Heinrich Hansjakob
Meine Madonna
Heinrich Hansjakob

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7.

Die dritte Revolte brach anno 1777 aus und verlief ebenso unblutig, wie ihre Vorgängerinnen. Der Toweis hat seinen Buben oft davon erzählt in der Backstube. Denn er hat sie selber mitgemacht als einfacher Burger, nachdem er kurz zuvor, weil er für die Freiheit eingetreten, seines Amtes als Ratsfreund und Senator von Hasle verlustig geworden war.

Wir wollen aber zuerst hören, auf welchen Stufen er zu diesen Würden gestiegen ist und wie er sie verlor.

Sein erstes öffentliches Amt bekam der Toweis schon anno 1757. Er wurde bei der Aemterbesetzung dieses Jahres zum Hirtenmeister ernannt.

Man nahm zu diesem Amt gerne Bäcker, die ihre Arbeit erst am Abend begannen und tagsüber noch Zeit fanden, den Hirten nachzugehen. Des Toweisen Sohn und mein Großvater, der Eselsbeck, bekleidete diesen Dienst später auch. Es war aber zu des Toweisen Zeit mühevoller, die Hirten zu inspizieren. Es gab damals nicht bloß Kuh- und Schweinehirten; es existierte auch noch ein Roßhirt und ein Ochsenhirt und nach langer Pause wieder eine Geißenhirtin, deren Lohn die sämtlichen Böcklein waren, die von den ihrer Obhut anvertrauten Tieren geworfen wurden.

Diese Hirten waren meist blutarme Leute, die neben dem Hüten aus Not auch allerlei Feld- und Waldfrevel verübten. Als der Toweis Hirtenmeister wurde, waren im Hirtenamt vorzugsweise zwei Brüderpaare, Fuchs und Sundthofer. Sie hießen nach ihren Tieren der Kuh-Mathis, der Sau-Hans, der Roß-Michel und der Ochsen-Jörg.

Die zwei letzteren waren Sundthofer und gehörten zu den gefährlicheren Burgern. Sie verübten am meisten Feld- und Gartenfrevel. Doch wurden sie dafür zu hart bestraft.

So hat der Roß-Michel einmal dem Burgermeister und Weißgerber Sandhas einen Rosmarinstock aus dem Garten gestohlen. Der Burgermeister führte Klage vor dem Rat ob dieses »Frevels«, und der Rosmarin liebende Roßhirt wurde nicht nur seines Amtes entlassen, sondern auch noch einen vollen Tag »beturmt«. –-

Vor allem galt es beim Hirtenmeister, darüber zu wachen, daß die heiligen Eichenhaine von den Hirten nicht befahren wurden. Besonders der Sau-Hans zog gerne mit seinen Tieren in dies Eicheln-Paradies, wenn es unbeschrieen geschehen konnte.

Das ganze Städtle sprach davon, als einmal in jenen Tagen der Sauhändler Andreas Feder von Krumbach mit seinen Bayersäuen in einen Eichenhain gefahren war und darin hatte weiden lassen. Er wurde schwer bestraft, und wenn Hasle damals noch heidnisch gewesen wäre, hätte ihn sicher auch die Rache der Götter getroffen. Ein ganzes Jahrhundert später rief ich als Herold eines Nachfolgers des genannten Sauhändlers an den Straßenecken: »Wer will Bayersäu kaufen, der soll in Engel laufen. Borgs bis Martini!«

Die bayerischen Schweinehändler starben also nicht aus in Hasle trotz des Frevels des Krumbachers im heiligen Hain.

Der Toweis trug die Berichte über seine Gänge als Hirtenmeister vor dem hohen Rat so gut vor, daß sie ihm nach Jahr und Tag gleich zwei städtische Aemter übertrugen.

Er wurde 1764 Für- oder Vorsprech und zugleich Einzieher der Schatzung, d. i. der Grund- und Häusersteuer, also Stadtrechner.

Jetzt wurde es erst recht lebendig in seiner Wohn- und Backstube. Tagtäglich kamen Leute, die an des Bäckers Beredsamkeit beim Rat appellierten oder ihre Schätzung bezahlten und dazu über Geldmangel klagten und über die Herren auf dem Rathaus räsonierten.

Als Klienten kamen zum Toweis alsbald zwei im späteren Städteleben hervorragende junge Männer und baten ihn, bei den Zwölfern ihre Aufnahme in die Burgerschaft zu vertreten.

Der eine war der Chirurg Andreas Pfaff von Triberg, der die Tochter des Chirurgen Wüst heiraten und dessen Bader- und Balwiererei übernehmen wollte.

Der Bittsteller war »auf der hohen Schule« zu Freiburg gewesen und hatte »Vorlesungen genossen«. Er nannte und schrieb sich deshalb nicht anders als »Andreas Pfaffius, Chirurgus,« und wer ihm, nachdem er auf die Fürsprache des Toweis Burger geworden, nicht mit »Herr Doktor« oder »Herr Pfaffius« begegnete, dem war er feind.

Die Haslacher hatten von jenen Tagen an, da der Pfaffius auftrat, überhaupt feine Rasierer und Pflasterschmierer. Einer vom Patriziergeschlechte der Gebele von Waldstein war um diese Zeit ebenfalls in diese Zunft eingetreten, und der Pfaffius und er verdunkelten alle Vorgänger, vorab den Hans Michel Isemann.

Der Pfaffius war der würdige Großvater seines Enkels, des »Phrastes«, des berühmten Balwierers meiner Knabenzeit, von dem ich in den »Wilden Kirschen« erzählt. –

Der zweite, den der Toweis bei seinem Amtsantritt als Vorsprech vor dem Rat vertrat, war der Schuhmacher Hans Wachtler von Kollnau im Elztal. Dieser Wachtler-Hans, von dem ich noch als Knabe erzählen hörte, brachte die ganze elegante Zunft der ehrbaren Schuster in Aufruhr.

Er war direkt aus Paris gekommen und machte die ersten Schuhe aus Saffianleder. Bald trugen alle Schuhknechte und Handwerksgesellen am Sonntag Saffianschuhe mit Silberschnallen, und die besseren Bürger und Bürgerinnen machten es nach. Und selbst der Toweis wäre beinahe seinem Freunde Schuh-Sepp untreu geworden und zum Wachtler-Hans in die Kundschaft gegangen.

Des Wachtler-Hansen Sohn, Wachtler-Hans II., ging auch nach Paris und brachte von dort um die Jahrhundertwende die Stiefel à la Suworow, welche Fasson die Franzosen bei den Niederlagen, die der russische General ihnen beigebracht, kennen gelernt hatten.

Jetzt begann ein Kampf der Suworowstiefel gegen die Schnallenschuhe, und die Jugend von Hasle wandte sich Wachtler-Hans II. zu.

Sein Sohn war der Wachtler-Xaveri, der erste Meister der Zunft in meiner Knabenzeit. Auch er hatte in Paris studiert, aber von dort außer der französischen Fasson des Schuhwerks noch einen großen Durst mitgebracht.

Der Xaveri zehrte zu meiner Zeit vom Ruhm seiner zwei Ahnen und saß mehr im Wirtshaus als auf seinem Schusterstuhl. Wenn er hoch hatte, sprach er französisch, und aus seinen schwarzen, stechenden Augen blitzte ein Jakobiner-Geist. Er hatte die Juli-Revolution miterlebt und wußte viel davon zu erzählen.

Auf dem Heimweg aus dem Wirtshaus fiel er dann bisweilen in den Stadtbach, und die Buben lachten darüber. Am andern Morgen wußte er es noch, kam in die Schule und verlangte die Bestrafung der Spötter.

Große Geschlechter leben nicht lange, darum ist das des Pfaffius und des Wachtler-Hans schon mit der zweiten Generation zu Grabe gegangen. Der »Phrastes« und der Wachtler-Xaveri meiner Knabenzeit waren die letzten ihres originellen Stammes. –

Als der Toweis Fürsprech wurde, war er der jüngste unter den drei Volkstribunen. Dem jüngsten aber fiel nach altem Herkommen die Pflicht zu, dem Rat der Zwölfer bei Prozessionen, mit einem roten Mantel angetan, das Kreuz vorauszutragen.

Das erstemal, da der Toweis das Kreuz tragen mußte, geschah es bei einem merkwürdigen Akt. In Hasle befand sich von alters her ein Haus für die Leprosen (Aussätzigen), im Volke »Gottlüthus« genannt. Seit Jahren war aber kein Aussätziger mehr in Stadt und Land gewesen. Da stellte anno 1764 der Landphysikus Edel von Wolfach fest, daß der Weber Hans Georg Hansmann von Hofstetten mit dem »Aussatz behaftet« und in das Leprosenhaus zu verbringen sei.

Allgemeiner Schrecken und allgemeines Mitleid erfaßte die Bürgerschaft. Der Rat versammelte sich, und alle Anordnungen wurden getroffen zum Empfang des Unglücklichen.

Er wurde am Nachmittag des 12. März genannten Jahres auf einem Karren dahergeführt. Vor dem »untern Tor« wurde Halt gemacht. Jetzt fingen alle Glocken zu läuten an. Der Rat, die Schulkinder und viele Burgersleute versammelten sich am Tor. An Stelle des erkrankten alten Pfarrers Planer übernahm der Kapuziner-Pater Antonius die geistliche Begleitung.

Nun setzte sich die Prozession in Bewegung. Voraus der Karren mit dem Aussätzigen, dann in einiger Entfernung die Schulkinder, nach ihnen der Kapuziner, der Rat und die Burgersleute.

Alle sangen das »Magnificat« und riefen »den allmächtigen und barmherzigen Gott an, daß er Rat und Burgerschaft und alle Menschen bewahre vor solcher Krankheit.«

Bald darauf kam die gleiche Krankheit an den Maurer Pfundstein in Hasle. Er wurde »gutleutig«, d. h. aussätzig, und unter der gleichen Feierlichkeit ins Leprosenhaus gebracht, wo er »sein Leben beschließen und die göttliche Heimsuchung seiner unsterblichen Seele zu Nutzen machen soll.« –

Der rote Rock, mit dem der Toweis als Kreuzträger des Rats geziert war, hatte es ihm angetan. Auch nachdem er nicht mehr jüngster Vorsprech war, trug er gegen alle Bäckerregel eine rote Weste. Mit dieser ließ er sich auch in seinen alten Tagen porträtieren.

Fast zu gleicher Zeit, da er zum Fürsprech ernannt worden, schied sein Vetter Johannes, der Färber, Wald- und Burgermeister, aus dem Leben.

Schon im August des Jahres 1763 war er vor dem Rat erschienen und hatte angegeben, »daß er aus unterschiedlichen Ursachen, besonders aber wegen seinem podagraischen und sehr schmerzhaften gliedersüchtigen Zustand seiner Burgermeisterei-Verrichtung nicht mehr vorstehen könne. Man möge ihn seines Amtes gänzlich befreien und hinfüro gleich einem andern ehrlichen Mann und Bürger halten.«

Der Rat beschließt, »obwaltender wahrer Umstände halber dem Ansuchen nicht nur zu willfahren, sondern auch, trotzdem er seit Weihnachten keinen Dienst als Burger- und Waldmeister getan, dem Scheidenden sein halbjähriges Gehalt mit 12 Gulden zu bezahlen und ihn, den Hansjakob, als einen Ehrenburger zu halten.«

So trat der Färber Johannes vom Schauplatz als ein armer, aber ehrlicher Mann, und am 7. Februar des folgenden Jahres nahm ihm der Tod auch sein armseliges, bresthaftes Leben ab.

Der Bäcker Toweis aber schritt auf dem Weg seiner burgerlichen Aemter rüstig weiter. Er wurde neben seinem Fürsprecher-Amt auch einer der vier Fleischbeschauer. Diese waren die städtischen Gesundheitsbeamten den Metzgern gegenüber. Ehe zwei von ihnen das Fleisch der geschlachteten Tiere beschaut hatten, durfte kein Metzger etwas davon verkaufen.

Es war dies ein undankbares und gefährliches Amt. Die Haslacher Metzger der Stämme Klöpple, Köbele, Armbruster und Franz waren keine Komplimentenmacher. Und wehe dem Fleischbeschauer, der etwas zu tadeln wagte an der Ware der Männer des Blutes!

Man nahm deshalb nur die tapfersten Bürger zu diesem Amt, und da der Toweis es jahrelang bekleidete, schließe ich daraus auf seine persönliche Tapferkeit.

Sein Freund, der Schuhmacher Heim, wurde zu gleicher Zeit Brotwäger, d. h. er gehörte zu den vier Männern, welche den Bäckern das Gewissen visitieren mußten. Da der Schuh-Sepp oft beim Toweis in der Backstube saß, mochten die Ratsherren glauben, er eigne sich gut zur Brotkontrolle.

Die Bäcker waren friedlichere Leute als die Metzger: drum ließen sie sich eine Ahndung ruhiger gefallen, und sie wurden zehn- und zwanzigmal bestraft, bis nur ein Metzger daran kam. –

Nachdem der Toweis drei Jahre lang den Fürsprech gemacht, wurde er in die Reihe der Zwölfer, der eigentlichen Stadtherren, aufgenommen, deren amtlicher Titel »Herr« war. Die Zwölfer ergänzten sich in altaristokratischer Art selber, d. h. sie schlugen aus der Zahl der Burger dem fürstlichen Obervogt zwei oder vier Kandidaten vor, von denen er dann einen oder zwei auswählte und bestätigte. Der Schultheiß wurde aus der Zahl der Zwölfer von der Herrschaft ernannt.

Die Burger hatten nur das Recht, den Ausschuß oder die Vierundzwanziger zu wählen.

Jetzt bekam der Toweis statt des roten den schwarzen, feierlichen Rats- und Gerichtsmantel, und sein Amt als Vorsprech ging zu Ende. Aus dem Verteidiger wurde jetzt ein Richter.

Aber die guten Zeiten, in denen die Richter die Angeklagten verurteilten, ihnen in der Rathaus-Wirtschaft den Tisch zu decken, waren vorüber.

Sein Vetter, der Färber Johannes, hat in der Backstube manchmal erzählt von den guten Trünken, die sich die Ratsherren zu seiner Zeit verschafft hätten auf ihren Richterstühlen.

Seitdem die demokratischen Schultheißen aus dem Stamme Engler nicht mehr regierten, war die Poesie fortgegangen aus dem Rathaus.

Unter dem Schultheißen Stelker ging's noch; aber seine Nachfolger, der Stadtschreiber und Bureaukrat Schönbein und der Brisgäuer Sartori waren »Herrenwedler«. Sie ließen sich von den Obervögten sagen, die alte Mode sei unpassend und schuld an der Unbotmäßigkeit der Burger, weil sie ihre bösen Mäuler nicht mit Geld oder Turm büßen müßten, sondern mit Essen und Trinken abmachen könnten.

Einige Poesie in die neue Strenge brachte der Schreiner Thomas Knöpfler, der erste, der sich nicht mehr mit »dem Tischdecken« frei machen konnte. Er wurde wegen Beschimpfung des Rats in offener Wirtsstube mit drei Stunden Veturmung angesehen. Da weist er die Blicke der Stadtväter hinüber auf das Bildnis des hl. Sebastian, das so ziemlich verwahrlost auf dem Brunnen vor dem Rathaus stand, und sprach: »Ihr Herren, ich will den heiligen Sebastian neu und sauber fassen lassen, wenn Ihr mir die Beturmung schenkt.« Und Beifall nickten die beleidigten Stadt-Väter.

Auch sonst wurde die »Sittenpolizei« unnötigerweise strenger geübt unter den bureaukratischen, von der Obervogtei beeinflußten Schultheißen. Die »Morgensuppen« bei den Hochzeiten wurden abgeschafft, weil einzelne sich bisweilen zu viel taten, »ehe der göttliche Segen in der Kirche erfleht war«.

Und mit den Kindstaufen durften bei Strafe von 24 Kreuzern pro Person nicht mehr als sechs Weiber gehen, weil sie beim Taufschmaus dem Kindsvater zu große Kosten machten und lärmten und krakelten.

In den Bäckerstuben wurde viel geschimpft über diese Plackereien, und die Morgensuppe blieb nicht lange außer Uebung. –

Die Ratsherren als Richter waren ziemlich praktisch. Sie alle hörten die Straffälle an, Red' und Gegenred', Anklage und Verteidigung; aber das Urteil sprach der Reihe nach, vom ältesten Burgermeister angefangen, jedesmal ein anderer.

Der Schultheiß spielte den Unparteiischen, d. h. er wollte absichtlich außerhalb der Schußweite der Verurteilten bleiben.

Der Toweis war ein milder Richter; er sprach in Erwartung zukünftiger Besserung gerne frei. Die meisten Fälle hätte auch ich so behandelt; denn Buben, die Nüsse und Aepfel rätseln, Birnen auflesen oder eine alte Tanne stümmeln, und alte Weiber, die das neue Gewächs, die Erdäpfel, auch einmal versuchen wollen und bisweilen einen Stock »lupfen«, sind keine Verbrecher, die Strafe verdienen. Beleidigungen eines Ratsmitglieds wurden gegen früher schon strenger gefaßt. Der Sohn des Burgermeisters und Hufschmieds Sandhas hat dem Weib des Schneiders Künstle zwei Hennen, die in seines Vaters Garten »schädlich erfunden worden«, erschossen. Der Burgermeister bezahlt die Tiere und will sie der Schneiderin schenken. Diese aber meint: »Er soll sie in des Teufels Namen selber fressen.«

Diesen Frevel muß die schlagfertige Dame mit einem Tag »Häusle« und einer Abbitte büßen.

Die Damen und die Buben hatten in Hasle das Vorrecht, nicht in den Turm, sondern in das Spritzenhäusle am unteren Tor, zu meiner Zeit auch Narrenhäusle genannt, verbracht zu werden.

Vor diesem »Häusle« hatten die Wibervölker jener Tage einen Mordsrespekt.

Eines Tages beschwerte sich der Demokrat und Stubenwirt Dirhold über die Mägde einzelner Bäcker, die unter dem Rathaus jeden Morgen Brot feil hielten. Sie hatten zwei Bauernweibern, welche durch die Hallen gezogen und beim Stubenwirt als Gäste gewesen waren, der einen, der Vögtin von Bollenbach, ein »Geißen-Wedelin« an den Rock gehängt, der andern ein »Weiden-Kränzlin«.

Die Mägde werden vor den hohen Rat gezogen und leugnen nach Weiberart standhaft. Ein Lehrbub des uns bekannten Michel Bosch, der auch Brot feil hielt, gesteht, das Weiden-Kränzlin gemacht zu haben; doch angehängt worden sei es und das Geißen-Wedelin von der Magd des Bäckers Fischinger.

Diese fehlt. Der Stadtknecht soll sie holen. Sie ist aber schon in der gleichen Stunde, da sie hörte, die Sache sei beim Rat anhängig, mit Sack und Pack flüchtig gegangen hinüber über den »Schwabenberg« in ihre Heimat Schweighusen.

Dieses Dorf lag in einem anderen Territorium, in dem des Abtes von Ettenheimmünster, der Verbrecher nicht auslieferte, die Bauernweibern ein Geißen-Wedelin und ein Weiden-Kränzlin angehängt hatten.

Der Wahrspruch des Rats von Hasle aber lautete über die Frevler, so vor Gericht erschienen waren: »Weil überhaupt viel Bosheit und Geschrei in der Laube des Rathauses verübt würde von den Beckenbuben und Beckenmaidlen, so sollten die drei an jenem Kränzlin- und Wedelin-Tag anwesenden Mägde von abends 5 Uhr bis morgens 6 Uhr ins Häusle gesperrt, der Kränzlin-Fabrikant aber andern Tags von morgens 6 Uhr bis nachmittags 4 Uhr ebendahin befohlen werden.«

Salomon, der Weise, würde sich im Grab umgedreht haben über diesen Urteilsspruch der Haslacher Stadtrichter. –

Den Toweis erwarteten als Ratsfreund noch andere Aemter, die für seine Vielseitigkeit sprechen. Er wurde Baumeister der Stadt und Weinanschneider. Der letztere öffentliche Dienst war fast ebenso gefährlich als der bei den Metzgern. Die zwei Weinanschneider sollten es übernehmen, daß die Wirte den Maßpfennig nicht defraudierten. Es sollte deshalb kein Wirt ein Faß anschneiden, d. i. anstechen, ohne daß die Weinanschneider dabei gewesen wären und sich über die Zahlung des Maßpfennigs vergewissert hätten.

Für einen Bäcker, dessen beste Kunden die Wirte waren, taugte dies Amt nicht; darum bekleidete es der Toweis auch nur ein Jahr und ließ sich dann von seinen Ratskollegen desselben wieder entbinden.

Die Wirte in den fürstenbergischen Landen waren ohnedies etwas kurz gehalten. Sie mußten der gnädigsten Herrschaft ihren Zehnt-, Trott- und Eigenwein um bestimmten Preis abkaufen und durften, so lange Wein im eigenen Lande feil war, keinen fremden holen. Auch die Untertanen mußten fürstenbergisches Gewächs trinken, und nur Fremde hatten Anspruch an allenfallsigen auswärtigen Wein.

Der Backmuldenmann war, wie wir sehen, reich mit Aemtern gesegnet, da die Zeit kam, wo er all seiner Dienste mit einem Federstrich entsetzt wurde. Das geschah aber also: Die Stadtväter hatten im Herbst 1775 beschlossen, ein neues Spital zu bauen, draußen vor dem »neuen Tor«. Zu diesem Neubau wollten sie von dem Leprosenfond einen Beitrag von 800 Gulden. Hiezu war die Genehmigung des Fürsten erforderlich.

Eine Deputation des Rats, bestehend aus dem Schultheißen Sartori, den Burgermeistern Battier und Klausmann und dem Ratsfreund Tobias Hansjakob, begab sich hinüber ins Schloß zum Obervogt Schurer und erbat dessen Mitwirkung. Der verlangt zuerst Einsicht in die Rechnungen des Leprosenfonds.

Sartori, der Brisgäuer, und Battier, der Wälsche, alte Herrenwedler, sagten sofort zu. Toweis, der Bäcker, aber meinte, die Stiftung sei eine städtische, ihre Abhör habe von jeher lediglich der Senat der Stadt besorgt, und die Bürger, so Schulden hätten beim Leprosenfond, würden es sicher nicht gerne haben, wenn unberufene Leute, wie der herrschaftliche Obervogt, solche erführen.

Wir sehen, der Toweis war erblich belastet von seinem Vater, dem Hansjörg, her, der auch tapfer dagegen kämpfte, als die Herrschaft die Schulden der Untertanen wissen wollte. Der Bürgermeister Klausmann schloß sich der Meinung des Toweis an, worauf der Obervogt die Herren ungnädig entließ und die »respektswidrige« Aeußerung des Bäckers alsbald dem Fürsten vermeldete, da »ja undisputierlich die suprema inspectio (oberste Aufsicht) aller Verwaltungen unb Stiftungen seiner hochfürstlichen Durchlaucht zustehe.«

Nichts ertrugen die Fürsten jener Tage weniger als einen Angriff auf ihre Oberhoheit, auch wenn dieser nur von einem Bäcker ausging.

Umgehend kam deshalb aus der Residenz der Befehl, daß die beiden Attentäter sofort all ihrer Aemter zu entsetzen seien.

Jetzt fiel dem Krämer und Bürgermeister Klausmann das Herz in die Hosen. Er setzte sich sofort hin und schrieb an die reichsfürstliche Durchlaucht eine demütige Abbitte und wie schädlich es ihm wäre in seiner Krämerei, wenn bekannt würde, daß er in die allerhöchste Ungnade gefallen sei. Er wedelte deshalb untertänigst, ihm die Strafe der Amtsentsetzung allergnädigst zu erlassen.

Der Stadtrat bittet und wedelt ebenfalls mit und für den unglücklichen Krämer, und die Durchlaucht Josef Wenzel, von Gottes Gnaden Fürst zu Fürstenberg, erhört die Flehenden. Der Krämer soll Ratsherr bleiben, jedoch auf ein halbes Jahr vom Amte als Bürgermeister suspendiert sein.

Der Toweis aber litt für seine Ueberzeugung, daß die Stiftungen und die Schulden Sache der Stadt und ihrer Burger seien, den Tod seiner sämtlichen Aemter, ohne um Gnade und Wiedereinsetzung zu bitten. Er meinte, sein Brot und seinen Schnaps bringe er auch an den Mann ohne die allerhöchste Gnade.

Ihm genügte die Krone, die ihm, wo er sich blicken ließ, die verschuldeten Mitburger aufsetzten; vorab aber flocht ihm Lorbeeren der Rechner des Leprosenfonds, Herr Andreas Pfaffius, Chirurgus, der in dem Ansinnen des Obervogts ein Attentat auf seine Rechnertreue erblickt hatte.

Wo und wann immer er in jenen Tagen einen Burger rasierte oder einen Bauersmann schröpfte, sang er das Lob des Becke-Toweis als eines Mannes, der für die Freiheit und für die Schulden der Bürger zu reden und zu leiden wisse.

Und die Backstube wimmelte im Winter 1775 von Gleichgesinnten, die nächtlicherweile zum Bäcker kamen, ihn priesen und mit ihm schimpften über die großen und kleinen Herren.

Was den Freiheitssinn des Toweis in noch höherem Lichte zeigt, war der Umstand, daß er zur Zeit seines Widerstandes schon sechzehn Jahre lang fürstlich fürstenbergischer Beamter war.

Sein Schwiegervater, der alte Bäcker und Vorsprech Lienhard, war lange Zeit fürstlicher Kastenknecht oder Kastenvogt gewesen, d. h. er hatte die Zehntfrüchte zu sammeln, auf den fürstlichen »Kästen« zu versorgen und zu verkaufen. Ebenso hatte er den Zehntwein und den Wein aus den fürstlichen Weinbergen im unteren Kinzigtale beizuführen und einzukellern.

Als der alte Lienhard 1759 starb, wurde der Toweis sein Nachfolger. Aber auch diese Kastenknechtschaft, die mit jährlichen 45 Gulden bezahlt war und noch Diäten trug, hatte der Toweis in die Schanze geschlagen, als er für die Schulden der Bürger eintrat. –

Sein Vetter, der Freiheitsmann aus der Zeit der Straßenbau-Revolte, Tobias, der Färber, erlebte das Helden- und Märtyrertum des Bäckers nimmer. Er hätte sich sonst sicher gefreut, daß der Bäcker-Vetter nicht aus der Art geschlagen. Schon 1771 war dieser dem alten Färber zum Vormunde gesetzt worden, weil »sein Verstand allbereits völlig entwichen war«. Ein Jahr darauf entwich auch sein Geist dieser dunklen Erde. –-

Den Krämer Klausmann überkam aber der Geist des Widerspruchs nie mehr. Er wußte die Gnade seines Fürsten so zu schätzen, daß in der bald darauf folgenden, nun zu besprechenden dritten Haslacher Revolution er und der Brisgäuer die einzigen vom Rat waren, die nicht mitmachten.

Im September des Jahres 1777 schrieb der Fürst Wenzel, ein Mann, der höchst vergnüglich lebte und viel Geld brauchte, eine neue Steuer aus auf Karten und Papier.

Da die Haslacher allzeit, weil meist mit Schulden beladen, Feinde vom Zahlen waren, so kam ihnen diese neue Steuer ganz überzwerch. Sie widersprach aber auch schnurstracks dem Freiheitsbrief, den ihnen die ersten Fürstenberger schon vor bald einem halben Jahrtausend ausgestellt.

Darin hieß es, die Stadt Hasela sollte jährlich ihrem Grafen zahlen »zehn Mark lotigen SilbersNach heutigem Gelde etwa tausend Mark und nit mehr, weder Uebersteuern noch Bürgschaften«. Nun kommt der Fürst Wenzel mit einer Uebersteuer. Das spricht gegen den alten Brief. Rat und Bürgerschaft versammeln sich. Mit Ausnahme des Brisgäuers und des begnadigten Krämers sind alle einhellig gegen die Steuer. Gut und Blut wollten sie einsetzen, ehe sie sich diesen Bruch ihres alten Freiheitsbriefes gefallen ließen.

Sie kennen die Geschichte ihrer Verfassung und ihrer Herrschaft gut, die alten Haslacher. Sie wissen, daß ihr eigentlicher Oberlehensherr der Bischof von Straßburg und nicht der Fürst von Fürstenberg ist.

Sie wissen, und selbst in der Backstube wurde es oft erzählt, daß, als der letzte Graf von Fürstenberg-Haslach in der Schlacht bei Sempach gefallen war, die Herrschaft Hasela dem Reiche heimfiel.

Des Reiches und Böhmens König, der faule Wenzel, verlieh die Herrschaft seinem Kammerherrn, dem Baron Benesch von Chaustnik. Dieser trat sie 1388 gegen gutes Geld dem Bischof von Straßburg ab, welcher sie der alten Linie der Fürstenberger als Unterlehen gab.

Das wissen die von Hasle noch vier Jahrhunderte später; drum beantragen in einer Versammlung die Bürger Pfaffius und Toweis, eine Deputation an den bischöflichen Lehenshof nach Zabern zu schicken, den Angriff auf den Freiheitsbrief dort zu vermelden und den Oberlehensherrn zum Einschreiten gegen den Afterlehensmann, den Fürsten Josef Wenzel von Fürstenberg, zu veranlassen.

Unter stürmischem Beifall ward diese Deputation alsbald beschlossen und der Toweis und der Pfaffius nebst zwei Ratsherren dazu erwählt.

Vergebens warnte der schlaue, fürstenbergisch gesinnte Ratschreiber Fernbach vor diesem Schritte, weil er in Donaueschingen sicher das böseste Blut machen würde.

»Das wollen wir!« riefen die Burger. »Die Fürstenberger sollen sehen, daß sie nicht unsere obersten Herren sind, sondern daß der Bischof von Strasburg über ihnen steht. Sie sind nur Lehensleute und nicht unsere Herren von Reichs wegen.«

Jetzt verlangte der Mephisto Ratschreiber, die Bürger sollten diesen Beschluß zu Protokoll geben. Sie hießen ihn denselben niederschreiben, und er schrieb alles, auch die bissigen Redensarten hinein und ließ die Rebellen alle unterzeichnen. Sie taten dies, ohne den Uriasbrief zu lesen, und die Deputation reiste ab.

Der Brisgäuer und Schultheiß Sartori und der Ratschreiber aber haben nichts Eiligeres zu tun, als mit dem Protokoll auf die Obervogtei zu gehen und es dem Amtsverweser Merlet zu übergeben. Der schickt's alsbald dem Fürsten zu, den die Anrufung des Bischofs von Straßburg ins Innerste seiner souveränen Seele trifft.

Dreißig Mann des stehenden Heeres unter dem Leutnant Baron von Freyberg werden alsbald nach Hasle beordert. Mehr Mannschaft hält wohl der Kammerdirektor Schurer, vor kurzem noch Obervogt in dem revolutionären Städtle, nicht für nötig. Er kennt die Haslacher und weiß, daß sie lieber in Worten als in Taten Revolution machen.

Das Militär rückt ein. Der Stadtrat wird abgesetzt, mit Ausnahme des Brisgäuers, des Ratschreibers und des begnadigten Krämers Klausmann.

Die andern Ratsfreunde, unter ihnen der Färber Schättgen, der Metzger Armbruster und diesmal ausnahmsweise auch der Burgermeister Battier, werden gefangen genommen, gefesselt, nach Donaueschingen geführt und daselbst zum Holzsägen verurteilt.

Die Burger, die kurz vorher auf dem Rathaus und in den Wirtshäusern krakeelt und erklärt hatten, Gut und Blut an die Sache zu setzen und sich mit Weib und Kindern abführen zu lassen, wurden jetzt sehr kleinlaut. Es war kein Winkelried und keine Jungfrau von Orleans unter ihnen, die sie angefeuert hätten zum Sturm gegen die dreißig Soldaten. Lautlos sahen die Tapfern zu, wie die Stadtväter fortgeschleppt wurden zu schmählichem Holzsägen.

Die Soldaten warteten nun noch auf die Deputation von Zabern. Und als diese mit dem Postwagen eingetroffen, wurden ihre sämtlichen Mitglieder, wie sie gingen und standen, in ihrer Dreispitz-Gala eingetürmt.

Und für alle diese Frevel der Soldaten mußten die guten Untertanen noch täglich dem Leutnant einen Gulden, dem Feldwebel 50 Kreuzer, dem Unteroffizier 40 und jedem gemeinen Grenadier 30 Kreuzer Extra-Douceur verabreichen, abgesehen davon, daß sie in den Wirtshäusern auf Stadtkosten kampierten.

Was wären die Fürsten alle ohne die Soldaten? Schwankende Rohre, die beim ersten Windstoß zerbrächen. Die Fälle in der Geschichte, in denen eine Revolution gelang gegen die Soldaten, sind nicht sehr häufig. Die Waffengewalt hat meistens obgesiegt. Das handwerksmäßige Volk in Waffen warf in der Regel das im Kriegshandwerk ungeschulte Volk nieder zugunsten der Fürsten.

In Hasle genügte das Erscheinen einer militärischen Miniaturmacht, um den Widerstand zu brechen und die Rädelsführer gefangen abzuführen.

Es ist schön, für die Freiheit zu reden, aber für sie zu leiden, dazu sind Spießbürger und kleinere Geister zu keiner Zeit veranlagt gewesen. Drum behagte den abgeführten Ratsfreunden das Holzsägen in der Residenz ebenso wenig lange, als den Deputierten das Eingesperrtsein.

Die letztern hatten zudem in Zabern schlechten Bescheid bekommen. Dort hatte man wohl längst vergessen, daß die Herrschaft Hasle vor bald vier Jahrhunderten als Unterlehen von dem Bischof Friedrich von Blankenheim dem Grafen Heinrich von Fürstenberg übertragen worden war, und kümmerte sich um die Bedrängnis der Bürger von Hasle blutwenig. Alte Freiheitsbriefe und ewige Friedensschlüsse haben ja bei den gnädigsten Herrschaften aller Zeiten keine lange Geltung gehabt, während die Völker stets dumm und gutmütig genug waren, an eine solche zu glauben.

Von Kerkerbanden umgeben und den Schellenwerken in der Residenz abhold, brach der Widerstand der Haslacher Senatoren und Deputierten bald. Sie erklärten, mit sich reden lassen zu wollen in bezug auf die neue Steuer, und wurden daraufhin freigegeben.

Aber der ganze Groll der Bürgerschaft ging jetzt auf den Ratschreiber über; denn es kam nach und nach heraus, daß er das Protokoll »verbösert« hatte. Er soll nun auch nicht geschont werden, und alsbald geht ein Schreiben an den Fürsten ab. Rat und Burgerschaft öffnen darin dem Fürsten ihr »wehmutsvolles Herz, weil gegen beide so streng eingeschritten worden sei und man sie mit dem entehrenden Namen Rebellen belegt habe.«

»Es war,« so heißt es weiter, »allen ein schauervoller Anblick, als die Stadträte ihrer Ehrenstellen entsetzt und durch die entehrende Hand des Schergen in Fesseln gelegt und geschlossen auf öffentlichen Wagen fortgeführt wurden.« »Schuld an allem sei der Ratschreiber, der die schlimmen Stellen ins Protokoll geschrieben. Er sei aber auch sonst ein schlechter Mann und habe von der Totenkapelle-Pflegschaft auf den Namen eines anderen Geld aufgenommen und für sich verbraucht.«

»Der Fürst möge nun auch gegen diesen Frevler vorgehen,« so schloß der Rachebrief, dem eine Urkunde des Pfaffius beigelegt war, worin er als Rechner obiger Pflegschaft die Echtheit des Frevels bezeugte.

Jubel ging durch Trojas Hallen und auch durch des Toweisen Backstube, als der Brief fort war. Ueberall hörte man die Bürger sich zurufen: »Jetzt goht's dem Lump an Krage!« Aber gnädigste Herrschaften lassen bekanntlich gehorsame Diener und Kronzeugen nicht gern im Stich. Die Untersuchung gegen den Malefiz-Ratschreiber ging aus wie das Hornberger Schießen, und der Protokollführer blieb nach wie vor in seinem Amte als die rechte Hand des Brisgäuers und Schultheißen Sartori.

In jenen Tagen aber soll der Sohn des Toweis, Philipp Jakob, der spätere Eselsbeck von Hasle und mein Großvater, obwohl er erst fünfzehn Jahre alt war, geschworen haben, nie im Leben ein Freund der Herren zu werden. Und er hat, wir wissen es aus seiner Geschichte,Schneeballen zweite Reihe. den Schwur treulich gehalten. –

Die Revolution war zu Ende, aber Friede zwischen Herrschaft und Burgerschaft gab es noch lange nicht. In der Back- und Wohnstube des Toweis wurde noch recht oft und viel debattiert über die alten Freiheiten und ihre Unterdrückung. Am meisten räsonierte der Doktor Pfaffius, der seine Beturmung weniger verschmerzte als der Toweis, weil er sich für einen akademisch gebildeten Mann und darum für doppelt beschimpft hielt.

Das Ansehen des Toweis muß nicht gelitten haben durch seine Einkerkerung und die darauf erfolgte Nachgiebigkeit; denn die Burger wählten ihn bald hernach zu einem der drei Rottmeister.

Die Burgerschaft zerfiel in drei Rotten oder Kompagnien für die Feuerwehr und für die Landesverteidigung. Jede hatte eine Fahne, die eine weiß, die andere rot, die dritte gelb.

Die weiße Kompagnie bekam der Toweis, die rote der Hufschmied Jörg Mayer. Dieser hatte zwar kurz vor seiner Wahl im »lauschigen Zustand« im Engelwirtshause zum Wirt, der auch Ratsherr war, in Gegenwart von Burgern und Bergknappen geäußert: »Alle Ratsherren hätten krumme Finger vom falschen Schwören; es sei einer so liederlich als der andere.«

Daß er trotz dieser Frevelrede zum Rottmeister erkoren wurde, spricht dafür, daß die Burger den Mann ob seiner tapfern Rede ehren wollten wie den Tobias, der um ihrer Schulden willen abgesetzt worden war.

Der Rat konnte sich am Hufschmied nicht mehr selbst rächen, weil ihm nach der letzten Revolte auch die Kompetenz für Ehrenkränkungen genommen worden war. Aber dem Toweis widerfuhr später volle Gerechtigkeit. Die Senatoren wählten ihn 1780 wieder zum Ratsfreund, und der Obervogt bestätigte ihn. Er war nach fast fünfjähriger Amtsentsetzung wieder – ein Herr geworden. –

Daß die Revolution in Hasle so leicht unterdrückt worden war, kam wohl auch daher, daß die Untertanen damals noch keine Muster hatten, wie man Revolutionen macht und sieghaft durchfühlt. Die große Revolution in Frankreich war ja noch nicht im Zuge, als die Haslacher zum drittenmal unterlagen.

Sie gaben aber trotzdem nicht nach, ihre alten Freiheiten zu verteidigen, und holten zu ihren Gunsten noch jahrelang nach der letzten Niederlage Rat bei Advokaten und Gutachten bei Universitätsprofessoren in Freiburg. Wie sehr sie an ihren Freiheiten hingen, das zeigt der folgende Vorgang, der sich nach dem 1783 erfolgten Tod des Fürsten Josef Wenzel abspielte:

Die »Empfindsamkeit« dieses Fürsten gegen die Wibervölker und sein sonstiges flottes Leben hatten seinem Sohn und Nachfolger, Maria Benedikt, eine starke Schuldenlast hinterlassen.

Heutzutag wenden sich die Fürsten, so die Schulden sie drücken, an das Haus Israel, das niemanden lieber Geld leiht, als hohen Herren. Es weiß, daß es sicher wieder zu Kapital und Zins kommt, wenn auch nicht immer beim Schuldner, so doch bei seinem Volke, wenn es mit diesem ungestört Geschäfte machen kann.

In der guten, alten Zeit wandte sich der Fürst an seine getreuen Untertanen. So nahm auch der junge Fürst Maria Benedikt, ein großer, fetter, eßlustiger, aber gutmütiger Herr, seine Zuflucht zu »Treue und Devotion seiner Burger und Bauern« und suchte in seiner »traurigen Lage, die mit dem gänzlichen Umsturz des hochfürstlichen Hauses drohte, Hilfe bei den denselben,« Er bittet um einen außerordentlichen Beitrag für 25 Jahre und verspricht, dessen Zusage »mit wahrer landesväterlicher Huld bei allen Anlässen huldreichst zu vergelten und aus dieser ungezwungenen Beisteuer keinen Mißbrauch und keine Schuldigkeit zu machen.«

In Hasle trug diese Bitte der Geheime Rat von Lentz zunächst dem Schultheißen und allen Vögten der Dorfgemeinden vor und zwar »unter Tränen«, worauf auch der Brisgäuer Sartori und sein Ratschreiber Fernbach »zu Tänen gerührt wurden«, wie der letztere selbst erzählt in seinem Protokollbuch.

Im Städtle war es alsbald ruchbar geworden, was der Geheime Rat des Fürsten wolle, und in der Backstube des Toweis versammelten sich einzelne tonangebende Burger, wie der Dr. Pfaffius, der Metzger Köbele, der Schuster Heim, einige vom Stamme Sandhas u. a., und besprachen die Lage, Und als der Stadtrat die Burger aufs Rathaus lud zur Entscheidung, war ihr Beschluß schon gefaßt.

Der Fernbach las die Bitte des Fürsten vor, und dann traten die Burger ab zur Beratung. Bald erschien eine Deputation derselben vor dem Rat und erklärte durch den Mund des Pfaffius, »die traurige Lage des Landesherrn habe ihre, der Burger Seele, durchdrungen und sie seien bereit, mit Aufopferung des Ihrigen dem Landesvater zu helfen. Sie wollten den Betreff für Hasle, der in 25 Jahren 2483 Gulden 20 Kreuzer ausmache, in sechs Jahren bezahlen. Doch müsse der gnädigste Landesvater geruhen, vorher alle Freiheitsbriefe gnädigst zu bestätigen und zu ratifizieren und alle bisher zur Drückung der Burger eingeführten Neuerungen (Stempelsteuer) gnädigst abzutun. Dadurch würde ihnen die vorige Liebe zu ihrem huldreichsten Landesvater wieder eingeflößt.«

Wir sehen, die Männer in der Backstube hatten die Revolte von anno 77 noch nicht vergessen. Sie suchten sich jetzt zu rächen, und die Burger zeigten, daß ihnen die Freiheit lieber sei als Geld. Das ehrt die Männer von Hasle, die sonst allzeit bereit waren, ihren Grafen und Fürsten eine Freude zu machen.

Wie naiv und familiär Untertanen und Herrschaft hundert Jahre zuvor mit einander gelebt hatten, zeigt das Präsent der Landschaft Haslach an die Landgräfin Anna Magdalena von Bernhausen, des regierenden Grafen Maximilian Franz Gemahlin, bei ihrer ersten Niederkunft in Stühlingen.

Die braven Untertanen gratulierten der Gräfin also: »Nachdem der allmächtig Gott Eure landgräfliche Gnaden kurz verwichener Zeit Ihrer erst getragenen Leibesbürdin durch fröhliche geburt glücklich entbunden, mit einer Fröulin väterlich gesegnet und begabt, wünschen Euere Unterthanen Euer landgräflichen Gnaden, dero heizliebstem Gemahl und dem jungen Fröule viel glück, gesundheit, langes Leben und zur Bezeigung ihres unterthänigen Gemüts und empfangener untertäniger Fröuden überschicken sie Euer landgräflichen Gnaden und dem jungen Fröule gegenwärtiges Geschürrle und Schüssele, unterthänig bittend, bei dieser ihrer jetzigen Beschaffenheit ein gnädiges Gefallen darob zu tragen und dabei ihre gnädige Landgräfin zu verbleiben.«

Der Graf bedankte sich schön dafür. Später wurden aber die Untertanen auch angegangen, zum Reisegeld für die jungen Grafen und Gräfinnen beizusteuern. –

Der Fürst Josef Maria Benedikt bekam die gewünschte Beisteuer, aber mit ihren Wünschen wurden die Haslacher hingehalten und auf später vertröstet. Erst anno 1792, als die französische Revolution ihre Lichter auch über den Rhein herüberwarf, vier Jahre vor dem Tode des Fürsten, kam es zu einer Vereinbarung zwischen denen von Hasle und ihrer Herrschaft.

Unter dem Protokoll, das den Frieden mit der gnädigsten Herrschaft enthält, steht als einer der Bevollmächtigten der Bürgerschaft auch der Toweis, und er setzt kühn neben seinen Namen sein – Siegel.

Im Wappenbild dieses Siegels befinden sich eine Brezel und zwei Wecken, von einer Krone überschattet und von einem Lorbeerzweig umrahmt.

Wer auf sein armseliges Handwerk so stolz ist, daß er dessen Sinnbilder mit Lorbeer bekränzt und krönt, vor dem muß man Respekt haben!

Die alten Handwerksmeister führten zu meiner Knabenzeit noch alle ihr Petschaft mit den Emblemen des Handwerks. Jetzt hat der fade Blaustempel all das verdrängt, aber auch der Stolz auf das ehrsame Handwerk ist längst fort.

In obigem, dem letzten Friedensschluß, den die Haslacher mit dem Hause Fürstenberg abschlossen und der anhielt bis zum Aufhören der fürstenbergischen Souveränität – sorgte jeder Teil möglichst für seine Interessen; jeder verliert und jeder gewinnt dabei.

Der Fürst verspricht, keine Bannmühle zu errichten und der Stadtmühle von Hasle das »Monopolium« zu überlassen.

Die Haslacher Bürger, welche Lachse stechen in der Kinzig, dürfen die eine Hälfte behalten, die andere gehört dem Fürsten.

Die Stadt verzichtet auf das Asylrecht. Dieser Punkt mag dem Toweis, wie wir bald sehen werden, um seiner Kunden willen schwer gefallen sein.

Die Stadt behält, wie von alters her, die niedere Gerichtsbarkeit.

Sie nimmt den Karten- und Papierstempel an.Wer die erste Strafe mit zehn Gulden bezahlen sollte für ungestempelte Karten, das war meine Urgroßmutter väterlicherseits, die Kreuzwirtin Luitgarde Zachmann. Sie wandte sich an den Fürsten und wurde begnadigt. Dagegen zahlt die Herrschaft von ihren Häusern und Gütern die Schätzung und Grundsteuer an die Stadt; was sie seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht mehr getan.

Sie verspricht endlich zugunsten der Handwerker im Städtle möglichst wenige Handwerker auf dem Land zu dulden; denn nichts empörte die Gevattern vom Handwerk mehr, als wenn sie hörten, es wolle sich da oder dort in einem Dorfe ein Bäcker oder ein Schmied niederlassen.

Nachdem dieser Friedensschluß ratifiziert war, schwur die ganze Bürgerschaft dem Fürsten aufs neue, schwur beim – Stabe.

Wie heute noch beim englischen Parlament der Stock mit der Krone auf dem Tisch des Sprechers das Zeichen der königlichen Majestät ist und lächerlicherweise die »freiheitlichen« Engländer keine Sitzung beginnen, ehe der Stock erscheint und auf dem Tische liegt, so galt auch in den alten Bauern- und Burgergemeinden der Stab als das Sinnbild der Herrschergewalt. Wer den Stab bekam und hatte, war der Vertreter des Fürsten, und der Stabhalter amtete in dessen Namen.

Also beim Stab schwuren die Bürger von Hasle damals, »dem gnädigsten Fürsten und der Stadt Haslach getreu, hold, gehorsam und gewärtig zu sein als ehrliche Burger; die heilige katholische Religion bis an ihr Ende zu handhaben und sich solcher gemäß allzeit zu verhalten; stets mit Schieß- und Seitengewehr und einem Feuereimer versehen zu sein und auf Lochen und Marksteine fleißig acht zu haben.« –

Bald nach diesem Friedensschluß drang die Kunde von den Taten der französischen Revolution ins Kinzigtal und nach Hasle. Jede Woche kamen Burger und Bürgerinnen nach Straßburg, wo sie kauften und verkauften, und jedesmal brachten sie staunenswerte Neuigkeiten mit heim.

In der Backstube des Toweis wurde nächtlicherweile vom Schuster Heim, vom Glaser-Hans, von dem Weißgerber Balthasar Sandhas und vom Dr. Pfaffius stark in Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gemacht.

Am meisten radikal war der Glaser-Hans; denn ihm hatte der Rat, im Widerspruch mit dem Ratsfreund Tobias Hansjakob, seinen Vermögensstand untersuchen lassen und ihn wegen einer Ueberschuldung von 24 Gulden und 18 Kreuzern für bankerott und mundtot erklärt. –

Die Schmach ihrer frühern Niederlagen erwachte immer wieder aufs neue bei den Burgern von Hasle, so oft sie von einem neuen Sieg der französischen Revolutionäre hörten!.

Sicher hätten sie dem Fürsten den Gehorsam aufgesagt und um einen Freiheitsbaum getanzt, wenn nicht stets österreichische Heere talauf und talab gezogen wären und wenn die Mannen nicht erfahren hätten, daß der damalige Fürst Karl Joachim selbst ein guter Freund der Revolution sei.


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