schwerste bestraft. In der guten, alten Zeit durfte ein Burgersmann den Herren gegenüber sein Maul viel ungestrafter gebrauchen als heutzutage, wo Ehrenkränkungen und Beamtenbeleidigungen bei unserer blasierten Kulturgesellschaft zu den Todsünden gehören.

Beleidigungen der Art wurden in jenen Tagen viel poesievoller gesühnt. Ich habe oben erzählt, wie Schultheiß und Rat von Hasle an dem Zimmermann Patrul ihre Ehre rächten. Solcher Racheakte weiß ich noch mehr aus jener guten, alten Zeit. Sie wurden alle in meines Urgroßvaters Backstube erzählt.

Der schon genannte Burgermeister und Bäcker Bohl wurde von dem Burger und Glaser Hansmann beschimpft, indem dieser ihm sagte, »er, der Bohl, sei keinen Batzen wert.« Der Schimpf wird ruchbar bei seinen Ratskollegen. In der nächsten Sitzung erklärten sie, »so lange nicht zur Beratung mit ihm sich niedersetzen zu wollen, bis der Ratsfreund Bohl sich von dem Schimpf rein gewaschen habe.«

Worin bestand aber diese Reinwaschung? Der beleidigte Burgermeister soll dem gesamten Rat eine Ohm Wein bezahlen – was auch geschieht.

Der Fuhrmann Valentin Ruf hat den Ratsherrn Battier einen liederlichen Mann und Spitzbuben geheißen, ihn an den Haaren gerissen und mit einem Prügel verfolgt, so daß er in die »Mühlenkapelle« flüchten mußte.

Der Rat läßt den Beschimpften nicht mehr an seinen Sitzungen teilnehmen, bis die Sache von ihm gerichtet ist. Der Fuhrmann wird bei diesem Gericht zu einem Dukaten Strafe verurteilt und »muß den Ratsherren den Tisch decken,« wobei der Frevler natürlich auch mitaß und mittrank.

Der Ratsherr und Apotheker Schönbein hat schon 1710 einmal den Schultheißen Engler in der Sonne einen Dieb genannt, weil er in die Ratsbüchse gelangt habe.

Der gesamte Rat erklärt in der Sitzung vom 1. Oktober, sich nicht zu setzen, ehe der Frevel gesühnt sei. Der Schönbein muß abbitten und abends 7 Uhr den Tisch decken nach Belieben des Rates.

Der Ratsfreund Philipp Mehl will vom Engelwirt beschimpft worden sein. Der Engelwirt beweist, daß dies nicht der Fall gewesen sei, der Ratsherr vielmehr »einen starken Rausch« gehabt habe.

Zur Strafe muß deshalb der Kollege Mehl dem Rat den Tisch decken.

Aber auch die Beleidigungen anderer Sterblichen als ihresgleichen benützen die Ratsherren zu ihrem eigenen Vergnügen. Der Bauer Franz Klausmann von Fischerbach hat im Rausch zwei Wirte von Hasle, den Sonnenwirt und den Rappenwirt, beschimpft. Urteil: »Von Stadt wegen wird erkannt, daß der Bur dem Rat zur Satisfaktion den Tisch decke, d. h. zur Straf ihm eine Mahlzeit geben soll.«

Sind die Parteien arm, so geht es gnädiger her. Der Ehefrau des Burgers Philipp Kleyle ist eine Henne verlaufen. Ihre Nachbarin, des Hans Michel Rüttenauers Weib, hat die Henne an sich genommen. Die Kleylin entdeckt und holt sie. Die Rüttenauerin will Futtergeld; jene verweigert es. Da nennt sie der Hans Michel »den lebendigen Totentanz« und »eine Garoni«. Sie klagt. Der Rüttenauer wird vorgerufen und erklärt, die Kleylin habe »auch seinem Weib schändlich zugeredet und gesagt, er, der Hans Michel Rüttenauer, und sein Weib seien nicht wert, den Sonnenschein zu genießen.«

Der Rat beschließt: »Alle drei sollen Ruhstand halten und ansehnlich der gegenwärtigen Allerseelenzeit Frieden machen.« Sie folgen dem Urteil, geben sich die Hand und bekennen, in Zukunft »nur Ehr, Liebs und Guts von einander zu sagen«, und damit solle alles »tot und ab sein«.

So einfach lösten sich die Beleidigungen in früheren Zeiten. Während die Leute heutzutag sich schlagen und schießen, um ihre Ehre wieder herzustellen, oder in grimmiger Feindschaft vor den Schöffengerichten erscheinen, saßen damals Richter, Ankläger und Verurteilte friedlich am gleichen Tisch und aßen und tranken auf Kosten der letzteren. Oder die Feinde gaben sich die Hand, und einer versprach dem andern nichts als »Ehr, Liebs und Guts«. – Waren diese Menschen nicht vernünftiger!? –

Noch ehe die Haslacher in ihrer Mehrheit erklärten, in Zukunft der gnädigsten Herrschaft gehorsam zu sein, hatten sich auch die Bauern eines andern belehren lassen und glaubten an die landesväterliche Liebe, die in der Forderung, die Schulden zu offenbaren, sich kund geben wollte. Die ehedem mit Turm bestraften und ohne Versprechen wieder frei gegebenen Vögte und Stabhalter gaben später im Namen aller ihrer Mitburen eine Erklärung ab, worin sie bedauerten, diese landesväterliche Liebe so lange verkannt zu haben.

Kindlich liebenswürdig geben dabei die braven Bauern als Grund ihrer Weigerung das folgende an: »Weil Krieg, Brand und Plünderung sie ruiniert und in große Schulden gestürzt, hätten bei Offenbarung derselben ihre lieben Kinderlein die Unkraft ihrer Eltern mit betrübten Augen ansehen und beweinen müssen.«

Kann man poesievoller und reizender und herzlicher sich entschuldigen, als es hier geschah? Wahrlich, ein Volk, das so dachte und schrieb, muß ein gutes in alleweg gewesen sein!

Ohne ihre Schuld, lediglich durch die Herrschsucht und Brutalität einzelner Fürstenhäuser, die sich im orleanischen und im spanischen Erbfolgekrieg darum stritten, wer die betreffenden Untertanen beherrschen und aussaugen dürfe, waren die guten Buren im Kinzigtal um Hab und Gut gekommen. Trotzdem schämen sie sich ihrer »Unkraft« vor ihren Kindern und möchten diesen Betrübnis und Tränen sparen. Es liegt in diesen rührenden Worten eines schuldlos beraubten Volkes eine furchtbare Anklage gegen die Fürsten und Gewalthaber jener Tage. –

Die Revolte wegen der Schulden war die einzige, die meinem Ur-Urgroßvater, dem Weber in der Vorstadt, mitzumachen vergönnt war. Er starb zwanzig Jahre vor der nächsten Revolution. Aber vor Rat und Gericht stand er noch mehr denn einmal in seinem kurzen Leben.

Zunächst zitierte ihn sein eigener Bruder, der Schwarzfärber, vor den Rat, weil er ihm die Reben, so er von ihm gekauft, nicht bezahlt. Ein andermal hatte er seine Schafe in des Nachbars Baumgärtele weiden lassen und wird mit einem halben Pfund Heller gebüßt.

Zum dritten hat sein Backofen solche Löcher, daß er feuersgefährlich ist. Der Brabanter soll ihn machen lassen, oder er wird ihm eingeschlagen. In der gleichen Ratssitzung wird seinem Bruder, dem Färber, befohlen, seine Küche »besetzen« zu lassen.

Beide müssen demnach schöne Paläste bewohnt haben!

Der Hansjörg ist aber dem Ratsbefehl gegenüber standhaft; er läßt den Ofen nicht machen, und nach Jahr und Tag wird derselbe von Rats wegen niedergerissen.

Zu guterletzt wird der freiheitliche Weber noch gestraft, weil er seinen »selbstgezügelten« Wein ausschenkt ohne Erlaubnis des Rats.

Das war seine letzte Strafe. Bald hernach verließ er diese schöne Welt, in der arme Leute um der Schulden willen geplagt und ihnen die Backöfen der Löcher wegen niedergerissen werden.

Daß aber dem armen Weber und Krempler ein mächtiger Drang nach Unabhängigkeit und Freiheit innegewohnt, darob bewahre ich ihm ein dankbares Andenken. Denn ich meine, daß von diesem Drang nach Unabhängigkeit auch etwas auf seinen direkten Sprossen in der vierten Generation, auf mich, gekommen sei. Leider wird mir diese Unabhängigkeit ebenso wenig zuteil wie meinem Urahnen, dem Brabanter, weil auch ein Teil seiner Armut sich auf mich vererbt hat und arme Leute nie unabhängig werden können.

Ein abhängiger Mann aber ist und bleibt ein armer Teufel, selbst wenn er Tausende von Mark an Besoldung hätte.

Doch schon das Gefühl, frei sein zu wollen und kein Knecht zu sein, ist viel wert. Drum danke ich nicht bloß dem Schriner-Mathis von Gengenbach, sondern auch seinem Enkel, dem Weber in der Vorstadt zu Hasle, für dieses ihr Erbteil. –

Der tapfere Schultheiß Engler kam nicht mehr ans Ruder, aber an seiner Statt doch wieder einer seines Namens und Stammes und zwar sein eigener Sohn, Franz Engler der jüngere. Er bekommt von der Herrschaft die Weisung, »der Burgerschaft das Tumultuieren und schändliche Geschrei auf dem Rathaus zu verbieten.«

Die siegreiche Revolution hatte die Männer von Hasle zuchtlos gemacht.

Aber der neue Schultheiß ist ebenso demokratisch wie sein Vater und wird darum 1734 abgesetzt. Sein Nachfolger ist der Posthalter Jakob Steller. Er erhielt eine Mahnung, die von allen Regierungen nach Revolten gerne gegeben wird, »sich allvorderst eines gottesfürchtigen, tugendhaften, nüchternen, untadelhaften und gottgefälligen Lebenswandels zu befleißen und so der Burgerschaft mit gutem Beispiel voranzugehen. Auch soll er den Obst-, Holz- und Feldfrevlern und den nächtlicher Gassentretern ›auf die Socken gehen‹.«

»Die Verabsäumung des sonntäglichen Gottesdienstes und das Sitzen in den Wirtshäusern sei ebenfalls zu verbieten und zu strafen.«

»Auch soll der neue Schultheiß eine bessere Schule einführen, weil in der Stadt sehr wenige, auf dem Lande aber unter Hunderten kaum einer des Lesens und Schreibens kundig sei.«


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